Ingo Bosse
Beiträge in merz
Ingo Bosse, Susanne Eggert: Digitale Bildung inklusiv: Konzepte und Qualifizierung
Im März 2009 hat die Bundesregierung die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert. Damit hat sich Deutschland zur umfassenden Inklusion von Menschen mit Behinderungen bekannt. Seither hat sich einiges getan und es sind Maßnahmen ergriffen worden, um Menschen mit Behinderungen mehr Teilhabe zu ermöglichen. Medien wird in der UN-Behindertenrechtskonvention eine Querschnittsfunktion zugewiesen. Ihre Funktionen für die Umsetzung gleichberechtigter Teilhabe werden beschrieben in den Artikeln Bewusstseinsbildung (Art. 8), Zugänglichkeit (Art. 9), Zugang zu Information, Bildung (Art. 24), Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben (Art. 29), Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport (Art. 30). Der Ausschuss zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen überprüft daneben in seinen Staatenberichten regelmäßig den Fortschritt in der Umsetzung dieses völkerrechtlichen Vertrags. Auf nationaler Ebene hat Deutschland dazu eine Monitoring-Stelle eingerichtet. Beide machen deutlich, dass es in der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention nach wie vor mehr offene Baustellen gibt als Ziele, die umgesetzt wurden. So stellt Valentin Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte fest, dass es noch nicht gelungen ist, „das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen zum Normalfall und Sondereinrichtungen wie Förderschulen, Werkstätten und Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen überflüssig zu machen“ (Monitoring-Stelle UN-BRK 2019).
Elisabeth Wacker, Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats zum Teilhabebericht der Bundesregierung, zeichnet in der vorliegenden Ausgabe in ihrem Überblicksartikel zehn Jahre Zeitgeschichte
sowie Wirkungs- und Zukunftsgeschichte der Behindertenrechtskonvention nach und wirft einen Blick nach vorn.Gegenwärtig macht die wissenschaftliche Datenlage deutlich, dass Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen leben,besonders von medialer Exklusion betroffen sind (vgl. Bosse/Hasebrink 2016; Mayerle 2019). Dies gilt ebenso für Menschen, die eine Behinderung erst später erwerben. Gerade in Bezug auf eine mediale und digitale Teilhabe geht es aber auch um Beeinträchtigungen, wodurch Menschen beispielsweise aufgrund ihres Alters (Kinder oder Seniorinnen und Senioren), mangelnder Sprachkenntnisse oder ihres sozialen Status an bestimmten gesellschaftlichen Diskussionen und Entwicklungen nicht oder nur in beschränktem Maße beteiligt sind. Digitale Medien und das Internet bergen für diese Personengruppen Potenziale für eine bessere Teilhabe. Voraussetzung, um diese ausschöpfen zu können, ist ein souveräner Umgang mit Medien, den Geräten wie auch inhaltlichen Angeboten sowie Tools und Apps. Insbesondere Menschen mit Behinderungen sind in ihrem Alltag oftmals auf Assistenz angewiesen. Die Assistentinnen und Assistenten können sie auch beim Zugang zu und dem Umgang mit digitalen Medien und Internet unterstützen. Allerdings nur dann, wenn sie selbst über das nötige Wissen sowie die entsprechenden Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen. Die Teilgruppe, die dabei am stärksten von digitaler Exklusion betroffen ist, ist die Gruppe von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung, was mit einer im Durchschnitt schlechteren Geräteausstattung, einer geringen Anzahl barrierefreier Angebote, einer überdurchschnittlich häufigen Unterbringung in Wohneinrichtungen und fehlenden medienpädagogischen Konzepten zusammenhängt.
In der vorliegenden Ausgabe soll beleuchtet werden, welche Entwicklungen derzeit im deutschsprachigen Raum vorhanden sind, die sich mit der Qualifizierung von pädagogisch-pflegerischen Fachkräften wie auch Menschen mit Behinderungen im Umgang mit digitalen Medien und dem Internet beschäftigen. Ein Fokus wird dabei auf Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung gelegt. Geht es also um Digitale Bildung inklusiv, wie der Titel dieses Themenschwerpunkts behauptet, oder um zielgruppenspezifische Medienbildung?
