Christa Gebel
Zur Person
(Jahrgang 1960) Dipl.-Psych. Uni Bamberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin am JFF seit 1999.Schwerpunkte: Jugendmedienschutz, Orientierungsfunktion fiktionaler Medieninhalte, Medien in der Familie, ComputerspieleAktuelle Veröffentlichungen:Christa Gebel (2008). Die teilstandardisierte Befragung zur Nutzung multifunktionaler Medien. In: Ulrike Wagner (Hrsg.). Medienhandeln in Hauptschulmilieus – Mediale Interaktion und Produktion als Bildungsressource, München: kopaed, S. 67-118Susanne Eggert, Christa Gebel, Ulrike Wagner (2008). Die vertieften Handlungsschwerpunkte Spielen, Kommunizieren und Produzieren. In: Ulrike Wagner (Hrsg.). Medienhandeln in Hauptschulmilieus – Mediale Interaktion und Produktion als Bildungsressource, München: kopaed, S. 119-185Gebel, Christa (2008) Über den Nutzen von Video- und Computerspielen. www.internet-abc.de/eltern/spiele-nutzen.phpChrista Gebel/Achim Lauber (2008) Altersfreigaben aus der Sicht von Eltern, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften. In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis (KJug) 2/08, S. 39-43Helga Theunert/Christa Gebel (2008) Jugendmedienschutz: Erhebliche Kritik aus der Alltagsperspektive. In: merz 1/08, S. 18-25Theunert, Helga/Gebel, Christa (2007): Untersuchung der Akzeptanz des Jugendmedienschutzes aus der Perspektive von Eltern, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften. Eigenständige Teilstudie des JFF zur Analyse des Jugendmedienschutzsystems. Unter Mitarbeit von Niels Brüggen und Achim Lauber. www.jff.de/dateien/JFF_JMS_LANG.pdfWagner/ Gebel/ Eggert (2006) Muster konvergenzbezogener Medienaneignung. In: Wagner, Ulrike/ Theunert, Helga (Hrsg.) Neue Wege durch die konvergente Medienwelt. München: Reinhard Fischer, S. 83-124Gebel, Christa (2006) Sprachförderlichkeit von Medienarbeit im Kindergarten- und Vorschulalter. In merz 1/2006, S. 39-43
Beiträge in merz
Christa Gebel: Kompetenz erspielen – kompetent spielen?
Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus der Erkenntnis, dass populäre Computerspiele Kompetenzpotenziale bergen können? Steht versiertes Spielen für Kompetenzerwerb – steht Spielexpertise für ‚Computerspielkompetenz’ im Sinne von Medienkompetenz? Wohl kaum, auch wenn es von interessierter Seite gerne so gesehen wird. Aber was bedeutet Medienkompetenz in Hinblick auf Computerspiele eigentlich?
Literatur
Eggert, Susanne/Gebel, Christa/Wagner, Ulrike (2008). Dievertieften Handlungsschwerpunkte Spielen, Kommunizierenund Produzieren. In: Wagner, Ulrike (Hrsg.), Medienhandelnin Hauptschulmilieus. Mediale Interaktion und Produktionals Bildungsressource. München: kopaed, S. 119-185.
Fritz, Jürgen (2004). Das Spiel verstehen. Eine Einführung in Theorie und Bedeutung. Weinheim: Juventa.
Fromme, Johannes/Petko, Dominik (Hrsg.) (2008/2009).Computerspiele und Videogames in formellen und informellenBildungskontexten. Zeitschrift MedienPädagogik,Themenheft 15/16. www.medienpaed.com/zs/content/blogcategory/39/67 [Zugriff: 27.05.2010]
Fromme, Johannes/Jörissen, Benjamin/Unger, Alexander(2008). Bildungspotenziale digitaler Spiele und Spielkulturen.Zeitschrift MedienPädagogik, Themenheft 15/16.www.medienpaed.com/zs/content/blogcategory/39/67[Zugriff: 27.05.2010]
Gebel, Christa (2009). Lernen und Kompetenzerwerb mitComputerspielen. In: Bevc, Tobias/Zapf, Holger (Hrsg.),Wie wir spielen, was wir werden. Computerspiele in unsererGesellschaft. Konstanz: UVK, S. 77-94.
Gebel, Christa/Gurt, Michael/Wagner, Ulrike (2005).Kompetenzförderliche Potenziale populärer Computerspiele.In: Arbeitsgemeinschaft Berufliche Weiterbildungsforschung(ABWF) (Hrsg.), E-Lernen: Hybride Lernformen,Online-Communities, Spiele. QUEM-report, Heft 92.Berlin: ABWF, S. 241-376. www.abwf.de/content/main/publik/report/2005/report-92b [Zugriff 12.05.2010]
Geisler, Martin (2009). Clans, Gilden und Gamefamilies.Soziale Prozesse in Computerspielgemeinschaften. München:Juventa.
Kringiel, Danny (2009). Computerspiele ‚lesen’ lernen –Grundlagen einer computerspielspezifischen Medienkompetenz. In: merz | medien + erziehung, 53 (2009), 2, S. 43-49.
Mogel, Hans (2008). Psychologie des Kinderspiels., 3. aktualisierte und erweiterte Auflage. Berlin, New York: Springer.
Quandt, Thorsten/Wimmer, Jeffrey/Wolling, Jens (Hrsg.) (2008). Die Computerspieler. Studien zur Nutzung vonComputergames. Wiesbaden: VS Verlag.
Schorb, Bernd/Kießling, Matthias/Würfel, Maren/Keilhauer,Jan (2008). Die Online-Spieler: Gemeinsam statt einsam.MeMo_OSR08. Medienkonvergenz Monitoring. Online-Spieler-Report 2008. www.uni-leipzig.de/~mepaed/sites/default/files/MeMo_OSR08.pdf [Zugriff: 12.05.2010]
Theunert, Helga (2009). Medienkompetenz. In: Schorb,Bernd/Anfang, Günther/Demmler, Kathrin (Hrsg.), Grundbegriffe Medienpädagogik Praxis. München: kopaed, S.199-204.
Christa Gebel/Claudia Lampert: Jugendmedienschutzindex 2022. Online-Risiken und Jugendmedienschutz aus der Perspektive von Eltern und 9- bis 16-Jährigen
Die Ergebnisse des Jugendmedienschutzindex 2022 zeigen für die Zielgruppe Eltern erheblichen medienpädagogischen Handlungsbedarf im Hinblick auf das Wissen und den Umgang mit Online-Risiken auf. Diskrepanzen zwischen risikobezogenen Sorgen, Einstellungen zu Schutzmaßnahmen und medienerzieherischem Handeln der Eltern unterstreichen Erfordernisse zur Steigerung elterlicher Fähigkeiten, ihre Kinder im Umgang mit Online-Risiken zu unterstützen.
Literatur
Gebel, C., Lampert, C., Brüggen, N., Dreyer, S., Lauber, A. & Thiel, K. (2022). Jugendmedienschutzindex 2022. Der Umgang mit onlinebezogenen Risiken – Ergebnisse der Befragung von Eltern und Heranwachsenden. Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e. V. (FSM).
Claudia Lampert/Christa Gebel: Editorial: Zwischen Suche, Sucht und Selbstoptimierung. Gesundheitsbezogene Herausforderungen für die Medienpädagogik
Beim Thema Medien und Gesundheit denken viele sicherlich aktuell an die intensive Mediennutzung während der Covid-19-Pandemie. Ungesunde Ernährung, verzerrte Körperbilder, Handynacken, Mediensucht und Depressionen sind weitere Beispiele, die man mit dem Thema in Verbindung bringt. Schnell fällt auf, dass insbesondere die negativen Wirkungen auf die physische und psychische Gesundheit im Vordergrund stehen.
Auch die aktuelle Forschungslage verstärkt diesen Eindruck. So zeigen verschiedene Studien, dass sich die (notgedrungene) übermäßige Nutzung insbesondere in der ersten Phase der Pandemie vor allem auf die mentale Gesundheit negativ auswirkte. Vor diesem Hintergrund erscheint es für manche vermutlich nur folgerichtig, dass die chinesische Regierung Ende August 2021 anordnete, die Online-Computerspielzeit für Kinder und Jugendliche auf drei Stunden in der Woche (freitags und am Wochenende zwischen 20 und 21 Uhr) zu begrenzen (Kirchner 2021). Ungeachtet der staatlichen Übergriffigkeit und der mangelnden Sinnhaftigkeit der Maßnahme, zeigt sich an diesem Beispiel sehr deutlich, dass der Diskurs über Medien und Gesundheit primär auf Folgen einer übermäßigen Nutzung reduziert wird (vgl. auch Smahel et al. 2015). Auf der inhaltlichen Ebene stehen vor allem die Wirkung von Süßigkeitenwerbung oder von schlanken, zum Teil mit Photoshop bearbeiteten Bildern auf gesellschaftliche Schönheitsideale und das eigene Körperbild im Fokus.
Wenig Beachtung findet das Thema Gesundheit bislang im Kontext der allgemeinen Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen. Dabei ist es naheliegend und nachweisbar, dass Heranwachsende auch auf Medien zurückgreifen, um sich mit Fragen auseinanderzusetzen, die sie im Rahmen ihrer physischen und psychischen Entwicklung oder eines aktuellen Ereignisses wie der Covid-19-Pandemie beschäftigen. Die Forschungslage ist diesbezüglich zwar noch sehr dünn. Über die Sozialen Medien lässt sich jedoch schnell ein Eindruck darüber gewinnen, welche Gesundheitsthemen von besonderem Interesse sind und wie die Heranwachsenden digitale Medien nutzen, um sich dazu zu informieren, sich zu orientieren, sich zu vernetzen oder eigene gesundheitsbezogene Herausforderungen zu bewältigen.
Angesichts neuer Technologien, wie Gesundheits-Apps und Wearables, die gesundheitsbezogene Daten erfassen, stellen sich aber auch neue Fragen. Wie werden solche Angebote genutzt, wie wirken sich die Anwendungen auf gesundheitsbezogene Einstellungen und Verhaltensweisen aus und welche Risiken und unerwünschten Nebenwirkungen sind mitunter mit solchen Anwendungen verbunden? Seit Mitte 2020 gibt es Digitale Gesundheitsanwendungen (sogenannte DiGAs) auf Rezept (vgl. Krügerbrand/Haserück 2020), ein schier unüberschaubares Angebot an Tools, um die eigene Gesundheit zu optimieren. In den Sozialen Medien findet sich eine Reihe an Sinn- oder Healthfluencer*innen mit zum Teil beachtlicher Reichweite, die ihre Vorstellungen von einem gesunden Lifestyle verbreiten. Vermutlich hat sich keine Generation zuvor so intensiv mit unterschiedlichen Ernährungsformen, Fitnessprogrammen und Möglichkeiten der Selbstoptimierung befasst. Allerdings verweisen einige Studien auch darauf, dass die neuen digitalen Möglichkeiten das Gefühl von Stress verstärken können, der aus dem wahrgenommenen Selbstoptimierungsdruck oder dem Gefühl, nichts verpassen zu wollen, resultieren kann.
