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Konstanze Wegmann: Von bleichgesichtigen Indianern und düsteren Angsthasen

    Zur Person

    Der zehnjährige Max (Lorenzo Germeno) ist blass, pummelig und ein Indianer-Häuptling! Was rein äußerlich betrachtet als Gegensatz erscheint, schließt sich für Max nicht aus. Denn es kommt schließlich darauf an, wer man im Herzen ist – das hat ihm sein Vater von klein auf beigebracht. Vor kurzem haben sich seine Eltern jedoch getrennt. Sein Vater Torsten (Christoph Letkowski), ein etwas chaotischer Musiker und ehemals großer Träumer, lässt sich nun gehen, spielt Konsolenspiele statt Musik, trinkt regelmäßig und kommt immer wieder zu spät, wenn er Max abholen soll. Seine Mutter Birte (Alice Dwyer) gibt Stadtführungen und bildet sich an einer Abendschule mit Englisch fort. Dass ihr Lehrer George (Tyron Ricketts) auch ihr neuer Freund ist, erfahren Max und Torsten erst später. Max, der die Geschichte auch als Ich-Erzähler aus dem Off nacherzählt, freut sich auf das Indianer-Camp auf Evis (Katharina Marie Schubert) Ranch, wo er – zumindest von den meisten – als Indianer-Häuptling anerkannt wird. Dort begegnet ihm der dunkel gekleidete Morten (Tristan Göbel), der eigentlich gar nicht ins Indianer-Camp möchte, es aber zumindest als Chance sieht, seinen Eltern (Kathi Angerer und Bernd Moss) – die hinter seinem Rücken, aber in Hörweite über ihn diskutieren – für ein paar Tage aus dem Weg zu gehen.

    Max merkt sofort, dass Morten ein echter Indianer ist, auch wenn dieser nichts damit zu tun haben möchte. Max versucht immer wieder, sich Morten freundschaftlich anzunähern – dieser blockt jedoch ab. Zudem lässt er Max spüren, dass er ihn auch nicht für einen Indianer hält. Um sich besser in Morten hineinversetzen zu können, beschließt Max eines Nachts, in dessen Schuhen – oder Mokassins – einen Spaziergang zu machen und überrascht Morten dabei, als dieser sich heimlich seine Lieblings-Sendung Unfälle und Katastrophen im Radio anhört. Als die beiden in der darauffolgenden Nacht wieder einschalten, erfahren sie, dass der Junge, der bei den Karl-May-Festspielen Winnetous Sohn spielen sollte, bei den Proben vom Pferd gefallen ist. Sofort ist Max davon überzeugt, der Richtige für die Rolle zu sein. Die meisten anderen lassen ihn mehr oder weniger deutlich spüren, dass sie ihn nicht ernst nehmen und für einen Träumer halten, der die Augen vor dem optisch Offensichtlichen verschließt. Das bringt Max jedoch weder von seinem Glauben noch von seiner Motivation ab, Winnetous Sohn zu spielen und dadurch vielleicht sogar seine Eltern wieder zu vereinen. Auf dem Weg zu seinem Ziel stehen Max viele Hürden bevor, die er durch seinen unerschütterlichen Optimismus und die Hilfe seines neuen Freundes Morten jedoch meistern kann – Max ist eben doch ein echter Indianer. Die erste Szene zeigt Winnetou mit einem Strick um den Hals, eine Schussszene entwickelt sich.

