Monika Himmelsbach
Beiträge in merz
Monika Himmelsbach: Landwehr, Dominik (Hrsg.) (2019). Virtual Reality. Edition Digital Culture. Christoph Merian und Migros- Kulturprozent. 324 S., 18 €.
Die Geschichte der Medien zeugt immer wieder vom Traum der Erschaffung eines Mediums, das kaum mehr von der Realität zu unterscheiden ist. Das Streben nach vollständiger Immersion, dem Eintauchen in eine simulierte Wirklichkeit. Virtual Reality (VR) soll diese Vorstellung Wirklichkeit werden lassen. Der sechste Band der Reihe Edition Digital Culture widmet sich den Möglichkeiten, Anforderungen sowie Gefahren des VR.
Die Autorinnen und Autoren beschreiben die Geschichte virtueller Welten im Wesentlichen auf zwei Arten: kulturpessimistisch und -optimistisch. Gemäß des Kultur- und Medienwissenschaftlers Landwehr beispielsweise stellt die Entwicklung dieser Technik die logische Schlussfolgerung der Bestrebungen künstlerischer Bereiche wie Malerei, Fotografie und Film dar, um eine Illusion der Wirklichkeit zu erzeugen. Der Kunstwissenschaftler Ullrich hingegen sieht in der Geschichte der Immersion eine Aneinanderkettung von Fehlschlägen, die der fälschlichen Annahme folgen, durch das Kombinieren der Sinne eine intensivere Wahrnehmung herzustellen zu können. In den weiteren Beiträgen wird anhand von Beispielen gezeigt,wie VR richtig genutzt werden kann. Dabei sollen die Möglichkeiten dieser Technik über dessen Einsatz zur reinen Effekterzeugung hinaus ausgeschöpft werden, um sich in seiner Wirkmächtigkeit auch in anderen Medialitäten abzuheben. Für eine Umsetzung fehlt es allerdings an konkreten Konzepten und Methoden. Die Publikation eignet sich aber als Einführungsband für interessierte Kultur- und Medienpädagoginnen und -pädagogen sowie Studierende. Auch Lesende aus den Kunst- und Theaterwissenschaften können die Erkenntnisse für sich nutzen. mh
Monika Himmelsbach: stichwort: Discord
„Eulenfreund63 ist soeben dem Server beigetreten – glhf!“ Schon bei der Willkommensnachricht wird klar, für wen die Plattform Discord gedacht ist: für Menschen, die Computerspiele spielen, und sich mit ihren Mitspielerinnen und -spielern gerne verständigen. Das kostenfreie Programm bietet die Möglichkeit, neben dem Spielen über Sprachchat zu plaudern und in kompetitiven Spielen über Taktiken zu sprechen. Im Textchat können nach oder während des Zockens Bilder, Nachrichten und Emojis verschickt werden. Die 2015 ins Leben gerufene Plattform konkurriert mit seinen 130 Millionen Nutzerinnen und Nutzern mit dem Programm TeamSpeak, das seit 2002 verfügbar ist.