Aber in wessen Verantwortungsbereich liegt das Thema Medien und Gesundheit eigentlich? Kritische und warnende Stimmen kommen aktuell vor allem von Mediziner*innen, Psycholog*innen und Pädagog*innen, die in der Regel pauschal dafür plädieren, den Medienkonsum zu reduzieren. Die Gesundheitswissenschaftler*innen richten ihren Fokus besonders auf die Förderung von (digitaler) Gesundheitskompetenz, verstanden als die Fähigkeit, gesundheitsbezogene Informationen finden und einordnen zu können. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Akteur*innen, wie App-Entwickler*innen und Krankenkassen, die die digitalen Möglichkeiten für die Gesundheitsförderung und -versorgung ausloten. Sowohl die Kinder-Medien-Forschung als auch die Medienpädagogik haben sich bislang eher wenig mit dem Thema befasst. Nur vereinzelt finden sich Studien, die sich mit gesundheitsbezogenen Medieninhalten, gesundheitsrelevanten Fragen der Mediennutzung oder den medienbezogenen Möglichkeiten der Gesundheitsförderung beschäftigen. Auch unsere Suche nach medienpädagogischen Projekten mit Gesundheitsbezug brachte nur wenige Ergebnisse. Dabei kann gerade ein Themenzugang über die praktische Medienarbeit eine Alternative zu einem mahnenden ‚Esst mehr Gemüse‘-Gestus bieten. Hinweise auf aktuelle Projekte sind jederzeit willkommen. Im KMK-Strategie-Papier ‚Bildung in der digitalen Welt‘ (2017) wird der Schutz der Gesundheit im Kompetenzbereich 4 ‚Schützen und sicher agieren‘ aufgeführt, verbunden mit dem Ziel, Suchtgefahren zu vermeiden und sich selbst und andere vor möglichen Gefahren zu schützen sowie digitale Medien gesundheitsbewusst und für soziales Wohlergehen und Eingliederung zu nutzen. Was diese Zielsetzungen konkret und zum Beispiel für unterschiedliche Altersgruppen bedeuten können und wie sie sich erreichen lassen, bleibt relativ unklar und bedarf einer Ausdifferenzierung – am besten im Austausch und unter Beteiligung von Vertreter*innen der oben genannten Akteur*innengruppen.
Wir möchten mit der vorliegenden Ausgabe diesbezüglich ein erstes Angebot machen und zunächst die Vielfältigkeit des Themenfeldes aufzeigen sowie Forschungsbedarfe, aber vor allem auch medienpädagogische Schnittstellen identifizieren. Was wissen wir beispielsweise über die verschiedenen digitalen Gesundheitspraktiken von Heranwachsenden? Welche gesundheitsbezogenen Angebote und Informationen finden Jugendliche auf Plattformen wie TikTok? Was kennzeichnet eigentlich einen gesunden Medienumgang? Welche medienpädagogischen Praxisprojekte befassen sich mit gesundheitlichen Aspekten der Mediennutzung oder zielen auf einen gesunden Umgang mit Medien? Die versammelten Beiträge aus Forschung und Praxis geben erste Eindrücke, aber auch wertvolle Hinweise für weitere Diskussionen und notwendige (Forschungs-)Projekte. Überdies haben wir für dieses Heft diverse aktuelle Studien gesichtet, die sich mit unterschiedlichen Facetten dieses Themenfeldes befassen. Da diese nicht alle in die Printausgabe passen, kann diese Zusammenschau unter www.merz-zeitschrift.de/alle-ausgaben/details/2022-01-gesundheit-und-medien eingesehen werden.
Literatur:
Kirchner, Ruth (2021). Nur drei Stunden wöchentlich. China beschränkt Videospielzeit für Kinder. tagesschau. www.tagesschau.de/ausland/asien/china-computerspiele-101.html [Zugriff: 10.12.2021]
Krüger-Brand, Heike E./Haserück, André (2020). Digitale Gesundheitsanwendungen: Apps auf Rezept ab August. In: Deutsches Ärzteblatt, 117 (31-32): A-1480/B-1272. www.aerzteblatt.de/archiv/214888/Digitale-Gesundheitsanwendungen-Apps-auf-Rezept-ab-August [Zugriff: 13.12.2021]
Smahel, David/Wright, Michelle F./Cernikova, Martina (2015). The impact of digital media on health: children’s perspectives. In: International Journal of Public health, 60 (2), S. 131–137. DOI: 10.1007/s00038-015-0649-z.
Niels Brüggen/Christa Gebel: Die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an der Gestaltung des KuJMS
Die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen ist derzeit im Kinder- und Jugendmedienschutz (KuJMS) viel diskutiert. Dabei ist das Thema an sich nicht neu, jedoch kumulieren aktuell unterschiedliche Begründungslinien für diesen Anspruch an einen zeitgemäßen Umgang mit Risiken, die mit dem Medienhandeln von Kindern und Jugendlichen in Zusammenhang stehen. Bevor ein Überblick gegeben wird, worauf sich die Forderung der Teilhabe sinnvollerweise beziehen kann und sie entsprechend ausgestaltet werden sollte, lohnt zunächst ein Blick auf diese unterschiedlichen Begründungslinien.
Literatur
Brüggen, Niels/Dreyer, Stephan/Drosselmeier, Marius/ Gebel, Christa/Hasebrink, Uwe/Rechlitz, Marcel (2017). Jugendmedienschutzindex: Der Umgang mit onlinebezogenen Risiken. Ergebnisse der Befragung von Heranwachsenden und Eltern. Berlin/Hamburg/München. www.fsm.de/sites/default/files/FSM_Jugendmedienschutzindex.pdf [Zugriff: 02.11.2021]
Cousseran, Laura/Gebel, Christa/Tauer, Johanna/Brüggen, Niels (2021). „Aber ich würde sagen, dass es sinnvoller ist, die Person einfach zu blockieren.“ Online-Interaktionsrisiken aus der Perspektive von Neun- bis Dreizehnjährigen. Eine Studie des JFF – Institut für Medienpädagogik im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerk e.V. [im Erscheinen]
Frense, Elena (2020). Partizipativer Jugendmedienschutz: Anforderungen an einen zeitgemäßen Jugendmedienschutz aus Perspektive von Kindern und Jugendlichen. Frankfurt: Debus Pädagogik.
Glaser, Stefan (2021). Praxisinfo. TikTok. Kinder und Jugendliche für Risiken sensibilisieren. Mainz. https://fis.jugendschutz.net/fileadmin/user_upload/Snippet_News_Dokumente/PraxisInfo_TikTok_2021.pdf [Zugriff: 02.11.2021]
Hasebrink, Uwe/Lampert, Claudia/ Thiel, Kira (2019). Online- Erfahrungen von 9- bis 17-Jährigen. Ergebnisse der EU Kids Online-Befragung in Deutschland 2019. (2. überarbeitete Auflage). Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut.
Siller, Friederike/Stapf, Ingrid (2018). Die Sicht der Kinder auf ihre Rechte in digitalen Medien. Befragung von Schülerinnen und Schülern im Auftrag des KiKA. Projektbericht.
Siller, Friederike/Schubert, Marina (2021). Kinder sprechen über Teilhabe im Internet – Eine explorative Untersuchung. https://dossier.kinderrechte.de/kinderperspektiven-auf-teilhabe [Zugriff: 02.11.2021]
Stecher, Sina/Bamberger, Anja/Gebel, Christa/Brüggen, Niels (2021). „Ältermachen ist immer die Faustregel.“ Online- Angebote, Datenauswertung und personalisierte Werbung aus Sicht von Jugendlichen. ACT ON! Short Report Nr. 8. Ausgewählte Ergebnisse der Monitoring-Studie. München: JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis.
Christa Gebel und Andreas Oberlinner: "Das GEHEIMNIS meines ERFOLGES"
Das Orientierungspotenzial von YouTube-Stars für Heranwachsende ist nicht zu unterschätzen. Mit einer direkten Ansprache der jungen Fans, jugendaffinen Themen und einer breiten Palette von Strategien der Publikumsbindung sichern sich hoch kommerzialisierte Kanäle die Aufmerksamkeit von Kindern und Jugendlichen. Eine Analyse von Kanälen, die bei der Altersgruppe der Zehn- bis 14-Jährigen Zuspruch finden, gibt Hinweise auf offenkundig zweifelhafte Orientierungsangebote. Besonders YouTuberinnen und YouTuber, die es nicht an die Spitze der Hitlisten geschafft haben, scheinen sich dabei ihrer ihrer Vorbildrolle nicht immer bewusst zu sein.
Gisela Schubert, Eva Dirr und Christa Gebel
Die Perspektive jugendlicher Vielspielender auf das eigene Spielverhalten stand im Mittelpunkt einer qualitativen Studie, die im Rahmen des medienpädagogischen Forschungs- und Praxis-Projekts GamesLab (www.gameslab.jff.de) durchgeführt wurde. Ein Schwerpunkt der Interviews lag auf der Bedeutung der sozialen Bedingungen des Vielspielens in Familie und Peergroup.
Literatur:
Anand, Vivek (2007). A study of time management: The correlation between video game usage and academic performance makers. In: CyberPsychology & Behavior, 10 (4), S. 552-559.
Fritz, Jürgen (2011). Wie Computerspieler ins Spiel kommen. Theorien und Modelle zur Nutzung und Wirkung virtueller Spielwelten. Berlin: Vistas.
Fritz, Jürgen/Lampert, Claudia/Schmidt, Jan-Hinrik/Witting, Tanja (Hrsg.) (2011). Kompetenzen und exzessive Nutzung bei Computerspielern: Gefordert, gefördert, gefährdet. Berlin: Vistas.
Kammerl, Rudolf/Hirschhäuser, Lena/Rosenkranz, Moritz/Schwinge, Christiane/Hein, Sandra/Wartberg, Lutz/Petersen, Kay Uwe (Hrsg.) (2012). EXIF. Exzessive Internetnutzung in Familien. Zusammenhänge zwischen der exzessiven Computer- und Internetnutzung Jugendlicher und dem (medien-) erzieherischen Handeln in den Familien. Lengerich: Pabst.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (MPFS) (Hrsg.). JIM-Studie 2013 www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf13/JIMStudie2013.pdf [Zugriff: 22.06.2014].
Quandt, Thorsten/Breuer, Johannes/Festl, Ruth/Scharkow, Michael (2013). Digitale Spiele: Stabile Nutzung in einem dynamischen Markt. In: Media Perspektiven, 10, S. 483-492.
