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Franziska Busse: Einfach Anders

    Zur Person

    Steinhöfel, Andres (2015). Anders. Hörbuch, Silberfisch. 331 Min., 19,99 €.

    Es ist wie ein Wunder. Nach 263 Tagen erwacht der elfjährige Felix Winter aus seinem Koma. Darin hatte er seit seinem elften Geburtstag gelegen, nach einem Unfall, den seine Eltern verursacht hatten. Jetzt scheint Felix wieder gesund und wohlauf, doch ist er nicht mehr ganz derselbe: Er leidet an einer Amnesie und kann sich daher weder an Personen noch an Ereignisse aus der Zeit vor dem Koma erinnern. So sind seine Eltern für ihn zwei Fremde, die ihm in Zukunft sagen werden, wann er ins Bett gehen soll. Hinter dem Unfall selbst scheint allerdings mehr zu stecken als ein reines Unglück: Warum hatte Felix beispielsweise am Unfalltag einen längeren Nachhauseweg von der Schule genommen als sonst? Überhaupt scheint es bereits vor dem Unfall ein großes Geheimnis gegeben zu haben, das nicht ans Licht kommen soll – zumindest verbergen zwei Freunde von Felix, Ben und Nisse, irgendetwas vor ihm. In Zusammenhang damit steht scheinbar auch eine Datei auf Felix‘ Computer. Diese ist allerdings in ein passwortgeschütztes Truescript-Volumen eingebettet und sowohl Felix als auch sein Vater versuchen regelmäßig nur vergeblich, dieses zu knacken. Felix geht nun bereits wieder zur Schule. Das neue Schuljahr fängt gerade an – und schnell merken alle, dass er nicht mehr derselbe ist. Auch Felix selbst fühlt sich anders und kann sich mit seinem früheren Ich nicht mehr identifizieren. Er beschließt daher, sich ab jetzt auch so zu nennen: Anders. Im Gegensatz zu Felix nimmt Anders kein Blatt vor den Mund und spricht alles aus, was er denkt. Er ist nicht ängstlich und angepasst, sondern selbstbewusst. Und, er hat besondere Gaben: Anders kann Gefühle und Krankheiten erkennen. Menschen strahlen für ihn Farben aus, je nachdem, welche Aura sie besitzen. So bringt Anders beispielsweise seinen Pfleger Gary und die Ärztin Laura zusammen. Auch erkennt er, dass Stack, sein alter Nachhilfelehrer und neuer Freund, im Inneren seines Wesens immer noch tief um seine vor 15 Jahren verstorbene Frau trauert. Allerdings können nicht alle Menschen in Felix‘ Umgebung mit dieser Veränderung gut umgehen – vielen macht Anders sogar Angst. Zwar versucht er immer wieder nur zu helfen, wenn er seinen Mitmenschen erklärt, dass sie krank seien, eine Erkältung hätten oder sich untersuchen lassen sollten, doch meistens stößt er damit auf pures Unverständnis. Seiner Mutter macht die Veränderung von Felix am meisten zu schaffen. Sie ist eine kontrollierende, sich und andere ständig optimierende Person. So zieht sie beispielsweise Kreidestriche um Felix‘ Schuhe, um am nächsten Morgen nachzuvollziehen zu können, ob ihr Sohn nachts das Haus verlassen hat. Anders, der wiederum regelmäßig nachts nach draußen geht, um sich abzureagieren, stellt seine Schuhe immer sehr gewissenhaft und passgenau zurück in diese Linien. Manchmal muss Anders nämlich einfach etwas Verrücktes machen, das seine gesamte Aufmerksamkeit bündelt, um das Chaos in seinem Inneren unter Kontrolle zu bringen. So balanciert er ab und zu gerne auf dem Brückengeländer am Fluss entlang oder klettert in die meterhohe Bluteiche am Fluss. An dem mystischen Ort soll früher eine Nixe mit ihrem Baby gelebt haben, die in irgendeiner Verbindung zu Anders zu stehen scheinen …

    Das Hörbuch Anders ist eine Mischung aus Kinder- und Jugendgeschichte, die vom Erwachsenwerden erzählt. Sie begleitet Felix, wie dieser sich von der Kontrollsucht seiner Mutter löst und anfängt, seine eigenen Gedanken zu formulieren. Schließlich lernt er sich selbst dabei neu kennen. Das Hörbuch wird vom Autor Andreas Steinhöfel selbst auf unsentimentale und gleichzeitig einfühlsame Art und Weise vorgelesen. So können die Hörerinnen und Hörer gut in die Geschichte eintauchen, ohne dabei allzu traurig oder wütend zu werden. Die einzelnen Kapitel sind zudem abwechslungsreich jeweils aus der Perspektive eines anderen Charakters erzählt. Steinhöfel schenkt diesen Protagonistinnen und Protagonisten mit seiner Stimme eine jeweils eigene Färbung und hebt dadurch besondere Charaktereigenschaften hervor. Unter anderem kommen die Nachbarin, Vater und Mutter, Stack, Felix‘ Freund Ben und die Lehrerin zu Wort. Anders ist zwar ab elf Jahren freigegeben, allerdings ist es sprachlich sehr komplex geschrieben. Gleichzeitig werden viele Details nicht eindeutig erklärt, sondern finden auf einer Metaebene statt. Da das Hörbuch über fünf Stunden dauert, kann die Geschichte zwar ab dem empfohlenen Alter angehört werden, wirklich verstanden wird sie aber vermutlich erst von Jugendlichen ab 14 Jahren. Zusätzlich kann das Hörbuch aber Erwachsenen empfohlen werden. Diese werden beim Hören mitunter auf versteckte Kritik stoßen, die die Geschichte am Verhalten gewisser Eltern gegenüber Kindern übt. Die vorkommenden Eltern haben beispielsweise eine ganz genaue Vorstellung davon, wie ihr Kind sein sollte. So kann sich die Mutter von Felix einfach nicht damit abfinden, dass er sich verändert hat.

    Des Weiteren kommt Kritik zum Vorschein, dass Kindern im entscheidenden Moment oft nicht zugehört wird. So erklärt Felix beispielsweise immer wieder, er sehe Farben rund um die Menschen und könne Gefühle lesen. Doch niemandem fällt auf, dass es sich dabei um Anzeichen für Synästhesie handelt. Die meisten Erwachsenen versuchen zudem nicht, ihm zu helfen, sein neues Ich zu formen, sondern vielmehr, sein altes Ich wiederherzustellen. Insbesondere seine Mutter versperrt sich geradezu gegen neue bzw. andersartige Dinge. Die Legende von der Nixe im Erler Loch gibt der Geschichte eine Prise Märchenhaftigkeit und auch sonst werden nicht alle Rätsel und Unklarheiten gelöst. Durch eben diese mystischen und nicht ganz erklärbaren Elemente wird die Fantasie der Zuhörerinnen und Zuhörer angeregt. So können sie individuell weiterdenken, die Geschichte weiterspinnen oder eigene Ideen entwickeln – zu Meerjungfrauen, zu den Gefühlen von Menschen und vielleicht sogar zu sich selbst und darüber, wer sie eigentlich sind.

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