Der in den USA führende Dienst ermöglicht das Kommunizieren mehrerer Beteiligter. Für solche Konversationen muss ein eigener Sprachchat erstellt werden, ein sogenannter Server. Dieser kann wiederum in weitere thematisch unterschiedene Chats unterteilt werden, sodass sich diese Gruppen in den unterschiedlichen Sprachchats nicht in die Quere kommen. Einige Server sind öffentlich zugänglich und einem bestimmten Spiel oder Thema gewidmet, diese begrenzen sich jedoch nicht nur auf Gaming. Auch zu Sport, Musik oder Serien finden sich Kanäle. Immer häufiger werden Server von oder über Youtuberinnen und Youtuber erstellt, vor allem aus dem Genre Gaming. In diesen finden sich Fans zusammen, um sich auszutauschen, miteinander zu spielen oder über das letzte Video des Idols zu reden. Oft verwalten die Initiatorinnen und Initiatoren dieses Angebot auch nicht (mehr) alleine, sondern setzen Moderatorinnen und Moderatoren ein, die die Diskussionskultur erhalten und pflegen sollen. Durch die Ausbreitung in andere Bereiche sowie die Entwicklung einer Fankultur fungiert Discord mittlerweile auch immer mehr als Social-Media-Kanal – quasi als Verknüpfung aus Skype, Teamspeak und WhatsApp, das sich mit Diensten wie Twitch oder Facebook verbinden lässt. Dies lockt allerdings leider auch rechtsextreme Gruppen auf die Plattform. Zudem gelten für Discord die Gesetze und Datenschutzbestimmungen der USA, das heißt persönliche Daten wie E-Mail-/IP-Adresse, Bilder und Nachrichten, aber auch andere Daten von Aktivitäten innerhalb der Chats und des Dienstes werden gespeichert und können an Dritte weitergegeben werden.
Monika Himmelsbach: Love, Death & Robots. Es war einmal die Zukunft
Blur Studio (2019). Love, Death & Robots. Produktion. 18 Folgen in 1+ Staffeln, jeweils zwischen fünf und 20 Minuten. FSK 18. Erstauststrahlung auf Netflix.
Wie sähe die Welt aus, wenn ein Joghurt die Herrschaft übernommen hätte? Wonach sehnt sich ein Putzroboter, der zum Leben erwacht ist? Und was haben Katzen mit der Rettung der Menschheit zu tun? In 18 teils rasanten Folgen führt Love, Death & Robots das Publikum durch Kurzgeschichten in andere mögliche Parallelen unserer Welt.
Zwischen fünf und 20 Minuten lang sind die einzelnen sogenannten ‚Shorts' –, die Produzenten David Fincher (u. a. Gone Girl) und Tim Miller (u. a. Regie bei Deadpool) lehnen den Begriff Episode ab. Sie wollen mit dem Konzept der herkömmlichen Serien brechen und lieber mit kurzen, animierten Erzählungen einen Einblick in denkwürdige Schicksale geben – statt in 40 Minuten eine komplette Geschichte schildern zu müssen. Vorbild ist der Zeichentrickfilm Heavy Metal, welcher sich schon in den 1980er-Jahren mit Science-Fiction und Fantasy-Abenteuer an Erwachsene richtete. Love, Death & Robots reflektiert Themen wie Gewalt, Nacktheit und Fragen der eigenen Existenz. Die Shorts erhielten bei Netflix insgesamt vier verschiedene mögliche Reihungen, es gibt somit keine allgemeine ‚erste‘ oder ‚letzte‘ Folge. Nach eigener Aussage wollen die Betreiber der Streaming-Plattform ausprobieren, wie verschiedene Reihenfolgen ankommen. Bisher gibt es jedoch keine Auskunft darüber, inwieweit dies die Rezeption der Serie verändert oder ob die Reihung der Shorts anderen Kriterien folgt. Alle Folgen der Serie sind animiert, nur in Eiszeit wurden echte Schauspielerinnen und Schauspieler außerhalb des Motion Capturings eingesetzt. An der Produktion waren insgesamt 15 verschiedene Animationsstudios beteiligt, was jeder Folge Einzigartigkeit verleiht. Gleichzeitig erschwert es jedoch die Bedingungen, eine allgemeingültige Aussage über unter anderem Handlung, Dramaturgie, Schnitt oder Montage zu treffen.
Jeder Short kennzeichnet sich durch einen raschen Einstieg in die Welt bzw. Geschichte, Exposition ist kaum vorhanden. Die Erzählung nimmt ihren Lauf und wirft mit ihrem Cliffhänger meist mehr Fragen auf als sie beantwortet. Hierin zeigt sich die Stärke der Serie: Sie erzählt vieles mit dem, was sie nicht explizit macht.