Rehbein, Florian/Kleimann, Matthias/Mößle, Thomas (2009). Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter. Empirische Befunde zu den Ursachen, Diagnostik und Komorbiditäten unter besonderer Berücksichtigung spielimmanenter Abhängigkeitsmerkmale. Forschungsbericht des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e. V. Hannover www.kfn.de/versions/kfn/assets/fb108.pdf [Zugriff: 22.06.2014].
Christa Gebel: Viel Fernsehen, viel agressives Verhalten: zumindest in den USA
Große Aufmerksamkeit – insbesondere im Kontext der Erfurter Gewalttat – erregen derzeit Ergebnisse einer repräsentativen Längsschnittstudie aus den USA, die einen Zusammenhang zwischen hohem Fernsehkonsum im Jugendalter und aggressivem Verhalten im späteren Lebenslauf nachweisen kann (Johnson, J. J. et al., 2002). In über 700 Familien wurden in mehrjährigen Abständen Interviews zur Kindesentwicklung, u.a. zum Fernsehkonsum, durchgeführt. Die Kinder, deren Entwicklung verfolgt wurde, waren zu Beginn der Studie im Jahr 1975 im Durchschnitt 5,8 Jahre alt (plus/minus 3 Jahre). Ihnen – den nunmehr Erwachsenen – wurde zuletzt im Jahr 2000 ein Fragebogen vorgelegt, der aggressives Verhalten erfasste. Zur zusätzlichen Absicherung wurden die zu den Befragten vorliegenden Daten der Justizbehörden in die Auswertung einbezogen.
Die Studie bestätigt zunächst Bekanntes:
(a) Ein hoher Fernsehkonsum – in diesem Falle bereits ab einer Stunde täglich – korreliert mit vermehrt aggressivem Verhalten gegen andere Personen.
(b) Ungünstige Entwicklungsfaktoren wie Vernachlässigung in der Kindheit, Aufwachsen in einer unsicheren Nachbarschaft, geringes Familieneinkommen, geringes Erziehungsengagement und niedriger Bildungsstand der Eltern sowie psychische Störungen gehen mit beiden Verhaltensweisen einher: sowohl mit erhöhtem Fernsehkonsum als auch mit einem erhöhten Ausmaß aggressiven Verhaltens.Neu ist allerdings,
(c) dass die Korrelation von hohem Fernsehkonsum und aggressivem Verhalten nicht allein durch die erfassten ungünstigen Entwicklungsbedingungen aufgeklärt wird. Vielmehr bleibt auch dann ein Zusammenhang bestehen, wenn deren Einfluss statistisch kontrolliert wird.
(d) Ferner gab es bis dato noch keine Untersuchung, die diesen Zusammenhang längsschnittlich und langfristig geprüft hat. Hier wird die Menge des Fernsehkonsums im Durchschnittsalter von 14 Jahren in Beziehung gesetzt zum Ausmaß aggressiven Verhaltens gegen andere Personen zwei Jahre und acht Jahre später.Darüber hinaus kann die Studie die gleiche Verbindung auch für ein höheres Lebensalter nachweisen: wer im Durchschnittalter von 22 Jahren viel fernsieht, weist ein höheres Risiko für aggressives Verhalten gegen andere Personen im Durchschnittsalter von 30 Jahren auf.(e) Weiterhin ergibt sich, dass Jugendliche, die im Durchschnittsalter von 14 Jahren andere Personen angreifen und Kämpfe austragen, bei denen jemand verletzt wird, mit durchschnittlich 22 Jahren mehr fernsehen als andere.Die Autoren der Studie tendieren zu einer kausalen Interpretation der Ergebnisse: Aggressives Verhalten ist nur teilweise auf die erfassten negativen Entwicklungsfaktoren rückführbar; das ausgiebige Fernsehen trägt einen eigenen Teil dazu bei. Außerdem finden sich Hinweise auf Wechselwirkungen zwischen gewalttätigem Verhalten und erhöhtem Fernsehkonsum.
Die Autoren schränken selbst ein, dass eine strenge Prüfung von Kausalhypothesen nur im Experiment zu erbringen ist – was sich allerdings ethisch verbietet – und räumen ein, dass es noch mehr moderierende Entwicklungsfaktoren geben könnte als die hier Erfassten.Den Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten und Fernsehkonsum erklären sich Johnson et al. über den Inhalt der Fernsehprogramme: wer viel fernsieht, sieht auch viel Gewalt, wie Programmanalysen nahe legen.Diese Studie, die als aufwändige Untersuchung mit breiter Fragestellung methodisch sorgfältig erscheint, überzeugt auf den ersten Blick, setzt sie doch durch das Längsschnittdesign, die Langzeiterstreckung und die breite Erfassung von Entwicklungseinflüssen neue Maßstäbe, die man für die medienpädagogische Forschung nur begrüßen kann.
Bedenklich stimmen die Ergebnisse besonders in Hinblick darauf, dass fernseherzieherische und jugendschützerische Bemühungen von Eltern im Jugendalter nachlassen (vgl. Schorb / Theunert, 2001). Die interpretatorischen Einschränkungen, die Johnson und Kollegen selbst vorbringen, darf man dabei jedoch nicht aus den Augen verlieren. So hätte eine differenzierte Erfassung der familiären Erziehungspraxis und des Familienklimas eventuell weitere moderierende Variablen erbracht. Auch wäre die Erhebung des Freizeitverhaltens sinnvoll gewesen. Dies könnte aufzeigen, welche sozialen Lernerfahrungen den vielsehenden Jugendlichen im Vergleich mit ihren wenigsehenden Altersgenossen entgehen. Ferner wären aufschlussreichere Befunde möglich gewesen, wenn erhoben worden wäre, was sich die Jugendlichen tatsächlich im Fernsehen ansehen.Ohne die Ergebnisse zu verwerfen, liegt die Schwäche der Untersuchung aus medienpädagogischer Sicht darin, dass das Design der „Children in the Community“-Studie nicht auf die Frage der Fernsehnutzung und ihrer Folgen zugeschnitten ist.
Dies zeigt sich zuerst an der großen Standardabweichung von plus/minus drei Jahren vom jeweils zu Grunde liegenden Durchschnittsalter. Wie aus zahlreichen Studien bekannt ist, schwankt die Menge des täglichen Fernsehkonsums in Kindheit und Jugend phasenweise. Dies wirft die Frage auf, welche Rolle die große Altersspanne spielt, ob sie die hier gefundenen Zusammenhänge bekräftigt oder verwässert.Schließlich ist zu diskutieren, in wie weit die gefundenen Ergebnisse auf deutsche Verhältnisse übertragbar sind; dies betrifft sowohl das Fernsehprogramm und die familiären Sehgewohnheiten als auch das gesellschaftliche Verhältnis zu Gewalt. Wünschenswert wäre für Deutschland eine langfristig angelegte Längsschnittstudie, die Fragen der quantitativen und qualitativen Mediennutzung und ihrer Folgen in einem ähnlich breiten Erhebungskontext in den Mittelpunkt stellt.
Literatur:
Johnson, Jeffrey J. et al.: Television Viewing and Aggressive Behavior During Adolescence and Adulthood. Science Magazine, 29.03.02, Vol. 295, 2468-2471
Schorb, Bernd / Theunert, Helga: Jugendmedienschutz – Praxis und Akzeptanz, Vistas, Berlin 2001
Christa Gebel: Studie zur Medienerziehung in der Familie
Gemeinsam mit Medien umgehen und dabei nah an den Bedürfnissen der Kinder bleiben – dies ist die zentrale Empfehlung der neuen Familienstudie der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) „Zwischen Anspruch und Alltagsbewältigung: Medienerziehung in der Familie“, die am 19. März auf einer Fachtagung im Düsseldorfer NRW-Forum vorgestellt wurde. Im Rahmen der Studie haben sich Forscherinnen und Forscher des JFF — Institut für Medienpädagogik München und des Hans-Bredow Instituts Hamburg im vergangenen Jahr eingehend damit befasst, wie Medienerziehung in Deutschland derzeit stattfindet, wo die zentralen Herausforderungen liegen und welche Empfehlungen die Medienpädagogik für eine verbesserte Medienerziehung liefern kann. Dazu wurden mehr als 450 Erziehende mit Kindern im Alter von fünf bis zwölf Jahren zur Art und Weise ihrer Medienerziehung befragt und 48 qualitative Familienstudien durchgeführt.
Status Quo der Medienerziehung
Wie findet Medienerziehung in Familien statt? Vor welchen Herausforderungen stehen Eltern im Erziehungsalltag? Welche unterstützenden Impulse kann die Medienpädagogik für eine gelingende Medienerziehung geben? Diese Fragen waren der Ausgangspunkt für die Forschungsarbeit. In der Studie standen die Situation und Sichtweise der Eltern im Vordergrund. In den Ergebnissen wurde deutlich, dass vor allem das Internet und Videospiele Eltern vor Herausforderungen stellen. Je mehr Erziehende über verschiedene Medienformen sowie über die Medienaneignung ihrer Kinder wissen, desto leichter fällt es ihnen, ihre Kinder bei der Mediennutzung sinnvoll und altersangemessen zu begleiten. Auf der Basis von Familienstudien wurden zudem sechs verschiedene Medienerziehungsmuster identifiziert, an denen Handlungsempfehlungen zukünftig ansetzen können. Die elterliche Medienkompetenz und eine an den Bedürfnissen des Kindes ausgerichtete Mediennutzung ist dabei besonders wichtig. Es muss das Ziel sein, einen aktiven, teilhabenden Ansatz der Eltern, der „die reine Reglementierung in den Hintergrund drängt und auf eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Medienumgang der Kinder setzt“, zu fördern.
Die Studie ist als Band 72 der LfM-Schriftenreihe Medienforschung im Berliner Vistas VerlagEine Kurzfassung der Studie können Sie unter folgendem Link abrufen: www.lfm-nrw.de/fileadmin/lfm-nrw/Forschung/Kurzfassung_Studie_72.pdf
Christa Gebel: Sprachförderlichkeit von Medienarbeit im Kindergarten- und Vorschulalter
Eine Verbindung von Medienarbeit und Sprachförderung liegt aus theoretischer wie praktischer Sicht nahe, denn Medienarbeit bietet auf unterschiedlichen Ebenen ausbaufähige sprachförderliche Potenziale. Eine systematische Verknüpfung erfordert die Entwicklung und Evaluation von Konzepten, die aus medienpädagogischer wie linguistischer Perspektive auf den Elementarbereich zugeschnitten sind. Entsprechende Ideen ergeben sich aus einer Analyse von 30 Projekten rezeptiver und aktiver Medienarbeit.
(merz 2006-01, S. 39-43)
Christa Gebel: Sind die Altersstufen noch zu retten?
