Laura Handlos
Beiträge in merz
Laura Handlos: Von Rittern und Burgen
Das Mittelalter mit seinen Burgen, dem Minnegesang und vor allem den Rittern übt eine große Faszination aus. Und das nicht nur auf Kinder, wie gut besuchte Ritterspiele und -turniere wie etwa im bayerischen Kaltenberg jedes Jahr aufs Neue zeigen. Doch wie war das eigentlich genau, das Ritterleben? Das Computerspiel Abenteuer Zeitmaschine – Anni und Fred bei den Rittern verspricht hier einen Blick hinter die Burgmauern, in die Kerker und natürlich auf den Übungsplatz, auf dem sich die wackeren Recken auf die Turniere um die Hand einer schönen Prinzessin vorbereiten. Die Kinder Anni und Fred, beide nicht auf den Mund gefallen und schon fast naseweis zu nennen, wollen auch wissen, wie es bei den Rittern und Burgfräulein tatsächlich zugegangen ist und begeben sich in der Zeitmaschine des Onkels kurzerhand auf eine Zeitreise. Kaum auf dem mittelalterlichen Burghof gelandet gibt die Zeitmaschine allerdings den Geist auf und die Suche nach den Ersatzteilen beginnt. Doch wo einen Fön hernehmen und was eignet sich als Ersatz für die kaputte Glühbirne?
Die jungen Spielerinnen und Spieler begeben sich nun zusammen mit Anni und Fred auf die Suche. Die Spielf iguren lassen sich mit der Maus steuern und so geht es vom Burghof hinein in die Burg, in die Burgküche, den Garten oder auch in den Kerker. Bald sind die ersten geeigneten Ersatzteile gefunden – doch die rücken die Besitzerinnen und Besitzer meist erst dann raus, wenn man erfolgreich kleine Spiele absolviert hat. So muss der Burgbesitzer erst für das Ritterturnier trainiert, die eigene Geschicklichkeit im Armbrustschießen bewiesen oder der Weg durch das Kellerlabyrinth gefunden werden. Die Spiel-Geschichte, vom Hersteller als geeignet für Kinder ab fünf Jahren angepriesen, lässt sich leicht und problemlos installieren und ist sowohl für Windows wie auch für Mac geeignet. Grafisch recht liebevoll gestaltet, wenn auch die Burgdame und die Magd einen etwas weiblicheren Look gut vertragen hätten, vermittelt das Abenteuer um die beiden Protagonisten Anni und Fred durchaus Wissenswertes über die Ritterzeit, allerdings sind die Texte häufig leicht gestelzt und von Anni und Fred oberlehrerhaft vorgetragen, so dass bezweifelt werden darf, dass Fünfjährige hier auf ihre Kosten kommen. Zwar wird Abenteuer Zeitmaschine als „Spiel-Geschichte“ angekündigt, so dass klar ist, dass das Spielen lediglich einen Teil der CD-Rom ausmacht, aber die Unterhaltungen und Erzählungen der Figuren ziehen sich bisweilen derart, dass den jungen Spielerinnen und Spielern der Spaß abhanden kommen könnte, noch bevor sie selbst aktiv werden können.
Sind die Unterhaltungen beendet, kann man die F iguren per Mausklick durch die Burg lotsen und nach Ersatzteilen suchen. Einzelne Gegenstände können angeklickt werden, und auch wenn sie nicht als Ersatzteil taugen, so wird anhand der Gegenstände erklärt, wie etwa ein Katapult funktioniert oder worum in Ritterturnieren gekämpft wurde. Was für Teile für die Reparatur der Zeitmaschine gebraucht werden wird in einer Grafik am unteren Spielfeldrand angezeigt, so dass gezieltes Suchen möglich ist. Hier müssen die Spielerinnen und Spieler auch schon mal um die Ecke denken – statt eines Föns ist der Blasebalg geeignet, und hat man gerade kein Zahnrad zur Hand, könnte der Schmied doch aus der Säge eines machen! Was also durchaus Kombinationsgabe erfordert und zum Knobeln anregt, hat aber auch einen Haken. Denn das Spiel erweist sich hier als schwerfällig. Hat man zum Beispiel den benötigten Blasebalg gefunden, so muss man diesen mehrmals anklicken, bevor Anni und Fred auf den Gedanken kommen, den Blasebalg durch ein Spiel mit der Burgdame zu gewinnen. Bei einigen Gegenständen bedarf es also großer Hartnäckigkeit seitens der jungen Spielerinnen und Spieler, was anstatt zu Spielspaß eher zu Frustration führen dürfte.
