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Jana Schröpfer: Verräter oder Held?

    Zur Person

    Wer war Edward Joseph Snowden, bevor er im Sommer 2013 durch den NSA-Enthüllungs- Skandal weltweit bekannt wurde? Was kann einen Mann dazu bringen, Verfolgung und Hass eines ganzen Staatsapparates auf sich zu ziehen, um der Welt die Augen zu öffnen? Der Film von US-Regisseur Oliver Stone geht genau diesen Fragen nach. Schnell wird klar: Snowden lebte vor seinen Enthüllungen ein komfortables Leben in Hawaii, profierte von Anerkennung und verdiente eine Menge Geld – er hätte das alles nicht tun müssen. Doch sein Innenleben verhielt sich anders: Er konnte seine Arbeit, vor allem seine dadurch gewonnenen Erkenntnisse, nicht mit seinem Gewissen vereinbaren und entschied sich daher, sie der Gerichtsbarkeit der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Diesen Gewissensweg zeichnet die Filmbiografie SNOWDEN in Hollywood-Manier nach.

    Entsprechend weist eine zu Beginn eingeblendete Untertitelung darauf hin, dass es sich um eine Fiktionalisierung der realen Ereignisse handelt. Der Spielfilm beginnt mit einer ausgeschmückten Darstellung des bereits Bekannten. In einem Einkaufszentrum in Hong Kong warten eine Dokumentarfilmerin und ein Journalist des Guardian auf den noch identitätslosen Whistleblower. Der erste Auftritt Snowdens, dargestellt durch Schauspieler Joseph Gordon-Levitt, zeigt einen jungen, seltsamen Kautz, der sich den Journalistinnen und Journalisten unsicher und befangen mit einem Zauberwürfel in der Hand nähert. Sein seltsam anmutendes Verhalten wird im Folgenden weiter ausgemalt, wenn er sich beispielsweise zum Schutz seiner Passwörter mit einem Laptop unter der Bettdecke versteckt oder die Handys der Journalistinnen und Journalisten in einer strahlungssicheren Mikrowelle verstaut. Was zunächst wie neurotisch-paranoides Verhalten wirkt, gewinnt durch die filmischen Erzählungen an erschreckender Rechtfertigung.

    Auch der nerdige, verquere Snowden entwickelt sich im Laufe des Films zum Sympathieträger. Eingeschobene Flashbacks erzählen seine Geschichte, die mit einem jungen amerikanischen Mann beginnt, der einen nahezu stereotypen patriotischen Idealisten mimt. Mit einem Großvater, der eine wichtige Amtsstellung bekleidete, und einem Vater bei der US-Küstenwache wollte auch der junge Ed Snowden seinen Teil für Amerika leisten und in den Irakkrieg ziehen. Aufgrund zwei gebrochener Beine wird er jedoch ausgemustert und beginnt seine Karriere bei der CIA mit der Selbstaussage: „Ich will meinem Land dabei helfen, die Welt zu verbessern“. Zu dieser Zeit schweben ihm noch Terrorabwehr und das Abhören von Feindinnen und Feinden zum Schutz der USA vor. Als Computergenie wird er schnell zum Ausbildungsbesten der CIA und nimmt deren propagierte Ideologie zunächst pflichtbewusst an.