Inklusive Medienbildung im Verständnis der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK), wie sie es in ihrem Positionspapier Digitalisierung. Teilhabe. Vielfalt: Medienbildung inklusiv gestalten (2018) formuliert, bezieht sich auf eine Vielzahl von Zielgruppen und Handlungsfeldern und zielt auf Partizipationsmöglichkeiten in einer digital geprägten Welt. Diese zu fördern ist, wie es das Frankfurt-Dreieck zur Bildung in der digital vernetzten Welt (Brinda et al. 2019) aufzeigt, auch insgesamt Ziel von Medienbildung und Medienkompetenzförderung. Ein Spezifikum inklusiver Medienbildung besteht in der Überwindung ausgrenzender Verhältnisse (vgl. Kronauer 2013). Dazu gehört im Sinne des Empowerments (vgl. Schluchter 2015), alle Individuen zu befähigen und den öffentlichen Diskurs mitzugestalten. Auf gesellschaftlicher Ebene geht damit der Anspruch auf Barrierefreiheit einher: Medien sind so zu gestalten bzw. zu verändern, dass sie für alle zugänglich und
nutzbar sind. Einen wesentlichen Beitrag kann dazu das Universal Design for Learning leisten. Neben der Barrierefreiheit wird Individualisierung als wesentliches Charakteristikum inklusiver Medienbildung im Vergleich zur Medienbildung im Allgemeinen beschrieben (vgl. Kamin et al. 2018). Als inklusiv verstehen wir Medienbildung, wenn gemeinsame Bedarfe von Menschen mit unterschiedlichen Heterogenitätsdimensionen berücksichtigt und vor diesem Hintergrund gemeinsame Bildungssituationen in der digital geprägten Welt gestaltet werden. Sowohl inklusive als auch zielgruppenspezifische Ansätze sind medienpädagogisch sinnvoll.Der Begriff inklusive Medienbildung etabliert sich allmählich als Begriff in Theorie und Praxis der Medienpädagogik. Zugleich wird inklusive Medienbildung in den unterschiedlichen Handlungsfeldern noch nicht umfassend bearbeitet. Dies ist auch darin begründet, dass zunächst zielgruppenspezifische Vertiefungen notwendig sind, um diese dann zu inklusionsorientierter Forschung und Praxis zusammenzuführen (vgl. Bosse et al. 2019). Die Professionalisierung in den Berufsfeldern – wie Behindertenhilfe, soziale Arbeit, Sonderpädagogik und auch Medienpädagogik –, die sich der Erhöhung von Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen besonders verpflichtet fühlen, hat bisher blinde Flecken in der Vermittlung von Medienkompetenz für Menschen mit Behinderungen.
Melanie Schaumburg macht in ihrem Beitrag deutlich, dass in der medienpädagogischen Praxis mittlerweile eine Vielzahl an Projekten unter dem Label ‚inklusive Medienbildung‘ angeboten werden. In der Praxis zeigt sich allerdings häufig eine Fokussierung auf spezifische Zielgruppen wie Menschen mit Behinderung oder mit Fluchterfahrung. Es stellt sich daher die Frage, wie diese zielgruppenspezifischen Angebote mit dem Begriff ‚Inklusion‘ vereinbar sind und wie die Medienpädagogik mit diesem Paradox umgeht.
Mit dem Anspruch, die Medienkompetenz aller Bürgerinnen und Bürger zu fördern, auch jener mit einer sogenannten geistigen Behinderung, hat die Bremische Landesmedienanstalt die Studie Medienkompetenz in der Behindertenhilfe (MeKoBe) in Auftrag gegeben. Ingo Bosse, Nadja Zaynel und Claudia Lampert stellen in ihrem Beitrag diese Studie und deren Ergebnisse vor, die in ein Fortbildungskonzept für Mitarbeitende und Klientinnen bzw. Klienten der Behindertenhilfe mündeten.
Auch das aktuell laufende Projekt PADIGI – Partizipative Medienbildung für Menschen mit geistiger Behinderung, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Europäischen Sozialfonds, widmet sich dem Thema Fortbildungen für pädagogisch-pflegerische Fachkräfte in der Behindertenhilfe. Die Partner entwickeln und erproben einen Blended-Learning-Kurs zu Bedeutung und Einsatz von digitalen Medien und Internet im Alltag von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Valerie Jochim, Susanne Eggert, Lisa Rußwurm, Thomas Weißgerber, Thomas Knieper und Michael Granitzer geben einen Einblick in das Projekt und die Entwicklung des Weiterbildungsangebots.
Melanie Schaumburg weist darauf hin, dass „sich die Inklusionsdimension nicht (nur) in Bezug auf Teilhabe an der Mediengesellschaft [vollzieht], sondern vor allem an der Teilhabe an Bildung“ (vgl. Seite 19 in dieser Ausgabe). Je nach Gruppenzusammensetzung sind entsprechend weitere Aspekte zu berücksichtigen. Bei Menschen mit Behinderungen ist dies häufig der Einsatz assistiver Technologien. Neben dem Fachwissen über Barrierefreiheit, assistive Technologien und Universal Design for Learning ist grundlegendes Wissen über Bildung in der digital geprägten Welt und über die Förderung von Medienkompetenz notwendig. In Bildungskontexten wie Schule darüber hinaus die Fachlichkeit zu bewahren, ist nur in Zusammenarbeit mit den Fachdidaktiken möglich. Jan-René Schluchter von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg stellt in seinem Beitrag zu Bildung für Menschen mit Lernschwierigkeiten ein didaktisches Design für die Medienbildung mit dieser Zielgruppe vor.
Medien können den Alltag von Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung erleichtern und Partizipationsmöglichkeiten erhöhen. Um dieses Potenzial auszuschöpfen und die Medien in diesem Sinn kompetent zu nutzen, sind sie auf die Unterstützung ihrer Assistentinnen und Assistenten angewiesen. Die Sensibilisierung der Fachkräfte sowie ihre Qualifizierung für die Integration digitaler Medien in ihren Arbeitsalltag spielt somit eine wichtige Rolle. Um Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung als Akteurinnen und Akteure im Umgang mit digitalen Medien geht es in den letzten beiden Artikeln des Themenschwerpunkts. Fabian van Essen stellt aus Perspektive des Instituts für Inklusive Bildung die Qualifizierung von Menschen mit Beeinträchtigung als Bildungsfachkräfte in der Hochschulbildung vor und verdeutlicht den Mehrwert und die Notwendigkeit der Arbeit von Betroffenen als Expertinnen und Experten in Bildungszusammenhängen – auch in Bezug auf Medienbildung. Mit der Bedeutung von Menschen mit geistiger Behinderung und psychischen Erkrankungen als Medienmacherinnen und -macher beschäftigt sich Ernst Tradinik schon seit vielen Jahren. Sein abschließender Beitrag ist ein Plädoyer für die Öffnung des ersten und zweiten Arbeitsmarktes im Bereich der Medienproduktion für diese Zielgruppe.
Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern eine spannende Lektüre und Inspiration für die zielgruppenspezifische und inklusive Medienarbeit.
Literatur:
Bosse, Ingo/Hasebrink, Uwe (2016). Mediennutzung von Menschen mit Behinderungen. Forschungsbericht. Unter Mitarbeit von Anne Haage, Sascha Hölig, Sebastian Adrian, Gudrun Kellermann, Theresa Suntrup. Hrsg. v. Aktion Mensch Die Medienanstalten. Berlin. www.kme.tu-dortmund.de/cms/de/Aktuelles/aktuelle-Meldungen/Langfassung-der-Studie-_Mediennutzung-von-Menschen-mit-Behinderungen_-veroeffentlicht/Studie-Mediennutzung_Langfassung_final.pdf [Zugriff: 17.08.2019]
Bosse, Ingo/Schluchter, Jan-René/Zorn Isabel (2019). Einleitung: Ziel des Handbuchs. In: Bosse, Ingo/Schluchter, Jan-René/Zorn Isabel (Hrsg.), Handbuch Inklusion und Medienbildung. Weinheim: Beltz, S. 9–13.
Brinda, Torsten/Brüggen, Niels/Diethelm, Ira/Knaus, Thomas/Kommer, Sven/Kopf, Christine/Missomelius, Petra/Leschke, Rainer/Tilemann, Friedrike/Weich, Andreas (2019). Frankfurt-Dreieck zur Bildung in der digital vernetzten Welt. Ein interdisziplinäres Modell. www.keine-bildung-ohne-medien.de/frankfurter-dreieck [Zugriff: 17.07.2019]
Kamin, Anna-Maria/Schluchter, Jan-René/Zaynel, Nadja (2018). Inklusion und Medienbildung – Perspektiven für Theorie und Praxis. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.), Inklusive Medienbildung. Ein Projektbuch für pädagogische Fachkräfte. Köln: BZgA, S. 15–42.
Kronauer, Martin (2013). Soziologische Anmerkungen zu zwei Debatten über Inklusion und Exklusion: W. Bertelsmann Verlag. www.ssoar.info/ssoar/bitstream/document/36929/1/ssoar-2013-kronauer-Soziologische_Anmerkungen_zu_zwei_Debattenuber.pdf [Zugriff: 02.09.2019]
Mayerle, Michael (2019). Berufsfeld Tagesförderung/Wohneinrichtungen. In: Bosse, Ingo/Schluchter, Jan-René/Zorn, Isabel (Hrsg.), Handbuch Inklusion und Medienbildung. Weinheim: Beltz, S. 170–180.
Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention (2019). Monitoring-Stelle – aktuell. www.institut-fuer-menschenrechte.de/monitoring-stelle-un-brk/meldung/article/pressemitteilung-10-jahre-un-behindertenrechtskonvention-in-deutschland-miteinander-von-menschen [Zugriff: 09.09.2019]
Schluchter, Jan-René (2015). Inklusive Medienbildung – Eine Skizze. In: Schluchter, Jan-René (Hrsg.), Medienbildung als Perspektive für Inklusion. Modelle und Reflexionen für die pädagogische Praxis. 1. Aufl. München: kopaed, S. 17–26.
Ingo Bosse, Nadja Zaynel, Claudia Lampert: Mediennutzung und Vermittlung von Medienkompetenz in der Behindertenhilfe in Bremen: Ergebnisse der MeKoBe-Studie
Die Bremische Landesmedienanstalt hat den Auftrag, allen Bremerinnen und Bremern „Angebote zur Förderung des aktiven und bewussten Umgangs mit Medieninhalten“ zu unterbreiten. In diesem Bewusstsein hat die Institution eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme der Fortbildungsbedarfe für Einrichtungen der Behindertenhilfe ausgeschrieben, verbunden mit dem Ziel, ein Fortbildungskonzept zur Medienkompetenzvermittlung an Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung zu entwickeln. Dieser Artikel stellt die wesentlichen Ergebnisse der Studie vor.
Ausgangspunkt und Rahmen
Die im Rahmen des Digitalindex 2018/19 erhobenen Daten machen deutlich, dass im Jahr 2018 84 Prozent der Deutschen das Internet zumindest gelegentlich nutzten. Dies bedeutet zugleich, dass 16 Prozent dieses nicht nutzen. Alter, Bildung, Berufstätigkeit und Geschlecht sind Faktoren, welche das Nutzungsverhalten wesentlich beeinflussen (vgl. Initiative D21 2019).
