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Hans-Dieter Kübler: Me First

    Zur Person

    Man begegnet ihnen inzwischen ständig und überall – ob an bedeutenden Monumenten, in schönen Landschaften, geselligen Situationen oder auch in trauter Zweisamkeit: den Selfie-Produzierenden. Stets müssen sie sich visuell fixieren, für sich, für die Um- und Nachwelt; keine Realität darf mehr für sich stehen und selbst wirken; sie bekommt nur Sinn und Relevanz im fotografischen Bezug auf das Selbst. Die Welt wird gewissermaßen zur Kulisse für das eigene Ego. Längst bleibt es nicht beim schlichten Abfotografieren, nein, das Ego – und die, die fotografisch dazugehören dürfen – werden in Szene gesetzt; viele Male probiert und verändert, meist abgekupfert von den zuhauf durchs Netz vagabundierenden Porträts und Posen der Stars und Sternchen: Sein so wie die, mindestens im fotografischen Konterfei, und damit zu hoffen, in solch glamouröse Höhen wie die Idole zu gelangen.

    Das Selfie gewissermaßen als symbolischer Lift für die höheren Etagen. Und damit es auch alle Freundinnen und Freunde sowie Netz-Fans wissen, werden die Selfies ununterbrochen über die sozialen Netzwerke gepostet: Seht her, da war ich. Am Eiffelturm, am Tower, an den Stränden von Malle – und wie auf Facebook firmieren sie alle nur noch als willfährige Settings für mein inszeniertes Ego. Auch die Partys mutieren zu famosen Showbühnen, wodurch alles cool oder geil wird, während sie realiter meist öd sind, im besten Fall wie üblich verlaufen. Doch die Selfies künden hinterher vom Gegenteil, und alle Likes in den Netzen bestätigen es. Eine riesige Bewegung medialer Egozentrismen hat sich mit den Selfies formiert; gewissermaßen die digitalen Narzisstinnen und Narzissten, die ihr Spiegelbild nicht mühsam im Fluss und alleine betrachten, sondern es stets in der Tasche haben und weltweit verbreiten können, gleichsam eine weitere Eskalation der Extrovertiertheit.

    Nicht erst, seit die Welt von durchgeknallten Egomanen wie Putin, Erdogan, Orban und nun – vollends absurd – von Trump regiert wird, fragt man sich, was sich in ihren tiefenpsychologischen Strukturen verändert und welche Erklärungen es dafür geben kann. Natürlich sind einigermaßen versierte Medienforschende vorsichtig mit pauschalen, eindeutigen Ursachenzuweisungen: Smartphones, soziale Netzwerke und Selfies bewirken nicht jene Egostrukturen, aber sie spiegeln sie womöglich und geben ihnen mediale Formen. Keineswegs soll die Rückkehr zur Erziehung der Unterdrückung des Ichs propagiert werden, wie sie bis weit in die 1960er-Jahre vorherrschte und nicht zuletzt autoritäre Charaktere hervorbrachte. Aber das Einstehen für kollektive Werte und selbstlose Ziele, für Solidarität, Loyalität, Mitleid und Empathie rückt zunehmend in den Hintergrund, selbst wenn es bei spektakulären Ereignissen nicht weniger medial wirksam hervorgekehrt wird. Neoliberalistisches Ellbogentum, die fast gänzliche Kommerzialisierung vieler Lebensbereiche und die Vergötzung konsumistischer Attitüden wirken schon lange zusammen und haben das Idol der Ich-AG tief verankert. Sie verbinden sich nun populistisch mit chauvinistischen wie xenophobischen Strömungen. Das Selfie ist womöglich der private, symptomatische, wenn auch harmlose Reflex, der oft genug das jeweils erwünschte, geschönte Echo liefert.

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