    Doch bereits zu dieser Zeit wird er mit gegenläufigen Einflüssen konfrontiert. So lernt er zum Beispiel seine spätere Freundin Lindsay Mills – dargestellt von Shailene Woodley – kennen, eine liberale Demokratin und Irakkrieg-Gegnerin, die den konservativen Snowden zunehmend bekehrt. Auch einer seiner Ausbilder, in Person des ruhiggelassen agierenden Nicolas Cage, gibt ihm durch implizite Kritik an den Geheimdiensten erste Anlässe des Zweifels. Die wahren Momente des Augen-Öffnens‘ ergeben sich jedoch direkt aus Snowdens Arbeit für die US-Sicherheitsdienste. Sei es, als ein aufsässig-jugendlicher Kollege in Genf ihm erstmals zeigt, wie man durch Laptopkameras in die Schlafzimmer von Zivilistinnen und Zivilisten blicken kann, sei es der Missbrauch von privaten Informationen durch einen Vorgesetzten, der beinahe tödliche Folgen für die Bespitzelten hat, oder durch andere Szenarien. Wie sehr diese Ereignisse Snowden belasten wird im Film recht emotionalisiert dargestellt – durch seine epileptischen Anfälle und Probleme in seiner Liebesbeziehung zu Lindsay. Lindsay selbst steht dabei nicht selten für die Naivität des Normalbürgers, wenn sie beispielsweise Unverständnis darüber äußert, warum sie ihre Laptopkamera abkleben soll. „Ich habe doch nichts zu verbergen“ – ein Satz, der auch im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs nicht selten fällt. An seiner NSA-Arbeitsstelle in Hawaii werden Snowden schließlich die Ausmaße der amerikanischen Bespitzelung bewusst, die sich nicht – wie weiterhin erhofft – auf feindliche Staaten, sondern vor allem auf die amerikanische Bevölkerung richten. Sein Enthüllungsentschluss und der ‚Diebstahl‘ der geheimen NSA-Dokumente stellen schließlich den Spannungshöhepunkt des Filmes dar, welcher durch schnelle Schnitte, Erzählsprünge und unruhige Musik einem Actionfilm in nichts nachsteht.

    Das Ende des Filmes widmet sich schließlich der heroischen Darstellung Edwards Snowdens. Seine gelingende Flucht nach den Enthüllungen erleichtert das Publikum und der Film läuft mit Vorträgen Snowdens aus, die er computerübermittelt von Russland aus führt. Eine wahre Überraschung erfährt der Film jedoch noch, wenn die Figur des Snowden plötzlich nicht mehr durch Schauspieler Gordon-Levitt vertreten wird, sondern die reale Person Edward Snowden auf die Leinwand tritt. In Interviewform darf dieser die letzten mahnenden Worte des Filmes sprechen. So wirkt die Erzählung – trotz der Fiktionalisierung der Ereignisse – wie eine Bestätigung, dass alles auf einer wahren Geschichte beruht. Der Spielfilm über Snowden könnte wie sein Titelheld selbst einige Kontroversen hervorrufen. Bemängeln lässt sich die Hollywood-Aufmachung des Filmes, vor allem die ausgiebige Konzentration auf die Liebesbeziehung zwischen Snowden und Mills. Dunkle Szenenbilder, enge Flure, Bildvariationen von Kameralinsen, übergroße Bildschirme mit flackernden Computercodes, beeindruckende Animationen und andere Stilmittel untergraben darüber hinaus das Dokumentarische an dem Film und machen ihn zu einem Politthriller, der auch von solchen genossen werden kann, die gar nicht wissen, dass Edward Snowden tatsächlich existiert. Doch ist das wirklich schlimm? Die Botschaft des Filmes ist dennoch klar und deckt sich mit der Intention des Whistleblowers: Man kann immer und überall überwacht werden, und dies von Menschen, die ihre Macht möglicherweise missbrauchen.

    Zwar läuft der Film entgegen Snowdens Wunsch, dass sich die Öffentlichkeit eigenständig eine Meinung bildet, indem die ‚Verräter-Held-Frage‘ sehr eindeutig beantwortet wird und auch die Geschehnisse entsprechend und kaum anfechtbar gerahmt werden. Möglicherweise trifft dies aber den Kern der Zeit: Snowdens Enthüllungen sind bereits drei Jahre her, die öffentliche Debatte hat sich zusehends beruhigt und so gut wie nichts hat sich geändert. Vielleicht bedarf es hier – über die bereits veröffentlichten Dokumentationen und Interviews hinaus – schlichtweg einem massentauglichen Spielfilm, der ein breites Publikum mittels einer dramatischen Personalisierung ermahnt, die Enthüllungen jenes Mannes nicht zu vergessen.

    Jana Schröpfer war studentische Hilfskraft am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und bei merz | medien + erziehung. Derzeit studiert sie den Masterstudiengang Internationale Public Relations an der Ludwig-Maximilians- Universität München.

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