Riccarda Groß-Possin
Beiträge in merz
Riccarda Groß-Possin: DU bist perfekt!
‚Was ist deine Behinderung? Wovor hast du am meisten Angst? Wen liebst du am meisten?‘ Um in Nico von Glasows Theaterstück Alles wird gut mitspielen zu dürfen, müssen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler – ob körperlich bzw. geistig behindert oder nicht – zunächst diesen Fragen stellen und so einen Teil ihres Innersten, ihrer ureigenen Persönlichkeit nach außen kehren. Und genau dies ist auch das Besondere an dem Stück und vor allem an dem Film, der im Laufe seiner Entwicklung entstanden ist und die Proben des Theaterstücks nachzeichnet. Nicht die ‚äußerlich sichtbaren‘ Behinderungen der einzelnen Schauspielerinnen und Schauspieler, nicht ihre großartige Leistung auf der Bühne, sondern vielmehr ihre Echtheit, die feinfühlige Inszenierung der Darstellerinnen und Darsteller zwischen Realität und Spiel, zwischen den Vorgaben des Stücks und ihren ureigenen Besonderheiten, Sehnsüchten und Ängsten reißen das Publikum vom ersten Moment an mit, heben es aus den Sitzen und entführen es in eine Welt voller Träume und Wünsche aber eben auch voller Konflikte.Auch der Inhalt des Stückes erwächst dabei erst nach und nach aus den Charakteren des Ensembles heraus. Lediglich das Setting steht zu Beginn der Proben fest: Ein Casting soll es sein. Ein Casting, bei dem sich eben auch Menschen mit Behinderung präsentieren möchten, um mit ihrer Stimme das Publikum zu begeistern. Doch aus versicherungstechnischen Gründen werden alle Bewerberinnen und Bewerber mit Behinderung in einen separaten Raum geführt, um dort auf ihren Auftritt zu warten. Zum großen Auftritt kommt es aber nicht – zumindest nicht so, wie beabsichtigt – denn der Raum mit seinen besonderen Talenten wird von der Casting-Leitung schlichtweg vergessen. So verbringen die Wartenden einen Tag voller Hoffen und Zweifeln miteinander, es kommt zu schüchternen Annäherungsversuchen und zu gereizten Streitereien, während die Anspannung beim Warten auf den großen Auftritt immer weiter steigt.
Die einzelnen Charaktere entstanden aus der Improvisation und aus den Gesprächen mit den Schauspielerinnen und Schauspielern heraus und beziehen somit auch deren ‚wahre‘ Bedürfnisse, Gefühle und Ängste mit ein. Dies hält bei den Proben mitunter reichlich Konfliktstoff bereit und führt die Frauen und Männer nicht selten bis an die eigenen Grenzen. Aber auch diese Konflikte werden im Film nicht ausgespart, sondern mit der Kamera eingefangen. So kann der Zuschauer mitverfolgen, wie das Theaterstück wächst, Probleme ausdiskutiert werden und Freundschaften entstehen, sich aber auch scheinbar unüberwindbare Barrieren auftun. Gerade das Zusammenspiel von behinderten und nicht behinderten Schauspielerinnen und Schauspielern stellte hier eine große Herausforderung dar, die aber gut gemeistert wurde – gerade weil diese Konflikte nicht unter den Teppich gekehrt werden.Der Kinobesucher wird dabei den unterschiedlichsten Emotionen ausgesetzt und erlebt Momente, die zu schallendem Gelächter aufrufen, oder so sehr berühren, dass die Tränen in die Augen steigen. Ganz sensibel wird dabei auf die einzelnen Persönlichkeiten eingegangen und schon bald verwischen die Grenzen zwischen Schauspiel und Realität. War man zunächst noch interessiert am Inklusionsgedanken des Stücks, so tritt dies schnell in den Hintergrund und man fragt sich bald, warum ‚Inklusion‘ überhaupt ein Thema ist, über das gesprochen wird, ja gesprochen werden muss, wo doch das gemeinsame Spielen, Lachen und Streiten so einfach und natürlich ist.