Die Spiele selbst sind dann aber mit kleinen Ausnahmen durchaus unterhaltsam und jeweils in zwei Schwierigkeitsstufen verfügbar, so dass auch die jüngeren oder in Sachen Computer noch unerfahrenen Spielerinnen und Spieler gute Erfolgschancen haben. Nur das Gänsefangen bildet hier eine fast ärgerliche Ausnahme, da die Steuerung zu schwerfällig ist und die Gänse sich nur schwer in die gewünschte Richtung treiben lassen. „Wie im richtigen Leben“ könnte man nun argumentieren, aber dennoch bleibt der Spaß gerade für junge Spielerinnen und Spieler, die motorisch noch Probleme mit der Maus haben, zumindest bei den ersten Versuchen auf der Strecke. Insgesamt ist Abenteuer Zeitmaschine wohl eher für ältere Grundschulkinder geeignet, die bereits einige Erfahrung in Sachen Computer gesammelt haben. Diese werden auch die Texte besser verstehen und das Quiz, in dem es zum Teil recht knifflige Fragen über das Mittelalter zu beantworten gilt, auch in Bezug auf ihre Lesefähigkeit meistern können. Zwar verfolgt das Spiel eine nette Idee, allerdings ist oft gerade die Steuerung nicht ausgereift und die Figuren sind zum Teil so schwerfällig, dass es einiges an Durchhaltevermögen braucht, um alle zehn Ersatzteile zu finden. Wer das Spiel aber eher der erzählten Geschichte und der Fakten über das Ritterleben wegen nutzt, kann trotz einiger technischen Unsauberkeiten seinen Spaß haben.
Laura Handlos: Lust auf Kino?
Von Norwegen über Serbien, Polen, Deutschland und Frankreich nach Indien, Japan und Nepal – das Kinderfilmfest, das parallel zum Filmfest München vom 25. Juni bis zum 3. Juli 2010 stattfand, bot auch in diesem Jahr eine facettenreiche Auswahl an nationalen und internationalen Produktionen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Während die Filme aus Indien und Nepal die Zuschauerinnen und Zuschauer in die zum Teil recht harte Realität der jeweiligen Länder entführten und sich dabei nahezu dokumentarischer Mittel bedienten, erschufen die meisten Beiträge aus den westlichen Ländern eine bunte Fantasiewelt, in der magische Stühle Wünsche erfüllen, ein sprechender Ast zum besten Freund wird und das Sandmännchen Abenteuer im Traumland erlebt. Der Kontrast könnte also kaum größer sein und doch macht gerade diese Mischung das Programm des Kinderfilmfests für junge und auch ältere Besucherinnen und Besucher so reizvoll. So können in der polnischen Produktion Der magische Baum nicht nur die vielen Kinder, sondern auch die anwesenden Erwachsenen herzhaft über die Kapriolen des roten Stuhls lachen, der, aus dem Holz einer magischen Eiche gefertigt, Wünsche erfüllen kann.