    Was in einem Kinderfilm vielleicht zunächst etwas deplatziert wirkt, wird durch plötzliche Rufe gebrochen – der Regisseur der Karl-May-Festspiele (Uwe Ochsenknecht) ist nicht zufrieden. Als dieser schließlich auch gezeigt wird und die Kamera aus der Theaterszene fährt, um das Western-Szenenbild sichtbar zu machen, dürfte auch den Kindern im Publikum klar sein, dass hier gerade eine fiktive Szene geprobt wird. Zusätzlich können Karl-May-Kennerinnen und -Kenner die Charaktere und Referenzen in den Dialogen wiedererkennen. Es wird also Action geboten, diese ist jedoch sinnvoll in den Kontext und die Narration eingebettet. Auch eine spätere Szene, in der Morten in seinem Zimmer einen Knallkörper zündet und dann von zu Hause loszieht, um seine Angst zu überwinden, steht symbolisch. Winnetous Sohn behandelt die Thematiken der Trennung der Eltern, der Freundschaft sowie des ‚Andersseins‘. Das zunächst etwas einfach gezeichnete Bild des dunkel gekleideten, dunkel- und langhaarigen Jungen mit den düsteren Interessen – passend zu seiner Lieblings-Radiosendung Unfälle und Katastrophen, schmückt er seine Zimmerwände mit seinen Lieblings-Katastrophen – wird ein Stück weit durch seine Angst vor dem Reiten und Fahrradfahren gebrochen.

    Mortens Charakterzeichnung steht optisch sowie charakterlich im Kontrast zum ‚indianerlich‘ bunt gekleideten, blonden, pummeligen, lebensfrohen, optimistischen und mutigen ‚Indianer-Häuptling‘ Max. Die beiden werden dennoch Freunde und unterstützen sich gegenseitig beim Überwinden ihrer jeweiligen Schwächen und Ängste. Auch die dramaturgischen Muster Pessimismus versus Optimismus sowie Rationalität versus Träumerei ziehen sich durch den gesamten Film. Als Fazit des Films steht die ermunternde Botschaft, dass jede und jeder es schaffen kann, aus vermeintlich festgeschriebenen Kategorisierungen und den damit einhergehenden Zuordnungen auszubrechen. Wer mit dem Herzen dabei ist, an sich glaubt und für sein Ziel kämpft, kann Grenzen überschreiten, auch wenn es die Umstände und Mitmenschen noch so schwer machen. Um die Botschaft nicht allzu utopisch erscheinen zu lassen und dadurch nicht ihrer Glaubwürdigkeit zu schaden, lässt es Winnetous Sohn jedoch offen, ob Max‘ Eltern am Ende wieder zueinander finden. Indem beispielsweise gezeigt wird, wie es Torsten, Max‘ Vater, und George, der neue Freund seiner Mutter, gemeinsam schaffen, Max doch noch die Teilnahme am Casting zu ermöglichen, nähert sich der Film in kleinen Schritten auch an mögliche alternative Lösungen des Konflikts an.

    Neben Western-Elementen, wie an das Genre angelehnten kleineren Action-Szenen und der Zitation von ‚Indianer-Weisheiten‘, verfügt der Film über eine interessante Erzählstruktur und ist gestalterisch liebevoll aufbereitet. Winnetous Sohn spielt mit Stereotypen und Kategorisierungen, indem er sich zwar auf diese – und die Kenntnis darüber – bezieht, jedoch bemüht ist, sie im Verlauf des Films in ihren starren Festschreibungen zu brechen. Die FSK-Freigabe ohne Altersbeschränkung ist zwar nachvollziehbar, die Referenzen zum Western-Genre in den Action-Elementen sowie die Symbolik der Zündung des Knallkörpers können jedoch von sehr jungen Kindern vermutlich noch nicht in ihrer kontextuellen Bedeutung und der damit einhergehenden ‚Entlastung‘ der Situation verstanden werden, weshalb eine gemeinsame Rezeption als Familienfilm sinnvoll erscheint. Zudem scheint Winnetous Sohn aufgrund des Alters seiner Protagonisten (zehn Jahre) und deren lebensweltlichen Problemen eher Kinder ab einem Alter von sechs Jahren anzusprechen. Winnetous Sohn ist der Gewinner der Förderinitiative

    Der besondere Kinderfilm 2013/2014.

    Winnetous SohnDeutschland 2015, 92 MinutenRegie: André ErkauDarsteller: Lorenzo Germeno, Tristan Göbel, UweOchsenknechtVerleih: WeltkinoFSK: Freigegeben ohne AltersbeschränkungFilmstart: 09.04.2015

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    Kathrin Demmler | Prof. Dr. Bernd Schorb
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