Ulrich Deinet
Beiträge in merz
Ulrich Deinet: Raumaneignung, Mobilität, Medien
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Interdisziplinärer Diskurs
Medien vor 60 Jahren – Medien heute. Da ist vieles gleich geblieben und doch irgendwie alles ganz anders. Wir sind vernetzt, online und mobil, Medien sind immer und überall – und aus keinem Lebensbereich und keiner (humanwissenschaftlichen) Disziplin wegzudenken. merz, seit 60 Jahren Forum der Medienpädagogik, nimmt ihren Geburtstag zum Anlass, um dies im interdisziplinären Horizont zu erörtern. Wir fragten Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Disziplinen: Was macht den Mehrwert medienpädagogischer Forschung und Praxis in der zunehmend mediatisierten Gesellschaft aus?
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Jugendliche sind in der Lage, wichtige gesellschaftliche Orte wie die Schule, aber auch kommerzielle Bereiche wie Shopping-Malls und Fastfoodketten in ihrer Weise zu (be-)leben, das heißt neben deren offizieller Funktion als Bildungsinstitution bzw. Einkaufswelt, dort ihr jugendliches Leben zu entwickeln und sich eigene Räume zu schaffen. Dies gelingt durch Raumaneignung als „Spacing“ (Löw 2001), Umwidmung, Veränderung von Räumen und Situationen auch durch die Verknüpfung von gegenständlichen und virtuellen Räumen. ‚Räume‘ entstehen dann, wenn Jugendliche eine Möglichkeit finden, ihre Kulturen zu leben oder teilweise zur Geltung zu bringen. Solche Prozesse können als Aneignungsprozesse interpretiert werden, zum Beispiel als (sichtbare) körperliche Inszenierung (wie Skaten), fast immer verbunden mit einer medialen oft virtuellen Inszenierung.
Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer verinselten Lebenswelt und in einer Mediengesellschaft mit veränderten Kommunikationsformen auf, wodurch sie nicht nur diskontinuierliche Raumvorstellungen entwickeln, sondern gleichzeitig auch die Fähigkeit erlernen, in unterschiedlichen Räumen gleichzeitig zu agieren.Für die skizzierten Raumaneignungsformen von Jugendlichen ist auch ihre Mobilität ein entscheidender Faktor. Nicht nur die Verknüpfung von Räumen, sondern die gesamte Bewegung von Jugendlichen zwischen und in unterschiedlichen Räumen (zum Teil zur gleichen Zeit) sind ohne Mobilität nicht denkbar. Claus Tully (2011) sieht einen direkten Zusammenhang zwischen dem modernen mobil sein mit effektiven Transportmitteln und der entsprechenden Kommunikationstechnik.
Die von ihm beschriebenen Trends in der Jugendmobilität versteht Tully einerseits als Zunahme des Unterwegs-Seins von Jugendlichen in sehr unterschiedlichen Verkehrsmitteln, insbesondere auch im öffentlichen Personennahverkehr, andererseits wird diese Mobilität durchzogen durch die modernen Medien und ihre Allgegenwärtigkeit und Nutzbarkeit, auch in den Transportmitteln.Vor diesem Hintergrund sind ein sozialraumorientiertes Aneignungskonzept (vgl. Deinet 2013) und eine medienpädagogische Forschung keine getrennten fachwissenschaftlichen Ansätze mehr, sondern zwei Forschungsrichtungen, die zwischen Gegenständlichkeit und Virtualität immer stärker aufeinander bezogen sein müssen. Genauso wie in der Praxis die Schnittmenge zwischen sozialraumorientierter Pädagogik und medienpädagogischer Arbeit immer größer wird!
Literatur:
Deinet, Ulrich (Hrsg.) (2009). Methodenbuch Sozialraum. Wiesbaden: VS Verlag fürSozialwissenschaften.
Deinet, Ulrich/Reutlinger, Christian (2014). Tätigkeit – Aneignung – Bildung. Positionierungen zwischen Virtualität und Gegenständlichkeit. Wiesbaden: Springer VS.
Löw, Martina (2001). Raumsoziologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Tully, Claus (2011). Mobilisierung des Mobilen. Trends in der Jugendmobilität. Anmerkungen zur Veränderung des Mobilitätsverhalten. In: Der Nahverkehr. Öffentlicher Personenverkehr in Stadt und Region, 29 (7–8), S. 12–15.
Tully, Claus/Alfaraz, Claudio (2010). Technikbasierte Raumbezüge im Jugendalltag. In: Deutsche Jugend, 58 (3), S. 122–129.