„Super Sache, so ein Stuhl“, mag so mancher im Vorführraum gedacht haben, doch so leicht und wunderbar wie gedacht, klappt auch das mit dem Wünschen nicht immer. Das stellen auch die drei Geschwister im Film fest. Gerade ist ihnen der rote Stuhl quasi zufällig auf das Dach des Familienautosgefallen und der jüngste Spross, der drollige Kuki, nimmt den Stuhl kurzerhand mit auf das Konzert seiner Eltern auf einem Straßenfest. Die klassischen Musiker sind ständig blank, und so ist jede Gelegenheit recht, um mit der geliebten Musik etwas dazu zu verdienen. Hier zeigt der Stuhl dann auch das erste Mal seine Zauberkraft, als Handwerker, die mit ihrem Lärm das Spiel der Eltern stören, wie von Kuki gewünscht nahezu fluchtartig das Weite suchen. Schlag auf Schlag erfüllen sich nun die Wünsche des Familienmitglieds, das auf dem Stuhl Platz genommen hat. Da wird Pizza geliefert und ein lukrativer Job für die Eltern an Land gezogen – doch genau da hat die Sache mit dem Wünschen einen Haken.
Denn der Job mag zwar lukrativ sein, doch wie sollen die Eltern ein Jahr lang an Bord eines Kreuzfahrtschiffs musizieren, ohne die Kinder mitzunehmen? Natürlich ist der Vorschlag der von den Kindern ungeliebten Tante, die Kinder so lange bei sich aufzunehmen, für die Eltern undiskutabel. Bis die Tante auf dem Stuhl sitzt und sich wünscht, ihre Schwester möge endlich vernünftig sein und das Angebot annehmen. Schnell sind nun die Koffer gepackt, die Kinder bei der Tante untergestellt, und für die beginnt nun eine rasante Jagd nach dem zaubernden Stuhl, der als einziger die Situation retten kann. Doch die Kraft des Stuhls ist begrenzt und die Eltern sind zu weit entfernt, als dass man sie einfach herbeiwünschen könnte. Also machen sich die Kinder in Begleitung der aus Versehen geschrumpften Tante auf den Weg, um das Schiff noch rechtzeitig zu erreichen ...
Vor der Familienzusammenführung stehen allerdings einige Abenteuer und knifflige Situationen, die es zu bewältigen gilt. Und am Ende zählt doch nur, wieder vereint zu sein. Die Mischung aus ‚Magie‘ und realen Problemen wie der angespannten finanziellen Situation der Eltern und deren Versagensängste kommt bei den Kindern gut an. Die witzigen Dialoge und misslungenen Wünsche bringen die jungen Zuseherinnen und Zuseher ebenso zum Lachen wie die Kunststücke des Stuhls, der hüpft, tanzt, dem Bösewicht, der die Kinder verfolgt, entkommt und sogar auf einem Roller fährt. So drehte sich das anschließende Gespräch des Regisseurs Andrzej Maleszka mit dem Publikum auch vor allem um die Special Effects, die bei den jungen Filmfans einige Begeisterung ausgelöst haben. Dem Regisseur gelingt es aber auch, die Kinder mit seiner eigenen Begeisterung für den Film anzustecken und in einem rasch improvisierten Workshop angehenden Jungschauspielerinnen und -schauspielern die Grundlagen der Schauspielerei näher zu bringen.Weniger zum Lachen als zum Nachdenken gebracht hat das junge Publikum der indische Film Harun – Arun, der von dem Jungen Harun erzählt, der mit seinem Großvater das Dorf in Pakistan verlässt, um in das eigentliche Heimatdorf des Alten nach Indien zu gehen. Um an der Grenze nicht gefangen zu werden, trennt sich der Großvater von Harun. Doch bevor er den Jungen alleine in das Dorf weiterziehen lässt, gibt er ihm einen Brief an einen alten Freund mit, an den sich Harun wenden soll, sowie eine alte Medaille, anhand derer der Freund den Jungen als den Enkel des Alten erkennen wird. Denn der Freund trägt die gleiche Medaille, die die beiden Männer vor der Vertreibung des Großvaters aus dem Dorf bei einem Seifenkistenrennen gewonnen haben. Während der Großvater die patrouillierenden Polizisten an der Grenze ablenkt, macht sich Harun alleine auf den Weg in das Heimatdorf seines Großvaters. Doch er bekommt Fieber und wird von drei Kindern aufgegriffen, die ihn kurzer Hand im Kuhstall verstecken und gesund pflegen.
