Alicja P. Czupryk
Beiträge in merz
Alicja P. Czupryk: Perspektiven der Animal Studies im Kontext der Medienpädagogik
Schluchter, Jan-René (2023). Tiere – Medien – Bildung. Perspektiven der Animal Studies für Medien und Medienpädagogik, München: kopaed. 171 S., 18,80 €.
Moby Dick und Captain Ahap – nicht erst seit Erscheinen des Romans, ist das Tierliche mit dem Menschlichen verknüpft. Überaus treffend verweist der Herausgeber einleitend auf die Geschichte, die den Umschlag des Buches kürt und den Versuch menschlicher Vormachtstellung und Kontrolle gegenüber Tieren skizziert. Die Brisanz des gesellschaftlichen Tier-Mensch-Verhältnisses ist mit Schlagwörtern wie Massentierhaltung, Artensterben, Umweltverschmutzung und Klimawandel allgegenwärtig.
Das noch relativ junge interdisziplinäre Forschungsfeld der Animal Studies oder Human-Animal-Studies widmet sich seit Ende der 1980er Jahren im anglophonen, seit den 2010er Jahren im deutschsprachigen Raum, den „Interaktionen, Beziehungen und Verhältnissen zwischen Menschen und Tieren“ (S.12) auf kulturell-gesellschaftlicher Betrachtungsebene. Neben den Animal-Studies haben sich im wissenschaftlichen Feld die Cultural Animal Studies formiert, die mit ihren eigenen Instrumenten die Repräsentationen von Tieren sowie das Tier-Mensch-Verhältnis in der medialen Alltags- und Lebenskultur fokussieren.
Jan-René Schluchter, selbst im Forschungsbereich Medienbildung und Animal Studies tätig, stellt die medialen Repräsentationen von Tieren und Tier-Mensch-Verhältnissen als festen Bestandteil medialer Alltags- und Lebenswelten heraus, die „bestimmte gesellschaftliche und kulturelle Perspektiven auf Tiere, Menschen und deren Verhältnis produzieren – jedoch auch die Möglichkeit für entsprechende Gegen- und Neuentwürfe eröffnen“ (S.33f.).
Das vorliegende sowie das in Kürze folgende Band sollen die „divergenten Diskursstränge im Kontext von Cultural Animal Studies, Medien und Bildung“ abbilden und „so eine Möglichkeit zur Annäherung an dieses Feld ermöglichen“ (S.13). Die elf Beiträge des ersten Bandes bearbeiten analytisch-reflexiv mediale Phänomene und Praktiken zu vorherrschenden gesellschaftlichen Konstruktionen von Tier-Mensch-Beziehungen und offerieren zugleich pädagogisch-didaktische Perspektiven.
Im pädagogisch-didaktischen Beitrag von Kompatscher soll die Grundlage für eine gewaltfreie Koexistenz mit Tieren geschaffen werden. Dafür nimmt sie den Unterricht im Allgemeinen und den Literaturunterricht im Speziellen in den Blick und formuliert praktikable Beispiele. Der Herausgeber zeigt in seinem Artikel Verbindungslinien der Animal Studies und Medienbildung auf. Er stellt dabei heraus, dass Perspektiven, die Animal Studies, Cultural Studies und (Medien-)Bildung zusammenführen, bislang eher rar sind, vor allem im Hinblick auf pädagogisch-didaktische Überlegungen für die Gestaltung von Unterricht. Im Folgeartikel re- und dekonstruiert Horstmann den Überwältigungs- bzw. Indoktrinationsvorwurf und diskutiert die Frage, wie damit umzugehen ist, dass Darstellungen von realen Überwältigungen selbst in Verdacht geraten, Lernende zu überwältigen. Mit empirischen Fallbeispielen untersucht Giehl im vierten Beitrag mediale Repräsentationen nichtmenschlicher Tiere sowie deren Auswirkungen auf menschliche Haltungen gegenüber nichtmenschlichen Tieren. Die Beiträge Projecting on predators und Making animals visible in star and celebrity studies zeigen weitere Perspektiven von Animal Studies und Medien auf. So auch der Artikel von Neuthard, in dem der Fleischkonsum und (Nutz-)Tiere in sozialen Medien auf Basis des 2017 erstmals fleischfrei ausgerichteten Umwelt- und Kulturfestes in Kassel und der damit einhergehenden Kontroverse auf Facebook analysiert werden. Neben den Animated Animals, in denen die Schnittstelle von Cartoons, Kindern und Animal Studies dargelegt werden, sind im Folgebeitrag Computerspieltiere Thema, ein Massenmedium, das als idealer Vermittler für tierliche Belange für ein breites Publikum fungiert. In den Ausführungen von Jessica Ullrich wird das Storytelling jenseits des Menschlichen als kreative Erkenntnismethode vorgestellt, im letzten Beitrag die Faszination für die maritime Fauna in fiktiven Tiererzählungen in Kinder- und Jugendmedien untersucht.
Insgesamt bieten die elf Beiträge mit ihren theoretisch-praxisorientierten Ansätzen einen vielfältigen Einblick in das Feld der Animals Studies im Kontext medialer Bildungsprozesse, aber auch den Bereichen, die bislang nur marginal Beachtung finden. Der Herausgeber konstatiert, dass die kritisch-reflexive Auseinandersetzung „von Tier-Mensch-Verhältnissen in Bildungskontexten bzw. der Pädagogik bislang noch keine große Rolle spielen, obwohl Bildung bzw. Pädagogik eine wesentliche Möglichkeit der kritisch-(selbst)reflexiven Auseinandersetzung mit vorherrschenden kulturellen Perspektiven auf Tier-Mensch-Verhältnisse darstellt“ (S.12). Die von ihm formulierte Leitfrage, wie „wir als menschliche Lebewesen, im Kontext von Bildung für die Situation von nicht-menschlichen Lebewesen sensibilisieren (können), um durch Bildung andere gesellschaftliche Tier-Mensch-Beziehungen zu denken und zu ermöglichen“ (S.33) tangiert im Zeitalter des Anthropozän nicht nur Forschende im Bereich der (Cultural) Animal Studies. Mit den einleitend genannten exemplarischen Schlagwörtern werden unmittelbare Verknüpfungen zum menschlichen Umgang mit Tieren und die Brisanz aufgezeigt, die eine kritisch-reflexive Auseinandersetzung, so auch entsprechendes Handeln längst unumgänglich machen. Eine Auseinandersetzung, die wirksame und vor allem nachhaltige Lösungen für eine „the-more-than-human world“ (S.33) offerieren muss, zu finden, insbesondere in Bildungskontexten wie der Medienpädagogik und dem vorliegenden Band.