Stefanie Hardick
Beiträge in merz
Stefanie Hardick: Blumen_Büchsen_Beat
Die jüngsten Besucherinnen und Besucher eines Museums sind oft die anspruchsvollsten. Ein Museum, dessen Besuch nicht als langweilig empfunden wird, hat daher grundsätzlich schon viele Dinge richtig gemacht. Das Jüdische Museum Berlin ist seit seiner Eröffnung im Jahr 2001 bei Kindern außerordentlich beliebt. Allein im Jahr 2011 besuchten 60.000 Kinder und Jugendliche das Museum, ohne zum Beispiel als Schulklasse an einer Führung teilzunehmen. Kinder mögen es, den Granatapfelbaum zu erklimmen, der sie am Anfang der Dauerausstellung empfängt, lieben die geheimen Tunnel, in die ihnen kein Erwachsener folgen kann und freuen sich über alles, was zum Anfassen und Mitmachen einlädt. Sie lassen sich von besonders ästhetischen Ausstellungsstücken in den Bann ziehen und haben zu vielen Dingen Fragen parat, die Erwachsenen nicht in den Sinn kommen würden. Im Rahmen des im Januar 2009 begonnenen Projektes entwickelte das Jüdische Museum Berlin in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Wirtschaft und Technik Berlin und der Humboldt Universität zu Berlin, gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) einen interaktiven Hörspiel-Audioguide für Kinder zwischen acht und zwölf Jahren. Ausgangspunkt war dabei, was Kindern in der Dauerausstellung des Museums gefällt.
Im Rahmen von Fokusgruppenbefragungen ließ das Projektteam Viert- und Sechstklässler zunächst selbst zu Wort kommen, um einen Eindruck von ihren Wünschen und Vorstellungen zu erhalten: »Stell dir vor, du wärst Museumsdirektor und solltest einen neuen Audioguide für Kinder machen. Wie müsste der sein?« Es gab konkrete Vorstellungen, unterschiedliche Meinungen und schöne Ideen: Auf Fremdwörter sollte man verzichten. Spannende Geschichten zu den Ausstellungsstücken sowie über deren Herkunft und Herstellung sollte es geben. Dabei sollten die Texte nicht zu lang sein und die Länge einer Geschichte sollte auf dem Bildschirm des Guides angezeigt werden. Zwischen den Geschichten sollte es Musik geben, um Pausen zu haben, in denen man nicht zuhören muss. Und die Kinder wünschten sich Fragen und Rätsel, die es zu lösen gilt. Witzig fanden die Kinder die Idee, dass mit den als Wildblumen gestalteten Gewürzbehältern der Künstlerin Paula Newman Pollachek fünf Ausstellungsstücke die Protagonisten der Tour sein sollten. Traditionell werden die filigranen Gewürzbehälter mit Zimt, Nelken und Kardamom gefüllt, deren Duft bei Ausgang des Schabbats über den Beginn der Schul- und Arbeitswoche hinwegtrösten soll. Die Wildblumen verwandeln sich zu einer Band. Die Akelei mit dem elegant gebogenen Stengel beugt sich über ein Mikrofon, der stachelige Punk spielt die Gitarre, der kleine kugelige Löwenzahn ist der Bassist, die schmale Distel der Keyboarder und die zarte Echinacea haut ins Schlagzeug: Sie sind die Spice Boxes. Ihre Musik hilft dabei, die Dialoge auf einer weiteren Ebene zu versinnbildlichen, zu verstärken und zu entspannen. Spielerisch und interaktiv sollte der Rundgang die Kinder an die Ausstellungsstücke und Themen des Museums heranführen, ohne sie durch den Bildschirm des Guides von den eigentlichen Dingen im Museum abzulenken.
