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Elisabeth Jäcklein-Kreis: Ist das Pädagogik oder kann das weg?

    Zur Person

    Mikhail, Thomas (2016). Pädagogisch handeln. Theorie für die Praxis. Paderborn: Ferdinand Schöningh. 302 S., 39,90 €.

    Auf dem Spielplatz und dem Pausenhof, im Seniorenheim und beim Assessment Center, im Hörsaal und selbst im Straßenverkehr, ständig werden Menschen informiert, angeregt, belehrt, unterwiesen, erzogen – schlicht, es wird pädagogisch gehandelt. Doch ist das tatsächlich so? Ist jede Belehrung oder sogar jedes Schimpfen, jede Erklärung oder auch Machen-Lassen gleich pädagogisch? In welchen Kontexten findet überhaupt ‚Pädagogik‘ statt und was ist ‚richtiges‘ pädagogisches Handeln? Wo verlaufen die Grenzen? Welchen Kriterien muss Handeln genügen, damit es pädagogisch ist? Wie lässt es sich definieren, wie unterschieden – und wovon? Thomas Mikhail, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institut für Berufspädagogik und Allgemeine Pädagogik der Universität Karlsruhe bzw. des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) stellt in seinem Buch Pädagogisch Handeln die Gretchenfrage: Wann ist die Pädagogik eine Pädagogik? Eine „flächendeckende pädagogische Orientierungslosigkeit“ beobachtet Mikhail, die er am Absatz der Erziehungsratgeber, Elternkurse und Beratungsangebote festmacht und als Ausgangspunkt seiner Betrachtungen nimmt – und daneben ein weit ausdifferenziertes berufliches Feld von „…pädagoginnen“ und „…pädagogen“ aller Art, die aber über keinerlei gemeinsame Definition ihrer Tätigkeit verfügen: Pädagogisch ist, was die Pädagogin bzw. der Pädagoge tut. Davon ausgehend stellt sich Mikhail dem ambitionierten Vorhaben, das Feld des (potenziell) Pädagogischen ein- und abzugrenzen und ‚aus der Theorie für die Praxis‘ zu bestimmen, was denn nun Pädagogik ist und was nicht.

    Er nähert sich dem, wie man es häufig tut, zunächst historisch. In einer ‚Problemgeschichte‘ lässt er diverse Vertreter der (theoretischen) Pädagogik zu Wort kommen und stellt deren verschiedene Herangehensweisen an ihr Feld vor. So widmet er Platon, Augustinus, Thomas von Aquin, Comenius, Rousseau, Herbart, Pretzelt und Prange je ein Unterkapitel, zeichnet deren Denklinien und ihre sowohl terminologischen als auch methodischen Unterschiedlichkeiten nach und arbeitet aus den jeweiligen Sichtweisen den Kern pädagogischen Agierens heraus, um abschließend mit Bezug auf Schleiermacher eine Systematik vorzustellen, in der er einen Überblick über die Herangehensweisen schafft und deren Gemeinsamkeiten aufzeigt und betont. Auf Basis dieser Gemeinsamkeiten soll geprüft werden, was Pädagogik eigentlich ausmacht. Dieser Frage nähert er sich anschließend in zwei größeren Kapiteln aus gänzlich gegensätzlichen Richtungen: zum einen über die Erarbeitung genuin pädagogischer Prinzipien, zum anderen über die Vorstellung sogenannter parapädagogischer Handlungsformen, also explizit nicht „rechtmäßig pädagogischer“ Handlungen, die mithin die Grenzen der Pädagogik darstellen.

    Im Rahmen der ‚pädagogischen Prinzipien‘ arbeitet er als zentrale Charakteristika und „unhintergehbare Prinzipien“ jeder Pädagogik Bildsamkeit, Selbstbestimmung und Dialog heraus – wobei er betont, dass diese Prinzipien zwar über keine Erkenntnisfunktion verfügen, also nicht vermitteln können, wie pädagogisch gehandelt werden soll, durchaus aber ordnungsstiftende Funktion haben und nützlich dabei sein können, Erfahrungen und Erkenntnisse daran zu prüfen. Auf der anderen Seite identifiziert er als parapädagogische, also gerade nicht pädagogische Handlungsweisen Unterweisung, Gewöhnung, Laissez- faire. Zwar legt Mikhail Wert darauf, jeweils herauszuarbeiten, dass ein solches Agieren nicht per se ‚schlecht‘ sei und auch nicht ‚verboten‘ in pädagogischen Zusammenhängen; im Gegenteil, er hält alle drei für wichtige Aspekte und Aktionsformen innerhalb pädagogischen Handelns. Er stellt aber dennoch heraus, dass sie für sich genommen nicht pädagogisch sind, sondern vielmehr die Grenzen pädagogischen Handelns markieren, etwa weil sie sich an anderen Gesichtspunkten – wie bei der Unterweisung beispielsweise ökonomischen – orientieren als an pädagogischen, weil sie Vorstufen zum pädagogischen Handeln darstellen, wie die bei der Gewöhnung der Fall ist, oder weil sie, wie Laissez-faire, gerade eine (bewusste) Unterlassung pädagogischen Handelns bezeichnen.

    Auf Grundlage sowohl dieser historischen Hinführung als auch der Abgrenzung widmet sich Mikhail in einem finalen Kapitel der Betrachtung zentraler Praxisfelder pädagogischen Handelns. Nun muss er zu guter Letzt doch feststellen, dass die Grenzen zwischen pädagogischem und parapädagogischem Handeln in der Praxis verschwimmen und überhaupt „reines Erziehungshandeln“ nicht denkbar ist. Nichtsdestoweniger werden Institutionen, Schule und Familie als pädagogische Umfelder herausgearbeitet und beschrieben und Kriterien dafür vorgestellt, wie sich pädagogisches Handeln in diesen Kontexten zeigt. Nach der letzten Seite bleibt ein wenig der Eindruck, dass der Untertitel sich im Innenteil doch nicht allzu stark durchsetzen konnte – es wird zwar viel Theorie behandelt, eine umfassende Beschäftigung mit der Praxis bleibt aber weitgehend aus. Nichtsdestoweniger ist diese Theorie ein wirklicher Gewinn für alle, die sich aus privatem oder beruflichem Interesse, mit forschender oder praktischer Perspektive für das Thema interessieren. Mikhail geht sein sehr grundlegendes Thema strukturiert und nachvollziehbar an, schreibt interessant und stringent und lädt so Laien wie Expertinnen und Experten ein, sich einmal ganz neu mit Pädagogik in ihren Erscheinungsformen, Möglichkeiten und Grenzen zu beschäftigen – und so vielleicht ganz neue Blickwinkel zu gewinnen, die eben doch auch der Praxis zuträglich sein können.

    Dr. Elisabeth Jäcklein-Kreis ist Redakteurin bei merz | medien + erziehung sowie Lektorin im kopaed-Verlag.

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