Clemens Hornik
Beiträge in merz
Clemens Hornik: Web 2.0/Internet als Herausforderung für die Medienethik
Die neuen und zunehmenden Kommunikations- und Interaktionsformen im Internet, unter dem Schlagwort Web 2.0 zusammengefasst, stellen neue Herausforderungen an die Medienethik. Es geht um Fragen des Datenschutzes, der Datennutzung, der Informationspreisgabe und Selbstveröffentlichung. Es geht um Manipulation und die Erweiterung, die Verlagerung der Identität ins Digitale. Es geht um alle damit verbundenen Komplikationen, Machenschaften, Gefahren und, nicht zu vergessen: um die Ethik bei und von alledem.Die gemeinsame Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik und des Netzwerkes Medienethik in der Hochschule für Philosophie am 12. und 13. Februar 2009 in München ging diese offenen Fragen und Probleme in einem regelrechten Vortragsmarathon an.Den Anfang machte Petra Grimm, die einen Einblick in ihre Studie gab, die Gewalt und Cybermobbing in der Wahrnehmung von Jugendlichen beschreibt. Obwohl die Jugendlichen nicht gezielt nach gewalthaltigen Materialien suchen, wird von jenen, deren Motive aus Langeweile und Neugierde (sensation seeking) bestehen, überdurchschnittlich viel mediale Gewalt wahrgenommen. Aufgrund von Aussagen Jugendlicher kommt Grimm zu dem Schluss, dass die Betroffenen für sich sehr genau nicht fiktionale von fiktionalen Gewaltdarstellungen unterscheiden und von ersteren immer wieder geschockt sind.Im darauffolgenden Themenblock zu Datenschutz und Datensicherheit stellte Kerstin Blumberg die Ergebnisse ihrer Bachelor-Abschlussarbeit vor, die in einer nicht repräsentativen Online-Untersuchung nach Risiko und Nutzen der Informationspreisgabe im Sozialen Netzwerk fragt. Thematisch schlossen Sabine Trepte und Leonard Reinecke an, indem sie Überlegungen zu einer geplanten Studie zum Stellenwert von Privatsphäre und der Bereitschaft zur Preisgabe intimer Informationen vortrugen.Der von Tobias Eberwein und Horst Pöttker gemeinsam erarbeitete Beitrag problematisierte den journalistischen Umgang mit user generated content, insbesondere von Blogs, als Recherchematerial und ausgewiesener Quelle vor dem Hintergrund der steigenden Thematisierung und Nutzung von Blogs als Informationslieferant der Tagespresse. Dabei wurde mehrfach auf den Pressekodex verwiesen, der auch in der Internetrecherche seine Anwendung finden müsse.In einem weiteren, ursprünglich für parallele Arbeitsgruppen eingerichteten Block, der durch den Wegfall zweier Referenten umdisponiert wurde und damit den gefühlten Zeitdruck erhöhte, thematisierte Anke Trommershausen die Unternehmensethik von Medien- und Telekommunikationsunternehmen. Caja Thimm riss in ihrem Vortrag die Auswüchse der Kinderpornografie und der virtuellen Vergewaltigung in Second Life an und stellte fest, dass die Verbundenheit und Identifikation, die User zu ihren Avataren aufbauen (bei Verletzung derselben) zu psychischen Problemen führen könne. Eine rechtliche Ahndung virtueller Straftaten sei daher geboten.Unter dem vielversprechenden Titel „Social Networking als Basis der Wahrnehmung kommunikativer Kompetenz im Internet. Von einer Ethik allgemeiner Geltungsansprüche zu einer Ethik sozialer Verbundenheit“ befragte Thomas Zeilinger den individuellen Umgang mit den technischen Möglichkeiten im Paradox der neuen isolierten Verbundenheit und äußerte dabei seine Skepsis in Bezug auf die immer wieder behauptete Bildung – anstelle einer bloßen Abbildung – sozialer Verbundenheit in sozialen Netzwerken.Den nächsten Block im Wettlauf mit der Zeit füllten drei Vorträge unter der Ankündigung der „Philosophischen Reflexion“. Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut fragte danach, welche Übertragungsmöglichkeiten von bewährten Forschungsstandards auf das Web 2.0 existierten und wie Wissenschaftler dem gemäß handeln können. Anhand der Begriffe Schmidts von Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagement arbeitete Alexander Filipovic den Versuch einer Anthropologie für das Web 2.0 aus. Michael Nagenborg, stellte den in Deutschland wenig rezipierten Albert Borgmann mit Thesen aus seinen Büchern „Holding on to reality“ (1999) und „Real American Ethics“ (2007) vor.Den nächsten Tag eröffnete Franz Tomaschowski mit einem Vortrag über die „Ethik von Bildern“. Dabei zeigte er manipulierte, gefälschte und inszenierte Pressebilder in ihren verschiedenen Fassungen. Obwohl in seinen Details sehr anregend, war es schade, dass auf spezifische Bilder des Internets nicht eingegangen wurde, und andererseits das Bild als Medium nicht so grundsätzlich, wie der Titel vermuten lassen konnte, behandelt und hinterfragt wurde. Karsten Weber prangerte unter dem bei Google entlehnten Motto „Don’t do evil“ vor dem Hintergrund der Datensammlung von Nutzenden und der Zensur von Informationen, insbesondere in China, den fehlenden Ethikkodex von Google an. Mathias Künzel und Ezard Schade sprachen sich in ihrem Vortrag für eine Erweiterung der institutionalisierten Medien Presse und Rundfunk um einen dritten Sektor aus, der diverse Online-Dienste umfassen sollte, die durch ihren Bildungs- und Integrationsbeitrag auch öffentlich und unabhängig von den Rundfunkanstalten gefördert werden könnten und sollten.Den letzten Block zu Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit eröffnete Theresa Züger, Studentin der Universität Köln, mit der Vorstellung ihrer Magisterarbeit und Eindrücken aus dem letzten Internet Gouvernance Forum in Indien, in dem sie stets unter Vorbehalt sozialgesellschaftliche positive Aspekte des Web 2.0 hervorhob.Den Abschluss im Vortragswettlauf setzte der von Jörg-Uwe Nieland und Mario Anastasiadis gemeinsam vorbereitete Beitrag zu den von der extremen Rechten genutzten Möglichkeiten des Web 2.0 und dem Suchen nach Gegenstrategien.Unter dem permanenten Zeitdruck war für Fragen bedauerlicher Weise wenig Raum gegeben, so dass Diskussionen und Erörterungen im Plenum gar nicht aufkommen konnten. Insbesondere das Eingliedern der in parallelen Arbeitsgruppen geplanten Beiträge am ersten Tag in die Vortragsreihe, gab der Tagung eine gehetzte, etwas einförmige Prägung, die nicht nötig gewesen wäre. So gebärdete sich die Tagung über das Web 2.0 der Form nach wenig abwechslungsreich und nicht gerade innovativ. Sie kann mit den Attributen des etwas vernachlässigten Mythos Web 1.0 assoziiert werden als statisch und stark reglementiert mit wenigen Partizipationsmöglichkeiten.