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Jana Schröpfer: Was bin ich, was will ich sein und welche Konsequenzen hat das?

    Zur Person

    Medienprojekt Wuppertal e. V. (2016). Alles Mädchen, alles Junge. Ein Film über Mädchen und Jungen. DVD, 30,00 €.

    Medienprojekt Wuppertal e. V. (2015). I’m too sexy for my … Ein Film über Sexismus. DVD, 30,00 €.

    Wann ist ein Junge ein Junge? Was ist typisch weiblich? Welche geschlechterspezifischen Rollenerwartungen werden an Heranwachsende gerichtet? Und: Welche Verhaltensweisen fallen unter Sexismus? All dies sind hochsensible Fragen, die unterschiedliche Aspekte der gesellschaftlichen Genderdebatte darstellen und gerade in der Entwicklung von Jugendlichen eine wichtige Rolle spielen. Mit Unterstützung des Medienprojekt Wuppertal haben sich gemischtgeschlechtliche Jugendgruppen daher in Videoprojekten mit Gender- und Sexismus-Themen auseinander gesetzt. Entstanden ist eine DVDReihe, die zur Reflexion der eigenen Geschlechterrolle anregt, aber auch intime Informationen über das andere Geschlecht bietet.

     

    Alles Mädchen, alles Junge ist ein Zusammenschnitt der beiden zuvor veröffentlichten Schwerpunkt- Dokumentationen Alles Mädchen und Alles Junge und erlaubt authentische, personalisierte Einblicke in die Lebenswelten von Jungen und Mädchen mit verschiedenen sozio-kulturellen Hintergründen. Der episodenhafte Film setzt sich aus Interviews, Alltagsporträts und persönlichen Videotagebüchern der Jugendlichen zusammen. Das vierminütige Intro der Dokumentation ermöglicht einen schnellen Einstieg in die Thematik. Kontrastierend werden rollentypische Bilder der zwei Genderwelten gegenübergestellt: Raufende Jungen zu trommelartigen Tönen, Mädchen beim Shoppen, begleitet von Popmusik, sowie Selbstaussagendazu, warum es schön ist ein Junge oder ein Mädchen zu sein. Trotz der dargestellten Eigenheiten der Geschlechter beschränkt sich der Film jedoch nicht auf Stereotype, sondern artikuliert und reflektiert diese bereits zu Beginn in kurzen Szenen. So hält ein Transgender orientiertes Mädchen – laut Videoprojekt ein sogenannter Tomboy – fest, dass „es uns ja einfach nur beigebracht [wurde], was Mädchen und was Junge ist.“ Gleichermaßen äußert sich ein älterer männlicher Jugendlicher kritisch dazu, dass „man auf das biologische Geschlecht heruntergestuft wird“ und trifft den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf: „Es ist doch scheiß egal, ob man jetzt ein Mann oder eine Frau oder alles Mögliche ist.“ Neben dieser wichtigen Botschaft wird den Jugendlichen im Rahmen des Films aber auch die Chance gegeben, ihre genderspezifischen Merkmale herauszustellen und alltagsnah aufzuzeigen, was ihr biologischen oder soziales Geschlecht für sie bedeutet. Die sequenzhaften Beiträge der Jugendlichen gehen im Filmfluss zwar nahtlos ineinander über, doch die im Menü auswählbaren Kapitel geben Aufschluss darüber, wie das Rahmengerüst der Doku aufgebaut ist. An das themenöffnende Intro reihen sich Zusammenschnitte zu den in der Pubertät besonders relevanten Bereichen ‚Schönheit und Aussehen', ‚Was ist männlich, was ist weiblich?', ‚Erdbeerwoche', ‚Freundschaft und Liebe', ‚Sex und Sexobjekt' sowie ‚Erwachsenwerden'. Auch hier werden die Porträts der männlichen und weiblichen Jugendlichen gegenübergestellt, jedoch mit bewussten Überraschungen bzw. vermeintlichen Umkehrungen: Zwei Mädchen sprechen beispielsweise über ihre Begeisterung für Fußball und ein zuvor rollentypischer Junge referiert über seinen Berufswunsch als Tanzlehrer. Obwohl die Ausführungen der Jugendlichen unbekümmert und charmant artikuliert werden, schwingen gesellschaftskritische Aussagen mit. Besonders bildhaft wird das unter anderem in einer Szene, in der zwei Freunde bei einem Ikea Besuch die extrem klischeehaft ausgestalteten Kinder- und Jungendzimmer unter die Lupe nehmen. Auch zentrale Konfliktthemen der Jugendlichen finden ihren Platz, wenn es zum Beispiel um Gefühlsverletzungen durch das andere Geschlecht, um Übergriffe oder sexuelle Belästigung geht.