Daher liegt der Fokus auf dem Hörspiel. Eine sprachlich fantasievolle Erzählung und ein ausgefeiltes Sounddesign ermöglichen es den Kindern, in eine andere Welt einzutauchen, die ihnen Spaß macht, die sie fordert und zum Mitdenken anregt. Die unterschiedlichen Charaktere der Protagonisten lassen im Dialog verschiedene Haltungen und Meinungen hervortreten. Sie machen die Vielfalt jüdischer Lebensentwürfe deutlich, von religiös bis weltlich. Durch den Rundgang nehmen die Kinder neben einem positiven Grundgefühl das Bewusstsein mit, dass Menschen ihr Judentum auf vielfältigste Art und Weise leben und bekommen ein Gefühl für die Spuren, die Religion in unserem Alltag hinterlässt. Vervollständigt wird die Hörspielführung durch technisch gestützte Interaktionen, die es den Kindern ermöglichen, sich spielerisch und aktiv der Ausstellung und ihren Objekten zu nähern und sich so noch mehr auf die Inhalte einzulassen. Der Audioguide wird auf iPod touch 4-Geräten angeboten, deren interaktive Möglichkeiten durch eigens entwickelte RFIDLesegeräte erweitert wurden. Dabei wurde eine angemessene Form der Interaktion gefunden, die den Ausstellungsbesuch nicht dominiert, sondern eine Ergänzung darstellt. Weil Kinder gerne auf Entdeckungstour gehen, ist der Audioguide als Suchspiel gestaltet. Um das jeweils nächste Ausstellungsstück zu finden, erhalten die Kinder einen Reim und ein Foto als Hinweis. An den 22 Stationen des Rundgangs ist jeweils gut sichtbar ein Logo angebracht, unter dem sich ein passiver RFID-Tag befindet.
Die Kinder starten eine Geschichte, indem sie den iPod an das Logo und damit den Tag halten. Aber nicht nur Ausstellungsstücke, sondern auch die vom Keyboarder Diestrich selbst gebauten und in der Ausstellung versteckten ‚Beamboxen‘ müssen gefunden werden. Dort können sich die Kinder ein virtuelles Werkzeug in ihr „Sammelsurium“, eine Sammelkiste auf ihrem iPod, ‚beamen‘. Im Laufe der Tour lassen sich mit diesen Werkzeugen ausgewählte Objekte zum Leben erwecken. So können die Kinder zum Beispiel die Glöckchen eines Toraaufsatzes zum Klingen bringen oder mit einer Taucherbrille den Knurrhahn schwimmen sehen. Alle Interaktionen sind bewusst kurzweilig gestaltet, es sind kleine verspielte ‚Überraschungen‘ am Ende einer erzählten Geschichte. Während der gesamten Entwicklungszeit des Audioguides wurde durch Befragungen immer wieder ermittelt, wie Kinder das Suchspiel, die Dialoge und das Interface rezipieren – und ob sie ihnen gefallen. Diese Evaluation wird auch nach dem Launch des Guides durch die Besucherforschung des Jüdischen Museums fortgeführt, sodass von den Ergebnissen dieses Pilotprojekts für die Nutzung der RFID-Technologie in Zukunft auch andere Institutionen profitieren können.Ausführliche Bibliographie unter: www.poseidon-projekt.de/publikationen.htmlAlle Ansprechpartner des Projekts Poseidon unter: www.poseidon-projekt.de/team.htmlStefanie Hardick studierte Geschichte, Publizistik und Psychologie in Gießen und Berlin, besuchte die Deutsche Journalistenschule und arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
Audioguide für Kinder zwischen acht und zwölf Jahren auf Deutsch und Englisch
Hörspiel und Musik: Frank Schültge Blumm
Deutscher Sprecher: Stefan Kaminski
Englische Sprecher: Jeff Burrell, Jill Hollwerda, Dshamilja Leach
Start: Samstag, 1. September 2012
Ausgabe: Info-Counter des Jüdischen Museums Berlin, erhältlich gegen die Hinterlegung eines PfandsKosten: 1 Euro