Es dauert nicht lange und die Mutter der drei kommthinter das Geheimnis und nimmt den Jungen auf, der in Indien aber Arun genannt wird, das moslemische Harun kommt den Kindern gar zu fremd vor. Der Name, der in beiden Ländern anders ausgesprochen wird, wird zum Symbol für die Trennung der Länder, die verschiedenen Religionen, die in den Ländern das Leben bestimmen und die Grenze in den Köpfen mancher Dorfbewohnerinnen und -bewohner, die den fremden Jungen argwöhnisch beäugen. Dieser komische Junge soll ein entfernter Verwandter dieser Familie sein? Unmöglich. Der Teppichhändler im Dorf zettelt eine Verschwörung an mit dem Ziel, den Jungen des Dorfes zu verweisen und die Frau zu bestrafen, die ihn aufgenommen hat. Doch durch viel Geschick und die Offenheit der Kinder dem Neuen gegenüber, der eigentlich genau wie sie ist, gelingt es Harun, das Komplott aufzuhalten.
Der Film transportiert auf unaufdringliche Art und Weise und für das junge Publikum sehr anschaulich die Problematik der durch eine künstlich gezogene Grenze seit über 60 Jahren getrennten Länder und zeichnet dabei ein hoffnungsvolles Bild einer besseren Zukunft. Ohne besondere Effekte inszeniert der Regisseur Vinod Ganatra, der sonst hauptsächlich Dokumentarfilme dreht, einen einfühlsamen Film, der zum Nachdenken anregt. Doch dabei ist der Film nie nur ernst, sondern unterhält die Kinder ebenso wie die Erwachsenen. Im Gespräch mit dem Regisseur zeigten sich die Kinder ebenso interessiert an der Heimat des Filmemachers wie am Filmemachen selbst. Mit diesem facettenreichen Programm bietet das Kinderfilmfest viel Unterhaltung, ohne oberflächlich zu sein oder sich den Problemen, mit denen auch Kinder heute immer wieder konfrontiert sind, zu verschließen. Auch die witzigsten Filme enthielten meist einen Hauch Ernst, und die eher problemorientierten Beiträge aus Indien und Nepal wussten dennoch, auch gut zu unterhalten. Ein großes Plus des Kinderfilmfests war es aber sicherlich auch, dass sich die Regisseurinnen und Regisseure meist den Fragen und Anregungen des jungen Publikums stellten. Dadurch entstand eine große Nähe zwischen den Kindern und den Filmemacherinnen und Filmemachern, das junge Publikum fühlte sich ernst genommen und brachte sich begeistert ein. Damit macht das Kinderfilmfest auch vor allem eines – Lust auf Kino.
Laura Handlos: Physik? Ein Kinderspiel!
„Cool, Physik!“ – ein Ausspruch dieser Art dürfte in den Schulen nicht allzu häufig zu vernehmen sein. Denn gerade die sogenannten ‚MINT’-Fächer, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, erfreuen sich häufig bei Schülerinnen und Schülern nicht allzu großer Beliebtheit. Zu trocken der Stoff, zu weit weg von der Lebenswelt der Heranwachsenden, vor allem in niedrigeren Jahrgangsstufen, wird geklagt. Dass das auch anders geht und besonders die Naturwissenschaften in zahlreichen Experimenten auch für Jüngere greibar gemacht werden können, will die Online-Plattform Junior Physics (www.intelinteraktiv.de) zeigen, die Bestandteil der Intel-Bildungsoffensive ist.