Im Herbst 2013 steht ein neuerlicher Versuch zur Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags an. merz möchte Sie erstens über aktuelle Entwicklungen und Diskussionen, die im Vorfeld öffentlich gemacht werden, auf dem Laufenden halten, und zweitens dazu anregen, über Positionen, Wünsche und Forderungen, die die Medienpädagogik an einen zeitgemäßen Jugendmedienschutz hat, zu diskutieren und Ihre Meinung einzubringen. Dazu wird es ab sofort in jeder Ausgabe und im Netz unter www.merzzeitschrift.de Diskussionsanregungen und für Sie als Leserinnen und Leser die Möglichkeit geben, aktuelle Fragen und Themen einzugeben sowie gegebenenfalls eigene Beiträge zu liefern. Wenn Sie davon Gebrauch machen möchten, nehmen Sie mit uns Kontakt auf unter merz@jff.de. Der aktuelle Input fokussiert vor allem auf den Vorstoß, im JMStV die Altersstufen zu reduzieren.Das Vorhaben, den Jugendmedienschutzstaatsvertrag zu novellieren, geht dieses Jahr in eine neue Runde. Die Anforderungen an dieses Werk sind in Zeiten der Medienkonvergenz hoch: Es regelt den Bereich der Telemedien (Internet, Teletext) und des Rundfunks (öffentlich-rechtliche wie kommerzielle Anbieter) und soll dabei den jeweiligen technischen und rechtlichen Besonderheiten Rechnung tragen sowie anschlussfähig an das Jugendschutzgesetz (JuSchG) sein, das den Bereich der Trägermedien regelt. Letzteres ist angesichts der Rundfunk- und Onlinepräsenz von Werken, die auch auf Trägermedien verbreitet werden, absolut notwendig.
Ein strittiger Punkt des Novellierungsversuchs von 2010 war die Präzisierung der Möglichkeiten für Online-Anbieter entwicklungsbeeinträchtigender Inhalte, dafür Sorge zu tragen, dass Kinder und Jugendliche diese üblicherweise nicht wahrnehmen. Eine angestrebte Lösung war, die Angebote mit einer Alterskennzeichnung zu versehen, die von Jugendschutzprogrammen gelesen bzw. entsprechend gefiltert werden können. Die Alterskennzeichnungen sollten den Altersstufen folgen, die das Jugendmedienschutzgesetz für Trägermedien zugrunde legt (frei ab 0, 6, 12, 16, 18). Dieses Vorhaben ist nach wie vor heiß diskutiert. Während die einen eine Altersklassifizierung als unzumutbare Hürde für Anbieter betrachten, sehen andere den Vorteil für Anbieter und Eltern darin, dass gleiche Angebote on- wie offline nach gleichen Prinzipien behandelt werden. Auch wenn der aktuelle Staatsvertragsentwurf noch nicht öffentlich zugänglich ist, zeichnet sich in Diskussionen ab, dass offenbar die Stufen der Alterskennzeichnung zur Disposition gestellt werden. Die Altersstufen einer Revision zu unterziehen stand schon häufig zur Diskussion und eine entsprechende Forderung hat unter mehrerlei Aspekten ihre Berechtigung. So haben sowohl Eltern als auch Fachleute schon immer Zweifel an dieser Stufung gehegt, die den großen kognitiven und emotionalen Veränderungen innerhalb der beiden unteren Altersspannen wenig Rechnung trägt, während im obersten Bereich sehr stark differenziert wird. Prinzipiell ist aus medienpädagogischer Sicht einzuwenden: Werden die Stufen sehr weit gefasst, werden älteren Kindern (z. B. Zehn- und Elfjährigen) Inhalte vorenthalten, an denen sie ihr Welt- und Selbstverständnis weiterentwickeln können, nur weil diese Inhalte jüngere Kinder (z. B. Siebenjährige) emotional überfordern.
Werden die Stufen sehr eng gefasst, kleben sie an einer Durchschnittsnorm, die nur von wenigen Kindern wirklich repräsentiert wird, weil sich Kinder durch unterschiedliche Förderbedingungen und Veranlagungen nicht uniform entwickeln, so dass manche gerade Zehnjährige von Inhalten überfordert sind, gegen die manche Achteinhalbjährige bereits gewappnet sind. Die Klassifizierung eines konkreten Medieninhalts wird durch sehr enge Stufen wesentlich diffiziler, wenn nicht gar fragwürdig. Aus fachlicher Perspektive wäre zu prüfen, ob die in den 1950er Jahren entwickelten Stufen (vgl. Nikles 2002, 120 f.) nach heutigen Maßstäben sinnvolle Entwicklungsabschnitte repräsentieren. Hierbei sind insbesondere die Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen im Umgang mit digitalen Medien zu berücksichtigen. Dies erfordert einen enormen empirischen Aufwand und neue Normen nachhaltig zu gestalten ist angesichts der teils rasanten technischen Entwicklung erst recht kein leichtes Unterfangen. Ein anderer Diskussionspunkt ist die Vereinheitlichung mit Altersgrenzen anderer europäischer Länder, was den Blick darauf lenkt, dass auch kulturelle Normen eine Rolle spielen. Und kulturelle Differenzen sind nicht unbedingt an Ländergrenzen gebunden, sodass ein Aushandlungsprozess notwendig ist, der nicht allein auf entwicklungspsychologischen und medienpädagogischen Erkenntnissen gründen kann, diese aber unbedingt berücksichtigen muss. Alle diese Schwierigkeiten will man nun offenbar dadurch ignorieren, dass es im Internet nur noch drei Stufen geben soll, nämlich 0, 14 und 18 Jahre, wie im Februar auf einer kjm-Veranstaltung (1) in die Diskussion eingebracht wurde.
Dass man Eltern dadurch noch mehr verwirren würde,dass im Internet andere Altersgrenzen gelten als für Trägermedien, scheint die Verfechter dieser Stoßrichtung wenig zu beeindrucken. Vielmehr wurde sogar – und dies bezeugt nun wirklich eine extreme Ferne vom Erziehungsalltag – der Vorschlag ins Spiel gebracht, das Jugendmedienschutzgesetz möge sich dann doch an die neuen Altersgrenzen des Staatsvertrags anpassen. Eine Umsetzung der Vorschläge hätte zur Konsequenz, dass Angebote mit heutiger Freigabe ab sechs Jahren künftig als „freigegeben ab 14 Jahren“ zu labeln wären; denn sie ohne Alterseinschränkung freizugeben, gäbe den Schutzauftrag gegenüber jüngeren Kindern preis. Sicher ist die bisherige Praxis der Alterskennzeichnung auf Basis des JuSchG nicht ideal. So hat sich gezeigt, dass Eltern durchaus Probleme haben, die Einstufung konkreter Medienangebote nachzuvollziehen, weil diese für sie wenig transparent ist (z. B. wenn ein Filmtitel im Kino anders freigegeben ist als seine Schnittversion bei der DVD-Vermarktung oder weil ‚historische‘ Einstufungen heutigen Moralvorstellungen nicht mehr entsprechen). Auf der anderen Seite sind die Alterskennzeichen für viele Eltern einziger Orientierungspunkt und manchmal auch der letzte Anker bei Argumentationsnöten gegenüber den Kindern. (vgl. Theunert/Gebel 2007, Gebel/Lauber 2008) Was wie ein mutiger Befreiungsschlag daherkommt, muss also als schlichte Kapitulation vor den fachlichen und praktischen Herausforderungen gewertet werden.
Dem Dilemma, eine angemessene Stufung zu finden, wird man also nie ganz entrinnen, aber eine differenziertere Lösung als der aktuelle Vorschlag ist durchaus denkbar und sinnvoll. Mit einem Verzicht auf eine differenzierte Einstufung im Altersbereich unterhalb von 14 Jahren wälzt man die Probleme auf die Eltern ab und verlangt von ihnen, sich ohne fachliche Unterstützung ein Urteil zu bilden. Dies passt nahtlos in den Trend, die Verantwortung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten allein den Eltern aufzubürden (Oelkers/Lange 2012) und wird verstärkt dazu führen, dass sich diejenigen Eltern noch weniger kümmern, die sich ohnehin überfordert fühlen und daher Ansprüche an ihre Erziehungsleistung abwehren, während andere, stark normorientierte Eltern ihren Kindern noch mehr verbieten als bisher und sie damit an einer produktiven Auseinandersetzung mit Medien hindern (Wagner et al. 2013). Auch der in die Diskussion eingebrachte Kompromissvorschlag, die bisherigen Altersstufen beizubehalten, falsche Klassifizierung im unteren Bereich jedoch nicht zu sanktionieren, dürfte der Transparenz nicht förderlich sein: Wo keine Konsequenzen drohen, wird häufig nicht sachgerecht gehandelt werden und die Einstufung der Inhalte wird weder altersangemessen noch nachvollziehbar stattfinden. Eltern werden sich fragen, warum dieses gefiltert wird, jenes dagegen nicht, was die Akzeptanz der Jugendschutzprogramme gefährdet.
Ebenso wenig taugt aus Elternperspektive der gleichfalls eingebrachte Vorschlag, nichtkommerzielle Anbieter von einer Klassifizierungspflicht zu entbinden: Warum sollte ein entwicklungsbeeinträchtigender Inhalt eines nichtkommerziellen Anbieters weniger schädlich sein? Auch hier ist eine Lösung zu suchen, die für nichtkommerzielle Anbieter, insbesondere solche, die Kinder erreichen möchten, zumutbar ist. Ansonsten ist den Forderungen nach Transparenz und Konsistenz des Jugendmedienschutzes für Eltern und Erziehende mit solchen Vorstößen nicht gedient. Eine Arbeitsgruppe der Rundfunkreferenten der Länder bereitet unter Leitung des Landes Sachsen den neuen Vertragsentwurf vor, der derzeit noch nicht vom Licht der Öffentlichkeit gestreift ist. Er soll den Ministerpräsidenten im Herbst vorgelegt werden. Wie Frau Ribbe, zuständige Referentin der sächsischen Staatskanzlei, auf der kjm-Veranstaltung im Februar 2013 ankündigte, sind im Vorfeld „Betroffenenanhörungen“ geplant. Wer hier als betroffen gesehen wird, ist abzuwarten – dringend zu hoffen ist, dass insbesondere die Perspektive von Eltern gehört wird.
Anmerkung:
(1) Zurück in die Zukunft: Wie geht‘s weiter im Jugendmedienschutz? Veranstaltung im Rahmen der Reihe kjm transparent – Fragen am Freitag am 22.02.2013 in München
Literatur:
Gebel, Christa/Lauber, Achim (2008). Altersfreigaben aus der Sicht von Eltern, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften. In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis, Jg. 53, H. 2, S. 37-41.