Im Short Zima Blue zum Beispiel erzählt der Künstler Zima von seinem Leben. Statt zu erzählen, dass er von Kindesbeinen an Kunst interessiert war, beschreibt er sein einzigartiges Schicksal. Er begann als einfacher Saugroboter in einem Pool. Seine handwerklich versierte Besitzerin hatte es sich allerdings zur Aufgabe gemacht, ihm immer spezifischere Fähigkeiten zu verleihen. Zum Putzen kommen das Ausmalen des Pools und danach das Verrichten der meisten Arbeiten rund um das Haus. Künstliche Intelligenz gibt ihm später die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wann etwas repariert, gestrichen oder geputzt werden muss. Zima beginnt, sich eine menschliche Form zuzulegen und seine Herkunft zu verschleiern. Während seiner Karriere bemalt er immer wieder Objekte und sogar Planeten mit Zima Blue, jenes Blau, das den Pool seiner ehemaligen Besitzerin ziert. Er sehnt sich danach und beschließt, vom Künstlerdasein zurückzutreten und wieder ein einfacher Putzroboter zu sein. Am Ende stellt sich die Frage: War Zima nun ein Mensch? Wo beginnt das Menschsein, wo endet es? Wenn diese Zukunft real werden würde, wären Androiden dann Menschen? Diese und andere existentielle und Was-wäre-wenn-Fragen zeichnen die Serie aus und fordern die Zuschauenden gleichzeitig darin, sich auf derartige Gedankenspiele einzulassen bzw. einlassen zu können.
Doch auch ohne den Willen zur Kontemplation ist Love, Death & Robots gute Unterhaltung, allein das handwerkliche Geschick hinter den Animationen ist beachtenswert und gewinnt durch Reflexion über aufgeworfene existenzielle Fragen weiter an Tiefe.
Trotz zahlreicher Kontraste und erzählerischer Unterschiedlichkeit verweisen die Shorts mit dystopischer Erzählmanier immer wieder auf gesellschaftliche und politische Probleme. So wandern die Androiden in Drei Roboter in einem verlassenen Gebiet umher und fragen sich, was so katastrophal gewesen war, dass Menschheit ausgestorben ist. Gegen Ende dieser Folge wird klar: Es ist der Klimawandel. Gute Jagdgründe erzählt hingegen die Geschichte von japanischen Sagengestalten, die durch die Industrialisierung immer weiter zurückgedrängt werden. Wie so oft wird in dieser Legende Wachstum, Gier und Fortschritt kritisch betrachtet. Alternative Zeitachsen stellt dazu eine moralische Frage: Was wäre, wenn Hitler gestorben wäre? Die ‚Lehre‘ ist trotz nicht allzu ernsthafter Präsentation ernüchternd: Irgendetwas oder irgendjemand hätte etwas ähnlich Schreckliches getan. Der Verweis auf moralisch relevante Fragen erfolgt bei solchen Beispielen direkter als bei manch anderen. Dennoch – und das ist auch dem Format geschuldet – wird nicht immer ganz deutlich, ob überhaupt eine bestimmte Schlussfolgerung bzw. Interpretationsweise forciert werden sollte.
Love, Death & Robots richtet sich an all diejenigen, die sich in Zukunftsvisionen hineindenken möchten und dem Format filmischer Kurzgeschichten mit kreativen Animationsumsetzungen einiges abgewinnen können. Dass die Serie in ihrer Gesamtheit nichts für sensible Gemüter darstellt, verrät bereits die Altersfreigabe ab 18 Jahren. Gewalt wird in den comicähnlichen Animationen explizit
dargestellt, an digitalem Blut wird nicht gespart!Dank der Unabhängigkeit der einzelnen Shorts besteht allerdings auch die Möglichkeit, Folgen wie Zima Blue zu wählen, die ohne Gewalt auskommen. Diese Shorts könnten in den entsprechend geeigneten Altersstufen eingesetzt werden, um im Unterricht oder Seminar Denkansätze zu bestimmten Themen wie Transhumanismus bereitzustellen. Zugleich können sie als Vorlage für den Entstehungsprozess und die Machart von Filmen herangezogen werden: Sei es zur filmerischen oder erzählerischen Umsetzung von Kurzgeschichten, als Vorlage für mögliche Darstellungsformen von Animation oder Funktionsprinzipien dystopischer Visionen.
