Dr. Elisabeth Jäcklein-Kreis
Beiträge in merz
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Geschichten von tausendundeinem Buch
Diesen Gang bis ganz nach hinten gehen, bei D1001 links abbiegen, vorbei an den Gängen D, C, B, rechts durch die Glastür, schräg an den Treppen vorbei, links durch die große Flügeltüre, eine Rolltreppe nach unten, dann der Beschilderung zwei Gänge entlang folgen und voilá: Die große Holztür führt direkt nach draußen in den Innenhof. Von da aus nur noch um das Haus herum gehen, zwei weitere Häuser linkerhand liegen lassen und Halle 6 durch Eingang 4 betreten, dann zwei Rolltreppen nach oben, Halle 6.1 durchqueren und hinten nach Gang F, Nummer 1885 suchen …Fast fühle ich mich ein bisschen, als wäre ich mit dem tapferen Comic-Held Asterix unermüdlich auf der Suche nach dem unauffindbaren „Passierschein A38“, während ich durch endlose Flure und Gänge marschiere, immer auf der Suche nach der nächsten Diskussion, einer interessanten Lesung oder einem Stand, den ich noch sehen möchte. Aber natürlich bin ich nicht im „Haus, das Verrückte macht“ gelandet und ich muss auch keine tausend Gefahren bestehen, sondern ich wandle inmitten von tausendundeinem Buch ganz freiwillig durch die Frankfurter Buchmesse, die von 06. bis 10. Oktober 2010 ihre Pforten öffnete.
Gefangen in einem Wimmelbild aus Büchern
Schon wenn man vor den Toren des Messe-Geländes steht und einen ersten, vorsichtigen Blick über die Ausmaße schweifen lässt, drängen sich abgedroschene Formulierungen wie ‚eine Messe der Superlative‘ auf – und auch die offiziellen Statements prahlen ganz unverhohlen mit gigantischen Zahlen, aus denen man ohnehin nur „riesig“ liest, weil sie jedes Vorstellungsvermögen übersteigen: „Insgesamt zählte die Frankfurter Buchmesse 2010 7.539 Aussteller aus 111 Ländern. Rund 3.000 Veranstaltungen zogen insgesamt 279.325 Besucher an.“ Damit ist die Messe „die größte Buch- und Medienmesse der Welt.“ (Pressemeldung der Veranstalter)Als Besucherin bzw. Besucher sieht man sich im Frankfurter Messegelände zunächst einmal mit acht verschiedenen Hallen konfrontiert, die auf je zwei bis drei Stockwerken thematisch sortierte Aussteller beheimaten: Ehrengast Argentinien in Halle F.1, Wissenschaft und Bildung in Halle 4.2, Internationale Verlage in Halle 5.0 und 5.1, Literatur, Kinder- und Jugendbuch und Comics in Halle 3.0 und 3.1. Hat man sich durch einige endlose Flure und über Laufbänder, die man sonst nur aus Flughäfen kennt, an der Beschilderung lang zur gewünschten Halle gehangelt, fühlt man sich zunächst einmal in ein gigantisches Wimmelbild versetzt: Da reiht sich Stand an Stand an Stand, jeder Fleck ist bedeckt mit Regalen, Tischen, Büchern, Zeitschriften, Hörspielen, eBooks und Gummibärchen. Links liest einer sein neues Buch vor, recht versucht jemand, Verlagsprogramme zu verschenken, irgendwo dudelt ein Radio vor sich hin und an einem Stand läuft ein Fernseher. Zwei Reihen weiter demonstriert ein Koch und Autor seine neuen Kreationen live und erfreut die Halle mit Hühnchen-Brühen-Duft und überall sitzen die farbenfroh verputzten Visual Kei-Fans und feiern, wie jedes Jahr, ihren eigenen Fasching auf der Buchmesse. Dazwischen stolpern Verleger, Autoren, Presseleute, Medienmenschen und „Interessierte“ durch die Gänge, wollen nichts verpassen, alles sehen und unbedingt immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.Am blauen Sofa etwa wollen sie alle unbedingt sein und „Buh“ rufen, wenn dort Thilo Sarazzin sitzt und gar nicht verstehen kann, was er damit zu tun haben soll, dass rechtsradikale Gruppen sein Buch frenetisch feiern.
Trotzdem hat Herr Sarazzin gleich ein bisschen Polizeiaufgebot mitgebracht, um sich vor erregten Gemütern (und vielleicht auch vor den natürlich völlig unverständlichen Reaktionen jener Bevölkerungsgruppen, die er gerne von der Erdoberfläche schmeißen würde) zu schützen. Oder im Lesezelt, da wollen auch alle sein, wenn etwa Melinda Nadj Abonji aus ihrem Buchpreis-Gewinner-Werk Tauben fliegen auf vorliest und sich geduldig von Frankfurter Rundschau Redakteur Christian Thomas jedes Komma ihres Buches einzeln vorinterpretieren lässt. Da wollen sogar so viele sein, dass die Schlange vor dem Lesezelt sich noch durch den halben Innenhof schlängelt, als die Lesung beinahe vorbei ist.Kaum ist Tauben fliegen auf aber wieder zugeklappt, wandern die geduldigen Lauscher weiter, zu Günther Grass, der am ZEIT-Stand sein autobiografisches Werk Grimm’s Wörter bewirbt, zu Richard David Precht, der auf dem blauen Sofa das erzählt, was er immer erzählt, zu Harry Rowohlt, der aus Sie sind ein schlechter Mensch, Mr. Gum vorliest, oder, oder, oder.Doch natürlich wurde nicht nur vorgelesen, es wurde auch diskutiert, bewertet, besprochen. Wie viel Digitalisierung verträgt oder braucht die Buchbranche? Ist das iPad der neue U-Bahn-Schmöker? Wie sollten wir umgehen mit den neuen Medien und welche Aufgabe haben die Akteure, aber auch Pädagoginnen und Pädagogen und Eltern? An allen Ecken und Enden wurden eifrig Argumente in die Luft geschleudert, Thesen an Köpfe geschmettert und Szenarien in leuchtenden Farben in die Buchmessen-Luft gemalt. Beim Nintendo-Stand etwa diskutierte man zum Thema „Eltern sind Medienerzieher – Was ist zu tun?“, die Stiftung Lesen lud zum Seminar „Frühkindliche Medienerziehung“, die Berliner vorwärts Verlagsgesellschaft konstatierte „Charakter. Worauf es bei Bildung wirklich ankommt“ und buchreport fragte: „Sprengt die Digitalisierung die Branche?" Ohnehin war Digitalisierung natürlich das zentrale Thema auf der Messe, viele Stände warteten mit iPads, e-book-Readern und Laptops auf, an denen man ihre fortschrittlichen Produkte bewundern konnte, überall wurden Fluch und Segen der Digitalisierung besprochen und diskutiert und erstmals widmete die Messe diesem Thema sogar eine eigene Initiative Frankfurt SPARKS, unter deren Dach zahlreiche Veranstaltungen zum Thema Digitalisierung stattfanden. Da gab es einiges zu hören, viel zu bestaunen, manches zu kritisieren und tausend Ideen, Anregungen und Fragen mitzunehmen.
