Susanne Gaschke
Beiträge in merz
Susanne Gaschke: Jugend ohne Selbstbewusstsein?
Die Wertvorstellungen der Jugend haben sich verschoben, weg vom Sozialen, hin zum Privaten: Freundschaft und Familienleben gelten nach wie vor viel, im Übrigen herrscht ein Trend zu „leistungs-, macht- und anpassungsbezogenen Orientierungen“. Fleiß und Ehrgeiz werden deutlich positiver bewertet als in der Vergangenheit; „tolles Aussehen, Markenkleidung, neue Handys“ sind sehr wichtig. Nach „Karriere“ streben gerade die jungen Frauen; in diesem Alter glauben sie noch, Beruf und Familie konfliktlos vereinbaren zu können. Junge Leute entziehen sich in so großer Zahl den traditionellen Institutionen gesellschaftlichen Engagements –Kirchen, Gewerkschaften, Sportvereinen -, dass die Autoren der Shell-Studie 2002 angesichts dieser Abkehrphänomene gar davor warnen, langfristig könne das Fundament der Demokratie zerbröckeln.
Diese Diagnose scheint ihnen jedoch selbst etwas unheimlich zu sein. Deshalb bieten die Jugendforscher eine Entlastungsthese an, die sie allerdings nicht empirisch belegen können: Junge Leute seien heute eben an „punktuellen Events und Aktionen“ interessiert, die keine „verbindliche und längerfristige Mitgliedschaft“ verlangten; möglicherweise werde man sich „mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass die eigenverantwortliche Organisation eines Rockkonzerts eine Form des politischen Engagements darstellen kann“. Dieser Vermutung folgen seit Jahren auch die politischen Parteien.Eine derart beliebige Ausdehnung des Engagementbegriffs wirft allerdings Fragen auf. Stammt diese Kurzfrist-Ideologie wirklich von den Jugendlichen selbst? Ist ihnen das Projekthafte ein tiefes Bedürfnis? Oder müssen wir uns eingestehen, dass die Kids weniger Avantgarde als Nachhut dieser Gesellschaft sind – und dass ihnen der unternehmensberaterhafte Felxibilisierungsglaube ebenso eingeredet wurde wie vielen Erwachsenen, die sich jetzt, in der neuesten Krise der globalen Kapitalismus, schon wieder davon abwenden?
Politikverachtung hat bei uns seit der Paulskirchenpleite von 1848 eine gefährliche Tradition. Die Jungen hören von den Alten manche Stammtischparole und in der Schule viel Unreflektiertes über „Parteienstreit“, „Fraktionszwang“ und „Diäten“. Aber: Haben nicht die Parteien selbst zu dieser Stimmung beigetragen, indem sie sich hemmungslos an vermeintliche „Jugendkulturen“ anbiederten, statt sich selbstbewusst aufs Kerngeschäft zu konzentrieren? Die jungen Leute, die man überhaupt erreichen kann, wollen etwas Ernsthaftes tun. Darum sollten die Altvorderen die Jugendlichen nicht auf die Spielplätze der „Events“, Internet-Chats und Konzerte schicken, wo sie die echte Politik nicht stören. Selbstbewusstsein hätte die Jugend 2002 genug, um sich nicht schicken zulassen.