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Hans-Dieter Kübler: Digitale Bildung auf dem Prüfstand

    Zur Person

    McElvany, Nele/Schwabe/Bos, Wilfried/Holtappels, Heinz Günter (Hrsg.) (2018). Digitalisierung in der schulischen Bildung. Chancen und Herausforderungen. Münster und New York: Waxmann.

    Schlagwort, ja zur Leerformel geworden, die fast in keiner öffentlichen Rede zur Zukunftsfähigkeit des Landes fehlen darf. Doch was sie theore­tisch wie praktisch meint, wozu sie führen soll und – noch wichtiger – wie sie zu erreichen ist, das ist noch weitgehend disparat bis nebulös. Zahlreiche Positionspapiere und Ankündigungen einerseits und die Erklärung der Kultusminister­konferenz (KMK) zur „Bildung in der digitalen Welt“ von 2016 andererseits haben zu keinen echten Fortschritten geführt. Begriffliche Klä­rungen, wissenschaftliche Fundierung, empiri­sche Grundierung sowie praktische Erfahrungen aus den Arbeitsfeldern wollte deshalb der 2. Bil­dungsdialog des Dortmunder Instituts für Schul­entwicklungsforschung 2017 beisteuern, dessen Beiträge in diesem schmalen Sammelband pu­bliziert werden. Nach einem grundlegenden, instruktiven Überblick der Schulpädagogin Birgit Eickelmann, der zum einen auf der Grundlage der ICILS-Studie (International Computer und Information Literacy Study) von 2013 (!) den bescheidenen Stand und die Defizite der bun­desdeutschen Entwicklung im internationalen Vergleich widergibt, zum anderen die vier von der KMK postulierten prinzipiellen Zielsetzun­gen und Anforderungen der Digitalisierung in der schulischen Bildung abhandelt, folgen fünf kürzere Beiträge zu „Chancen, Voraussetzun­gen und Risiken der Digitalisierung“ sowie drei weitere zu „Perspektiven […] aus Sicht der Bil­dungsforschung und -praxis“.

    Zur Lernwirksamkeit digitaler Medien liegen besonders im angloamerikanischen Raum zahl­reiche Studien vor, in Deutschland dagegen nur einige wenige. Mittels verfügbarer Meta-Ana­lysen findet die Berliner Lernforscherin Heike Schaumburg heraus, dass die Lernwirksamkeit eher positiv, aber sehr gering ausfällt. Über diese vor allem technikzentrierte Perspektive hinaus lässt sich erkennen, dass schüler-, prob­lemorientierte, offene – mithin „konstruktivisti­sche“ – Unterrichtsformen ungleich bessere und vielfältigere Ergebnisse erzielen als traditionelle lehrerzentrierte. Kompetente Lehrkräfte werden aber dadurch nicht überflüssig; im Gegenteil: sie müssen noch besser qualifiziert sein und schülerorientiert handeln. Diese differenzierten Erkenntnisse bestätigt exemplarisch der Praxis­bericht über das Projekt eXplorarium des Berli­ner Trägervereins Life e. V., das an einem Gym­nasium in Berlin-Neukölln mit vielen Schülerin­nen und Schülern mit Migrationshintergrund durchgeführt wurde. Selbständiges Lernen und Medienkompetenz waren die zentralen Zielset­zungen in unterschiedlichen Fächern; gerade die Lernplattform Moodle erweist sich als geeignet, um unterschiedliche digitale Formate einzubin­den und selbstständiges Lernen zu befördern, sofern Lehrkräfte sie zu formatieren und aktiv zu gestalten wissen. Technische und organisato­rische Bedingungen, Einstellungen und Kompe­tenzen der Lehrkräfte können als Voraussetzun­gen, aber auch als Qualitätsmaßstäbe für den Einsatz digitaler Medien gelten. In der dreijäh­rigen Studie Schule digital – der Länderindikator am Dortmunder Institut (2015 bis 2017) sind bundesweit Lehrkräfte dazu befragt worden. Sie zeigten sich großenteils – erstaunlicherweise – mit der IT-Ausstattung ihrer Schulen und dem Support zufrieden. Im Vergleich zu früheren Befragungen betonten sie stärker die positiven Potenziale des digitalen Lernens, wobei viele ihre eigenen medienpädagogischen Kompeten­

    zen und die Wahrnehmung von Fortbildungsangeboten als noch entwicklungsbedürf­tig einschätzten, um einen schüler- und fachgerechten, digitalen Unterricht zu be­werkstelligen.