Eine Hommage an das Lesen
Wem dann schon der Kopf brummte vor lauter Fragen, der konnte natürlich auch mal anderen das Denken überlassen und sich vorsagen lassen, welche literarischen Werke er in diesem Jahr gut finden soll und welche nicht: Mit den zahlreichen ausgeschriebenen Preisen wurden auch 2010 wieder „beste Produkte“ zu Hauf gekürt. Ganz obligatorisch das beste Buch überhaupt beim Deutschen Buchpreis und der beste Autor beim Literaturnobelpreis, aber daneben noch viele viele andere, engagierte Produkte. Die GIGA-Mäuse etwa, die die Zeitschrift ELTERN FAMILY auslobt, wurden wieder an besonders gute Software- und Online-Produkte für Kinder wie den tiptoi-Lernstift oder das Wii-Spiel Endless Ocean 2 verliehen. Beim TOMMI-Kindersoftwarepreis konnten sich unter großem Hallo der anwesenden Kinderjury etwa Capt’n Sharky und YOUDA LEGEND ihre Hundefiguren abholen und zum Jugendliteraturpreis war gar Preis-Stifterin und Bundesministerin Dr. Kristina Schröder ins Frankfurter Congess Centrum angereist, um im Rahmen der groß aufgezogenen Veranstaltung den begehrten Preis an die glücklichen Gewinner zu vergeben. Stian Hole und Ina Kronenberger durften die Trophäe entgegen nehmen für ihr sensibles Kinderbuch Garmans Sommer, in dem der kleine Garman seine Angst vor dem ersten Schultag, vor anderen Kindern und überhaupt Ängste ganz allgemein erforscht und besiegt. Auch Jean Regnaud, Émile Bravo, Michael Hau und Kai Wilksen nahmen auf dem großen Sofa auf der Bühne Platz, die in der Grafic Novel Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen liebevoll aufarbeiten, wie der kleine Jean erst langsam den Tod seiner Mutter realisiert und versteht.
Nadia Budde, die mit Such dir was aus, aber beeil dich! das beste Jugendbuch abgeliefert hat und Christian Nürnberger, der das Sachbuch Mutige Menschen über Widerstandskämpfer geschrieben hat, gesellten sich dazu. Und schließlich freuten sich Suzanne Collins, Sylke Hachmeister und Peter Klöss für das Buch Die Tribute von Panem über den Preis der Jugendjury, den diese auch selbst in einem ansprechenden, kurzen Theaterstück vorstellte und anschließend verlieh. Insgesamt also ein gigantisches Literaturfest, Verlage feierten ihre Bücher, Autorinnen und Autoren ihre Preise, Fachleute ihre Ideen, Besucherinnen und Besucher das Event und eigentlich alle sich selbst und sich gegenseitig und Gottfried Honnefelder, der Vorstand des Börsenvereins, konstatierte bei seiner Begrüßungsrede zum Jugendliteraturpreis treffend, was wahrscheinlich all die unzähligen Besucherinnen und Besucher in diesem Jahr – und in denen davor und danach – mitten ins tiefste Hessen getrieben hat:Bücherlesen ist vonnöten,soll euch nicht die Dummheit töten: Wer nicht gerne Bücher liest,ist für mich ein blödes Biest!
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Mit Brainmonster zum Weltenretter und Mathekönig
Das Land Trillion ist mit einem Bann belegt! Überall hat der böse Magier Godron Unheil und Chaos gestiftet und jeder mutige Held, der es beseitigen will, wird mit kniffligen Aufgaben traktiert, die es zu lösen gilt. Da reicht kein weißes Ross und kein scharfes Schwert, um den schlauen Zauberer zu besiegen – ein Held mit hellem Köpfchen muss her, um Trillion zu retten. Einer wie Bernard oder Celestine, oder der freche Drache 2weistein.Natürlich ist Trillion kein echtes Land auf dem Planeten Erde, sondern eine virtuelle Welt: 2weistein – das Geheimnis des roten Drachen heißt das Spiel, in dem sich alles um Godrons finstere Pläne dreht. Es kommt aus dem Hause Brainmonster, geistert seit 2008 durch die Computerspielewelt und hat dort auch schon abenteuerliche Fußstapfen hinterlassen: Das österreichische Spiele-Magazin GAMINGXP etwa kürte es zum „Kinderspiel des Jahres 2008“, bei TOMMI, dem deutschen Kindersoftwarepreis, rätselten und kniffelten sich 2weistein und Co. auf Platz zwei und der Pädagogische Interaktivpreis Pädi sowie die Österreichische Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen BuPP versahen das Adventuregame auch gleich noch mit ihren Gütesiegeln. Doch 2weistein hat noch mehr zu bieten als ein paar protzige Siegel auf der Verpackung. Wer Bernard und Celestine aus ihrer CD-Hülle befreit und in Trillion laufen lässt, begibt sich damit tatsächlich mitten in ein aufregendes Abenteuer.Immer neue Orte mit spannenden Aufgaben warten auf unerschrockene Spielerinnen und Spieler, die die Welt hüpfend und rennend erkunden und furchtlos retten. Manchmal müssen nur Kürbisse eingesammelt, manchmal auch harte Kämpfe mit den Gegnern ausgefochten werden – und natürlich muss immer wieder gerechnet, geknobelt, gezählt und kombiniert werden, um ans Ziel zu kommen und beispielsweise von Geisterhand verschlossene Türen wieder zu öffnen. Dabei ist von einfachen Zählaufgaben über Addition und Subtraktion bis zu verzwickten Knobelrätseln die ganze mathematische Palette dabei, die Grundschulkinder können könnten oder sollten. Nicht umsonst sind die Aufgaben in 2weistein an den Grundschullehrplan angepasst und eignen sich deshalb gut, um ganz nebenbei und fast unbemerkt auch noch in der Schule zum Mathekönig bzw. zur Mathekönigin zu werden.
