Julian Erdmann
Beiträge in merz
- Julian Erdmann: Aufsuchende soziale Arbeit in Games
Julian Erdmann: Aufsuchende soziale Arbeit in Games
Auf der ‚digitalen Straße‘ werden junge Menschen bislang noch nicht so aktiv begleitet wie vor Ort. Einen Beitrag, der hier Abhilfe schaffen könnte, bietet nun Fabian Wiedel. In seiner Dissertation entwickelt er auf theoretischer und empirischer Basis ein umfassendes Modell für aufsuchende Sozialarbeit im Gaming-Bereich mit besonderem Blick auf Videospielsucht. Dazu beschreibt er eindrücklich das Phänomen des exzessiven und pathologischen Gamings. Im theoretischen Teil beschreibt Wiedel Wege ebenso wie Lücken im Hinblick darauf, wie in verschiedenen Disziplinen mit Gaming im Allgemeinen und Videospielsucht im Speziellen professionell umgegangen wird. Die Ergebnisse des empirischen Teils speisen sich aus 20 Interviews mit Expert*innen aus den Bereichen Psychologie, Medienpädagogik und Gaming. Aus Theorie und Empirie wird dann ein umfangreiches Gesamtmodellkonzept zu Digital Streetwork im Bereich Gaming entwickelt.
Als Grundlage gibt Wiedel zunächst einen Überblick über die Theorie der mediatisierten Gesellschaft mit besonderen Fokus auf die Teilbereiche Gaming und Videospielsucht. Aufbauend auf die theoretischen Ausarbeitungen wird eine Handlungsvision für eine ganzheitliche Medienkompetenzvermittlung im Digitalen und für Digital Streetwork entwickelt. Im ersten von Wiedel entwickelten Modell werden medienpädagogische Akteur*innen in ihren Handlungsfeldern mit Kompetenzvorstellungen und einzelnen Werkzeugen bzw. Maßnahmen verbunden. Im zweiten Modell steht Digital Streetwork im Kontext der Videospielsucht im Vordergrund. Diese beiden Modelle wurden in der Folge mithilfe von Fachkräfte-Interviews empirisch überprüft, in und mit denen dann Bedingungen für Digital Streetwork im Gaming-Bereich herausgearbeitet werden sollten. Nach der Vorstellung des methodischen Vorgehens stehen die Ergebnisse der Fachkräfte-Befragung im Vordergrund, bevor schließlich ein Fazit gezogen wird. Die Ergebnisse werden in zwei Bereiche strukturiert: nach der gesellschaftlichen Bedeutung von Gaming und Videospielsucht und nach der Diskussion des Konzepts Digital Streetwork. Fokussiert wurden dabei Arbeitsweisen der Digital Streetworker*innen, Kontaktaufnahme und Beziehungspflege mit der Zielgruppe sowie organisatorische Rahmenbedingungen.
Das Fachbuch richtet sich insbesondere an Fachkräfte aus den Bereichen Medienpädagogik, Soziale Arbeit und Psychologie und spricht dabei Forschende wie auch Praktiker*innen an. Wiedel blickt umfassend aus verschiedenen Perspektiven auf Gaming und Videospielsucht. Auf fundierter theoretischer Grundlage entwickelt er mehrere komplexe Modelle. Dabei wird allerdings nicht in Gänze verständlich, wie sich das Modell der ganzheitlichen Medienkompetenzvermittlung mit einem präventiven und rehabilitativen Ansatz der Digital Streetwork verbinden lässt. Wie genau die Förderung von Medienkompetenz im Rahmen von Digital Streetwork aussehen könnte, wird nur in Teilen ersichtlich. Zudem findet eine dezidierte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Akteur*innen und verschiedenen Angeboten im Rahmen der Förderung von Medienkompetenz im Hinblick auf den Stellenwert der Medienpädagogik in der Modellbildung nur verkürzt statt. Es wird zwar ein Zusammenspiel verschiedener Akteur*innen gefordert, die einzelnen Akteur*innen in ihren jeweiligen Kontexten werden aber nur sehr knapp beschrieben. Hier wäre ein klarer und differenzierterer Fokus auf einige Akteur*innen in angemessener Tiefe zielführender gewesen. Die Ergebnisse der Arbeit sind aktuell, innovativ und im Hinblick auf eine Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit in einer mediatisierten Gesellschaft zukunftsweisend. Wiedel gelingt es, sein entwickeltes Modell fundiert mit den Erfahrungen von Expert*innen abzugleichen. So können zum einen die Bedeutung der Problematik Videospielsucht sowie Defizite in der existierenden Gaming-Pädagogik herausgestellt und zum anderen die Umsetzung von Digital Streetwork als Arbeitsfeld mit bestimmten Rahmenbedingungen als praxisnah beurteilt und dahingehend konzeptionell ausgestaltet werden. Wiedels Ergebnisse lassen sich weitestgehend auch auf andere Felder der online-gestützten Jugendsozialarbeit übertragen. Für die Notwendigkeit aufsuchender Sozialer Arbeit im Gaming-Bereich, aber auch darüber hinaus, bietet Wiedel insgesamt nicht nur eine sehr fundierte Begründung, sondern zugleich umfangreiche praktische Ansätze für die Umsetzung der erarbeiteten Konzepte und die weitere Entwicklung dieses Handlungsfeldes.
Wiedel, Fabian (2022). Digital Streetwork. Zur Notwendigkeit einer aufsuchenden, psychosozialen Medienpädagogik bei exzessiver Internetnutzung am Beispiel des Gaming. München: kopaed. 413 S., 24,80 €.
Beitrag aus Heft »2022/05 Medien.Pädagogik und Rassismus.Kritik – Impulse einer Auseinandersetzung«
Autor: Julian Erdmann
Beitrag als PDF