Nikles, Bruno W. (2002). Immer komplexer: Die Entwicklung der rechtlichen Regelungen zum Jugendschutz. In: Kind Jugend Gesellschaft, Heft 4/2002, S. 119-125.
Oelkers, Nina/Lange, Andreas (2012). Eltern in der Verantwortungsfalle. Ein Problemaufriss. In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis, Jg. 57, H. 3, S. 71-75.
Theunert, Helga/Gebel, Christa (2007). Untersuchung der Akzeptanz des Jugendmedienschutzes aus der Perspektive von Eltern, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften. Eigenständige Teilstudie des JFF zur Analyse des Jugendmedienschutzsystems. Endbericht. München. www.jff.de/dateien/JFF_JMS_LANG.pdf [Zugriff: 04.01.2012].
Wagner, Ulrike/Gebel, Christa/Lampert, Claudia (2013)(Hrsg.). Zwischen Anspruch und Alltagsbewältigung: Medienerziehung in der Familie. Unter Mitarbeit von Christiane Schwinge, Achim Lauber, Susanne Eggert. Berlin: Vistas (Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen, 72).
Christa Gebel: Neue Probleme lösen alte nicht ab
Zum 01. Januar 2011 sollte die Novelle des Jugendmedienschutzstaatsvertrags JMStV in Kraft treten, am 16. Dezember hat das Landesparlament von Nordrhein-Westfalen den Vertrag nicht ratifiziert. Damit ist das Vorhaben zunächst gescheitert. Im Zuge dieser Neuregelung wurde heftig diskutiert. merz hat im Herbst (merz 5/10) die Position der Kommission für Jugendmedienschutz kjm vorgestellt. Nachfolgend zwei weitere Positionen, die das Spannungsfeld, in dem die Diskussion stattfindet, deutlich machen.
Kathrin Demmler, Christa Gebel, Swenja Wütscher und Mareike Schemmerling: Werte – Medien – Pädagogik
Wertekompetenz und Medienkompetenz sind eng miteinander verbunden: In der Fähigkeit Bewertungen vorzunehmen ist eine der pädagogischen Zieldimensionen von Medienkompetenz zu verorten und die Entwicklung von Wertekompetenz benötigt in einer mediatisierten Gesellschaft Medienkompetenz. Dieser Artikel greift einige Projektbeispiele auf und erläutert die Prinzipien und Potenziale medienpädagogischer Arbeit mit dem Ziel, das Wertebewusstsein von Kindern und Jugendlichen zu fördern.
Literatur:
Demmler, Kathrin/Rösch, Eike (2012). Aktive Medienarbeit in Zeiten der Digitalisierung. In: Rösch, Eike/ Demmler, Kathrin/Jäcklein-Kreis, Elisabeth/Albers-Heinemann, Tobias (Hrsg.), Medienpädagogik Praxis Handbuch. Grundlagen, Anregungen und Konzepte für aktive Medienarbeit. München: kopaed, S. 19-26.
Grimm, Petra (2013). Digitale Ethik und medienethische Kompetenz 2.0 – ein neuer Ansatz für Konfliktlösungen im Netz? Berliner Forum Gewaltprävention, Jg. 14, H. 48. S. 52-57.www.berlin.de/lb/lkbgg/publikationen/ berliner-forum-gewaltpraevention/2013/bfg_48.pdf [Zugriff: 28.01.2015].
Grundmann, Matthias (2009). Sozialisation – Erziehung – Bildung: Eine kritische Begriffsbestimmung. In: Becker, Rolf (Hrsg.), Lehrbuch der Bildungssoziologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 61-83.
Grunert, Cathleen (2005). Kompetenzerwerb von Kindern und Jugendlichen in außerunterrichtlichen Sozialisationsfeldern. In: Sachverständigenkommission Zwölfter Kinder- und Jugendbericht (Hrsg.), Kompetenzerwerb von Kindern und Jugendlichen im Schulalter, S. 9-94.
Kohlberg, Lawrence/Levine, Charles/Hewer, Alexandra (1983). Moral stages: A current formulation and a responseto critics. Basel/New York: Karger. Kohlberg, Lawrence (1995). Die Psychologie der Moralentwicklung. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Rath, Matthias/Marci-Boehncke, Gudrun (2008). Jugendliche Wertkompetenz im Umgang mit Medien. In: von Gottberg, Joachim/Prommer, Elizabeth (Hrsg.), Verlorene Werte? Medien und die Entwicklung von Ethik und Moral. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, S. 77-98.
Schell, Fred (2003). Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. Theorie und Praxis. 4., unveränderte Auflage. München: kopaed.
Schell, Fred/Demmler, Kathrin (2013). Aktive Medienarbeit. Theoretische Einordnung, Ziele, Lernprinzipien und Lernbereiche. In: Hartung, Anja/Lauber, Achim/Reissmann, Wolfgang (Hrsg.), Das handelnde Subjekt und die Medienpädagogik. Festschrift für Bernd Schorb. München: kopaed, S. 243-250.
Schorb, Bernd/Wagner, Ulrike (2013). Medienkompetenz – Befähigung zur souveränen Lebensführung in einer mediatisierten Gesellschaft. In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche. Eine Bestandsaufnahme. www. bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/publikationen,did=199436.html [Zugriff: 22.04.2015].
Schubarth, Wilfried (2010). Die „Rückkehr der Werte“. Die neue Wertedebatte und die Chancen der Wertebildung. In: Schubarth, Wilfried/Speck, Karsten/Lynen von Berg, Heinz (Hrsg.), Wertebildung in Jugendarbeit, Schule und Kommune. Bilanz und Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 21-41.
Tulodziecki, Gerhard (2011). Zur Entstehung und Entwicklung zentraler Begriffe bei der pädagogischen Auseinandersetzung mit Medien. In: Moser, Heinz/Grell, Petra/Niesyto, Horst (Hrsg.), Medienbildung und Medienkompetenz. Beiträge zu Schlüsselbegriffen der Medienpädagogik. München: kopaed, S. 11-40.
Christa Gebel: Jugendmedienschutz 2004
Saeger, Josefin (2004). Jugendschutz im Internet. Rechtsgrundlagen, Maßnahmen, Perspektiven. Düsseldorf: VDM Verlag Dr. Müller, 130 Seiten, 28 €
Zweites Deutsches Fernsehen (Hg.) (2004). Jugendmedienschutz. ZDF Schriftenreihe Bd. 63. Mainz, 152 Seiten
Volpers, Helmut (Hg.) (2004). Funktionsweise des Internets und sein Gefährdungspotenzial für Kinder und Jugendliche. Ein Handbuch zur Medienkompetenzvermittlung. NLM-Schriftenreihe Bd. 17. Berlin: Vistas, 240 Seiten, 15 €
Der Jugendmedienschutz ist keine leichte Kost, und sich der Materie ohne juristische Vorbildung zuzwenden, ist mühsam. Nachdem im Jahr 2003 der Jugendmedienschutz neu geregelt wurde, gab es durchaus einen erhöhten Informationsbedarf. Um so mehr Hilfe darf man von Büchern, die im Jahr 2004 zum Thema erschienen sind, erwarten.Diese Erwartung wird gründlich enttäuscht, zieht man das Buch von Josefin Saeger heran. Dem Anspruch einer umfassenden Arbeit für Rechts- und Medienwissenschaftler, das sich auch an Eltern und Pädagogen richtet, wird es nicht gerecht. Ob die Autorin die Materie juristisch korrekt durchdringt, wage ich nicht zu beurteilen. Diesen Aspekt vermag sie juristischen Laien nicht nahezubringen.
Die psychologisch-pädagogischen Begründungen des Jugendmedienschutzes sind zumindest schlampig recherchiert und oberflächlichst, teils auch verfälschend abgehandelt.Dass Jugendmedienschutz nicht nur eine juristische, sondern vor allem auch eine medienpolitische Seite hat, zeigt die Veröffentlichung des ZDF: Auf jeweils zwei bis fünf Seiten äußert sich eine ganze Reihe von Funktionsträgern des ZDF – Programmverantwortliche, Fernsehräte, Jugendschutzbeauftragte, Medienforschung etc. – mehr oder weniger direkt und konkret zum Thema Jugendmedienschutz im öffentlich-rechtlichen Telemedium. Ergänzt, besser vielleicht: garniert, werden die Beiträge durch Statements von Politikern und Prominenten.
Darüber, wie fundiert dies geschieht, mag man sich am Beispiel Rudi Cerne (Moderator des Sportstudio) ein Urteil bilden, der hier ungekürzt zu Wort kommen soll: „Die Jugend ist unsere Zukunft. Sie bedarf unseres Schutzes und unserer Fürsorge. Das Fernsehen hat mit seinem Anspruch auf Glaubwürdigkeit hier eine besondere Verantwortung. Diese nehmen wir auf vielfältige Weise wahr. Dazu zählt seit über 35 Jahren auch eine Sendereihe wie Aktenzeichen XY ... ungelöst. Sie informiert, klärt auf, warnt und leistet dadurch mit der gebotenen Sensibilität, aber auch mit der notwendigen Eindringlichkeit einen wichtigen Beitrag dazu, dass wir alle, insbesondere auch unsere Kinder und Jugendlichen, sicher und geborgener leben können.“
Weniger wäre mehr gewesen. Das gilt für Inhalt wie Titel des Bandes. „Jugendmedienschutz beim ZDF“ wäre die korrektere Überschrift.Wirklich informativ und praxisorientiert ist der von Helmut Volpers herausgegebene Band zum Jugendmedienschutz im Internet. Neben grundlegenden Erklärungen zur Funktionsweise des Internet, den Gefährdungspotenzialen der unterschiedlichen Dienste und Angebote sowie den gesetzlichen Regelungen findet sich ein Praxistest von Filtersoftware und eine Materialsammlung zur Medienkompetenzvermittlung im Internet. Ein umfangreiches Glossar hilft bei der Lektüre. Der Band richtet sich an pädagogische Fachkräfte und interessierte Eltern.
Christa Gebel: Gewaltprävention und Medien
Bereits im März 2015 hat das mehrtägige Symposion 25 Jahre Gewaltprävention im vereinten Deutschland – Bestandsaufnahme und Perspektiven des Deutschen Präventionstags (DPT) und der Alice Salomon Hochschule Berlin in Berlin stattgefunden. Insgesamt 19 Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit einer Bestandsaufnahme zur Gewaltprävention und Ausarbeitung von Handlungsempfehlungen in Bezug auf jeweils ein Problemfeld. In der Arbeitsgruppe Gewalt und Medien wurden fünf Empfehlungen formuliert:
• „Kinder- und Jugendmedienschutzmuss der Konvergenz der Mediensysteme und den technischen Entwicklungen, insbesondere im Onlinebereich, besser Rechnung tragen und für Eltern, Pädagogen, Erzieher und Fachkräfte transparent und nachvollziehbar sein.