Ein Theaterstück mit möglichst vielen behinderten Menschen inszenieren – das war die Aufgabe vor die sich Nico von Glasow gestellt sah. Herausgekommen ist dabei aber viel mehr: Ein Theaterstück, das zeigt, dass jeder Mensch Eigenschaften besitzt oder sich vor mentale Schranken gestellt sieht, die ihn behindern – und dass jeder Mensch, ob mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung oder medizinisch ‚gesund‘, besondere Bedürfnisse hat, die es zu erfüllen gilt, um glücklich zu werden. Und ein Film, der einen ganz besonderen Prozess nachzeichnet – die Entstehung eines Theaterstücks, aber auch die Portraits ganz unterschiedlicher Menschen, die sich bei genauem Hinsehen doch ähnlicher sind als zunächst angenommen.
Alles wird gut
Deutschland (2012)
Buch und Regie: Niko von Glasow
Darsteller: Jana Zöll, Mirco Monshausen, Oliver Grice, Jan Dziobek, Bettina Mickenhaupt, Leslie Ann Mader, Milena Güleryüz, Nico Randel, Manon Wetzel, Christina Zajber, Annika Reinicke, Christiane Grieb, Sofia Plich, Marvin Fuchs
Riccarda Groß-Possin: stichwort Social TV
Noch immer ist Fernsehen die beliebteste mediale Tätigkeit in Deutschland. Da verwundert es nicht, dass sich die Fernsehgeräte in den Wohnzimmern zu immer größeren technischen Wunderwerken entwickeln und mittlerweile – was Bildqualität, Energieeffizienz und Größe betrifft – kaum mehr Optimierungsbedarf besteht. Und so gibt es nun statt bei den Geräten bei der Handhabung neue Ideen: Social TV, Second Screen oder auch Social Entertainment. Dabei handelt es sich um die soziale Einbindung des Publikums in das Geschehen hinter dem Bildschirm. Der Konsument bzw. die Konsumentin soll sich nicht mehr zurücklehnen und abschalten, sondern sich aktiv in das Programm einbringen. Technisch sind die Mittel dafür bereits gegeben – ob via Smartphone, Laptop oder direkt über das internetfähige Fernsehgerät ist der Kontakt zur aktuell rezipierten Fernsehshow schnell hergestellt.
Und damit nicht genug, arbeitet das Fraunhofer Institut – wie erst im September auf der IFA 2012 vorgestellt – an einer Reihe neuer Entwicklungen, wie geräte- und herstellerübergreifenden Apps, die die Bedienung des Fernsehgerätes über das Smartphone oder den Tablet-PC via Bewegungen mit den mobilen Geräten ermöglichen oder eine individuelle Programzusammenstellung auf Basis der eigenen Vorlieben gestatten. Auch Google möchte mit diesem Angebot auf der Erfolgsspur weiterfahren und hat nun nach dem etwas schleppendem Start in den USA auch in Deutschland Google TV auf den Markt gebracht, das Internetangebote, Apps und Fernsehen in einem Gerät verbinden soll.Inhaltlich sind ebenfalls bereits einige mehr oder weniger weitreichende Ideen für eine soziale Einbindung des Publikums vorhanden. Diese reichen von schlichten Livechats während einzelner Unterhaltungsformate über Apps zur Sendung bis hin zu interaktiven Handlungsaufforderungen, die Zuschauerinnen und Zuschauer aktiv an der Gestaltung der Sendung beteiligen.
Ein recht erfolgreiches Beispiel ist der vor einigen Monaten erstmals ausgestrahlte Tatort plus, bei dem das Publikum via Internet nach dem Täter fahnden konnte. Oft werden hier die technischen Möglichkeiten allerdings nur unzureichend ausgeschöpft und es bleibt abzuwarten, wie mutig die Fernsehmacherinnen und -macher künftig ihre Social TV-Bemühungen vorantreiben – und wie dies vom Publikum angenommen wird.