Tanja Gottsmann
Beiträge in merz
Tanja Gottsmann: Stichwort
Dezentralität, Unveränderlichkeit und Transparenz – und damit Neutralität, Fälschungssicherheit und Verlässlichkeit, so das Versprechen dieser Kryptotechnologie. Bei einer Blockchain wird eine potenziell endlos lange Kette verschlüsselter Daten-Blöcke stetig durch neue Elemente linear erweitert. Innerhalb dieser Datenbestände können verschiedene Arten von Informationen mit einem hohen Maß an Sicherheit gespeichert werden. Diese Sicherheit resultiert aus der vollständigen Offenheit aller Vorgänge innerhalb kryptografisch abgesicherter Verkettungen. Der Clou: Die Daten werden auf verschiedenen voneinander unabhängigen Rechnern gespeichert, die keiner Steuerung einer zentralen Autorität unterliegen. Alle Vorgänge und Entscheidungen werden mittels Konsensprinzip innerhalb einer vernetzten Community getroffen. Sind die Daten in der Blockchain verifiziert, sind sie nahezu unmöglich veränderbar.
Bislang ist die Technologie allerdings eher aus der Finanzwelt bekannt. Schnell erfolgreich führte sie 2009 zur Einführung und Verbreitung der sogenannten Kryptowährung Bitcoin. Heute ist sie, umringt von Etherum, Ripple und Co, längst nicht mehr die einzige am Markt. Wie etwa eine Bank ermöglichen solche digitalen Währungen einen Zahlungsverkehr ohne Zentralinstanz. Transaktionen und Kontrolle unterliegen einzig der Verantwortung eines dezentralen Netzwerks. Neben dem Transfer von Kryptowährungen kann insbesondere über Blockchains auch der Austausch aller denkbaren digitalen Inhalte erfolgen. Durch eine Verifizierung von Medieninhalten in einer Blockchain könnte so theoretisch auch der Sektor Journalismus und Medien demokratischer, transparenter, glaubwürdiger und unabhängiger gemacht werden. Ein direkter und transparenter Austausch über Blockchains könnte jedoch ebenso Einfluss auf gesellschaftliche und politische Abstimmungsprozesse nehmen. Ohne menschliches Zutun könnten so Wahlen durch die Selbstregulierung des Systems geschützt vor Betrugsversuchen stattfinden.
Die Technologie hat aber auch so ihre Tücken. Denn wie schon erwähnt: Was einmal in einer Blockchain hochgeladen wurde bleibt auch in der Blockchain. Zudem ist nicht belegt, dass Blockchains tatsächlich nicht gehackt werden können. Würde man sich vorstellen, Kinder und Jugendliche würden die Blockchains zum Sharing, Chatten, Tauschen nutzen, ist es fraglich mit welchen Inhalten sie konfrontiert werden. Auch bleiben bislang noch viele rechtliche Fragen offen. Denn durch eine fehlende zentrale Instanz stellt sich die Suche nach einem Verantwortlichen doch recht beschwerlich dar. Außerdem steht aus, welche rechtlichen Regulierungen sich überhaupt durchsetzen lassen. Somit bleibt abzuwarten, inwiefern sie sich tatsächlich als sicher und vertrauenswürdig erweisen.
Tanja Gottsmann: Digitale Bildung – existiert so etwas überhaupt?
Ralf Lankau (2017). Kein Mensch lernt digital. Über den sinnvollen Einsatz neuer Medien im Unterricht. Weinheim: Beltz. 191 S., 24,95 €.