• Gewaltprävention im Bereichder Medien muss in bestehende Strukturen der Jugendhilfe, Elternbildung, schulischen und außerschulischen Jugendbildung, Elementarerziehung sowie Aus- und Weiterbildung von Fachkräften integriert und gefördert werden. Inhaltliche Synergien sind dabei zu berücksichtigen.
• Die Politik muss Rahmenbedingungenschaffen, Medienproduzenten und -anbieter, Hersteller von Hardware und Betriebssystemen sowie Plattformbetreiber in die Pflicht nehmen zu können, zu einer effektiven Gewaltprävention im Bereich Medien beizutragen. Hierzu zählen z. B. Safety by Design oder kinderorientierte Sicherheitseinstellungen.
• Die Vernetzung und Kooperation der verschiedenen Anbieter gewaltpräventiver Programme vor Ort müssen durch die Kommunen gewährleistet werden. Diese müssen dabei gefördert werden.
• Auf allen Ebenen (Bund, Länder, Kommunen) sind nicht nur Modellprojekte zu fördern, sondern für die Verstetigung von Präventionsprojekten zu sorgen. Besonders geeignet erscheinen uns hierbei ressourcenorientierte Programme, welche nicht nur an spezifischen Medienphänomenen ansetzen."
Diese Ergebnisse sind nun online zugänglich; das Thesenpapier der Arbeitsgruppe steht zum Download bereit. gewalt-praevention.info
Christa Gebel: Familienbilder in der aktuellen Kinder- und Jugendliteratur
Was die Kinder-und Jugendliteratur an Familienbildern bietet, angefangen bei Märchen und Bilderbüchern bis hin zum Adoleszenzroman, beleuchtete die gut besuchte Tagung derInternationalen Jugendbibliothek München am 08. Juni 2011, die gleichzeitig der Auftakt zur Bilderbuch- Ausstellung „Alles Familie!“ war, die ab September 2011 zur Wanderausstellung wird (Anfragen an die Internationale Jugendbibliothek). Tragische und grausam ausgetragene Familienkonflikte liefern seit jeher einen existenziellen Erzählstoff, wie Dr. Kristin Wardetzky, Professorin für Theaterpädagogik an der UdK Berlin, in ihrem lebendigen Vortrag zu Familienbanden in Mythen und Märchen darlegte. Während in der Mythenwelt Hass, Mord und andere Verbrechen ohne positive Wendung bleiben, zeichnen sich die Familienkonflikte im volkstümlichen Märchen dadurch aus, dass ein von älteren Geschwistern oder Stiefeltern grausam vernachlässigtes oder misshandeltes Kind sich von dieser Drangsal erfolgreich befreit.
Die Erzählperspektive fordert Parteinahme für das unterdrückte Kind und rechtfertigt damit dessen häufig skrupellose Vergeltung. Dadurch ist Wardetzky zufolge der kindliche Entwicklungskonflikt der Individuation angesprochen. Auch wenn Kinder der Handlung schaudernd folgen, wollen sie in Angstlust die Märchen durchaus immer wieder hören. Denn die poetische Sprache des Märchens, die der Alltagswelt entrückte Ansiedlung der Handlung sowie ein glückliches Ende, das häufig mit der Läuterung eines geliebten Elternteils verbunden ist, ermöglichen es den Kindern, die nötige Distanz aufzubauen. Das Familienbild in Bilderbüchern entspricht noch weitgehend der klassischen Kernfamilie. Eineltern-, Patchwork-, Regenbogen-, Adoptions- und multilokale Familien – all das kommt im Kinderbuch noch zu kurz und knüpft damit nicht an die Lebenswirklichkeit vieler Kinder an, so Hilde Elisabeth Menzel, die die Ausstellung „Alles Familie!“ vorbereitetet hatte. Auf gelungene Ausnahmebeispiele verweist die Ausstellung, nahezu erfolglos bleibt jedoch die Suche nach Migrationsfamilien. Bilderbücher,die Familienkonflikte thematisieren, verschwinden trotz hoher Qualität allzu häufig wieder vom Markt, denn Eltern meiden wohl die Auseinandersetzung mit schuldbehafteten Themen. Auch als Geschenk mögen diese Bücher zu symbolträchtig erscheinen. Umso mehr Gewicht haben hier Kitas und Bibliotheken, die nicht mehr Lieferbares vorhalten, um Kindern die Auseinandersetzung mit diesen Themen zu erleichtern.
Den gegenteiligen Trend gibt es in der aktuellen Kinder- und Jugendliteratur zu verzeichnen, wie Tilmann Spreckelsen (FAZ) für das Kinderbuch und Christine Knödler (LMU München) für den Adoleszenzroman aufzeigen. Im Kinderbuch stehen nicht selten Kinder mit Problemfamilien im Mittelpunkt, denen mehr abverlangt wird, als sie tragen können, etwa den Verlust eines Elternteils zu verkraften und dazu noch die lähmende Trauer des anderen. Vielfach erkennbar ist der Wunsch nach anwesenden und ganz normalen, nicht notwendigerweise heldenhaften Vätern.Im Adoleszenzroman spielen Eltern kaum eine Rolle, sie sind als personifizierte Abenteuerverhinderer häufig ins Abseits verbannt. Werden Familienbande jedoch thematisiert, kann es offenbar kaum dramatisch und beklemmend genug zugehen und kein Tabu bleibt ungebrochen, so Christine Knödler. Väter als Täter, Familie als Alptraum, das sind Leitmotive sowohl hochwertiger Werke als auch weniger erwähnenswerter Bücher. Die Vermutung, dass hier Überbietungsmechanismen am Werke sind, liegt nahe. Ob dies den Bedürfnissen der jugendlichen Leserschaft entspricht, bleibt offen, denn Rezeptionsforschung fehlt. Dies gilt ebenso für Bilderbücher und Kinderliteratur.
Christa Gebel: Editorial
Im Jahr 1980 lief Robert van Ackerens und Erwin Kneihsls Film Deutschland privat – Eine Anthologie des Volksfilms in den Kinos. Es handelt sich dabei um einen Zusammenschnitt ausgewählter Super-8-Filme, die nach Angabe der Autoren von Filmamateuren stammen. Die Privatleute hatten sie ihnen in Reaktion auf entsprechende Zeitungsannoncen zur Verfügung gestellt. Die beiden Filmer seien überwältigt gewesen von der unerwarteten Menge des eingesandten Materials und der massenhaften bereitwilligen Überlassung zur Verwertung, hieß es damals. Das Projekt gab sich aufklärerisch und ethnografisch: Zu zeigen, was bei Hempels auf dem Sofa passiert und was diese selbst der Dokumentation für wert befinden, war im Prinzip das offizielle Anliegen. Letztlich bestand Deutschland privat aus einer Menge von Familienfest- und Urlaubs-, aber auch Sexfilmchen. Inwieweit hier private Realität dokumentiert oder absichtlich inszeniert wurde – etwa in der Tradition der pseudo-sexualsoziologischen Schulmädchen- und Hausfrauen-Reports der sechziger und siebziger Jahre – und ob der entstandene Kinofilm von ethnografischem Wert ist, wurde damals kräftig diskutiert. Sich qualifiziert an dieser Diskussion beteiligen zu können war für das anspruchsvollere Publikum Rechtfertigung genug für den Kauf einer Kinokarte. Den weniger Anspruchsvollen reichte die Aussicht, sich wahlweise über Spießigkeit und Geltungsdrang ihrer Landsleute zu amüsieren oder sich an der laienhaften Nachahmung professioneller Strip- und Peepshows zu delektieren.In Bezug auf die Veröffentlichung von Privatem nahmen Van Ackeren und Kneihsl vor dreißig Jahren das Prinzip YouTube bzw. YouPorn vorweg. Anders als bei Deutschland privat ist bei Video- und Fotoplattformen jedoch keine Redaktion mehr vorgeschaltet. Niemand trifft dort vorab eine Auswahl und entscheidet – nach welchen Kriterien auch immer –, was der Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Die Macht haben zunächst allein diejenigen, die die Filme dort einstellen. Diese Freiheit hat ihren Preis. Niemand schützt die Einstellenden vor unangemessener Selbstentblößung oder unfreiwilliger Lächerlichkeit. Und keiner garantiert, dass sie sich bei etwaigen Enthüllungen auf das ‚Selbst’ beschränken und nicht etwa den Nachbarn, die Chefin, den Lehrer oder die Ex-Freundin bloßstellen.Aber auch eine Redaktion bietet keinen Schutz. Fernsehredaktionen forcieren, dass sich Privatpersonen oder B-Prominente in den sogenannten Reality-Formaten zu körperlichem und/oder seelischem Striptease hinreißen lassen bzw. entsprechend in Szene gesetzt werden. Gekoppelt wird das Ganze mit Leistungsanforderungen auf allen Ebenen: Menschen wie du und ich kämpfen gegen die berufliche, finanzielle, intellektuelle, künstlerische, ästhetische, körperliche, erotische, soziale emotionale oder erzieherische bundesweite Blamage oder nehmen Torturen und Schikanen auf sich. Die Bloßlegung der Makel geht so weit, dass besinnungslose Wutanfälle von Heranwachsenden und hilfloses Fehlverhalten von Eltern zuerst im Fernsehen gezeigt und später zur ständigen Verfügung auf Clipfish bereitgehalten werden. Von da werden sie in weitere Plattformen eingebunden und sind dort unter Stichworten wie „Rotzlöffel“ oder „Schlampe“ zu finden. Vermeintlich Bessererziehende garnieren die Clips mit hämischen Kommentaren der Preisklasse „Wenn das meiner wäre …“. Was es für die vorgeführten Kinder jetzt und später einmal bedeutet, dass ihre eigene Überforderung und die ihrer Eltern durch Die Super Nanny publik wird, scheint die Verantwortlichen nicht zu bekümmern, so lange sie mit der Befriedigung von sozialen Vergleichsbedürfnissen, Sensationslust und Voyeurismus Werbeeinnahmen sichern können. Selbst wer sich, einmal in die Falle gelaufen, gegen diese Form der Bloßstellung juristisch wehrt, bleibt durch die Berichterstattung über eben diesen Schritt erst recht für lange Zeit in den Medien präsent. Das Internet hält hier deutlich länger vor als die Tagespresse (und die entsprechenden Fundstellen werden an dieser Stelle absichtlich nicht belegt).Aber nicht nur im Hinblick auf die direkt Betroffenen stellt sich die Frage nach den Konsequenzen der Veröffentlichung von allzu Persönlichem. Auch im Hinblick auf die Orientierungsfunktion für die heranwachsende Generation ist die Frage berechtigt, wie weit die Grenze, die die Dinge des Lebens in privat und öffentlichkeitsfähig sortiert, durch vorgeblich realistische Medienbilder bereits