    Mit den „Schattenseiten“ der Internetnutzung beschäftigen sich die beiden Artikel zu „Cy­berbullying“, deutsch auch: Cybermobbing, und zu „Inter­netsucht“. Beide zählen eher zum Erziehungsauftrag von Schulen, weniger zur Fachdi­daktik. Entsprechend gering oder zögerlich ist die Wahr­nehmung fachdidaktischer Problemstellungen, obwohl die schädlichen Folgen nicht ohne Ein­fluss auf den Erfolg und das Verhalten der Lernen­den in der Schule sind. Die beiden Beiträge liefern deshalb auch viele Ratschläge für die Prävention, aber auch für die Bekämpfung dieser dissozialen und subjektbedrohenden Aspekte – freilich ohne empirische Belege über ihre Effektivität.

    Im Abschnitt II werden Perspektiven für Bildungs­forschung und -praxis thematisiert. Zunächst re­kapituliert die geschäftsführende Direktorin des Instituts für Schulentwicklungsforschung und Herausgeberin Prämissen und Desiderate der Bildungsforschung für das digitale Lernen in der Schule. Entgegen eilfertiger Postulate zeigt sie auf, dass eine Fülle von Fragen und didaktischen Aufgaben wissenschaftlich noch nicht einmal angegangen sind und dass ihre Erforschung in jedem Fall nicht leichter ausfällt als früher; eher komplexer und grundsätzlicher müsse sie werden, so dass nur interdisziplinäre und mul­timethodische Ansätze angemessen sind. Auch der bereits zum dritten Mal eingesetzte Monitor Digitale Bildung der Bertelsmann-Stiftung, der im nächsten Beitrag vorgestellt wird, verlangt, dass traditionelle didaktische Ansätze nicht le­diglich digitalisiert werden, sondern auch als Auftrag für neue, umfassende Veränderungsoptionen ver­standen werden müssen. Wie diese aussehen sollen, bleibt allerdings vage oder wieder einmal eher technikorientiert. Schließlich wird am Beispiel des Franz-Stock-Gymnasium in Arnsberg über die bereits seit fünf Jahren betriebene Schulentwicklung berichtet. Die tiefgreifende Umstruktu­rierung von Unterrichtspro­zessen kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten daran mitgestalten und sich damit identifizieren können. Dies gelinge nur mit ständiger „systematischer Kom­munikation“, so das Fazit.

    Wieder einmal erweist sich in der Bildungsfor­schung, Didaktikkonzeption und im konkreten Unterrichten und Lernen, sei es weiterhin ana­log oder digital, dass es mit schnellen Lösun­gen und wohlfeilen Rezepten nicht getan ist, sondern sorgfältiger und gründlicher Planung und Evaluation bedarf, und zwar anhaltend und systemimmanent. Mit digitalem Lernen werden Schule und Unterricht gewiss nicht einfacher; dafür haben Medien noch nie getaugt. Wer sie als essenzieller, unentbehrlicher Bestandteil und Motor künftigen Lernens haben will, und das müssen sie infolge der allseitigen Digitalisierung in Beruf und Alltag sein, wird sich dieser Proble­matik und dieses Anspruchs stellen müssen. Die nächste ICILS-Studie für 2018 wurde von Birgit Eckelmann schon angekündigt. Und ihr werden noch viele andere folgen.

    Dr. Hans-Dieter Kübler war Professor für Medien-, Kultur- und Sozialwissenschaften an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg und Pri­vatdozent an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Von 2004 bis 2014 war er als Gutachter und im Beirat von merz | medien + erziehung tätig.

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