Dr. Ulrich Deinet ist Professor im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Düsseldorf und Leiter der Forschungsstelle für sozialraumorientierte Praxisforschung und Entwicklung. Seine Fachgebiete sind Didaktik und Methoden der Sozialarbeit/Sozialpädagogik.
Deinet, U. / Sturzenhecker, B.:Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit
Deinet, U. / Sturzenhecker, B. (Hrsg.) (2005). Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit. 3. Aufl. Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften. 668 Seiten, 59,90 €
Neben Familie und Schule ist die offene Kinder- und Jugendarbeit ein weiteres unersetzbares Lern- und Erfahrungsfeld, das an der Entwicklung der Heranwachsenden maßgeblich beteiligt ist. Mit der überarbeiteten und erweiterten Auflage des Handbuchs wird noch einmal die Bedeutung der Jugendarbeit zum Ausdruck gebracht, vor allem im Interesse der Kinder und Jugendlichen, die den Freiraum zum selbstbestimmten Lernen dringend brauchen. Im Hinblick darauf verweist das Handbuch unter anderem auf neue Möglichkeiten der Finanzierung, aber auch auf nötige Marketingstrategien, um sich auf dem Markt zu positionieren. In erster Linie sollen die 10 Kapitel jedoch einen umfassenden Überblick liefern, für all diejenigen, die sich praktisch und wissenschaftlich mit der Kinder- und Jugendarbeit auseinandersetzen. Neben Hintergrundinformationen zur Geschichte der Jugendarbeit, zu rechtlichen Grundlagen und institutionellen Charakteristika, finden Pädagoginnen und Pädagogen hier Anregungen speziell für die Praxis. So werden z.B. Ziele und Handlungsprinzipien vorgestellt, anhand derer die Praktiker ihr eigenes pädagogisches Handeln reflektieren und weiter qualifizieren können. Insgesamt gesehen ist es den Autoren gelungen, das komplexe pädagogische Handlungsfeld der Jugendarbeit für die Praxis anschaulich darzustellen, weiterzuentwickeln, und vor allem auf seine Bedeutung und Aktualität aufmerksam zu machen.
Ulrich Deinet/Christian Reutlinger: Ist sozialräumliche Jugendarbeit auch digital? Forcierung digitaler Angebote der Jugendarbeit unter Covid-19-Bedingungen
Der vorliegende Beitrag setzt an der grundlegenden Frage an, was unter digital(er) werdenden lebensweltlichen Bezügen Jugendlicher verstanden wird. Daran schließen Ergebnisse einer Studie an, welche zum Neustart der Offenen Kinder- und Jugendarbeit nach dem Corona-Lockdown in Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurde. Darüber hinaus werden konzeptionelle Überlegungen angestellt, welche Konsequenzen die neuen Erfahrungen mit der Digitalisierung für die Offene Kinder- und Jugendarbeit mit sich bringen.
Literatur:
Bollig, Christiane/Glück, Michael/Küchler, Tom/Reuting, Matthias/Steurer, Dirk (2010). Mobile Jugendarbeit 2.0. Gelnhausen/Stuttgart/Chemnitz. www.mja-sachsen.de/mja-sachsen/material/handlungsempfehlungen_virtuellaufsuchende-Arbeit.pdf [Zugriff: 08.01.2020]
Brock, Johannes (2017). Hybride Streetwork. In: sozialraum.de 2017 (1). www.sozialraum.de/hybride-streetwork.php [Zugriff: 09.03.2019]
Deinet, Ulrich (2009). Sozialräumliche Jugendarbeit. Grundlagen, Methoden und Praxiskonzepte. Wiesbaden: Springer VS.
Deinet, Ulrich (2018). Jugendliche und die Räume der Shopping Malls. Aneignungsformen, Nutzungen, Herausforderungen für die pädagogische Arbeit. Opladen/Berlin/Toronto: Verlag Barbara Budrich.
Deinet, Ulrich/Reutlinger, Christian (2019). Nur hinterherkommen zu wollen, ist nicht genug! Sozialraumarbeit und digital werdende Lebenswelten Jugendlicher. In: Sozialmagazin, 2019 (3), S. 6-15. DOI: 10.3262/SM1904006.
Deinet, Ulrich/Reis, Claus/Reutlinger, Christian/Winkler, Michael (2018). Potentiale des Aneignungskonzepts. Weinheim/Basel: Beltz Juventa.
Löw, Martina (2001). Raumsoziologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.