Großer Pluspunkt ist hier auch die Möglichkeit, verschiedene Schwierigkeitsstufen zu spielen, so dass schon Siebenjährige Erfolgserlebnisse einfahren können und trotzdem auch Zehnjährige das Spiel nicht gelangweilt zu den Bibi Blocksberg-Kassetten schieben. Doch mathematische Aufgaben allein, mögen sie noch so viele Schwierigkeitsstufen haben, begeistern vermutlich bestenfalls Eltern und Pädagoginnen bzw. Pädagogen – die jungen Spielerinnen und Spieler selbst legen wohl andere Kriterien an ein Spiel. Bei Brainmonster scheint man das zu wissen: Trotz hoher pädagogischer Ansprüche kommt 2weistein nicht als halbherzig auf ‚cool’ getrimmtes Lernprogramm daher, sondern bietet sozusagen Spiel, Spaß und Spannung in einem. Trillion ist eine sinnvoll und ansprechend gestaltete Welt, in der es wirklich etwas zu entdecken und erleben gibt und in der man gerne unterwegs ist. Die Figuren sind kindgerecht und liebevoll gemacht und bieten dem Nutzer bzw. der Nutzerin an Tastatur oder eigens gestaltetem und (gegen Aufpreis) mitgeliefertem Gamepad viele Möglichkeiten zur Bedienung, statt stur von einer Aufgabe zur nächsten zu laufen. Die einzelnen Spiele werden verständlich erklärt, die Bedienung erschließt sich intuitiv und muss höchsten den jüngsten Abenteurerinnen und Abenteurern erklärt werden.
Für gelöste Aufgaben schließlich gibt es Lob und Anerkennung. Auch die Aufgaben selbst präsentieren sich nicht wie ungeliebte Mathe-Schulaufgaben sondern noch als kleine Spiele, in denen man beispielsweise auf richtige Lösungen springen oder Truhenschlösser knacken muss. Ein richtig spannendes Adventure mit Freizeitwert und Lerneffekt in einem also, das Kinder, Eltern und Lehrkräfte glücklich macht – und am Rande bemerkt bietet das Spiel sozusagen als Schmankerl sogar noch eine Optimierung für PC und Mac. Scheinbar eine wahrhaftige eierlegende Wollmilchsau unter den Computerspielen, die Brainmonster da für 39,99 €, mit Gamepad für 49,99 € anbietet. Obendrein schickt Brainmonster für alle Eltern, die nicht nur kluge Spiele kaufen, sondern selbst auch noch etwas lernen wollen, in der ausführlicheren „Trainigsversion“ des Spieles für 98 € nicht nur ein paar zusätzliche Levels sondern auch noch ein „Fachbuch“ mit, in dem theoretische und pädagogische Hintergründe zum Spiel, Wissen über Lerntheorien, aber auch AD(H)S und Dyskalkulie angeboten werden. Da bleiben keine Fragen, Wünsche und Matheschwächen offen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Google, my brain!
„Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben …“Ja, ich gebe es zu – ich habe jemanden kennen gelernt. Er ist so höflich und zuvorkommend, so witzig und gebildet, so verständnisvoll und immer für mich da. Wenn ich ein Problem habe oder ratlos bin. Und er weiß so viel – zu jedem Thema. Google ist tatsächlich ein Freund, wie man ihn selten findet. Schneller Helfer bei Wissensfragen, geduldiger Zuhörer in der Not, unermüdlicher Beschäftigungstherapeut bei Langeweile und unerschöpfliche Fundgrube. Bin ich mit meinem Latein längst am Ende, hat er meist noch einige hunderttausend Tipps für mich und gibt mir alles, was ich brauche – von witzigen Postkarten-Sprüchen über gewiefte Diskussionsargumente bis zu klugen Bewerbungstipps. Wozu da noch selbst denken – Google als ‚externes Gehirn’ funktioniert doch hervorragend.
