Peter Bräunlein
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Peter Bräunlein: Männer im Wandel
Eine einfache Lektüre ist die Einführung in die Diskussion um die männliche Sozialisation von Lothar Böhnisch, Professor für Sozialpädagogik und Sozialisation der Lebensalter an der TU Dresden, nicht. Er versucht zwar, in seinem Band Theorie und Praxis zu verbinden, aber die Ausflüge in die Sozialarbeit mit Jungen und Männern sind recht kurz. Dadurch leidet die Anschaulichkeit, aber dafür entschädigt der komplexe theoretische Ansatz einer historisch fundierten „psychoanalytisch rückgebundene[n] Sozialisationstheorie“ (S.107), den Böhnisch v.a. in Auseinandersetzung mit den Ansätzen von Connell und Bourdieu entwickelt. Nicht nur stellt Böhnisch also die Ergebnisse soziologischer und psychologischer Forschungen vor, sondern er stellt sie auch in einen historischen Kontext.
Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass „Männlichkeit [..] als gesellschaftlich-hegemoniales Konstrukt heute an Eindeutigkeit verloren hat [...]. Männlichkeit [als gesellschaftliches Konstrukt, PB] und Maskulinität [als psychoanalytisch-emotionale Manifestation, PB] sind damit zu einem geschlechtstypischen Medium der Bewältigung als Suche nach je biografischer Handlungsfähigkeit im Prozess der Sozialisation und der biografischen Werteentwicklung geworden. Dabei haben Jungen und Männer in der neokapitalistischen Konsumkultur damit zu kämpfen, dass Männlichkeit und Maskulinität im Alltag gleichzeitig sozial zurückgewiesen wie konsumkulturell aufgefordert werden. Zudem ist für viele Männer der ökonomische Verfügungsdruck gestiegen.“ (S.259) Einerseits nähern sich in der familiären Sozialisation, aber auch in der Schule die Geschlechter einander an und die hegemoniale Männlichkeit des 19. Jahrhunderts ist stark im Rückzug. Andererseits gelten für den neuen, den gesellschaftlichen Trend bestimmenden „abstract worker“ beider Geschlechter im Zuge der neoliberalen Globalisierung ursprünglich traditionell männlich konnotierte Prinzipien wie Dominanz, Technikinteresse und Funktionalisierung von Emotionen nun für alle.
In dieser paradoxen Entwicklung spielen nach Böhnisch Medien eine wichtige Rolle. Sie sind Teil einer zweiten Sozialisation, die die ursprünglich lebensweltlich eingebundene überformt. Die mit Waren verbundenen Bilder von Männlichkeit werden dabei allerdings „geschlechtsneutral“ konsumiert in der Art von: „Ich fahre auf maskuline Produkte ab, nicht weil ich ein Macho sein will, sondern weil ich es mir wert bin und weil ich mich wohl dabei fühle.“ (S.71) Eine ähnliche Konsumtion von Männerbildern findet auch in Medien wie Filmen oder Comics statt mit dem Ergebnis, dass Jungen in ihrer Fantasie einerseits eine Lust am dominanten Mannsein ausleben, sich aber andererseits in der Realität davon distanzieren. Leider geht Böhnisch der damit verbundenen Herausforderung an die Medienpädagogik nicht weiter nach. Insgesamt ein Buch, das nicht nur einen guten Überblick über den gegenwärtigen Stand der Diskussion gibt, sondern die Forschungsergebnisse z.T. recht verblüffend interpretiert.