Love, Death & Robots erfüllt die Vision der Produzenten, die Konventionen herkömmlicher Serien zu brechen, hervorragend. Auch wenn sich nicht jede bzw. jeder in allen Kurzgeschichten wiederfinden wird, punktet die Serie mit ihrer einzigartigen Kombination von Kurzgeschichte und Animationsstilen, was sie als Alleinstellungsmerkmal für sich beanspruchen kann. Love, Death & Robots eignet sich insbesondere für pädagogische und wissenschaftliche Fachkräfte mit Schwerpunkt Film, Animation und Narration, aber auch für Studierende und Interessierte im Bereich Digitalisierung, die aus erzählerischen Impulsen und kritischen Denkanstößen in Form von Bewegtbild schöpfen wollen.
Monika Himmelsbach war Praktikantin bei merz I medien + erziehung. Sie studiert Theater- und Medienwissenschaft sowie Pädagogik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Monika Himmelsbach: Dievernich, Frank E.P./Döben-Heinisch, Gerd-Dietrich/Frey, Reiner (2019). Bildung 5.0: Wissenschaft, Hochschulen und Meditation. Das Selbstprojekt. Weinheim: Beltz Juventa. 114 S., 16,95 €
Online-Angebote, digitale Verwaltung, KI – auch im Hochschulkontext gewinnt das Digitale immer mehr an Bedeutung. Bildung 5.0: Wissenschaft, Hochschulen und Meditation hinterfragt diese rasante Entwicklung. Er versteht sich als Bildungsexperiment, mit Hilfe dessen sich der in einer hektischen, digitalen Welt lebende Mensch neu erfinden soll. Dies sei nötig, um zu verhindern, dass der Mensch zu einem „Anhängsel der Datenströme“ transferiert und die Bildungslandschaft durchdigitalisiert wird. Der Band möchte vor diesem Schicksal bewahren und eine Welt voller selbstbestimmter Individuen hervorbringen. In diesem Sinne wurde ein Projekt an der Frankfurt University of Science durchgeführt. Mittels theoretischer Überlegungen sowie praktischer Mittel und Instrumente wurde Studierenden hierin Meditation, Reflexion und Selbstverortung nähergebracht. Die in den Studienalltag integrierten Angebote hatten zum Ziel, die humane und ethische Seite der Teilnehmenden zu festigen. Die Durchführung des Projekts ist in seiner Grundstruktur beschrieben, an manchen Stellen fehlen jedoch genauere Informationen zur Methodik der Durchführung und zur Auswertung. So sind durch Selbstreflexion der Studierenden erhobene Ergebnisse in Kategorien wiedergegeben, deren Auswahlkriterien nur schwer nachvollziehbar sind.