Junior Physics, eine nach der Registrierung kostenlos zugängliche Plattform, bietet Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften die Möglichkeit, in verschiedenen kleinen Experimenten die Welt der Physik zu entdecken und herauszufinden, wie Naturwissenschaften funktionieren. Zum Start der Plattform Ende März 2010 sind derzeit fünf verschiedene Tools verfügbar, die sich etwa mit der Spiegelung von Licht durch Planspiegel, der Lichtbrechung durch verschiedene Linsen oder der Funktionsweise von Elektromagneten befassen. Jedes Tool verfolgt ein klar definiertes Ziel, wodurch die Schülerinnen und Schüler die klar strukturierte Herangehensweise an Experimente lernen sollen. Optisch kommt die Plattform recht sachlich und nüchtern daher. In einer Übersicht werden die einzelnen Tools sowie das Ziel der Übung jeweils kurz beschrieben, durch einen Klick auf den Tool-Namen öffnet sich direkt ein eigenes Fenster, in dem das Experiment durchgeführt werden kann. Bevor die Schülerinnen und Schüler nun versuchen können, etwa durch die richtige Drehung der Planspiegel das Licht wie gewünscht zu spiegeln, wird die Funktionsweise des Tools noch einmal in einer anschaulichen Grafik erklärt. Dann kann es auch schon losgehen – ohne zeitliche Beschränkung können sich die Nachwuchsphysikerinnen und -physiker nun an der Fragestellung versuchen und nach Lust und Laune experimentieren.
Grafisch sind die Experimente ansprechend gestaltet, ohne überladen zu wirken. Die einzelnen Experimente zielen auch darauf, den Forschergeist der Kinder zu wecken und ihre Kreativität sowie ihr Vorstellungsvermögen zu schulen. So gilt es herauszufinden, wie weit sich das Gas in einem Ballon ausdehnen muss, damit der Ballon eine Brücke so stützt, dass ein Auto darüber fahren kann, oder wie der Magnetismus eines Krans verändert werden muss, um die geforderte Menge Schrott in den Container zu bewegen. Wenn auch beim Tool zum Thema „Masse und Volumen“, in dem durch Untersuchungen in einem Kriminallabor ein Kriminalfall aufgeklärt werden soll, leider die Möglichkeit fehlt, den Fall tatsächlich zu lösen, erschließen sich in diesen Experimenten den Schülerinnen und Schülern physikalische Phänomene auf spielerische Weise, wie es häufig im Unterricht wünschenswert wäre. Als erste Schule hat eine Grundschule in Dresden die Plattform bereits in den Unterricht integriert – schließlich bietet die Plattform nicht nur wertvolle Anregungen und Ergänzungen für den Physikunterricht, sondern fördert durch die Einbeziehung digitaler Medien auch die Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler. Und damit vielleicht auf in Zukunft den Ausspruch „Cool, Physik!“
Heidi Seyfferth und Laura Handlos: In die Seele gebrannt
„Der Mensch ist aus Stahl, der Panzer nur aus Eisen“ steht an der Innenwand des Panzers geschrieben, in dem die vier jungen Soldaten Yigal, Shmulik, Hertzel und Assi in ihren ersten Kampfeinsatz ziehen. Im Juni 1982, in den ersten Libanon-Krieg. Laut ihrem Kommandanten handelt es sich bei diesem ersten Einsatz um ein „Kinderspiel“, schließlich gilt es lediglich, eine Stadt nach dem Kahlschlag durch die Luftwaffe endgültig zu ‚reinigen’. Erst ab dem Hotel St. Tropez wird aus dem Einsatz ein echter Krieg, so der Kommandant. Und der muss es ja wissen, denken sich die unerfahrenen Soldaten, die in ihrer Militärausbildung bisher nur auf Fässer geschossen haben. Doch auf einmal haben diese ‚Fässer’ Gesichter, Gefühle, Erinnerungen, kurz: ein Leben. Ein Leben opfern, um selbst am Leben zu bleiben – aus dem ‚Kinderspiel’ wird innerhalb von Sekunden bitterer Ernst.