Mit dem Digital Divide oder der digitalen Kluft werden Ungleichheiten in der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit digitaler Medien beschrieben, die von folgenden Faktoren beeinflusst werden: sozio-ökonomische Faktoren, Bildung, geografische und geopolitische Region, ethnische Zugehörigkeit und Beeinträchtigung. Wird der Aspekt einer Beeinträchtigung berücksichtigt, verwenden einige Autorinnen und Autoren auch den Begriff des Digital Disability Divide (vgl. Sachdeva et al. 2015; Heitplatz et al. 2019). Bei Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung zeigt sich sowohl der Digital Divide, also die Kluft in dem Zugang zu digitalen Kommunikationstechnologien, als auch der Second-Level Digital Divide, nämlich die Kluft in der Nutzungsqualität, die sich durch mangelnde Medienkompetenz ergibt (vgl. Dobransky/Hargittai 2006). Ein weiterer Unterscheid zeigt sich im Vergleich der Wohnsettings: Menschen, die in stationären Wohneinrichtungen leben, haben deutlich seltener Zugang zu digitalen Medien (vgl. Bosse/Hasebrink 2016). Besonders Menschen mit geistiger Behinderung sind auf Impulse und Unterstützung bei der Nutzung digitaler Medien angewiesen, sodass sie von einer fördernden und begleitenden Haltung gegenüber digitalen Medien in ihrer Medienkompetenz profitieren und gegenteilig nicht durch eine bewahrende Haltung benachteiligt und exkludiert werden. Ob es digitale Medien in stationären Wohneinrichtungen gibt und ob der Umgang mit diesen gefördert wird, hängt vor allem von der Haltung in der Einrichtung ab. Darüber hinaus ist Medienbildung bisher nur in sehr wenigen Einrichtungen Bestandteil von Entwicklungskonzepten. Heitplatz et al. (2019) konnten außerdem den starken Einfluss des Betreuungspersonals auf die Internet- und Smartphonenutzung von Menschen, die in stationären Einrichtungen leben, nachweisen.
Abb. 1: Mangels Zugang zu Smartphone und Co. erleben Menschen mit Behinderung in stationären Einrichtungen häufiger Ausgrenzung
In der MeKoBe-Studie lag der Schwerpunkt vor allem auf sozialen Faktoren, den sogenannten Gelegenheitsbarrieren nach dem Partizipationsmodell von Beukelman und Mirenda (1998), die sich nicht auf individuelle, sondern auf sozio-kulturelle Barrieren beziehen. Dabei spielten vor allem Fragen zur Haltung der Mitarbeitenden der Behindertenhilfe gegenüber Medien generell sowie zur Mediennutzung der Klientinnen und Klienten eine große Rolle. Das Partizipationsmodell zielt auf die Planung und Implementierung von Interventionen und mündet in Schulung und Training (vgl. Thiele 2016). Daher erschien es als theoretische Rahmung für die Studie besonders geeignet. „Das Partizipationsmodell verdeutlicht in diesem Zusammenhang, dass in dem Prozess der Implementierung nicht nur die oder der Betroffene selbst, sondern auch dessen Umfeld einbezogen und geschult werden muss, um die jeweilige Interventionsstrategie langfristig und nachhaltig zu implementieren.“ (Bosse et al. 2018, S. 5) Dieses Modell steht im Zusammenhang mit dem der Studie zugrundeliegenden Verständnis von Behinderung, auf welches sich die Weltgesundheitsorganisation international verständigt hat. In der Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit werden Situationen der Behinderung beschrieben. Damit ist eine Behinderung immer von den jeweiligen Umweltfaktoren und personenbezogenen Faktoren abhängig. Ausgangspunkt sind veränderte Körperstrukturen bzw. -funktionen, die sich individuell unterschiedlich auf Möglichkeiten zu Aktivitäten und damit auf die Teilhabe bzw. Partizipation einer Person auswirken können (vgl. DIMDI 2010). Aus dieser Perspektive wirken sich auch nicht-barrierefreie Medien als Umweltfaktoren negativ auf die digitale Teilhabe aus.
Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung sind aber keine einheitliche Gruppe mit festgesetzten und umschriebenen Eigenschaften. Havemann und Stöppler (2010) bezeichnen den Begriff als „Sammelbegriff für ein Phänomen mit oft lebenslangen, aber verschiedenen Äußerungsformen einer unterdurchschnittlichen Verarbeitung kognitiver Prozesse und Probleme mit der sozialen Adaption“ (S. 20). Eine Besonderheit im deutschsprachigen Raum ist die Differenzierung zwischen geistiger Behinderung und Lernbehinderung. Das Netzwerk People-First lehnt diese Unterscheidung ab und schlägt den Begriff ‚Personen mit Lernschwierigkeiten‘ vor. Wir übernehmen den Begriff, auch wenn er das Problem nicht löst, dass diese Teilgruppe schwierig einzugrenzen ist.
Die Studie zur Mediennutzung von Menschen mit Behinderungen (MMB16) hat deutlich gemacht, dass das Internet von der Gruppe der Menschen mit Lernschwierigkeiten deutlich weniger genutzt wird als von der Durchschnittsbevölkerung. Dies hängt unter anderem mit ihrer Medienausstattung zusammen. So verfügten lediglich 42 Prozent der 14- bis 29-Jährigen und 25 Prozent der ab 50-Jährigen mit Lernschwierigkeiten über ein Smartphone (vgl. Bosse/Hasebrink 2016, S. 100).