Der Großteil des Bandes beschäftigt sich mit den Dimensionen der Mediation als kulturelle Praxis, deren (mögliche) Zusammenhänge mit der Hochschule sowie der Übertragbarkeit auf den universitären Kontext. Insgesamt gibt er dabei einen Einblick in ein Hochschulprojekt, das in dieser Form neuartig ist und bietet Anregungen, die sich auch auf andere pädagogische Zusammenhänge übertragen lassen. Geboten wird somit ein besonders interessantes Werk für Forschende in Lehr- und Lernkontexten sowie Praktizierende an Hochschulen. mh
Monika Himmelsbach: How we roll online. Digitale Tools im Rollenspiel
Die Zeit ist vorbei, in der Rollenspielerinnen und -spieler abgeschottet im Keller sitzen und angeblichem Teufelswerk nachgehen. Zumindest in bestimmten Kreisen haben Spiele wie Dungeons & Dragons, Das Schwarze Auge und Midgard das Internet erobert. Spielsessions werden auf YouTube und Twitch1gestreamt, Foren beschäftigen sich mit den Entwicklungen der Szene und Websites helfen Spielleitenden, ihre Welt zu erschaffen. Schon lange bilden Stift und Papier nicht mehr die einzige Grundlage für ein Rollenspiel. Seinen Anfang hatte das Rollenspiel im Jahre 1974 mit der ersten Edition von Dungeons & Dragons in den USA. Mittlerweile gibt es unzählige andere Systeme wie Vampire: Die Maskerade, Der Herr der Ringe oder Shadowrun. Gemeint sind hier übrigens sogenannte Pen-&-Paper-Rollenspiele, nicht etwa das sozialtherapeutische Rollenspiel in der psychosozialen Arbeit. Pen-&-Paper-Rollenspiele sind eine Mischung aus Improvisationstheater, Erzählung und Gesellschaftsspiel. Teilnehmende nehmen eine von zwei Rollen ein: Die Spielleitung, die die Welt und die darin lebenden Wesen handhabt, gibt Situationen vor und entscheidet über den Ausgang von Handlungen. Die Spielenden übernehmen währenddessen Charaktere in jener fiktiven Welt und erleben Abenteuer. Alle Fähig- und Fertigkeiten der Heldinnen und Helden befinden sich meist auf einem als Charakterbogen bezeichneten Dokument. Mithilfe der Werte auf dem Blatt Papier und Würfelaugen wird der Ausgang einer Aktion entschieden: Schafft es die Elfe, über die Mauer zu klettern oder rutscht sie ab? Trifft der Schlag des Ritters? Kann der Zwerg den Schützen davon überzeugen, ihm zu helfen? Anhand des Würfelergebnisses bestimmt die Spielleitung, welche Folgen sich für den Charakter ergeben. So schafft die Elfe es zwar zum Beispiel, über die Mauer zu klettern, tritt bei der Landung jedoch ungünstig auf und verletzt sich. Die Visualisierung der Geschehnisse findet hauptsächlich in den Köpfen der Teilnehmenden statt. Zur atmosphärischen Darstellung werden unter anderem Welt- bzw. Umgebungskarten, Figuren und Musik eingesetzt. Aufgrund der Digitalisierung werden Karten nicht mehr nur gekauft oder selbst auf Papier gezeichnet, sondern auch am PC erstellt. Würfel können digital geworfen, Spielfiguren virtuell dargestellt und Effekte animiert werden. Gerade in den letzten Jahren sind diese Tools immer ausgefeilter geworden, nicht zuletzt durch die Möglichkeiten der digitalen Vernetzung über lange Distanzen mit (Un-)Bekannten mit denselben Interessen. Bevor die Möglichkeit zum Videochat aufkam, gab es Rollenspielgruppen, die über Textchat spielten. Diese Art des Spiels wird noch immer genutzt, wobei sich neben Browserversionen auch Apps für mobile Endgeräte etabliert haben. So ist zum Beispiel Role Gate auch auf Smartphones verfügbar. Diese Anwendung ermöglicht neben dem Chatten das Würfeln, den Zugriff auf den Charakterbogen, das Schicken von Bildern oder das Erstellen von stark vereinfachten Karten. Websites