Der israelische Regisseur Samuel Moaz thematisiert seine persönlichen Erfahrungen im ersten Libanon-Krieg, den er mit Anfang 20 als Richtschütze der Panzerbesatzung miterlebt hat. Erst 2007 sah sich der Regisseur in der Lage, diese Erlebnisse in einem Drehbuch zu verarbeiten – Lebanon, der Mitte Juli 2010 in die deutschen Kinos kommt, ist das Ergebnis. Maoz nimmt in diesem Film die Zuschauerinnen und Zuschauer mit in das Innere eines Panzers. Sie sitzen hier auf engstem Raum zusammen mit den vier jungen Soldaten, zwischen leeren 7Up-Dosen, Zigarettenkippen und Phosphorgranaten, deren Einsatz durch geltendes Kriegsrecht verboten ist – weswegen sie als „flammender Rauch“ bezeichnet werden, was einen Einsatz freilich rechtfertigt. Es ist heiß, der Boden ist mit Wasser bedeckt, vermengt mit Urin. Der Panzer setzt sich in Bewegung, die Kamera vibriert im Takt mit dem Dröhnen des Motors, es ist laut. Unerträglich laut. Durch diese ungewöhnliche und einzigartige Perspektive erlebt das Publikum diesen Krieg hautnah. Lediglich durch denSucher des Zielfernrohrs wird die Umgebung wahrgenommen, teils bei Tageslicht, teils auch durch das Nachtsichtgerät in grünlicher Färbung. Das durch die sehr subjektive Perspektive ohnehin sehr intensive Erleben der Handlung wird durch die Kameraführung und die langen Einstellungen noch verstärkt. Im Gegensatz zu der Dramatik des Kriegsgeschehens ist die Kameraführung des Films äußerst ruhig und langsam. Dadurch werden die emotionalen Bildsequenzen nahezu unerträglich lang betont – ein leidendes Tier mit offenem Bauch und beinahe sichtbaren Tränen in den Augen, ein Junge, der gerade seine Familie und die restlichen Dorfbewohnerinnen und -bewohner verlorenhat und eine vollkommen verstörte Frau, deren Mann und die fünfjährige Tochter gerade vor ihren Augen erschossen wurden.
Lebanon ist ein verstörender Film. Wie kaum ein Kriegsdrama schafft er es, den Zuseherinnen und Zusehern die ganze Tragweite eines Krieges nahe zu bringen, ohne politisch Stellung zu beziehen oder sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Im Mittelpunkt stehen die vier Soldaten, deren Leid das Publikum nahezu selbst erlebt – mit jedem Zittern der Hand Shmuliks, der den Abzug drücken muss, mit jedem Blinzeln der Augen, mit dem die Tränen und der Schweiß am Weiterlaufen gehindert werden sollen, zum Teil vergeblich. Damit ist der Film nicht das, was man guten Gewissens als Unterhaltung bezeichnen kann, nichts, das Erholung nach einem harten Arbeitstag verspricht. Man wird das Kino wohl nicht entspannt, sondern aufgewühlt, bewegt und nachdenklich verlassen. Durch die Stärke der Bilder, die nahezu unerträglich langen Einstellungen und den Lärm der Einschläge ist Lebanon für zarte Seelen eine Herausforderung. Allerdings eine, der sich zu stellen lohnt – denn der Film ist damit auch ein Plädoyer gegen den Krieg, egal ob im Libanon, im Irak oder in Afghanistan. Gerade vor dem Hintergrund der nach wie vor nicht beruhigten Situation im Nahen Osten eignet sich Lebanon sicherlich auch für den Einsatz in der Schule, angesichts der Brutalität zwar erst in den älteren Jahrgangsstufen, doch dort dürfte eine Thematisierung im Geschichtsunterricht sowohl für Lehrkräfte als auch für Schülerinnen und Schüler ein Gewinn sein. Denn auch wenn Geschichtsbücher den Kriegsverlauf darlegen mögen, das Gefühl, im Inneren des Panzers unter Beschuss zu stehen, können sie nicht vermitteln. Den Film, der unter anderem mit einem Goldenen Löwen bei den es vergönnt ist, gesund und sicher aus einem Kriegseinsatz heimzukehren“. Denn Kriegserlebnisse, so Maoz, sind ein Leben lang in die Seele eingebrannt. Mit diesem Film sind sie es auch ein wenig in die des Publikums.
