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Valerie Jochim: Schnittstelle von Inklusion und Medienpädagogik

    Zur Person

    Zaynel, Nadja (2017). Internetnutzung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Down-Syndrom. Wiesbaden: Springer VS. 287 S., 44,99 €.

    Nadja Zaynel befasst sich in ihrer Dissertation mit der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom. Als qualitative Studie angelegt, zielt ihr Projekt darauf ab, Menschen mit Down-Syndrom zu Wort kommen und sprechen zu lassen, um so aus erster Hand zu erfahren, welche Vorteile und Wünsche diese bezüglich der eigenen Mediennutzung äußern und wo Grenzen und Schwierigkeiten zutage treten. Großes Anliegen der Autorin ist es also, nicht über, sondern vornehmlich mit den Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen zu forschen. Auf diese Weise sollen spezifische Handlungsbedarfe bezüglich inklusiver Medienpädagogik eruiert werden, um Teilhabemöglichkeiten auszuloten. Inklusion wird dabei als Konzept zu gesellschaftlicher Teilhabe verstanden – dem „Idealbild einer Gesellschaft“ (S. 77), das keinen Raum für Separierung und Exklusion bietet.

    Eine Gesellschaft, die digitale Medien mittlerweile als selbstverständliche Bestandteile ihres Alltags festgesetzt hat, verlagert Entwicklungsprozesse wie die eigene Identitäts- und Interessenentwicklung auch in eine digitale Landschaft. Vor diesem Hintergrund muss, laut Zaynel, von Exklusion beziehungsweise Ausgrenzung gesprochen werden, wenn Menschen mit Down-Syndrom hier außen vor blieben. Ihre Ausführungen fußen somit grundlegend auf dem Bestreben nach einer Gleichstellung von Menschen mit geistiger Behinderung, das in der UN-Behindertenrechtskonvention verankert ist. Diese sieht auch die Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen über Medien vor. Eine Geltendmachung der Menschenrechte für alle Menschen gleichermaßen wird an dieser Stelle deutlich.Die Autorin nähert sich der umrissenen Thematik von einer medizinischen Perspektive.

    Kognitive Konstitutionen von Menschen mit Down-Syndrom werden von ihr als Grundlage für ihre eigene Arbeit detailliert nachvollzogen, um deutlich zu machen, welche Schwierigkeiten sich im Umgang mit digitalen Medien ergeben können, welche Chancen aber auch sichtbar werden und inwiefern Menschen mit Down-Syndrom von Mediennutzung profitieren können, beispielsweise durch ihr visuell sehr ausgeprägtes Gedächtnis. Darauf aufbauend erörtert sie den Forschungsstand zur Mediennutzung und Medienkompetenz von Menschen mit Down-Syndrom, der als notwendige Grundlage ihrer Arbeit fungiert und die Möglichkeit bietet, das Themenfeld der Inklusion näher zu beleuchten.Herzstück der Arbeit ist die sich anschließende empirische Erhebung eigener Daten. Zaynel hat Gespräche mit 13 Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Down-Syndrom geführt, um deren individuelle Mediennutzungsverhalten näher zu beleuchten und an spezifischen Fallbeispielen Chancen und Hindernisse auszumachen.

    Einen besonders lebensweltlichen und deskriptiven Zugang wählt die Autorin dabei durch sogenannte Familienprofile, die sie zu Beginn des empirischen Kapitels vorstellt: Detailliert schildert sie die verschiedenen Konstellationen der befragten Familien mit ihrem Mediennutzungsverhalten und der jeweiligen Medienausstattung, sodass die individuellen Situationen in den Familien gut nachvollzogen werden können. Auf diese Weise wird erkennbar, wie unterschiedlich die Nutzungsverhalten der einzelnen Teilnehmenden der Studie sind. Deutlich wird aber auch: Medienbarrieren begleiten Menschen mit Down-Syndrom ihr Leben lang, während sie sich „bei nicht behinderten Kindern mit zunehmendem Alter verflüchtigen“ (S. 181). Hier unterscheidet Zaynel zwischen sozialen und technischen Barrieren, um auf die unterschiedlichen Schwierigkeiten, die Menschen mit Down-Syndrom begegnen können, hinzuweisen.

    Während es bei den technischen Barrieren um Fragen rund um die Bedienung und das Verständnis der Hard- und Software geht, meinen soziale Barrieren die sozialen Umweltkomponenten, die die eigene Mediennutzung beeinflussen und prägen. Mediensozialisation findet in hohem Maße im eigenen Umfeld statt, so zum Beispiel auch im Elternhaus; während Eltern und Geschwister häufig ganz selbstverständlich Teil von Online-Netzwerken sind, findet für Menschen mit Down-Syndrom in den Familien kein alltäglicher Umgang mit mobilen Medien und dem Internet statt. So stellt die Autorin fest, dass die persönlichen Ansichten der Eltern auf das Mediennutzungsverhalten ihrer Kinder maßgeblichen Einfluss haben. Einstellungen der Eltern zielen dabei allerdings häufig darauf ab, dass ihre Kinder mit Down-Syndrom auch ohne Nutzung des Internets ein glückliches Leben führen würden – die Autorin spricht hier dezidiert von einer „sozialen Benachteiligung“ (S. 225).

    Als ein herausstechendes Zwischenergebnis kann vor diesem Hintergrund die Notwendigkeit der Unterstützung zur weitgehenden Selbstständigkeit von Menschen mit Down-Syndrom angesehen werden. Eine Hilfestellung bei der Nutzung des Internets könne daher „im Sinne der Selbstbestimmtheit nicht ausschließlich von der Meinung der Eltern abhängen“ (S. 234).Hierin erschöpft sich das Werk aber keineswegs – im Gegenteil. Die Auswertungen verschiedener Interviewformate sowie teilnehmender Beobachtung liefern weiterführend hinreichend Erkenntnisse, um einen Handlungsbedarf zu eruieren sowie Handlungsempfehlungen in Bezug auf Medienpädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung zusammenzutragen und insbesondere den Aspekt der Internetkompetenz dabei in den Fokus zu rücken.

    Die Arbeit liefert somit einen grundlegenden und guten Überblick über Inklusion und Medien im Allgemeinen sowie weiterführend über Medienkompetenz von Menschen mit Down-Syndrom im Besonderen. Der interdisziplinäre Ansatz, der sowohl medizinische, als auch entwicklungspsychologische und medienpädagogische Perspektiven berücksichtigt, öffnet und schärft einen Blick auf das behandelte Feld gleichermaßen.

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