Bisher existieren nur wenige zielgruppenspezifische oder auch inklusive Angebote, die sich mit der Vermittlung von Medienkompetenz für Menschen mit Lernschwierigkeiten beschäftigen. Nur wenige dieser Projekte werden wissenschaftlich evaluiert (für einen Überblick siehe Bosse et al. 2018). Einen aktuellen Überblick über das Berufsfeld Tagesförderung/Wohneinrichtungen im Kontext von Inklusion und Medienbildung liefert Mayerle (2019), der resümiert, dass „unter der Perspektive von inklusiver Medienbildung eine anwendungsbezogene Praxisforschung von Nöten [ist], welche die Teilhabemöglichkeiten in digitalen Räumen von Bewohner_innen stationärer Wohnformen in den Blick nimmt und Prozesse der (kommunalen) Planung und Entwicklung von Angebotsstrukturen und die Entwicklung von Einrichtungsformen, Unterstützungsdiensten und pädagogischen Handlungskonzepten vor einem fachwissenschaftlichen Hintergrund begleitet und evaluiert“ (S. 178). Ein Kernaspekt bisher vorliegender Studien ist weiterhin die Verunsicherung von Bezugspersonen von Menschen mit Lernschwierigkeiten in ihrer eigenen Medien- und medienpädagogischen Kompetenz (vgl. Mihajlovic 2012; Zaynel 2013). Hier setzt die MeKoBe-Studie insofern an, als sie ein Fortbildungskonzept zur Vermittlung von Medienkompetenz für Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt.
Studiendesign, Methoden und Instrumente
In einem qualitativ angelegten Forschungsdesign wurden 14 leitfadengestützte Interviews mit Mitarbeitenden und Leitungspersonen von stationären und ambulanten Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe im Land Bremen geführt. Die Leitfadeninterviews wurden durch zwei Gruppendiskussionen ergänzt. Die eine Gruppe setzte sich aus Expertinnen und Experten aus der Behindertenhilfe zusammen, die sich mit der Umsetzung von Medienkompetenzvermittlung beschäftigen. Die andere Gruppe setzte sich rollenübergreifend zusammen, sodass sowohl Mitarbeitende als auch Leitungspersonen gemeinsam mit Klientinnen und Klienten über die Medienkompetenzvermittlung in der Einrichtung diskutierten. Alle Interviews und Diskussionen wurden transkribiert und mittels zusammenfassender Inhaltsanalysen ausgewertet. Die deduktiven Kategorien wurden dafür aus dem Partizipationsmodell und der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) der WHO abgeleitet.
Ergebnisse im Überblick
Mediennutzung und -ausstattung
Grundsätzlich wurde eine Unterscheidung zwischen der Medienausstattung von Einrichtungen und Klientinnen und Klienten vorgenommen. Der Fernseher ist das hauptsächlich genutzte Medium und wurde, sofern genannt, als wichtigstes Medium bezeichnet. Vorhandene dienstliche Computer für Mitarbeitende können begleitet auch von Klientinnen und Klienten genutzt werden. Mitarbeitende sind somit immer bei der Computernutzung dabei. Weitere Geräte müssen die Klientinnen und Klienten selbst anschaffen. Das Smartphone ist weit verbreitet: Der Privatbesitz ist bei ambulant betreuten Klientinnen und Klienten weit höher als bei stationär untergebrachten. Soziale Netzwerke, auch YouTube, werden häufig genutzt; teilweise auch Datingplattformen. Im ambulant betreuten Wohnen ist WhatsApp häufig das Hauptkommunikationsmedium zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern sowie Mitarbeitenden.
Etwa die Hälfte der Einrichtungen verfügt über W-LAN, zum Teil über die Mitarbeitenden. Meist müssen sich die Klientinnen und Klienten eigenständig darum kümmern. Der Wunsch nach der Möglichkeit, das Internet nutzen zu können, wurde mehrfach genannt. Tablets sind nur vereinzelt verfügbar und werden selten genutzt. Auditive Medien wie Radio und Tonträger haben in einzelnen Einrichtungen eine hohe Bedeutung, teilweise auch Spielekonsolen; in diesem Kontext wurde auch die soziale Funktion („Spielen verbindet“) besonders betont.
Der Grad der selbständigen Nutzung ist sehr unterschiedlich. Teilweise wird der Unterstützungsbedarf der Klientinnen und Klienten als sehr hoch angesehen. Teilweise wird versucht, bedarfsorientiert Unterstützung zu leisten. Regeln zur Mediennutzung gibt es aus unterschiedlichen Gründen nicht, unter anderem weil es keine Probleme gebe oder die Klientinnen und Klienten erwachsen seien.
Medienbezogene Haltungen und Medienkompetenzvermittlung
Die Haltung der Mitarbeitenden zur Mediennutzung der Klientinnen und Klienten ist sehr divers. Es sind sowohl bevormundende und verbietende Haltungen als auch solche des Begleitens vorhanden. Gleichzeitig wurde deutlich, dass eine progressive Haltung durch Gespräche intensiviert werden kann.
