Michael Haller
Beiträge in merz
Peter Christian Hall (Hg.): Krieg mit Bildern - Wie Fernsehen Wirklichkeit konstruiert
Hall, Peter Christian (Hg.): Kreig mit Bildern - Wie Fernsehen Wirklichkeit konstruiert. ZDF Mainz, 2001, EUR 12,70
Der Autor hat einen Dokumentationsbandvorgelegt, der gerade aufgrund der intensiven Diskussion über Deutschland Haltung gegenüber dem Krieg in Afghanistan eine besondere Bedeutung gewinnt. Im Mittelpunkt der Beiträge stehen Positionen und Analysen über Deutschlands Engagement im Kosovo-Krieg, sowie die Haltung der Medien in Kriegssituationen. Tragen sie dazu bei, dass sie als Teil militärischer Überlegungen als Propaganda eingesetzt werden? In anderen Worten: Kann die Präsentation der Bilder - gewollt oder ungewollt - dazu beitragen, eine ganz bestimmte militärische Intention zu unterstützen oder ihr auch zu widersprechen?Sehr aufschlussreich sind der Kommentar und die Überlegungen des Verteidigungsministers Rudolf Scharping, der einem äusserst kritischen Publikum die Position der deutschen Beteiligung am Kosovo-Militäreinsatz darlegt und darzustellen versucht, warum es für ihn keine Alternative gab.
In der Tat waren uns alle Bilder über die Gräueltaten dort bekannt, und die Frage wird vermutlich nie über zeugend beantwortet werden können, ob die Nato früher hätte intervenieren müssen.An den Beiträgen des Filmemachers Marcel Ophüls und des Schriftstellers Pavel Kohout wird deutlich, dass von einer Diktatur betroffene und verfolgte Menschen ganz anders auf diktatorische, menschenverachtende Regime reagieren, weil sie selbst Opfer waren, als ein Kritiker, der jede militärische Intervention ablehnt und auf die überzeugende Wirkung des Dialogs hofft. Eine pazifistische Position verändert sich mit der Nähe zum Massaker. Wer die Opfer gesehen hat oder selbst zu ihnen gehörrt, wer erfahren hat, was es bedeutet, hilflos einer brutalen Macht rücksichtslos ausgesetzt zu sein, wird in seinen Gefühlen so gelähmt, dass er notwendigerweise jede Form von Diktatur bekämpfen muss, weil er nur so sich und seine Psyche beruhigen kann.Mit kritisch-analytischem Blick untersucht Medienwissenschaftler Karl Prümm politische Sendungen von ARD und ZDF (leider nur eine Sendung von RTL) und kommt zu dem Schluss, dass mit der Auswahl der Bilder und einem entsprechenden Text das Fernsehen die Politik der Regierung und damit der Nato - Politik unterstützt und den Zuschauer eingestimmt hat.
Diese Deutung ist gewiss nicht falsch, allerdings sind alle Beiträge sehr kurz (maximal 5 Minuten ) haben in dieser Kürze und als spontane Bildkonstruktion auf den Zuschauer nicht jene propagandistische Wirkung, die der Kritiker annimmt, zumal nicht mit vordergründigen Emotionen gearbeitet wurde. Zudem müsste seine Kritik an der Nato-Politik expliziter sein. Der Hinweis, dass die Redaktionen keine "originellen Perspektiven, überrschende Sichtweisen" gewonnen haben, geht ins Leere, denn Prümm verkennt zu sehr die begrenzten Voraussetzungen der Fernsehproduktion. Natürlich kann ein Bericht in der Tageszeitung viel ausführlicher sein, weil das Bild, wenn es zu einer Dokumentation führen soll, gar nicht unmittelbar oder spontan eingesetzt werden kann. Eine Lektüre der Dokumentation lohnt sich, denn die unterschieldichen Einschätzungen und Positionen klären den eigenen Blick über politische Geschehen, mit denen wir dank der Bilder - und auch des Überflusses an Bildern - täglich konfrontiert werden.
Michael Haller: Der Journalismus: Rollenspieler im Medien-Theater
Wenn in der Mediengesellschaft von Journalismus die Rede ist, dann geht es in erster Linie um den Bedarf nach Orientierung: Die journalistischen Medien – darüber besteht zwischen Mediennutzern und Medienmachern weithin Konsens – haben zur Aufgabe, die Gesellschaft über das aktuelle Geschehen, so weit von allgemeinem Interesse, zu orientieren. In dieser Umschreibung fehlt das Wort Informationen. Bislang wurde es als Kern und Inhalt journalistischer Vermittlung gesehen und systemtheoretisch begründet. Natürlich geht es, wenn von Orientierung die Rede ist, auch um Information, d.h. um Aussagen über Vorgänge in der Realität, die zutreffend sein sollen.
Der Unterschied zur bedeutsam gewordenen Orientierungsfunktion ist folgender: Informationen können, , auch wenn sie zutreffen, also wahr sind, das Geschehene keineswegs verstehbar machen. Was haben die Fernsehzuschauer angesichts der Videobilder des 11. September vom Ereigniszusammenhang jener Katastrophe verstanden? Es waren Puzzlestücke, die erst zu einem Bild zusammenzusetzen waren und wohl noch immer – mehr als ein Jahr später – zusammenzusetzen sind. In der sich globalisierenden Mediengesellschaft ist das Zusammenbauen solcher Informationen nicht einfach. Selbst die unmittelbaren Geschehensabläufe sind transkulturell, gehören also unterschiedlichen Sinnkontexten an, die sich nicht über faktische Informationen erschließen lassen.
Doch der Zusammenbau fällt umso leichter, je mehr sich Journalisten und Rezipienten an ihren Vor-Bildern und –Urteilen orientieren. Jedes Puzzle fügt sich so in den einen, den schon bekannten Sinnkontext. Und je weniger Bausteine man zur Verfügung hat, desto stärker wirkt die Ordnungskraft des Vorurteils in unseren Köpfen. Die bedeutet, dass oftmals Orientierung nur vorgegeben, nur inszeniert wird – tatsächlich aber die überkommenen Selbst- und Fremdbilder als Klischées reproduziert, auch inszeniert werden: Selbstmörderische Palästinenser rund um Israel, Warlords in Afghanistan, fanatisch-durchgeknallte Tschertschenen...( merz 2002/06, S. 370 - 373 )