Lebanon
Israel 2009Kinostart: 15.07.2010
Regie: Samuel Maoz
Darsteller: Yoav Donat, Italy Tiran, Oshri Cohen, Michael Moshonov, Zohar Strauss, Dudu Tassa, Ashraf Barhom, Reymonde Amsellem
Musik: Nicolas Becker
Laufzeit: 93 min
Freigegeben ab 12 Jahren
Verleih: Senator Film Verleih
Laura Handlos: Wie man ungebetene Gäste vertreibt ...
Ardagh, Philip (2010). Herr Urxl und das Glitzerdings. Übersetzt und gelesen von Harry Rowohlt. Oetinger Audio. ca. 93 Minuten, 13,95 €, ab acht Jahren.Bad Dreckskaff ist auf den ersten Blick keiner dieser Orte, in denen man seine großen Ferien verbringen und mit seinen Freunden Kuchen essen möchte. Bad Dreckskaff ist ganz und gar nicht schön, und ganz und gar nicht einladend. Es ist eine kleine Stadt bevölkert von einer Vielzahl von Exzentrikerinnen und Exzentrikern, die sich nur untereinander an Skurrilität übertreffen. So strickt Specki Gómez etwa gerade an seinem Haus, mit „einem Haufen Wolle und einem Zuschuss von der Stadt“. Bevor die Frage aufkommt, warum dafür Zuschüsse gewährt werden – Specki Gómez ist der Bürgermeister von Bad Dreckskaff und damit auch für die Vergabe von Zuschüssen zuständig. Neben dem Bürgermeister leben noch so einige Gestalten in der Stadt, in der Philip Ardagh’s Geschichte spielt. Da wären zum Beispiel die sieben blonden Nörgel-Schwestern und das Mädchen Yvonne, genannt ‚Ywonne’, die durch einen Zufall zur offiziellen Enteneinsammlerin von Bad Dreckskaff aufgestiegen ist. Diese Aufgabe ist nötig, seit die Mutter der Familie Fuchs nach eigener Aussage durch die Schuld einer Ente durch diepraktische Führerscheinprüfung fiel und nun den Enten Bad Dreckskaffs nach dem Leben trachtet. Und zum Leidwesen der Bewohnerinnen und Bewohner ist da auch Herr Urxl. Der überbietet an Ekelhaftigkeit alle anderen in Bad Dreckskaff. Und das ist wahrlich eine Leistung, die dazu führt, dass man ihn gerne loswerden würde ...Ja, der Brite Philip Ardagh ist kein Freund des ‚Normalen’, Gängigen in der Kinderliteratur.