Die Haltungen wirken sich auch unmittelbar auf die Medienkompetenzvermittlung aus. Medienkompetenz wurde als Thema lange Zeit vernachlässigt oder sei oft gar kein Thema. Es wird auch als „Feuerlösch-Thema“ bezeichnet, welches erst noch in den Alltag implementiert werden müsse. Für Mitarbeitende liegen die Herausforderungen im Kern in der mangelnden Technikausstattung, knappen zeitlichen und personellen Ressourcen, im mangelnden trägerübergreifenden Austausch und Know-how sowie in persönlichen Unsicherheiten. Bezogen auf die Klientinnen und Klienten liegen aus Sicht der Mitarbeitenden die wesentlichen Herausforderungen in mangelnder Abstraktionsfähigkeit sowie motorischen Einschränkungen. Zudem werden mögliche Risiken wie Vereinsamung, Eskapismus, Abhängigkeit und Suchtgefahr antizipiert; auch Streit im Internet, Kosten, Bestellungen und Datenschutz wurden genannt. Deutlich wurde zugleich, dass Klientinnen und Klienten auch aus negativen Erfahrungen lernen.
Medienkompetenz der Mitarbeitenden
Das Thema Medienkompetenz ist bei den Mitarbeitenden von großen Berührungsängsten geprägt. Diese lassen sich zusammengefasst auf folgende Faktoren zurückführen:
- Alter – Erfahrungen und Einstellungen gegenüber Medien: Bei älteren Mitarbeitenden wird ein fehlender Bezug zu Medienthemen beschrieben. Junge Kolleginnen und Kollegen hätten weniger Berührungsängste, da digitale Medien für sie alltäglich seien. Bei den Älteren bestehen größere Berührungsängste gegenüber dem Computer (z. B. etwas versehentlich zu löschen), aber auch Vorbehalte bezüglich der Erreichbarkeit über Diensthandys.
- Unwissen & Unsicherheiten: Es bestehen Unsicherheiten hinsichtlich der medienbezogenen Möglichkeiten und Freiräume für Klientinnen und Klienten. Je geringer das Wissen über Medien, desto größer ist die Angst und Unsicherheit.
- Sorgen vor möglichen rechtlichen Konsequenzen: Es besteht die große Sorge vor negativen Vorfällen und draus resultierendem Ärger. Unklarheiten und Unsicherheiten sind insbesondere bezüglich der Aufsichtspflicht und rechtlicher Rahmenbedingungen vorhanden.
Überdies lassen sich verschiedene Barrieren und Förderfaktoren hinsichtlich der Mediennutzung und Medienkompetenz der Mitarbeitenden identifizieren, die sich nach strukturellen, technischen und individuellen Faktoren zusammenfassen lassen (Tab. 1).
Tab. 1: Rolle von Medien im Kontext der Arbeit
Als Barrieren in Bezug auf den Medieneinsatz in den Einrichtungen lässt sich festhalten, dass die Positionen zu einzelnen Themen zum Teil weit auseinanderliegen. Eine große Rolle spielt die Altersstruktur im Team. Einige Kolleginnen bzw. Kollegen, die kurz vor der Rente stehen, würden versuchen, sich dem bis dahin zu entziehen. Die medienbezogenen Interessen und Chancen für die Klientinnen und Klienten werden oft nicht beachtet bzw. nicht ernstgenommen. Die technische Unterstützung wird mit Verantwortung und der Gefahr von Schuldzuweisung verbunden.
Der Grad der Medienaffinität der Mitarbeitenden hat deutliche Auswirkungen auf den Zugang zu Medien für Klientinnen und Klienten: Medienaffine Mitarbeitende sind Impulsgebende. Die Medienkompetenzvermittlung findet vorzugsweise zwischen Klientinnen und Klienten und Bezugsbetreuerinnen und -betreuern statt. Damit sind Klientinnen und Klienten mit wenig medienaffinen Bezugsbetreuenden auf andere Mitarbeitende angewiesen. Dennoch werden in der überwiegenden Zahl der Einrichtungen Fortbildungen lediglich angeboten, wenn Klientinnen und Klienten dies explizit fordern. Eine wichtige Rolle spielt der Grad des Vertrauensverhältnisseszwischen Mitarbeitenden und Klientinnen und Klienten. Dieser wirkt sich auf die Bereitschaft aus, sich mit Medienthemen auseinanderzusetzen. Es gibt Fragen, welche Klientinnen oder Klienten nicht allen Mitarbeitenden stellten würden. Daher stellt sich die Frage, ob medienbezogene Probleme offengelegt werden oder verborgen bleiben. Klientinnen und Klienten fragen bei intimen, privaten Fragen eher andere Klientinnen und Klienten als Mitarbeitende.
Es wird kein Fortbildungsbedarf gesehen, da bei Fragen auf Personen im Team zurückgegriffen wird, die medienaffiner sind. Das Interesse an entsprechenden Fortbildungen ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die ausschlaggebende Gelegenheitsbarriere ist die medienpädagogische Haltung in der jeweiligen Einrichtung. Erkennen Personen im Team die Potenziale digitaler Medien für die Lebensgestaltung von Klientinnen und Klienten, so fördern sie diese. Haben sie hingegen eine bewahrpädagogische Haltung gegenüber digitalen Medien, so geben sie Klientinnen und Klienten keine Impulse bei der Nutzung digitaler Endgeräte. Häufig geht diese Haltung mit der eigenen fehlenden Medienkompetenz einher.