durchlässig geworden ist. Ist es bereits ein Resultat der Talkshow-Kultur, dass Jugendliche auf ihren Profilen bei bloggospace verhandeln, was frühere Generationen nur ihrem Tagebuch anvertrauten oder maximal dem besten Freund bzw. der besten Freundin unter dem Siegel höchster Verschwiegenheit? Gehört es für heutige Jugendliche zum allgemeinen Leistungskanon sich auf Myspace wie ein Kandidat für Deutschland sucht den Superstar zu inszenieren oder wie eine Aspirantin für Germany’s Next Topmodel und dabei obendrein Individualität zu zeigen? Besonders augenfällig erscheint eine Grenzverschiebung in Bezug auf die sexuelle (Selbst-)Inszenierung der ‚Generation Web 2.0’. Hier kommt also zusätzlich die Frage der themenspezifischen Grenzverläufe und der Geschlechterstereotype ins Spiel.Dass sich Grenzen verschoben haben, lässt sich wohl auch daran ablesen, dass die zweite Folge von Deutschland privat, untertitelt mit Im Land der bunten Träume und im Jahr 2007 erschienen, keine nennenswerte öffentliche Diskussion mehr entfachte; zumal Van Ackeren dem Super-8-Heimkino treu blieb, das im Zeitalter der Digicam auch inhaltlich nur noch einen nostalgischen Rückblick auf das verspricht, was einstmals ein Tabubruch war. Andernfalls wären YouTube und YouPorn für das Publikum heute auch einfacher und billiger.Das vorliegende Heft geht das Phänomen der (Selbst-)Entblößung in den Medien aus zwei verschiedenen Perspektiven an und fokussiert anschließend auf unterschiedliche Medien und Erscheinungsformen: Hans-Dieter Kübler prüft, inwieweit sich Mediensozialisationsforschung und -pädagogik in Theoriebildung und Empirie dem Thema bisher angenommen haben. Er kommt zu dem Schluss, dass die Medien in den sich wechselseitig bedingenden Konstruktionen von Sozialisations- und Gesellschaftstheorien noch immer unzureichend mitgedacht werden. Günter Burkart tritt in den historischen Bezügen einige Schritte zurück und beschreibt aus soziologischer Perspektive die Veränderungen des Verhältnisses von Privatheit, Selbstthematisierung und Medien. Dabei wird deutlich, dass Privatheit und Selbstthematisierung Verwandte sind, die die Bühne der Medien gemeinsam betreten.Petra Grimm, die in der Studie Gewalt im Internet unter anderem das Phänomen des Cybermobbing untersuchte, gibt für merz Auskunft darüber, in welchen Fällen Jugendliche sich im Internet von anderen bloßgestellt fühlen und wie sie damit umgehen.Joan Kristin Bleicher führt durch das Panoptikum des Reality TV, das in der Inszenierung des Intimen und Privaten oberflächlich gesehen viele Themen berührt, in Bezug auf die Geschlechterpräsentation letztlich aber gerade kein vielfältiges Bild vermittelt, sondern längst ausgedient geglaubten Klischees huldigt.Caroline Roth-Ebner schließlich wirft am Beispiel der österreichischen Show Starmania einen sezierenden Blick auf die (Selbst-)Entblößung in Castingshows, wobei sie insbesondere die Rolle des Publikums und die Rezeption der Jugendlichen untersucht.Wie lautet Ihre Meinung zu (Selbst-)Entblößung und Bloßstellung in den Medien? Diskutieren Sie mit im merz-Forum auf www.merz-zeitschrift.de
Christa Gebel: Die Antwort ist 42
Die Antwort ist einmal mehr 42. Für alle, denen diese Aussage ein neues Rätsel ist: Im mit bizarren Skurrilitäten gespickten Science Fiction-Roman Per Anhalter durch die Galaxis (1979) von DouglasAdams ist „42“ die Antwort auf die Frage nach „life, the universe and everything”. 42 ist das Produkt von 7,5 Millionen Jahren Rechenzeit des Supercomputers Deep Thought und dieser ahnt, dass diese Antwort unbefriedigend bleibt: „I think the problem, to be quite honest with you, is that you’ve never actually known what the question is.” Da fällt sofort auf, dass der Roman vor nicht ganz 40 Jahren herausgegeben wurde: Rechenzeit ist heute kaum mehr ein Thema und Computern unpräzise Fragen zu stellen nicht skurril, denn Suchmaschinen stört das nicht. Und wen interessieren noch das Universum und alles? Da geht es doch nicht um die eigene Person! Heute lautet die Antwort in Sekundenschnelle zum Beispiel „23 kcal oder ein Stück Schokolade" – schließlich gibt es diese schönen Self-Tracking-Apps und -Tools, die auf ihre ganz eigene Art die Ungewissheit reduzieren, mit der das in die Welt geworfene Individuum konfrontiert ist.
Das drückt sich etwa in solchen Fragen aus wie: „Führe ich ein gutes Leben?“ oder „Bleibe ich gesund?“. Mit dem Wissen, dass ich auf dem Weg zum Termin im siebten Stock 23 Kalorien verbraucht habe, kann ich den Tag doch viel motivierter und mit einem optimistischen Grundgefühl beginnen! Aber wie geht es mir wirklich? Irgendwelche Anzeichen von Hinfälligkeit? Bin ich auch ausgeschlafen, trotz Augenringen? Kann ich da wirklich einfach meinem Gefühl trauen? Ist das nicht zu unstet, zu ungenau? Mein Schlafprofil sagt: leistungsfähig. Da bin ich meinem Ziel doch sofort sehr viel näher. Aber, was war noch mal mein Ziel? Ach ja, das gute Leben. Da hilft es ungemein, die eigenen Scores mit Normprofilen zu vergleichen. Unbestechliche Objektivität ist der erste Schritt zur Besserung! Wer morgen ankommen will, muss sich heute bewegen und so weiter und so fort. „Sei du selbst!“ war gestern, „Überflügele die Norm!“ ist heute.
Doch Hilfe naht: „These Apps will help you to follow your life goals“ (PhoneArena 2016). Schnell den Score hochladen und mit der Steigerung anderer vergleichen. Applaus und Neidkommentare? Egal, weiter so! Wohin? Was war noch einmal mein Ziel? Das bessere Leben? Reputationsgewinn? Distinktion? Zufriedenheit! Wie, das klappt so nicht? Auch wenn das Stressmanagement noch nicht ganz in den Griff zu bekommen ist, der Stresspegel steigt, das wird schon werden! Die App jedenfalls ist makellos. Objektiv und exakt. Vielleicht brauche ich aber noch mehr: Eine Stimm-Analyse-App zum Beispiel, die mir erklärt: „Sie sind gestresst/verärgert – halten Sie sich heute besser zurück!“ Und vielleicht gleich auch noch dieses Wearable, das helfen soll, die Aufmerksamkeitsspanne zu steigern? Es lebe das vermessene Selbst!Das diffuse Unbehagen, dass das Projekt ‚Selbsterkenntnis durch Self-Tracking‘ auslöst, lässt sich als die Befürchtung fassen, dass es statt zur Erkenntnis womöglich zwangsläufig zum Verlust des Selbst kommt. Aber auch zum Verlust des Wir. Denn längst beschränken sich Tracking-Apps nicht mehr auf Sport und Medizin. Auch dort, wo es um die Qualität des Erlebens geht, wird der eigenen Wahrnehmung nicht mehr getraut, da müssen Zahlen, Daten, Fakten her.
Die technik- und zahlenbasierte Feststellung hat ihren Preis in der Orientierung an fremden und mehr oder minder transparenten Konstrukten und Normen. Das Ziel der Optimierung wird gleich mitgeliefert. Die Anpassung an neoliberale Ansprüche der Selbstvermarktung und Selbstausbeutung sowie die Datenausbeutung durch Dritte sind Teil des Geschäftsmodells. Emanzipation sieht anders aus! Unbehagen bereitet auch die schleichende Abkoppelung der Selbsterkundung aus den sozialen Bezügen des Alltags: Nicht die Wahrnehmungen von Familie, Freundinnen und Freunden oder Teammitgliedern werden für Rückmeldungen über das So-Sein gebraucht. Wahrnehmungen von Bezugspersonen, die womöglich die Auseinandersetzung über Perspektiven und Beziehungen anstoßen und zur Weiterentwicklung dieser Beziehungen anregen, entfallen. An ihre Stelle treten quantifizierende Datenberge, gesammelt von auf Effizienz ausgelegten, gewieften und vorgeblich objektiven Algorithmen. Aber sie geben nicht nur einfach Rückmeldung an Hilfesuchende, sondern auch Meldung, insbesondere an Hersteller und Anbieter – Selbst- und Fremdüberwachung gehen Hand in Hand.
Darüber lassen sich völlig kontaktlos soziale Hierarchien etablieren und zementieren (vgl. Mau 2017). Es bleibt der schale Beigeschmack, dass der Versuch das Menschliche zu technisieren und zu perfektionieren gerade das Menschliche beseitigt (vgl. z. B. Wimmer 2015). „Werde, die du bist bzw. der du bist!“ hat jedoch mit höchst persönlicher Wahrnehmung zu tun, und mit (Selbst-)Akzeptanz und mit Veränderung. Und zwar in dieser Reihenfolge. Der letzte Aspekt des Unbehagens betrifft ebenfalls die Abkoppelung aus den Bezügen des Alltags und stellt den gesamten Ansatz in Frage: Gibt es denn sonst nichts zu verändern? Ist die Welt so, wie sie uns gefällt?
Zum Heft:
Diese Ausgabe beleuchtet die Phänomene Self-Tracking-Apps und -Praktiken aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und beinhaltet Hinweise zur medienpädagogischen Praxis. Die gesellschaftlichen Konsequenzen der technisierten Selbstsorge blättert Stefan Selke auf. Sein Beitrag zeigt, warum digitalisierte Lebensprotokollierung verstanden als numerische Erfassungsfähigkeit von Körperzuständen und technisierter Selbstsorge ideal zur herrschenden Präventionslogik passt und welche schleichenden Entgrenzungen von Gesellschaft und Kultur typischerweise damit langfristig verbunden sind. Thomas Damberger nimmt infolge eine bildungstheoretische Einordnung vor und zeigt auf, dass gerade die Kritik am Phänomen Quantified Self bereits der Schlüssel ist, um grundsätzliche Fragen der Selbsterkenntnis neu zu denken. Nora-Corina Jacob, Esther Moszeik und Karl-Heinz Renner ordnen das Phänomen der Selbstquantifizierung motivational und in Bezug auf relevante psychologische Konzepte ein, um anschließend Chancen und Risiken aufzuzeigen, die zum Beispiel mit einer Do it yourself-Diagnostik verbunden sein können. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem paradoxen Phänomen der Meditations-App.