„Kein Mensch lernt oder arbeitet digital.“ Diese provokante These lässt Lankau bereits im Titel verlauten. Damit kritisiert er den weit verbreiteten Ausdruck der „digitalen Bildung“ der beispielsweise als Slogan vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gewählt wird und sich fest in der medienpädagogischen Terminologie etabliert hat. In seinem Band zum sinnvollen Einsatz digitaler Medien im Unterricht konstatiert Lankau, dass lernen und arbeiten zwar mit oder an digitalen Geräten und neuen Technologien stattfindet, dies allerdings immer als Mensch erfolgt. Demnach haben humane Komponenten einen erheblichen Einfluss auf unsere Lernprozesse und können nicht durch digitale Medien ersetzt werden. In Anbetracht dessen hinterfragt Lankau in seinem Werk kritisch den pädagogischen Nutzen des Einsatzes digitaler Technologien im Unterricht. Die Digitalisierung an Schulen wird dabei unter Einbezug der zugehörigen Akteure betrachtet. Treibende Kräfte für das Voranschreiten der „digitalen Bildung“ seien neben wissenschaftlichen und politischen Vertreterinnen und Vertretern auch Stiftungen, Wirtschafts- und Lobbyistenverbände.
Der Band ist in neun Kapitel untergliedert. Im ersten Kapitel steht der aktuelle Diskurs über digitale Medien im Unterricht im Fokus. Es werden Modelle und Konzepte vorgestellt, die auf die Standardisierung und Automatisierung des Unterrichts abheben. Ziel sei allerdings nicht, dass die Lehrkräfte digitale Medien nach pädagogischen Prämissen in den Unterricht einbringen. Vielmehr würden sie ein isoliertes und individuelles Arbeiten an Lernstationen anstreben. Lankau formuliert drastisch, dass Schulen auf diese Weise zu „digitalen Lernfabriken“ verkämen, in denen Schülerinnen und Schüler durch Lernsoftware „zugerichtet“ würden.
In Anlehnung an Piaget werden im zweiten Kapitel elementare Lernprozesse erläutert. Kognitive und motorische Fähigkeiten können demnach in schlüssiger Weise nur in einem altersgerechten Lernumfeld entwickelt werden. Daran anschließend gibt der Autor einen kurzen Abriss zur Geschichte der Digitaltechnik. Im Kontext von gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Theorien wird die technische Entwicklung von Internet und Computern betrachtet und sich auf das „Internet der Dinge“ und das Gefährdungspotenzial durch gesammelte und gehackte Daten bezogen. Überleitend zu den Themen Cybersicherheit und Datenschutz kommt Lankau zu dem resoluten, für ihn aber unausweichlichen Schluss, Digitaltechnik sei ein Synonym für Steuerung und Kontrolle, da alle Aktionen abgespeichert und protokolliert werden. Er bezieht sich insbesondere auf den permanenten Rücklaufkanal, bei dem alle medialen Aktionen, kommunizierten Inhalte und Verbindungsdaten von den Anbietern und Providern abgespeichert werden. Dies ermögliche auch bei Learning Analytics und E-Learning- Tools das Datensammeln und die Profilierung von Minderjährigen und stelle einen besonders einschneidenden Verlust der Kontrolle dar. So müsse „Unterricht und Schule […] vom Menschen her gedacht werden“, wie der Autor bereits in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung konstatierte. Berechtigterweise wirft Lankau ein, dass für den Gebrauch neuer Medientechniken an Schulen zuerst valide pädagogische Konzepte
benötigt werden. Die am 25. Mai 2018 in Kraft getretene Europäische Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO), die personenbezogene Daten schützen soll, widerspreche jedoch dem Lernverhalten von Schülerinnen und Schülern, da Datenspeicherung innerhalb der Nutzung digitaler Technologien nicht zu verhindern sei, müssten Schulen zumindest vom öffentlichen Netz genommen werden bis eine datenschutzrechtliche Lösung gefunden worden sei. Der Autor schärft den Blick für die Risiken durch die Integration von digitalen Medien an Bildungseinrichtungen. Es gilt, sensibler im Umgang mit personenbezogenen Daten Minderjähriger zu verfahren. Dennoch wirft die Positionierung zur Unterbindung des Zugangs zu öffentlichen Netzwerken an Schulen mehr Fragen auf als sie Antworten gibt. Wie sollen Kinder zu einer mündigen Partizipation im Netz befähigt werden, wenn kein betreuter Zugang gewährleistet ist? Kann ein kompetenter und kritischer Umgang mit digitalen Medien von ihnen erwartet werden ohne, dass dieser zunächst in der Schule erprobt und erlernt wird?