Und damit ist er mit Harry Rowohlt auf den richtigen Übersetzer getroffen. Nach der Eddie- Dickens-Trilogie – die tatsächlich aus sechs statt den Trilogie-üblichen drei Büchern besteht – entführen Ardagh und Rowohlt nun junge Zuhörerinnen und Zuhörer ab acht Jahren – und vielleicht auch deren Eltern – nach Bad Dreckskaff. Es mag nicht immer alles pädagogisch wertvoll sein, was sich da abspielt. Und auch die Figuren sind auf den ersten Blick kaum realitätsnah und freundlich zu nennen. Doch trotzdem – ein Ausflug in die skurrile Stadt Bad Dreckskaff lohnt sich. Dort steht man vor dem Problem, den ekelerregenden Herrn Manuell Urxl dazu zu bewegen, die Stadt zu verlassen. Denn selbst für die Alteingesessenen in Bad Dreckskaff ist er einfach zu ekelhaft. Sein Gesicht gleicht einer Kartoffel, „die vergessen und sich selbst überlassen wurde, damit sie mal so richtig aus sich herausgehen kann“, und auch seine Körperhygiene und sein Benehmen lassen zu Wünschen übrig. Schließlich muss es ja nicht sein, ausgiebig zu rülpsen, während man in einer Schlange ansteht und so alle um einen herum wissen zu lassen, was es heute zu essen gab. Vor allem bei dem, was Herr Urxl so isst – etwa zwei F liegen, „eine aus Versehen“, die zweite, weil es ihm so gut geschmeckt hat. Doch kaum ist der Entschluss gefasst, den ungeliebten Zeitgenossen der Stadt zu verweisen und ‚Ywonne’ abbestellt, diese Botschaft zu überbringen, da entpuppt Herr Urxl sich als ungeheuer reich. Trillionär, um genau zu sein, und Erbe der „Diamantschürfkompanie“. Da sieht die Sache nun freilich ganz anders aus. Aber es ist Herrn Urxl nicht recht, nur seines Geldes wegen geduldet zu werden. Und auch die freundliche ‚Ywonne’, die den sonderbaren Mann bald ins Herz schließt, zumal er sich nur nicht wäscht, um einen lange zurückliegenden Kuss nicht von seiner Haut zu wischen, hält es nicht für richtig, Freunde für Manuell Urxl zu kaufen. Doch es scheint der einzige Weg zu sein, um ihn nicht aus seiner Heimatstadt vertreiben zu müssen. Bis Herr Urxl beobachtet, wie eine der sieben Nörgel-Schwestern beim Rudern auf dem See aus dem Boot fällt. Er vergisst seine Angst vor Wasser und stürzt sich ins Nass, um das Mädchen zu retten. Und diese Aktion macht ihn nicht nur zum Helden, sondern auch sauber ...
Herr Urxl und das Glitzerdings ist ein besonderes Hörspiel, und das nicht nur durch die nicht alltägliche Geschichte. Harry Rowohlt liest diese Geschichte aus Bad Dreckskaff nahezu virtuos und mit einer Leichtigkeit, die Spaß macht und gerade bei der Fülle an ungewöhnlichen Namen umso bewundernswerter ist. Da braucht es nur Rowohlts Stimme, die für die verschiedenen Bewohnerinnen und Bewohner immer eine ganz eigene Färbung bekommt – auf Musik oder andere Untermalung wurde in der Hörfassung verzichtet, was das Hörbuch aber eher trägt alsdass es darunter leidet. Mitunter kommt die eigentliche Geschichte um Herrn Urxl etwas stockend ins Laufen, da so viele Details rund um Bad Dreckskaff und seine Bewohnerinnen und Bewohner erzählt werden, dass sich der rote Faden etwas verheddert – doch diese Details sind so liebevoll und witzig erdacht, dass dieses kleine Manko verschmerzt werden kann. Kinder dürften an der derben, aber nie niveaulosen Schilderung des sonderbaren, aber doch liebenswürdigen Herrn Urxl und seinen Essgewohnheiten ebenso ihre Freude haben wie an der ganzen Stadtgemeinde mit all ihren skurrilen Besonderheiten. Und auch die Eltern kommen auf ihre Kosten, so dass Herr Urxl und das Glitzerdings dazu einlädt, einen verregneten Nachmittag oder frühen Abend gemeinsam mit dem CD-Player zu verbringen. Denn mit Bad Dreckskaff und seinen Bewohnerinnen und Bewohnern ist nicht nur kurzweilige Unterhaltung geboten, sondern auch eine Geschichte, die ans Herz geht und zeigt, dass es hilft, jemanden nicht etwa auf Grund seines Äußeren zu schneiden, sondern den Menschen hinter der sichtbaren Fassade kennenzulernen. Denn nicht selten steckt hinter einer heruntergekommenen Fassade etwas sehr Schönes.