Die Grenzen des Self-Tracking in Bezug auf Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung trägt schließlich Valentin Dander zusammen. Er zeigt, was wir zur Nutzung von Self-Tracking-Apps durch Jugendliche wissen, und zeigt Ansatzmöglichkeiten für die medienpädagogische Praxis auf. Die Palette reicht von der kritischen Reflexion der Körpervermessung über das Durchschaubarmachen von Statistiken und Algorithmen bis zum Ziel, Jugendlichen die mit Self-Tracking-Apps verbundene Big Data-Problematik näher zu bringen. Eine Besonderheit dieses Heftes ist dessen Bebilderung: merz hat das große Glück, Werke der Ausstellung No secrets! – Bilder der Überwachung, die vom 24. März bis 16. Juli 2017 im Münchner Stadtmuseum präsentiert wurden, verwenden zu dürfen und bedankt sich dafür sehr herzlich. Außerdem hat die Redaktion eine Vielzahl an Self-Tracking-Tools genauer unter die Lupe genommen und dabei ein Spektrum unterschiedlichster Wearables aufgemacht: Angefangen bei Miniatur-Kameras wie iOn Snapcam zur handlichen Selbstbeobachtung über nahezu alles trackende smarte Fitness-Armbänder wie Garmin Vivosmart3, das Entschleunigungsgadget PIP Stress Tracker oder eher klassische PC-Programme wie RescueTime bis hin zu Apps wie Mood Panda oder Klout.
In Form von Kurzrezensionen wird ein kleiner, aber detaillierter Einblick in die bunte Palette digitaler Möglichkeiten zur Selbstbeobachtung und -vermessung gegeben (Kästen bis Seite 47). Abschließend lässt sich noch feststellen, dass die Fragen, ob und welche Self-Tracking Apps Jugendliche verwenden und wie sie dazu stehen, ein noch völlig unterbelichtetes Thema darstellt. Jegliche Recherche hinsichtlich Studien oder Erfahrungsberichte lief hier ins Leere und das, obwohl die Selbstfindung doch als höchst jugendrelevantes Thema gilt. Vielleicht ist die Relevanz des Themas durch die Forschenden noch nicht erkannt. Vielleicht laufen diese Apps an den Bedürfnissen Jugendlicher eher vorbei und die Jugendlichen haben das verstanden. Dann möchte man sagen: „Gut so!“ Möglicherweise aber werden die App-Hersteller diese Zielgruppe demnächst ins Visier nehmen. Be prepared! Übrigens – die neue Antwort lautet: 42,195 km bis ins Ziel.
Literatur:
Mau, Steffen (2017). Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen. Berlin: Suhrkamp.
PhoneArena (2016). These apps will help you follow your life goals. www.youtube.com/watch?v=fLCjQJCekTs [Zugriff: 04.08.2017].
Wimmer, Michael (2015). Perfektionierung des Unverbesserlichen: unvermeidbar und unmöglich. In: Psychosozial, 38 (141), S. 81–99.
Christa Gebel, Nadine Jünger, Ulrike Wagner: Online-Mediengebrauch Jugendlicher
Wie sich Jugendliche Onlinemedien aneignen, um sich und andere über Themen von gesellschaftlicher Relevanz zu informieren, bildet die zentrale Frage eines DFG-geförderten Forschungsprojekts des JFF und der Professur für Medienpädagogik und Weiterbildung der Universität Leipzig.1 Ergebnisse aus der standardisierten Teilstudie zeigen, dass jugendliche Onliner – einschließlich der an gesellschaftlich bedeutsamen Themen Interessierten – die Potenziale des Internet für den aktiven Umgang mit Information bei Weitem nicht ausschöpfen. Werden sie aktiv, so geschieht dies häufig vermittels Sozialer Netzwerkdienste: Über die Hälfte der Befragten hat in einer solchen Struktur schon einmal andere zu einem gesellschaftlich relevanten Thema informiert.1 Das Projekt wurde im Rahmen des DFG-Forschungsschwerpunkts Mediatisierte Welten unter dem Geschäftszeichen TH 1575/1-1 gefördert.
Literatur:
Albert, Mathias/Hurrelmann, Klaus/Quenzel, Gudrun(2010). Jugend 2010: Selbstbehauptung trotz Verunsicherung? In: Shell Deutschland Holding (Hrsg.), Jugend 2010. Eine pragmatische Generation behauptet sich. 16. Shell Jugendstudie. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S. 37-51.
BITKOM (Hrsg.) (2011). Jugend 2.0. Eine repräsentative Untersuchung zum Internetverhalten von 10- bis 18-Jährigen. Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. Online verfügbar unter www.bitkom.org/files/documents/BITKOM_Studie_Jugend_2.0.pdf [Zugriff: 15.05.2013].
Gaiser, Wolfgang/Rijke, Johann de (2007). Eurobarometer und DJI Jugendsurvey. Europa im Blick der Jugend. In: DJI Impulse, H. 2, S. 5-7.
Jarren, Otfried/Donges, Patrick (2011). Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung. 3. grundlegend überarbeitete und aktualisierte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2009). JIM-Studie 2009. Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Online verfügbar unter www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf09/JIM-Studie2009.pdf [Zugriff: 15.05.2013].
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2011). JIM-Studie 2011. Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Online verfügbar unter www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf11/JIM2011.pdf [Zugriff: 15.05.2013].
Gille,Martina/Gaiser Wolfgang/Sabine Sardei-Biermann/de Rijke, Johann (2006). Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland: Lebensverhältnisse, Werte und gesellschaftliche Beteiligung 12- bis 29-Jähriger. Wiesbaden: VS Verlag.
Schmid, Christine (2004). Politisches Interesse von Jugendlichen. Wiesbaden: DVU/GWV.
Schmidt, Jan-Hinrik/Paus-Hasebrink, Ingrid/Hasebrink, Uwe (2009). Entwicklungsaufgaben im Social Web. In: dies. (Hrsg.), Heranwachsen mit dem Social Web. Zur Rolle von Web 2.0-Angeboten im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Berlin: Vistas , S. 265-274.
Schneekloth, Ulrich (2010). Jugend und Politik: Aktuelle Entwicklungstrends und Perspektiven. In: Shell Deutschland Holding (Hrsg.), Jugend 2010. Eine pragmatische Generation behauptet sich. 16. Shell Jugendstudie. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S. 129-164.
Schulz, Winfried (2011). Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung. 3., überarbeitete Auflage. Wiesbaden: VS Verlag.
Siri, Jasmin/Melchner, Miriam/Wolff, Anna (2012). The Political Network. Parteien und politische Kommunikation auf Facebook. In: Zurawski, Nils/Schmidt, Jan-Hinrik/Stegbauer, Christian (Hrsg.), Phänomen „Facebook“. kommunikation@gesellschaft, Sonderheft Nr. Beitrag 6, S. Beitrag 6.
Spaiser, Viktoria (2011). Das politische Potenzial des Internets. In: Heitmeyer, Wilhelm/Mansel, Jürgen/Olk, Thomas (Hrsg.), Individualisierung von Jugend. Zwischen kreativer Innovation, Gerechtigkeitssuche und gesellschaftlichen Reaktionen. Weinheim: Juventa, S. 147–164.
Wagner, Ulrike (2008). Medienhandeln in Hauptschulmilieus. Mediale Interaktion und Produktion als Bildungsressource. München: kopaed.
Wagner, Ulrike/Theunert, Helga/Gebel, Christa/Schorb, Bernd (2012). Jugend und Information im Kontext gesellschaftlicher Mediatisierung. In: Krotz, Friedrich/Hepp, Andreas (Hrsg.), Mediatisierte Welten. Forschungsfelder und Beschreibungsansätze. Wiesbaden: VS Verlag, S. 307-329.
Westle, Bettina. (2006). Politisches Interesse, subjektive politische Kompetenz und politisches Wissen – eine Fallstudie mit Jugendlichen im Raum Nürnberg. In: Brettschneider, Frank/van Deth, Jan/Roller, Edeltraud, Jugend und Politik: „Voll normal!“. Der Beitrag der politischen Soziologie zur Jugendforschung. Wiesbaden: VS Verlag.
Christa Gebel und Ulrike Wagner: Musik als Dreh- und Angelpunkt für die Mediennutzung Heranwachsender
Die Begeisterung für Musik ist eines der wichtigsten Motive für die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen.
Ob Heranwachsende das Radio oder den Computer, die Zeitschrift oder das Internet für die Beschäftigung mit ihren Musikinteressen und bevorzugten Musikstars heranziehen, ist durch vielerlei Faktoren beeinflusst: Alter, Geschlecht und Bildungshintergrund geben ebenso den Ausschlag wie die Verortung der bevorzugten Musik in Bezug auf den Mainstream.
(merz 2004-02, S.37-42)
Christa Gebel / Michael Gurt / Ulrike Wagner: Kompetenzbezogene Computeranalyse
Dass Computerspiele Kompetenzen fördern, ist eine höchst plausible Annahme. Der Nachweis, dass Leistungsverbesserung in Computerspielen auch gesteigerte Kompetenz außerhalb des Spiels bedeutet, und die Bestimmung förderlicher Bedingungen stehen jedoch noch aus. Hierfür bedarf es kompetenzbezogener Kriterien zur Beurteilung von Computerspielen, die unter anderem auf einer differenzierten Medienanalyse gründen und die herkömmliche grobe und unsystematische Genrezuordnung überwinden.
(merz 2004-03, S. 18-23)
Christa Gebel und Susanne Eggert: Konfliktherd Computerspiele
Eltern begegnen Computerspielen häufig mit Skepsis. Die Begeisterung, mit der vor allem der männliche Nachwuchs sich dem Computerspielen widmet, stellt für sie oft eine erzieherische Herausforderung dar. Insbesondere Mütter haben meist wenig Bezug zu Computerspielen und es fällt ihnen schwer, diese Leidenschaft der Kinder nachzuvollziehen. So kommt es darüber nicht selten zu Konflikten, vor allem im Hinblick auf die Spieldauer.
Literatur:
Hasebrink, Uwe/Schröder, Hermann-Dieter/Schumacher, Gerlinde (2012). Kinder- und Jugendmedienschutz aus der Sicht der Eltern. Ergebnisse einer repräsentativen Elternbefragung. In: Media Perspektiven, H. 1, S. 18-30.
Wagner, Ulrike/Gebel, Christa/Lampert, Claudia (Hrsg.) (2013). Zwischen Anspruch und Alltagsbewältigung: Medienerziehung in der Familie. Unter Mitarbeit von Susanne Eggert, Christiane Schwinge, Achim Lauber. Schriftenreihe Medienforschung der LfM, Band 72. Berlin: Vistas.