wie Fantasy Grounds oder Roll20 hingegen werden meist zusammen mit Voice-Chatdiensten genutzt. Unter den Angeboten, die der Visualisierung helfen sollen, haben sich diese zwei Plattformen – neben Astral Table Top und D20Pro – etabliert. Abbildung 1 zeigt, wie dies aussehen kann: In der Mitte befindet sich die Karte, in diesem Fall die Innenansicht einer Taverne. Auf dieser können Tokens2 platziert werden. In Situationen, in denen die genaue Platzierung von Objekten und Personen wichtig wird, ist dies besonders praktisch. Am rechten Rand befinden sich der Chat, der auch die Würfelwürfe anzeigt, eine Jukebox sowie ein Journal mit Informationen zu unter anderem Personen und Orten. Auch bietet die Website den bereits genannten Voice- und Videochat an. Vieles ist mit einem kostenlosen Account zugänglich, für Funktionen wie animierte Effekte oder den vollständigen Zugang mit mobilen Geräten bedarf es eines Bezahlabonnements. Die seit 2004 verfügbare Plattform Fantasy Grounds ist nur für Windows, macOs sowie Linux verfügbar, konnte sich aber mehr offizielle Rollenspielsystemlizenzen sichern als Roll20. Nutzende mit kostenfreien Zugängen können nur Spielen von bezahlenden Mitgliedern beitreten, was bedeutet, dass zumindest eine Person einer Spielgruppe eine monatliche oder einmalige Gebühr bezahlt haben muss. Die Angebote der bezahlten Versionen sind meist für länger bestehende oder auf längere Zeit ausgelegte Gruppen interessant. Da ist Fantasy Grounds günstiger, da es die Option gibt, mit einer einmaligen Zahlung alle Features zu nutzen. Roll20 hingegen verfügt nur über das Abomodell – bei Kampagnen über mehrere Jahre wird das teuer. Vor allem in den letzten Jahren gab es einen Boom um sogenannte Worldbuilding-Tools wie Dungeonfog, WorldAnvil (Abb. 2) oder ArkenForge. Diese sollen durch die Erschaffung von Enzyklopädien das Verschriftlichen und Verwalten von selbsterstellten Welten erleichtern. Aufzeichnungen über Geschichten, Personen oder Völker können miteinander verknüpft und durch Bilder ergänzt werden. Anfangs können die Möglichkeiten und Schaltflächen überwältigend wirken, nach einer Eingewöhnung sind sie jedoch Gold wert. Gerade der Spielleitung erleichtern sie es, den Überblick zu behalten: Wie heißt der Verkäufer noch einmal? In welcher Stadt hat er seinen Laden? Zudem regen die Schaltflächen an, kreativ tätig zu werden und die selbst erstellte Welt weiterzuentwickeln. Wer ins Rollenspiel hineinschnuppern möchte, ohne (viel) Geld auszugeben, dem spielt die digitale Entwicklung entgegen; analoge Regelbücher oder Figuren sind nämlich wesentlich teurer. Viele Spiele systeme bieten verkürzte Regeln als GratisPDF an, Würfel können online geworfen und Karten sowie Tokens digital erstellt werden. Dies bietet auch Personen Zugang, denen es sonst Schwierigkeiten bereitet, an Rollenspielsitzungen teilzunehmen. Sei es durch physische oder psychische Beeinträchtigungen oder die Distanz. Seit ein paar Jahren werden Pen-&-Paper-Rollenspiele auch immer häufiger in die therapeutische Praxis einbezogen, beispielsweise um Personen mit Depressionen, Angstzuständen oder Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) zu helfen. Auch in anderen (medien-)pädagogischen Kontexten ist der Einsatz gewinnbringend denkbar.
Anmerkungen:
1 Ein Live-Streaming-Videoportal, das vorrangig zur Übertragung von Videospielen genutzt wird.
2 Spielfiguren für Charaktere, Monster und unbelebte Gegenstände.
Monika Himmelsbach: Pirsching, Manfred (2019). Bluff-Menschen. Selbstinszenierungen in der Spätmoderne. Weinheim: Beltz Juventa. 326 S., 29,95 €.