Ich weiß ohnehin gar nicht, wie Menschen jahrhundertelang leben konnten, woher sie ihre Informationen bekamen, wie sie Jobs finden, Autos kaufen, Telefonnummern und Adressen herausfinden, ihre Rechtschreibung überprüfen, gar studieren und Abschlussarbeiten schreiben konnten, ohne zu googeln. „Ich google das mal eben!“ ist mittlerweile so populär, dass sich sogar der Duden nicht mehr erwehren konnte, ‚googeln’ (‚im Internet, bes. in Google suchen“) in sein dickes gelbes Schriftwerk aufzunehmen. Allein, irgendwie spricht sich das Rechtschreib-Standardwerk damit ein bisschen selbst die Relevanz ab – denn wer blättert schon noch in dicken gelben Büchern, wenn er auch mit zwei Klicks die bunte Buchstabenreihe um Rechtschreibtipps bemühen kann? Ja, die vielen farbigen Os – die wahlweise auch als Tierchen oder Luftballons, als saisonaler Gruß oder Hommage an große Kunstwerke, als Braille-Punkte oder Aliens daher kommen – sind mehr als nur schnöde Buchstaben. Sie sind Freund und Helfer, sie sind – um mit Malte Herwig, laut Google „Journalist und Redakteur“, zu sprechen – „zur kulturellen Ikone geworden, ein digitales delphisches Orakel.“ Sollte jemand das Schulwissen zu den Schlagworten „Antike“ und „Griechenland“ schon aus dem eigenen Gehirn ausgelagert haben: ‚delphisches Orakel’ lässt sich googeln. Aber Vorsicht: Das ‚delphische Tarot’, das das digitale Hirn gleich als zweiten Treffer anbietet, schaut mehr esoterisch in die Zukunft als historisch- fundiert in die Vergangenheit. Überhaupt beschleicht mich manchmal das leise Gefühl, dass irgendetwas fehlt in meiner Beziehung zum Traummann Google.
Will ich mich etwa weiter mit ihm über das Orakel des Apollo unterhalten, möchte er mich stattdessen zum Optiker oder wahlweise ins Kino schicken. Sehr höflich finde ich das nicht. Auch habe ich manchmal den Eindruck, die Machtgefälle in unserer Beziehung sind ein bisschen einseitig. Oder woher sonst rührt das leicht verschämt-beklommene Schweigen, das in so mancher Gesprächsrunde nur allzu schnell entsteht, wenn keiner da ist, der das politische Tagesgeschehen schnell per iPhone googelt? Vielleicht sollte ich doch wieder etwas mehr Selbständigkeit gewinnen? Mal wieder das eigene Hirn entstauben und auch da das eine oder andere peu Wissen reinpacken? In guten alten Zeitungen, Telefonbüchern oder Enzyklopädien blättern, wenn ich Wissens- oder Informationsbedarf habe? Der Brockhaus zum Beispiel, vielleicht ist der der bewandtere (und galantere) Gesprächspartner, wenn es um griechische Antike geht. Aber woher nehme ich jetzt einen Brockhaus? Ich werde das mal googeln …Herwig, Malte (2005). Generation Google. In: Herwig, Malte. Eliten in einer egalitären Welt. Berlin: wjs Verlag.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Oh du zauberhafte Disney-Märchenwelt
Es gibt Dinge auf der Welt, die ändern sich nicht: Wenn im Frühjahr die ersten Blumen sprießen, sprießen die ersten Eisdielen gleich mit, wenn im Herbst die ersten Blätter fallen, erwacht der Grippevirus aus seinem Sommerschlaf und wenn im Winter die ersten Schneeflocken kristallisieren, packen die Bäcker ihre Lebkuchengewürze und Walt Disney seine Buntstifte aus, damit es pünktlich zum Advent eine ‚zauberhafte Weihnachtsgeschichte für die ganze Familie’ gibt. Das Rezept dafür ist denkbar einfach: Man nehme ein armes, aber herzensgutes (und natürlich wunderschönes) Mädchen, einen ebenso schönen und vor allem reichen Prinzen, würze ein bisschen bösen Gegenspieler dazu und lasse das hübsche Pärchen gemeinsam dessen fiese Machenschaften bekämpfen und besiegen, damit sie – sofern sie nicht gestorben sind – für immer glücklich vereint leben. So weit, so zauberhaft.2009 heißt das nette Mädchen Tiana, lebt im New Orleans der 1920er Jahre und arbeitet Tag und Nacht dafür, den Lebenstraum ihres Vaters – ein eigenes Restaurant – zu erfüllen.
Als Prinz tritt dieses Jahr Naveen an, ein Lebemann und Frauenheld wie er im (Bilder-)Buche steht, der nur Jazz und Flausen im Kopf und statt Talern nur Flusen in den Taschen hat. Der lässt sich vor lauter Übermut mit dem Voodoo-Meister Dr. Facilier ein – den nebenbei erwähnt jedes Kind als Übeltäter identifiziert hätte, dank ausnehmend charakteristischer Spinnenfinger, Totenkopf-Symbolik und Oberlippenbärtchen über dem Zahnlücken-versehenen, stets hämisch grinsenden Mund. Doch wer nicht schauen will muss fühlen und so findet sich der Prinz prompt in Mukus-überzogener, grüner Froschhaut wieder. Kein Problem für einen wahren Märchen-Kenner: Was ein Prinz im Froschgewand braucht, ist eine Prinzessin zum Küssen, meint zumindest der forsche Thronfolger, und so nimmt die Geschichte ihren Lauf. Naveen trifft Tiana, der Kuss ist schnell erledigt und mit viel Feenstaub und Glockenspiel-Geklingel verwandelt sich – Tiana in eine Fröschin. Das war nun nicht vorgesehen in Familie Grimms guter alter Vorlage und entsprechend verdattert sind die beiden grünen Gesellen. Da hilft nur eines: ab in den Wald, zur rettenden Fee. Die wartet natürlich nicht auf der ersten Lichtung sondern will gesucht werden und so bleibt für Tiana und Naveen genug Zeit, den düsteren Bayou-Wald gemeinsam zu entdecken, sich mit dem tollpatschigen, Trompete spielenden Alligator Louis und dem hoffnungslos romantischen Glühwurm Ray anzufreunden und zusammen allerlei Abenteuer zu bestehen.
