Claudia Brass
Beiträge in merz
Claudia Brass: Bungle in the jungle
Das Lied zur RTL-Dschungel-Serie hätte es schon lange gegeben - „Bungle in the Jungle“, ein guter alter Jethro Tull-Song. Ian Anderson besingt darin, was Männer zum Tier werden lässt, die einen zum reißenden Tiger, die anderen zur listigen Schlange. Wieder andere machen sich zum Affen... Das alles geschieht natürlich nicht im allseits geliebten Regenwald. Auch der Drehort von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ lag ja nicht in der Wildnis.So genanntes Reality-TV serviert uns eine künstliche Reproduktion des täglichen Kampfs ums Dasein. Die Zuschauer toben sich in einem Abklatsch jener Vorstellungen aus, die sie mit der Dschungel-Metapher verbinden: Herausforderung, Hemmungslosigkeit, Selbstverleugnung. Dem Setting verdanken wir wahrhaft tiefe Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seele.Äußerungen über das „blöde Gesicht“, die „falschen Fingernägel“ oder die „falschen Brüste“ von Mitstreiterinnen tragen zur Unterhaltung bei. Angesichts solch kalkulierter Entzauberung unterschied der täglich echoende Blätterwald zwischen echter Prominenz und recycelten Stars.
Die da im Dschungel-Camp so verbissen um Popularität kämpften, waren schon lange abgehalftert. Trash-TV von und mit denen, die selbst zum Abfall unserer Medienlandschaft wurden. Geld muss verdient werden. Die in die Enge getriebenen „Stars“ entpuppen sich als Spielfiguren des Publikums und entblößen dabei auch noch hinterhältig die Zuschauerseele. „Mir hat die Show großen Spaß gemacht,“ hörte ich einen Bekannten sagen: “Da konnte man mal wieder sehen, wie die Weiber wirklich sind. Stutenbiss ist einfach herrlich.“Das Publikum finanzierte rund ein Viertel der Produktionskosten durch seine Anrufe. Besser kann Familien-TV nicht glücken. Die Folgeproduktion heißt womöglich: „Ich bin ein Kind - Holt mich hier raus!“ Seelen-Striptease kann problemlos und ohne Altersbegrenzung gesendet werden.Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) hatte der Sender ohnehin ausgetrickst. In der Medienlandschaft, die auch längst zum Dschungel mutiert ist, wusste RTL sich immer durchzusetzen.
Denn sogar Trash-TV kommt nicht ohne Highlights aus: Dirk Bachs Moderation, zugegebenermaßen zynisch, war laut FAZ noch das beste an der ganzen Show.Mir scheint Zynismus in der Tat da allerdings ein Kulturprodukt, wo das Bewusstsein von der Grausamkeit des Hungers als Strafe erhalten bleibt. An den Kakerlaken und Käfern kann es nicht gelegen haben, die sollen sehr nahrhaft sein. Und wenn es sonst nichts zu essen gibt: Zum Nachtisch bringt RTL eine CD heraus. Nur eine, betonte der RTL-Chef seine Bescheidenheit in einem Spiegel-Interview. Die vermeintlichen Dschungel-Stars singen „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ zur Melodie von „Oh when the saints go marching in“.Das Abendland geht davon nicht unter, es geht darin auf. Eine öffentlich-rechtliche Informationssendung brachte einen Bericht mit Bildern zu einer früheren Sendezeit als das Original. Ich persönlich hatte bis zum Schluss gehofft, mich dem entziehen zu können. Doch da kam diese Kolumne. Und jetzt wieder „Big Brother“...