Martin Büsser
Beiträge in merz
Martin Büsser: Popmusik / Karl Bruckmaier: Soundcheck / Ralf Niemczyk, Torsten Schmidt: From Skratch
Kompakt vermittelt Martin Büsser jetzt die einschlägigen Ereignisse seit Elvis auf gerade mal 96 Seiten seines Bändchens Popmusik - inklusive Vorgeschichte, kulturkritischer Einordnung und Namensregister. Mehr als einen Extrakt darf man auf so engem Raum zwar nicht erwarten, aber die entscheidenden Essenzen sind auf eine Weise komprimiert, dass der aromatische Suppenwürfel gleich etliche Fässer nahrhafte Brühe ergibt. Poptheoretische Klassifizierung und Parforceritt durch die Epochen sind dabei anschaulich und nachvollziehbar aufeinander abgestimmt.
Büsser spannt den Bogen von „Was ist Popmusik?“ bis „Pop postmodern“, wobei er das Nötige nennt, den Schwerpunkt aber auf die Entwicklung von den 80ern bis heute legt. Im Anhang sind dann Platten und Literatur für weitergehendes Interesse genannt. Ein echtes Taschenbuch, das Daten, Hintergründe und Perspektiven gut recherchiert miteinander verbindet. Übersichtlich auch das Layout: Zitate, Kernsätze und Hinweise auf den Außenspalten, zudem prägnant illustriert, wird so die Lücke zwischen Musikzeitschrift und klassischem Sachbuch geschlossen, was auch Ansatz der ganzen neuen Reihe „Rotbuch 3000“ ist. Popmusik als deren Dummy macht gespannt auf Weiteres.Wer zu Karl Bruckmaiers Soundcheck greift, wird als Interessent am Konventionellen genauso belohnt wie als Individualist, der Filigraneres sucht. Fundiertes über Standards für die einen und Entdeckungen mit zahlreichen Nebenstrecken für die anderen. Das Buch lockt so immer wieder tiefer in die musikalische Landschaft hinein, macht durch die Mischung von leicht erlesbarer Landeskunde, verführerischer Hintergrundinformation und hervorragendem Geschmack Lust darauf, die befestigten Wege zu verlassen. Wobei sich geeignetes Schuhwerk durch Offenheit für eigene akustische Überprüfung der 101 Essentialia dann wie von selbst einstellt - vom überlaufenen Aussichtspunkt „Kraftwerk“ bis zum Geheimtip „Golden Smog“, von DJ Hells Compilation „International DeeJay Gigolos“ bis zu Harry Smiths ungemein einflussreicher „Anthology of American Folk Music“ und natürlich markanten Scheiben des Deltablues, denn, so Bruckmaier: „Eine Plattensammlung ohne einen Grundstock an Blues ist frivol“. „Der Blues ist der Grundton, auf dem alles schwingt bis hin zu HipHop und Techno, auch wenn das auf den ersten Blick als gewagte Behauptung erscheinen mag“. Diese Behauptung kann der Feuilletonist der „Süddeutschen Zeitung“ aber wie diverse andere stets fesselnd belegen.
Und so ist Soundcheck eine exquisite Inselliste von Material, das bei längerer Einsamkeit auf keinen Fall fehlen dürfte. Gruppiert sind die erwähnten Alben in 24 Abteilungen, die genealogische, stilistische und chronologische Aspekte gleichermaßen berücksichtigen, ohne darüber ins Enzyklopädische abzugleiten. Ihre Verbindung ist statt dessen kulinarisch, präsentiert als Menu, dessen Genuss das storyträchtig eingearbeitete Popwissen noch erhöht (was übrigens immer schon Grundreiz der Beschäftigung mit Pop gewesen ist). Und zwischen den Gängen gibt es Basiswissen zu Gestalt und Herkunft des gerade Behandelten, damit gar nicht erst gerätselt wird, was etwa Triphop, Lo-Fi oder Dub denn nun seien. Spürbar hingegeben an den Gegenstand und niemals esoterisch kompilierte hier der doctor subtilis dieser Branche. Expertentips, denen man getrost folgen mag.
Rillenkunde neuester Art steht im Mittelpunkt von From Skratch, dem DJ Handbuch, das als solches aber keineswegs bloß fortgeschrittene Fingerfertigkeit für all jene erläutert, die als praktizierende Parallel-Plattenaufleger den Amateurstatus verlassen und Clubtauglichkeit erreichen wollen. All dies gibt es (mit Bildern und wortreichen Trickerläuterungen) in den Abschnitten „Technik & Skills“ (= handwerkliche Fertigkeiten) sowie „Recht & Geschäft“ zwar auch, doch ist das - auch dem Umfang nach - bloß die eine Hälfte. Die andere widmet sich dem poprelevanten Teil der DJ Culture - „Sounds & Geschichte“. In zwölf Interviews mit Protagonisten der facettenreichen DJ-Kultur kommen all jene Leidenschaften, Experimente und sozialen Folgen zum Zug, die seit 15 Jahren Nightlife und künstlerischen Fortschritt der Popkultur dominieren.
Scharfe Grenzen zwischen HipHop, Acid Jazz, Reggae, House, Techno und zahlreichen Mischformen haben Ralf Niemczyk und Torsten Schmidt dabei konsequent nicht gezogen. Vielmehr halten sie sich nur an jene Konstante, die Gilles Peterson, Jeff Mills, Westbam, Kemistry & Storm oder Cristian Vogel zu Repräsentanten des Cultural Hero der 90er Jahre macht: Fähigkeit, Wille und Euphorie, aus bereits vorliegenden Tonträgern mit zwei parallel laufenden Plattenspielern, Mischpult und Groove im Clubzusammenhang etwas nachtlang-endlos währendes, tanzbar Neues zu machen. From Skratch erlaubt so fundiert intime Einblicke in eine Szene, die manchen immer noch fremd anmutet. Wobei das Buch davon profitiert, dass alles Geschriebene 1998 und 1999 in jeweils 14tägigen Fortbildungsseminaren für DJs - der Red Bull Music Academy in Berlin - auch praktiziert wurde. Visionäres und Erdiges kommen so auf denkbar günstigem Level zusammen. Und demonstrieren nicht zuletzt, wie Pop als einzig verbliebene ‘große Erzählung’ im Bereich der elektronischen Clubkulturen ein (immer noch währendes) neues Kapitel begonnen hat. Mit den Worten von Grandwizard Theodore: „Ich liebe es, wenn man eine Platte auflegt und es in der Rille knistert wie Schinken in der Pfanne.“