In Kapitel 5 behandelt der Autor die Potenziale und Probleme von Medien im Unterricht und stellt die Frage nach sinnvollen Inhalten, Altersbegrenzungen und didaktischen Konzepten. Aufgrund mangelnder Studienbelege zum positiven Nutzen neuer Medien für die Schülerschaft stellt er schließlich die Behauptung auf: Analog ist immer besser. Gerade in Kitas und Grundschulen sollen demnach lediglich die klassischen Medien thematisiert werden. Erst danach könnten digitale Werkzeuge anknüpfen – obwohl etwa die KIM-Studie 2016 andere Befunde aufwies. Hiernach zählen sich bereits über die Hälfte der Grundschulkinder zu den Computernutzenden und die selbst angeeigneten Medienkompetenzen übersteigen häufig die in der Schule vermittelten. Allerdings bedeutet dies nicht, dass ein wünschenswerter kritischer Umgang mit den Medien stattfindet. Gerade deshalb ist fraglich, ob dem Autor in Hinblick darauf, Kindern den Umgang mit digitalen Medien allein zu überlassen, gefolgt werden sollte.
Im sechsten Kapitel unterzieht Lankau Deutschland bezüglich des Einsatzes digitaler Medien einem Faktencheck, bevor er im Anschluss daran drei Zukunftsszenarien zum digitalen Lernen entwirft, wobei er in zwei Dystopien unterteilt – den asiatischen Weg unter dem Titel „Drill als Lebenselixier“ und den amerikanischen der sozialen Spaltung –, neben denen die europäische Variante der Aufklärung als einzig richtige Option erscheint.
Schließlich formuliert Lankau konkrete Empfehlungen, Ratschläge und Forderungen für den medialen Unterricht, bei denen seine recht konservative Haltung zu Tage tritt. Trotz einiger diskutabler Standpunkte ist seine Hauptdevise, die Didaktik stehe immer vor der Technik, nicht zu verkennen. Digitale Medien sollten demnach ein Hilfsmittel oder Lerninhalt bleiben, und Lehrkräfte sich auf ihren fachlichen und pädagogischen Auftrag besinnen.
Die Frage nach dem richtigen Maß an digitalen Medien wird wohl auch zukünftig für Kopfschmerzen sorgen. Es bedarf weiterer Forschung zu Auswirkungen von neuen Technologien im Schulkontext. Lankau bietet hierfür Ansätze, die es zu überprüfen gilt. Er zeigt Risiken und Gefahren besonders im datenschutzrechtlichen Bereich auf, die es sowohl in pädagogischen Einrichtungen als auch bei Eltern zu beachten gibt und regt mit seinen polarisierenden Aussagen zum Nachdenken an.
Tanja Gottsmann ist studentische Hilfskraft in der medienpädagogischen Forschung am JFF. Sie studiert derzeit Medienforschung, Medienpraxis an der Technischen Universität Dresden.
Stark, Birgit/Magin, Melanie/Jürgens, Pascal (2017). Ganz meine Meinung? Informationsintermediäre und Mei-nungsbildung – Eine Mehrmethoden¬studie am Beispiel von Facebook. Bd. 55. Düsseldorf: Landesanstalt für Me-dien Nordrhein-Westfalen (LfM). 259 S. kos
Algorithmen nehmen Einfluss darauf, welche Inhalte Nutzerinnen und Nutzern auf ihren sozialen Netzwerken begegnen. Doch wie wirken sich diese Selektionsmechanismen auf den Meinungsbildungsprozess aus? In ihrer Studie Ganz meine Meinung? gehen Stark, Magin und Jürgens der Frage nach, wie soziale Netzwerke als Informationsübermittler (Intermediäre) fungieren und welche Meinungsbildungsrelevanz von ihnen ausgeht.