In einer Welt, in der Individualisierung und gleichzeitig Konformität gefordert werden, muss sich jedes Subjekt Strategien überlegen, um sich in dieser Umgebung verorten zu können. Schlussendlich wird zum Bluff gegriffen. Bei diesem Begriff handelt es sich laut Pirsching um Denk- und Handlungssysteme, bei denen alle Beteiligten wissen, dass die Spielregeln Fiktionen, Imaginationen und Metaphern enthalten. Ihm zufolge weiß aber nicht nur jede Person von diesem Verfahren – es wird von jeder und jedem auch erwartet, dieses zu beherrschen. Denn ohne diese Fähigkeit wäre es den Menschen nicht möglich, eine Überbrückung zwischen ihrem individuellen und anschlussfähigen Wesen zu schaffen. In Bluff-Menschen will Pirsching beispielhafte Anwendungen dieser Mechanismen aus Religion, Gemeinschaft, Politik und Wissenschaft darlegen. Dabei geht es dem Autor nicht darum, in irgendeiner Form therapeutische oder moralische Wegweiser von dieser Entwicklung weg zu bieten. Vielmehr geht es um die Aufdeckung der Erscheinungsformen. Besonders hervorzuheben sei die ‚Generation Me‘. Ihr werde vermittelt, dass sie einzigartig und wertvoll sei, und große Eigenständigkeit verdiene. Entscheidungsfreiheit kann jedoch auch zu Unsicherheit führen, und begünstigt so die Entwicklung eigener Bluffstrategien. Wie in der Einführung angegeben, verfügt der Band über keine (direkten) Hinweise zu möglichen Verhaltensweisen, die dem entgegenwirken. Dies – zusammen mit den negativ konnotierten Entwicklungen von heute und positiveren Schilderungen von damals – lässt die Leserschaft leider etwas frustriert zurück. Bluff-Menschen eignet sich als Überblick über verschiedene Ausprägungen und Ausbreitungsgebiete des beidseits wahrgenommenen Bluffs. Da keine Hinweise zur Durchbrechung dieser Strukturen vorgestellt werden, können die Erkenntnisse eventuell schwer ohne Mehrarbeit in der Praxis oder Forschung angewandt werden. Der Autor richtet sich vor allem an Soziologinnen und Soziologen. Der Band ist jedoch auch für Tätige in der Pädagogik, Kommunikationswissenschaft und anverwandte Bereiche geeignet. Die Publikation ist übrigens eine komplette Neufassung von Das Selbst, die Maske, der Bluff. Über die Inszenierungen der eigenen Person (2009). mh
Monika Himmelsbach: Krommer, Axel/Lindner, Martin/Mihajlovic, Dejan/Muuß-Merholz, Jöran/ Wampfler, Philippe (2019). Routenplaner #digitaleBildung
Krommer, Axel/Lindner, Martin/Mihajlovic, Dejan/Muuß-Merholz, Jöran/ Wampfler, Philippe (2019). Routenplaner #digitaleBildung. Auf dem Weg zu zeitgemäßer Bildung. Eine Orientierungshilfe im digitalen Wandel. Hamburg: ZLL21 e. V. 300 S., 22,50 €.
Welche Bedeutung haben das Internet und der digitale Wandel für die Bildung sowie die Gesellschaft? Eine weitgreifende Frage, der die Autoren aus verschiedenen Perspektiven begegnen möchten. Die Beiträge sind aus dem Kontext von Diskussionen innerhalb der Gruppe sowie auf öffentlich zugänglichen Kanälen wie Blogs und Sozialen Netzwerken entstanden. Der Band strebt an, auch in der Offline- Diskussion genutzt zu werden. Dabei wird mit Elementen von Netzbeiträgen wie Querverweisen und nicht-linearem Lesen gearbeitet. So ist die Reihung und Aufteilung der Texte nur ein unverbindlicher Vorschlag. Dabei mussten die Autoren, wie sie auch selbst sagen, einige Abstriche machen, um die Lesenden zur Diskussion in der Netzwelt zu bewegen. Ziel ist es unter anderem, neben den im öffentlichen Diskurs vorhandenen warnenden oder euphorischen Haltungen zur digitalen Bildung eine aufgeschlossene Herangehensweise zu fördern. Im Mittelpunkt stehen konkrete Phänomene – nicht deren Bewertung. Zu diesen gehören unter anderem auch neue Lernräume wie Barcamps, Flipped Classroom oder Gamification. Gleichzeitig nehmen sich die Autoren Begriffe vor, die ihrer Meinung nach verwechselt werden oder überflüssig sind. So findet Wampfler, dass es keine digital natives gibt, und dieser Begriff nur Vorurteile in sich birgt. Die damit einhergehenden Vorannahmen erschweren eine neutrale Betrachtung dessen, wie sich Menschen (neue) Medien aneignen. Weiterhin gehen die Autoren darauf ein, wie Bildung, Lehren und Lernen digitalisiert werden können, sodass die neuen Medien nicht nur als Optimierung der ‚alten‘ Pädagogik fungieren. Routenplaner #digitale Bildung regt dazu an, (eigene) Sichtweisen auf digitale Bildung zu hinterfragen, neue zu erfahren und nach eigenen Wegen zu suchen sowie eine zeitgemäße Bildung zu ermöglichen. Einen Nutzen hieraus ziehen alle Tätigen, Forschende und Studierende aus Bereichen wie Medien- oder Kulturpädagogik, Erziehungs- oder Kommunikationswissenschaften.