    Letzteres Problem wird in einer weiteren DVD des Medienprojekt Wuppertal dezidiert aufgegriffen. I’m too sexy for my … ist ein Film über Sexismus. Die Reportage setzt sich aus separaten Sequenzen zusammen, die durch Umfragen, Porträts, nachgestellte Inszenierungen und (Experten-)Interviews, die Erfahrungen, Ängste und Wünsche von Mädchen und Frauen hinsichtlich Geschlechterungerechtigkeit beleuchten. Ein beklemmendes Gefühl erhalten die Zuschauerinnen und Zuschauer bereits in der ersten Szene, in der eine junge Schauspielerin die Kamera direkt und ungeniert fokussiert und typische sexistische Sprüche verlauten lässt. Daran schließen sich Aufnahmen von Straßenumfragen mit Mädchen und jungen Frauen an. Antworten wie „Aber ich glaube das ist normal“ zeigen eindrücklich, was bereits der Klappentext der DVD herausstellt: 100 Prozent aller Mädchen und Frauen sind von Sexismus betroffen. In einer Interviewsequenz macht Feministin Anne Wizorek, die 2013 mit dem Hashtag #aufschrei bekannt wurde, eine weite Definition von Sexismus auf. Sie bezeichnet damit „in erster Linie die stereotype Erwartung, wie Menschen Geschlechterrollen zu leben haben.“ Passend dazu werden in dem Wuppertaler Filmprojekt verschiedene Arten von Sexismus beleuchtet. Von verstecktem Sexismus über alltägliche Belästigungen oder Sexismus in den Medien bis hin zu nervigen Blicken – die Protagonistinnen der Dokumentation erzählen von bekannten Szenarien, sprechen aber auch neue, interessante Facetten an. Eine selbstbewusste junge Muslimin spricht beispielsweise über die Vorteile des Kopftuchs, welchen Wert es für sie hat und dass es ein Gefühl der Sicherheit verleiht, während die 16-jährige Mia sich in einem Zwiegespräch mit ihrem Partner damit auseinander setzt, was gut gemeinter Sexismus ist – also das Einnehmen einer Beschützer- oder Kavaliers- Rolle durch die Männer. Abschließend werden Wünsche danach formuliert, „dass man Frauen und Männer nicht so trennt“ und dass bestimmte Unterschiede „einfach nicht mehr relevant sind“. Dies deckt sich auch mit den Leitgedanken in Alles Mädchen, alles Junge. Das Ziel beider Filmprojekte ist es, über das andere Geschlecht zu informieren, Verständnis für Genderaspekte zu erzeugen und die Zuschauerinnen und Zuschauer für Themen der Geschlechterungerechtigkeit zu sensibilisieren. Beide Filme eignen sich als Lehrmaterial an weiterführenden Schulen bzw. sind sogar dementsprechend angelegt. Vor allem der Zusammenschnitt Alles Mädchen, alles Junge eignet sich dafür, kurze Einblicke in die Lebenswelt des anderen Geschlechtes zu geben. So können auch sensible Themen wie die weibliche Periode, die im Kapitel ‚Erdbeerwoche' behandelt wird, angesprochen werden – bedürfen aber gerade bei Schulklassen einer Begleitung durch Fachpersonal. Die halbstündige Zusammenfassung der Filme Alles Mädchen und Alles Junge ist leicht zu rezipieren, bietet genug Abwechslung und Humor, hält durch die filminternen Reflexionen zu Rollenstereotypen aber auch genug Diskussionspotenzial bereit. Der sehr szenenhafte Sexismus-Film hätte einer konkreteren Moderation oder einem stringenteren narrativen Faden bedurft, um gerade jungen Zuschauerinnen und Zuschauern das Filmerlebnis zu erleichtern und spannender zu gestalten. Dennoch erfüllt er sein Ziel und gibt zumindest Einblicke in eine Gesellschaft, in der Sexismus omnipräsent ist. Aufgrund der Filmlänge und Dichte der Thematik eignet sich die Rezeption der Dokumentation eher in Ausschnitten, die zur Veranschaulichung, Diskussionsanstoß oder einfach zum Hineinversetzen in beklemmende Situationen geeignet sind. Beide Filmproduktionen entspringen der Gedanken- und Lebenswelt von Jugendlichen und jungen Erwachsenen und sind im Umkehrschluss auch sehr gut geeignet um eben diese Zielgruppen über Geschlechteraspekte aufzuklären.

    Jana Schröpfer ist studentische Hilfskraft am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und bei merz | medien + erziehung. Derzeit studiert sie den Masterstudiengang Internationale Public Relations an der Ludwig-Maximilians- Universität München.

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    Kathrin Demmler | Prof. Dr. Bernd Schorb
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