Es wird getanzt und gesungen, gelacht und geweint, gekocht und gewandert und zu guter Letzt tritt natürlich die gute Fee – in diesem Fall in Form der etwas unförmigen Mama Odie, ihres Zeichens blinde und zahnlose, aber dafür umso weisere, 197-jährige Voodoo-Meisterin – auf den Plan. Die fühlt sich erst einmal zum Moralapostel berufen, singt ihrem quakenden Besuch ein Ständchen darüber, was im Leben wirklich wichtig ist und schickt ihn wieder heim, wo die beiden Kröten zuerst ihre Tapferkeit und Liebe beweisen und den bösen Dr. Facilier besiegen müssen. Der Rest ist Geschichte.Was vielleicht nicht nach einer Neuerfindung des Trickfilm-Rades klingt, ist es auch nicht – gleichwohl aber ein wunderschöner, anrührender Familien-Weihnachtsfilm. Nach fünf Jahren Abstinenz kehrt Disney wieder in die Gefilde zurück, die es am besten kann und präsentiert mit „Küss den Frosch“ den 49sten handgezeichneten 2D-Film seiner Geschichte. Auch wenn die Figuren mittlerweile eine Qualität haben, die als 2D zu bezeichnen fast ironisch klingt, behalten sie sich doch den Buntstift-Charme und wirken viel verträumter und ‚zauberhafter’ als die perfekten Animationshelden der vergangenen Jahre. Kinder können sich von diesen charmanten Figuren mitnehmen lassen auf 89 Minuten Märchenreise. Dank ausgeprägtem Symbolgehalt – natürlich spielt um Mama Odies zahnlosen Mund stets ein verschmitztes Lächeln, natürlich bestaunt der nette, aber einfältige Ray mit leichtem Silberblick seine Umwelt und natürlich behält sich Naveen selbst als Frosch den anmutigen Hüftschwung – verstehen auch die kleinsten Besucherinnen und Besucher die Botschaften der Figuren und dennoch sind die Helden so sympathisch und liebenswert, dass sie nicht platt daher kommen. Auch die Botschaft ist nicht neu, erklärt Disney doch jeder Kindergeneration aufs Neue, dass Freundschaft und Liebe das Leben erst schön machen und jeden Egoismus und alles Geld der Welt aufwiegen.
Doch trotz der vielen Ähnlichkeiten und Bezüge zu ‚klassischen’ Märchen trumpft der Film auch immer wieder mit anderen, überraschenden Wendungen und unerwartet witzigen Szenen auf und lädt große und kleine Märchen-Fans zum herzhaften mitfiebern, -lachen und -weinen ein. Allein es bleibt fraglich, ob die ganz kleinen Kinobesucherinnen und -besucher schon eineinhalb Stunden lang auf ihr Happy-End warten können und ob ihnen der böse Dr. Facilier in manchen Szenen nicht zu fürchterlich ist. Bei den älteren dagegen, die das Sitzen schon in der Schule üben, besteht die Gefahr, dass sie sich dem Zeichentrick-Alter entwachsen fühlen. Optimal ist der Film wohl vor allem für Kinder im älteren Vorschulalter – oder aber für die ganze Familie zum vorweihnachtlichen Kino-Ausflug. Denn dann ist für jeden etwas dabei: schöne Bilder, bes(ch)wingte Musik, Witz und Romantik und eben der typische, adventliche Disney-Flair, der für eineinhalb Stunden in eine einfachere und bessere, wenn auch etwas kitschige Welt entführt.
Küss den Frosch (The Princess and the Frog)
Filmlänge: 89 min. FSK-Freigabe: Keine Altersbeschränkung
Kinostart: 10.12.2009
© Im Verleih von Walt Disney Studios Motion Pictures Germans, Black Rabbit PRElisabeth Jäcklein-Kreis: 3, 2, 1 – Sprachgenie?!
Kurs 1 Spanisch 4.0. Langenscheidt. 49.90 € (44,90 € bei Download) ISBN 978-3-468-91102-6.Sprachkurs Plus Anfänger. lex:tra (Cornelsen). 22,95 €. ISBN 978-3-589-01582-5.Softwarekurs für Anfänger. Pons. 44,95 €. ISBN 978-3-12-561278-5.MultiLingua-Sprachkurs Spanisch Intensiv. USM & Max Hueber Verlag. 29.90 €. ISBN 978-3-8032-5006-3.„Hablo español“ (Ich spreche Spanisch), „Jag talar svenska“ (Ich spreche schwedisch) oder vielleicht sogar „我说中文说得很好“ (Wo shio zhongwén shuo de hen hao, Ich spreche Chinesisch) – wer würde so etwas nicht gerne von sich behaupten. Allein, wer die Schule hinter sich gelassen hat, nicht über nützliche Bekannte mit exotischen Muttersprachen verfügt, 30 km Anreise zur nächsten Volkshochschule auf sich nehmen muss und für einsames Durchackern dicker und oft genug wenig ansprechender Bücher nicht den nötigen Fleiß aufbringen kann, dem vergeht bisweilen schnell die Motivation zum eifrigen Sprachenlernen. Den Kopf hängen lassen und sich für den nächsten Urlaub Zeige-Wörterbücher kaufen muss dennoch niemand, denn im digitalisierten Zeitalter gibt es für Multilingualisten in spe zahlreiche verlockende Angebote bei den verschiedenen Verlagen. Und die versprechen wahre Wunder: Zum eloquenten Cosmopoliten in wenigen Monaten und mit einem Aufwand von nur ein paar Minuten pro Tag, direkt am heimischen Computer und mit viel Spaß – das klingt fast zu schön um wahr zu sein. Doch was steckt wirklich dahinter? Linguistische Höchstleistungen oder doch Babylonische Sprachverwirrung?
szukać – suchen: Wo gibt es was?