Wünsche und Erwartungen an Fortbildungen zur Vermittlung von Medienkompetenz
Wünsche für Fortbildungen beziehen sich insbesondere auf die Klärung personeller Zuständigkeiten. Es wird eine Anlaufstelle in den Einrichtungen mit entsprechenden Expertinnen bzw. Experten gewünscht, aber auch der gemeinsame Austausch im Team. Es sollte zudem eine eindeutig beauftragte Person pro Gruppe oder Team geben. Die Personen sollten sich freiwillig für diese Aufgabe melden und das Kollegium und Klientinnen und Klienten personenzentriert schulen. Dies ermögliche eine spezifischere Bearbeitung des Themas mit Fachkräften für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Barrieren werden hinsichtlich der einheitlichen Vorgehensweise gesehen und der Benennung nur einer verantwortlichen Person, da die Klientinnen und Klienten dann auf diese angewiesen seien. Ergänzend wird auch eine zentrale Anlaufstelle in Bremen als sinnvoll erachtet.
Förderfaktoren für die Gestaltung von Fortbildungen werden darin gesehen, Klientinnen und Klienten als Lehrende einzubinden, offene, inklusive Angebote zu schaffen, Mitarbeitende auch in Bezug auf Haltung und Motivation zu schulen und trägerübergreifende Fortbildungen für Fachkräfte anzubieten.
An konkreten inhaltlichen Wünschen wurden am häufigsten soziale Medien genannt. Dabei standen Risiken und Gefahren, die sinnvolle Nutzung sowie Chancen und Möglichkeiten der Entlastung für die Nutzenden im Fokus. Weiterhin wurde der Wunsch nach einer Veranschaulichung konkreter Auswirkungen medialer Handlungen geäußert, da zahlreiche Klientinnen und Klienten nicht lesen können. Als nützlich wurde auch alltagsrelevantes Funktionswissen eingeschätzt, wie die Nutzung von Fahrplan-Apps. An zweiter Stelle rangiert das Wunschthema ‚Netiquette in sozialen Medien‘. Fortbildungswünsche beziehen sich unter anderem auf das Verfassen von Posts und das (bewusste) Hochladen von Bildern, auf die Eigenpräsentation und den Umgang mit persönlichen Informationen.
An förderlichen Rahmenbedingungen wurden von den Befragten unter anderem genannt: eine vorherige Abfrage aktueller Bedarfe, die Entwicklung eines Konzept zur Bewerbung von Kursen, eine intensive Schulung, die über eine Tagesfortbildung hinausgeht, sich wiederholende Fortbildungen, Veranstaltungen, die gemeinsam mit Klientinnen und Klienten durchgeführt werden, ein nach der Vermittlung von Grundlagen offenes Konzept, kleine Gruppen, eine inklusive Ansprache, langsames Lernen mit viel Zeit und die Organisation als modularisierte Fortbildung.
Handlungsempfehlungen für bedarfsorientierte Fortbildungen
Auf Grundlage der Befunde wurde ein modulares, übertragbares Fortbildungskonzept entwickelt. Die vier Module können in unterschiedlicher Reihenfolge durchlaufen werden (Abb. 1). Die Erarbeitung eines gemeinsamen Medienprojekts sollte aber immer am Ende stehen.
Abb. 2: Empfehlung für ein Fortbildungskonzept aus vier Module
- Reflexion eigene Mediennutzung und Mediennutzung der Klientinnen & Klienten: Im ersten Modul geht es um die Reflexion der Mediennutzung, der Einstellungen in Bezug auf Medien sowie die Haltung gegenüber digitalen Medien. Dabei ist es zunächst sinnvoll, sich mit der eigenen Mediennutzung auseinanderzusetzen. Ein zentraler Aspekt ist die Haltung gegenüber der Mediennutzung von Klientinnen und Klienten in der Einrichtung. Da für diese Frage im Arbeitsalltag selten Zeit bleibt, ist es umso wichtiger, im Rahmen einer Fortbildung den unterschiedlichen Meinungen und Einstellungen der Mitarbeitenden Raum zu geben.
- Medienausstattung & rechtliche Aspekte: Das zweite Moduldreht sich vor allem um die individuelle Beratung der jeweiligen Einrichtungen in der Anschaffung, Installation und Wartung von Technik sowie die Handhabung der entsprechenden Mediengeräte. Eng damit verknüpft sind rechtliche Aspekte, die vorab geklärt werden sollten, wenn Klientinnen und Klienten im Internet zum Teil eigenverantwortlich surfen.
- Medienpädagogische Kompetenz : Das dritte Modulumfasst drei zentrale Bausteine: Mediendidaktische Möglichkeiten und Konzepte, medienerzieherische Ansätze sowie methodische Fragen. Die Annäherung erfolgt jeweils über eine Reflexionsphase. Dabei soll im Team beleuchtet werden, wie sich beispielsweise die eigene, aber auch die gemeinsam entwickelte Haltung gegenüber der Mediennutzung von Klientinnen und Klienten auf erzieherische und didaktische Handlungen auswirkt bzw. auswirken könnte. Gleichzeitig gilt es zu schauen, welche methodischen Kompetenzen vorhanden sind, um Klientinnen und Klienten auf kreative Weise den Umgang mit digitalen Medien zu vermitteln und sie dabei zu unterstützen.
- Realisierung von Medienprojekten: Das vierte Modul ist praktisch angelegt, daher sollte hierfür mehr Zeit zur Verfügung stehen. Zunächst sollte es einen Auftakttag geben, an dem Best-Practice-Projekte vorgestellt werden. Auf Basis dessen erarbeiten die Teilnehmenden ein Konzept für ein eigenes Medienprojekt. Am zweiten Fortbildungstag präsentieren und diskutieren die Mitarbeitenden ihr Konzept, die Planung sowie die anstehende Durchführung mit den anderen. Am Ende steht die Evaluation des eigenen Medienprojekts.