Monika Himmelsbach: Pirsching, Manfred (2019). Bluff- Menschen.
Pirsching, Manfred (2019). Bluff- Menschen. Selbstinszenierungen in der Spätmoderne. Weinheim: Beltz Juventa. 326 S., 29,95 €.
In einer Welt, in der Individualisierung und gleichzeitig Konformität gefordert werden, muss sich jedes Subjekt Strategien überlegen, um sich in dieser Umgebung verorten zu können. Schlussendlich wird zum Bluff gegriffen. Bei diesem Begriff handelt es sich laut Pirsching um Denk- und Handlungssysteme, bei denen alle Beteiligten wissen, dass die Spielregeln Fiktionen, Imaginationen und Metaphern enthalten. Ihm zufolge weiß aber nicht nur jede Person von diesem Verfahren – es wird von jeder*m auch erwartet, dieses zu beherrschen. Denn ohne diese Fähigkeit wäre es den Menschen nicht möglich, eine Überbrückung zwischen ihrem individuellen und anschlussfähigen Wesen zu schaffen. In Bluff-Menschen will Pirsching beispielhafte Anwendungen dieser Mechanismen aus Religion, Gemeinschaft, Politik und Wissenschaft darlegen. Dabei geht es dem Autor nicht darum, in irgendeiner Form therapeutische oder moralische Wegweiser von dieser Entwicklung weg zu bieten. Vielmehr geht es um die Aufdeckung der Erscheinungsformen. Besonders hervorzuheben sei die ‚Generation Me‘. Ihr werde vermittelt, dass sie einzigartig und wertvoll sei und große Eigenständigkeit verdiene. Entscheidungsfreiheit kann jedoch auch zu Unsicherheit führen, und begünstigt so die Entwicklung eigener Bluffstrategien. Wie in der Einführung angegeben, verfügt der Band über keine (direkten) Hinweise zu möglichen Verhaltensweisen, die dem entgegenwirken. Dies – zusammen mit den negativ konnotierten Entwicklungen von heute und positiveren Schilderungen von damals – lässt die Leserschaft etwas frustriert zurück. Der Band ist eine komplette Neufassung der Publikation Das Selbst, die Maske, der Bluff. Über die Inszenierungen der eigenen Person (2009).
Bluff-Menschen eignet sich als Überblick über verschiedene Ausprägungen und Ausbreitungsgebiete des beidseits wahrgenommenen Bluffs. Da keine Hinweise zur Durchbrechung dieser Strukturen vorgestellt werden, können die Erkenntnisse eventuell schwer ohne Mehrarbeit in der Praxis oder Forschung angewandt werden. Der Autor richtet sich vor allem an Soziolog*innen. Der Band ist jedoch auch für Tätige der Pädagogik, der Kommunikationswissenschaft und anverwandten Bereiche geeignet.