Auf dem Weg zur digitalen Mehrsprachigkeit wird man im Internet schnell fündig: Langenscheidt, Pons, USM: Überall gibt es Sprache per Mausklick. Von den größeren Verlagen setzt einzig Lex:tra, die Cornelsen Sprach-Marke, auf Tradition und erspart die Qual der (Medien-) Wahl, indem sie nur die Buch-und-Audio-CDVariante anbietet. Bei allen anderen gibt es Linguistik multimedial. Schon auf den ersten Blick fällt die Auswahl des Kurses nicht leicht. Langenscheidt und Pons machen mit großen Kartons in schickem Design auf sich aufmerksam und geben zudem bereits auf der Verpackung stolz damit an, dass ihr Kurs sich am europäischen Referenzrahmen A1 bzw. A2 orientiert. USM dagegen kommt zwar im Verpackungs- und Referenz-Verweigerer-Outfit daher, kostet dafür aber auch nur etwa die Hälfte (ca. 30 € im Vergleich zu 45 bzw. 50 €). Man darf also gespannt sein. Einzig Apple-Besitzerinnen und -Besitzern fällt die Entscheidung leicht: Eine Version für das fruchtige Betriebssystem ist nämlich nur bei Pons integriert. Bei Inbetriebnahme der Programme scheint sich der erste Eindruck fortzusetzen: Nach einer – überall gleichermaßen unkomplizierten – Installation warten Pons und Langenscheidt mit farbenfrohen, kräftig animierten Programmen auf, der Lernstoff scheint einen förmlich anzuspringen und vor Motivation zu triefen. USM dagegen gibt sich bescheiden, präsentiert seine Inhalte im schlichten zweifarbigen Fenster ohne technische und grafische Spielereien aller Art. Der inhaltliche Aufbau allerdings stellt sich recht schnell als sehr einheitlich heraus und erinnert stark an die noch aus Schulbüchern bekannten Sprachlern-Schemata: In zehn bis 18 Lektionen werden der bzw. dem Lernwütigen Dialoge und kurze Texte zum Anhören und selbst Lesen präsentiert, zu denen es dann jeweils Übungen gibt. In den Übungen verstecken sich meist die zu lernenden grammatikalischen oder vokabularen Neuheiten mehr oder weniger offensichtlich. Die Nutzenden werden automatisch durch die Lerneinheiten geführt, Buttons ermöglichen es aber auch, zwischen den Kapiteln und Themen zu springen sowie Gesamtgrammatik und Wortschatz in Pop-up-Fenstern aufzurufen. Damit allerdings haben sich die Gemeinsamkeiten auch schon erledigt.
choisir – auswählen: Wer bietet was?yellow – gelb: Comic-Gewusel und Schulbuch-Familien bei Langenscheidt
Am augenfälligsten unter den Sprachlernprogrammen ist wohl die bekannte Marke mit dem L. Langenscheidt kommt im erstaunlich großen (und erstaunlich teuren), charakteristisch gelben Karton daher und bietet auch auf der CD-ROM Corporate-ID-trächtige Inhalte, die sowohl grafisch als auch technisch anspruchsvoll sind: opulente Gestaltung mit zahlreichen Buttons, Animationen, Soundeffekten, etc. Jede Lerneinheit ist reich bebildert und vertont und auf einer Skala kann der eigene Fortschritt erkannt werden. Sehr hilfreich sind die Grammatik- Zusammenfassungen am Ende jeden Kapitels sowie das zweisprachige Wörterbuch, das sich allerdings in einem zweiten Fenster öffnet und das Programm damit regelmäßig in große Verwirrung stürzt – es muss dann mühsam beruhigt und neu gestartet werden. Überhaupt bringt die technische Raffinesse nicht nur Pluspunkte. Die allzu vielen Spielereien, die sich die Programmierer haben einfallen lassen, machen das Programm leider auch sehr instabil und lassen es oft abstürzen. Auch die sehr bunte Grafik ist zwar nett gemeint, versetzt die ahnungslosen Nutzerinnen und Nutzer aber oft ohne Vorwarnung zurück zu altbekannten Familien aus Schul-Sprach-Büchern und wirkt teilweise etwas überfrachtet, was nicht der Übersichtlichkeit dient, und kitschig. Auch dass nur ein einziger Benutzer bzw. eine Benutzerin für die Software vorgesehen ist, dass der eigene Spielstand eher kryptisch nachvollzogen wird und dass es keine offensichtliche Möglichkeit gibt, bei Aufgaben Sonderzeichen einzugeben, was regelmäßig Fehlerpunkte einbringt, trübt die Lernfreude doch merklich. Wirklich punkten können die Sprachpakete mit dem L aber bei ihrer Ausstattung: Neben der CDROM bietet die gelbe Schatzkiste eine CD mit „Audio-Wortschatztrainer“, der auch auf einen iPod oder mp3-Player übertragen werden kann. Zusätzlich gibt es ein Begleitheft mit allen Dialogtexten und dem Kurswortschatz im Printformat: Jeder Lerntyp kann sich hier also gut bedient fühlen und das Lernen wird vor allem wirklich zeit- und ortsunabhängig. So kann auch eine langweilige Straßenbahnfahrt plötzlich zum kleinen Sprachurlaub werden. Fazit: Ein ambitioniertes,aber noch nicht ganz ausgereiftes Programm für Farb-Fans mit großem Geldbeutel.