Fazit und Ausblick
Die MeKoBe-Studie hat erstmals die Mediennutzung und Vermittlung von Medienkompetenz in der Behindertenhilfe in Bremen untersucht. Auf Grundlage der Ergebnisse konnten differenzierte Fortbildungsmodule entwickelt und praktisch durchgeführt werden. Für die Einrichtungen stellt sich dabei häufig die Frage der Refinanzierbarkeit, sowohl von Fortbildungen zur Medienkompetenzvermittlung als auch für die Medienkompetenzvermittlung selbst. Neue Möglichkeiten könnten sich mit dem im Jahr 2018 verabschiedeten Bundesteilhabegesetz (BTHG) ergeben, insbesondere mit Verweis auf Paragraph 81 (Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, zu denen auch digitale Kenntnisse und Fähigkeiten zählen können) und Paragraph 84 (Hilfsmittel, hier bezogen auf das Recht auf barrierefreie Computer und der Unterweisung in der barrierefreien Technik), deren Gültigkeit jeweils im Einzelfall zu prüfen ist.
Neben dem beschriebenen Konzept für zielgruppenspezifische Angebote wäre es wünschenswert, wenn die Wahlmöglichkeit zwischen diesen und inklusiven Angeboten zur Medienbildung für Erwachsene bestände. Daten der MeKoBe-Studie machen deutlich, dass Angebote von Volkshochschulen und anderen bereits von Menschen mit Behinderungen – gemeinsam mit anderen – inklusiv genutzt werden. Inzwischen liegen fundierte Erkenntnisse vor, wie sich Volkshochschulen inklusiv weiterentwickeln können und wie Kurse für Bevölkerungsgruppen, die besonders von der digitalen Kluft betroffen sind, erfolgreich gestaltet werden können (vgl. Hemm 2018; Becker et al. 2019).
Die Qualität des Erwerbs von Medienkompetenz im Rahmen von Fortbildungen ist immer von der Kompetenz derjenigen abhängig, die diese vermitteln. Geschieht dies in Fortbildungen auf Augenhöhe, erweitern beide Seiten ihre Kompetenzen und können selbstbestimmt und selbstbewusst im doppelten Wortsinn mit Medien umgehen.
Den gesamten Beitrag finden Sie hier als PDF.
Literatur
Becker, Manuela/Benner, Alexandra/Borg, Katrin/Hüls, Jan/Koch, Marina/Kost, Annika et al. (2019): How to Design an Intervention to Raise Digital Competences: ALL DIGITAL Week – Dortmund 2018. In: Antona, Margeritha/Stephanidis, Constantive (eds.), Universal Access in Human Computer Interaction. Theory, methods and tools, Bd. 11572: Springer (Lecture notes in computer science), S. 389–407.
Bosse, Ingo/ Hasebrink, Uwe (2016). Mediennutzung von Menschen mit Behinderungen. Forschungsbericht. Unter Mitarbeit von Annegret Haage, Sascha Hölig, Sebastian Adrian, Gudrun Kellermann und Theresa Suntrup. file://delphi/clampert/Downloads/Studie-Mediennutzung_Menschen_mit_Behinderungen_Langfassung.pdf [Zugriff: 21.08.2019].
Bosse, Ingo/Zaynel, Nadja/Lampert, Claudia (2018). MeKoBe – Medienkompetenz in der Behindertenhilfe. Bedarfserfassung und Handlungsempfehlungen für die Gestaltung von Fortbildungen zur Medienkompetenzförderung. Ergebnisbericht. www.bremische-landesmedienanstalt.de/uploads/Texte/Meko/Forschung/MekoBe_Endbericht.pdf [Zugriff: 21.08.2019].
Heitplatz Vanessa/Bühler Christian/Hastall, Matthias (2019). Caregivers’ Influence on Smartphone Usage of People with Cognitive Disabilities: An Explorative Case Study in Germany. In: Antona, Margeritha/ Stephanidis, Constantive (eds.), Universal Access in Human-Computer Interaction. Multimodality and Assistive Environments. HCII 2019. Lecture Notes in Computer Science, vol. 11573. Springer, Cham.
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Dr. Ingo Bosse ist Junior-Professor für motorisch-körperliche Entwicklung an der Technischen Universität Dortmund. Er hat zahlreiche nationale und internationale Publikationen zu seinen Forschungsschwerpunkten Barrierefreiheit, Inklusion und Medien/ Technologien sowie inklusive Medienbildung verfasst. Außerdem ist er Sprecher der Fachgruppe Inklusive Medienbildung der GMK.
Dr. Nadja Zaynel leitet das PIKSL Labor Düsseldorf. Sie promovierte zur Internetnutzung Jugendlicher und junger Erwachsener mit Down-Syndrom und ist Sprecherin der Fachgruppe Inklusive Medienbildung der GMK.
Dr. Claudia Lampert ist Senior Researcher am Leibniz-Institut für Medienforschung des Hans-Bredow-Instituts und befasst sich mit Fragen des Aufwachsens in digitalisierten Medienumgebungen sowie mit dem Themenfeld der Gesundheitskommunikation.