Untersucht werden mögliche Einflüsse der Netzwerkplattform Facebook auf die Rezeption politischer Themen hinsichtlich Meinungsvermittlung, Themenwahrnehmung und Meinungsbildung unter der deutschen Nutzerschaft zwischen 14 und 69 Jahren. Darüber hinaus werden Chancen und Risiken der Filtermechanismen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene betrachtet und zudem Phänomene wie Fragmentierung, Filterblasen und Echokammern unter die Lupe genommen. Die Grundlagenstudie bedient sich sowohl quantitativer als auch qualitativen Methoden. Dabei werden nicht nur Nutzende untereinander verglichen, sondern auch deren Qualitätseinschätzung von Nachrichtenrezeption im Verhältnis von traditionellen Massenmedien zu Facebook. Die Untersuchung mündet in einen Maßnahmenkatalog, der sowohl Empfehlungen für die Nutzenden, Forderungen an Gesetzgeber und klassische Massenmedien sowie Handlungsanweisungen für Facebook selbst präsentiert.
Zudem werden Denkanstöße geliefert, wie diese Akteure zur digitalen Aufklärung über Algorithmen beitragen können und müssen. Allerdings bleiben Fragen – beispielsweise nach medienpolitischen Regulierungsmaßnahmen – ungeklärt. Wo endet die Meinungsfreiheit und wann sollte der Gesetzgeber regulierend eingreifen? Die Studie bietet im methodischen Bereich grundlegende Ansätze für weitere Untersuchungen zu Informationsintermediären. Durch ihr vielschichtiges Methodendesign gibt sie Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern Impulse zur Erweiterung der qualitativen Daten mit Hilfe quantitativer Forschung. Für die medienpädagogische Forschung eröffnet sich zudem ein Blick auf andere soziale Netzwerke, die von Jugendlichen inzwischen häufiger als Facebook genutzt werden.
tg
Stegbauer, Christian (2018). Shitstorms. Der Zusammenprall digitaler Kulturen. Wiesbaden: Springer. 175 S., 19,99 €.
Schmähungen und Unflätigkeiten in Form von massenhaften Protesten sind in der digitalen Welt keine Seltenheit. Denn auch im Internet werden alle Meinungen abgebildet – auch extreme Positionen. Nutzerinnen und Nutzer finden sich so in ihrem Denken oft bestätigt.
In seinem Band Shitstorms – Der Zusammenprall digitaler Kulturen geht Stegbauer insbesondere auf den Begriff der Kulturen ein und beschreibt anschaulich deren Entstehungsprozesse sowie das Phänomen von Kulturkonflikten im Internet. Dabei beruft er sich auf sozialwissenschaftliche Theorien, Begriffe und empirische Daten. Theorien, wie die der Echokammern und der Schweigespirale werden aufgegriffen und für die Erklärung von Kulturkonflikten herangezogen. Für Einsteigerinnen und Einsteiger in den Fachbereich der Sozialwissenschaft werden Begriffe, wie der der Filterblase verständlich erklärt. Unter Einbeziehung von Medienwirkmechanismen erläutert der Autor zudem, weshalb das Internet zur idealen Plattform für Shitstorms geworden ist. Ferner geht er auf grundlegende Strukturbedingungen des Phänomens ein und trägt Reaktionsmöglichkeiten und deren Konsequenzen zusammen.
Der Band bietet einen fundierten und leicht verständlichen Überblick über die Entstehung von Kulturkonflikten im Internet. Wünschenswert wären Denkanstöße und Lösungsvorschläge in Bezug auf solche Kulturkonflikte. Die Publikation eignet sich sowohl für sozialwissenschaftlich interessierte Leserinnen und Leser als auch für Einsteigerinnen und Einsteiger in das Fachgebiet. Mit Blick auf die Medienpädagogik können Anknüpfungspunkte zu Jugendkulturen im Netz gefunden und damit künftig Hinweise gegeben werden, wie Kinder und Jugendliche angemessen vor Shitstorms geschützt werden können. Stegbauers Werk bietet sowohl Forschenden als auch Einsteigenden eine fundierte Orientierungshilfe zu den im Internet auftretenden Effekten und Bedingungen, die zu einem Shitstorm führen können.
tg