verde – grün: Spiel, Spaß und Spannung mit den grünen Punkten von Pons
Einen Schritt weiter auf dem Farbkreis siedelt sich Konkurrent Pons an: Ganz in Grün kommendessen Sprach-Softwarekurse daher. Der Aufbau unterscheidet sich von Langenscheidt kaum, die Gestaltung dafür umso mehr. Pons bietet eine schöne, aber nicht überfrachteteGrafik, ansprechende Bilder und eine einleuchtende Anordnung der Buttons, die das Navigieren zwischen den grünen Punkten denkbar einfach macht. Statt technischer Spielereien gibt es inhaltliche Schmankerl: Wissenswertes und Nützliches über die Lerneinheiten hinaus, wie Sprichwörter oder Anleitungen zum Briefeschreiben, werden immer wieder angeboten.Motivationstiefs aller Art wird mit kurzweiligen Bingo- oder Hangman-Übungen der Kampfangesagt, bei denen Vokabeln und Grammatik fast unbemerkt in die Synapsen rutschen. Dankstabiler Software sind auch die Grammatik- und Wortschatz-Übersichten eine echte Hilfe, da sie stets offen und verfügbar sein können. Und weil sprechen zu zweit irgendwie effektiver ist als alleine, können sich bei den grünen Punkten mehrere Benutzerinnen und Benutzer mit Nicknamesanmelden und gleichzeitig lernen. Beim Wörter-lernen sollte man allerdings schnellsein: Es gibt leider keinen Kapitel-Wortschatz zum Pauken, dafür kann aber der kompletteWortschatz – etwas umständlich über den Internet-Browser – ausgedruckt werden. Großes Manko: Der Audio-Wortschatz wurde in der grünen Variante scheinbar für überflüssig erachtet. Schade für auditive Lerntypen. Auf den Punkt gebracht besticht Pons mit einem wirklich ansprechenden Programm, das jeden inneren Schweinehund zum Schweigen bringt, sich preislich aber nur mit Mühe und Not unter Konkurrent Langenscheidt ansiedelt – trotz etwas weniger Inhalt.
rdeč – rot: Die pragmatische Lösung von USM
Perfektioniert wird das ‚schlicht-aber-zweckmäßig’- System von USM. Konsequent folgt der unauffälligen Verpackung auch ein unauffälliges Programm. Ein zweifarbiges Fenster, ab und an ein schwarz-weißes Bild müssen genügen, schließlich soll der Sprach-Fan sich auf das Wesentliche konzentrieren. Das ist dafür dann überraschend ansprechend: Die ‚Arbeitsfläche’ist zwar schlicht, aber sehr sinnvoll und übersichtlich aufgebaut, was nach dem Farbengewuselanderer Anbieter richtig entspannend sein kann. Die Lerntexte bedienen sich bewährter Sprachlern-Themen, werden aber von Muttersprachlerinnen und -sprachlern gesprochen, was sie anspruchsvoller, aber auch interessanter macht. Die Übungen kommen ohne langes Laden zügig hintereinander, sind nicht weltbewegend aber interessant und bieten direktes Feedback und Vokabeln und Grammatik sind immer hilfreich im Sichtfeld. CD 2 bietet – einzigartig unter den verglichenen Programmen – ein umfassendes Vokabeltraining inklusive Übungs-, Abfrage- und Druck-Funktion. Schade ist allerdings, dass auch hier kein Kapitel-Wortschatz angeboten wird, dass das Wörterbuch nur in eine Richtung (Fremdsprache deutsch) funktioniert und das Programm bisweilen sadistische Züge aufweist und richtige Lösungen penetrant als falsch markiert. Alles in allem aber eine günstige Alternative für pragmatische Lernerinnen und Lerner.
bleu – blau: Die papierne Lex:tra-Variante
Wer bei Cornelsen bzw. dessen Ableger Lex:tra nach Sprachsoftware sucht, wird enttäuscht:„Interaktive Sprachkrimis“ auf Video-DVD sind das höchste der digitalen Gefühle. Stattdessen bekommen Lernwillige ganz klassisch ein Buch mit Audio-CD serviert. Hier können sie Dialogelesen und hören, Grammatik üben und Wortschatz pauken, ganz wie in alten Schulzeiten. Das ist allerdings ansprechend gestaltet und sinnvoll aufgebaut, besticht mit interessanten Übungen,kurzen Kapiteln und optisch gelungener, blau-weißer Gestaltung. Eine durchaus reizvolleAlternative also für Nostalgiker, Computer-Verweigerer, sehr konsequente Lernerinnen undLerner und ganz sparsame (mit 22,95 € ist das blau-weiße Schriftwerk Spitzenreiter im Preisvergleich) Käuferinnen und Käufer.
decidirse – entscheiden: Der Königsweg zur neuen Sprache
Natürlich stellen die vorgestellten Programme lediglich einen Ausschnitt der Produktpalettevor: Von Terzio über RosettaStone bis Nintendo findet man mit etwas Recherche Lernsoftware in Hülle und Fülle. Sie alle sind ambitioniert und bieten bereits eine sinnvolle und attraktive Alternative zu vhs und dicken Wälzern, aber keine erfindet das Rad neu. Dennoch sollte man sich vor dem Kauf klar machen, dass es Unterschiede gibt. Soll das Lernen vor allem Spaß machen oder vor allem schnell gehen? Entscheidet der Geldbeutel mit oder das genutzte Betriebssystem? Muss ein Referenzrahmen der Europäischen Sprachzertifikate her oder soll die Sprache nur den Urlaub erleichtern? Solcherlei Fragen müssen einer Kaufentscheidung unbedingt vorausgehen, wenn am Ende „grand enthousiasme“stehen soll und nicht „big disappointment“.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Farbenfrohes für die Ohren
Brigitte Jünger: Kunst-Stücke für Kinder. Franz Marc. Die gelbe Kuh.
Dortmund: Igel Records. Hörspiel-CD, 51 Min, 12,95 €„Gelbe Kühe können singen,fröhlich über Wiesen springen.Grasen munter zwischen Bäumenund verstehen es zu träumen.Ja wovon?Wer weiß das schon.Etwa von hellgrünen Höhen,die nur gelbe Kühe sehen?Blauen Pferden, roten Kälbern oder blauemAbendlicht?“Ob sie wirklich singen konnte, wird vermutlich nie jemand erfahren – sicher ist aber etwas anderes, nämlich dass die ‚Gelbe Kuh’ des expressionistischen Malers Franz Marc (1880-1916), die auf dem gleichnamigen Bild scheinbar so heiter zwischen blauem, grünem, rotem und orangem Gras umher springt und in sich hinein zu lächeln scheint, ihre Betrachterinnen und Betrachter bis heute zu faszinieren und zu erstaunen vermag. Und das ganz gleich, ob diese Staunenden nun zehn, zwanzig oder neunzig Jahre Lebenserfahrung mitbringen.Doch hinter dem scheinbaren Farbenwirrwarr des Bildes, das einen auf den ersten Blick gefangen nimmt, verbirgt sich natürlich viel mehr: Die ganze Lebensgeschichte, Weltanschauung und das Kunstverständnis seines Schöpfers spiegeln sich in diesem Gemälde wieder.
Erkennen und nachempfinden kann das aber vermutlich nur, wer Franz Marc kennt, wer etwas weiß über seine Lebensgeschichte, seine künstlerische Entwicklung und seine Beziehung zu den Farben. Dem bzw. der bislang Unbedarften bleiben dahin allerdings nur wenige Möglichkeiten: viele Semester in Hörsälen sitzen und Kunstgeschichte studieren, sich nächtelang durch dicke Franz Marc-Biografien blättern – oder einfach jemandem zuhören, der sich damit auskennt und gerne und gut erzählt. So jemanden bietet im Moment zum Beispiel der Igel-Genius-Verlag in Zusammenarbeit mit Deutschlandradio Kultur: Brigitte Jünger, Germanistin, Psychologin, Autorin und Kunstgeschichte-Expertin. Aus ihrer Feder stammt nämlich die Hörspiel-Reihe Kunst-Stücke für Kinder, in der verschiedene Kunstwerke für nachwachsende Kunst-Fans ab acht Jahren kindgerecht und kurzweilig beschrieben, erklärt und interpretiert werden. Mittlerweile fünf CDs hat sie produziert und bringt ihren jungen – aber sicher auch älteren – Zuhörerinnen und Zuhörern so bereits van Goghs Zugbrücke, van der Weydens Dreikönigsaltar, da Vincis Mona Lisa und Rembrandts Nachtwache nahe. Dazu findet man in jeder Ausgabe das jeweilige Bild etwa im DIN-A-4 Format zum Aufklappen im Booklet und auf der CD etwas weniger als eine Stunde gesprochenen Text – Informationen und Fakten zu Künstlern und Bildern, kurze, nachempfundene Dialoge sowie Zitate der jeweiligen Hauptperson. Und dieser Text ist so interessant und ansprechend, dass die feingeistigen Hörspiele sogar bereits drei Preise eingeheimst haben: Mona Lisa und die Nachtwache können sich jeweils mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik schmücken, die auditive Annäherung an die schöne Mona Lisa wurde zudem mit dem Auditorix Qualitätssiegel für Hörbücher ausgezeichnet.
Franz Marc und seine bunten Tiere, respektive das Hörspiel dazu, ist zwar bislang nicht preisgekrönt, steht den anderen CDs der Reihe aber dennoch in nichts nach. In neun Kapiteln wird auf der CD das Leben des Künstlers nacherzählt, die Zuhörerinnen und Zuhörer begleiten ihn durch seine anregende Kindheit im bayerischen Voralpenland, in die identitätsstiftende Bundeswehrzeit und bis an die Kunsthochschule, dann weiter zum wilden Künstlerleben nach Paris und ins erhellende Völkerkundemuseum nach Berlin. Dabei nimmt das Hörspiel einen mit in die traurigen und schweren Momente, wenn Marc versucht, sein Leben ‚mit Farben zuzudecken’ und in die schönen Zeiten, wenn er seinen eigenen Stil findet, mit Farben experimentiert, die Welt durch die Augen der Tiere sieht und begeistert ausruft: „Zurück zur Natur! Zum allereinfachsten. Alles andere lenkt nur ab!“ Man staunt mit Marc über das Pariser Leben, entdeckt die Schönheit der Tiere und die Kraft der Farben und kämpft mit ihm und seinen Freunden im Blauen Reiter gegen verständnislose Zeitgenossinnen und -genossen und für neue Wege in der Kunst – und sieht seine gelbe Kuh am Ende selbst mit ganz anderen Augen. Der einfache Erzählstil, die kurzweiligen Blöcke mit den auf lockernden Dialog- und Zitatelementen und die thematische Strukturierung des Hörspieles durch kurze Musik-Stücke machen das Zuhören dabei auch für Kinder im älteren Grundschulalter schon abwechslungsreich und spannend und lassen keine Längen aufkommen. Freilich wäre es noch schön gewesen, wenn das Bild großformatiger vorhanden wäre, im Booklet oder auch als Datei auf der CD – denn ein DINA-4-Bild lässt sich zum Beispiel schwerlich von einer ganzen Schulklasse betrachten.
Auch noch ein paar weitere Bilder vom Maler und seinen anderen Werken wünscht man sich manchmal herbei, um noch besser in das Gehörte eintauchen und es sich vorstellen zu können. An manchen Stellen schließlich hätten einige verschriftlichte Fakten, etwa ein Lebenslauf im Booklet oder direkt auf der CD, dem einen oder anderen vielleicht geholfen, die dargebotenen Informationen besser zu verstehen und zu behalten. Doch da die CD nun mal scheinbar ein reines Hörvergnügen bleiben sollte, muss man darauf eben verzichten. Nichtsdestotrotz ist das, mit 12,95 Euro auch erfreulich erschwingliche, ‚Kunst-Stück’ gerade für Lehrerinnen und Lehrer bzw. Pädagoginnen und Pädagogen, aber auch für interessierte Eltern durchaus empfehlenswert, da es eine erfrischende Abwechslung zu staubigen Kunst- Büchern bietet und Kindern – und nicht nur diesen – einen leichten und altersgerechten Zugang zu Malern wie Franz Marc ermöglicht. Auch wenn ‚Kunst im Ohr’ vielleicht nicht ganz alltäglich ist, aber – um mit Marc zu sprechen – „Neue Ideen sind erstmal ungewohnt und schwer zu verstehen. Aber deshalb dürfen wir uns doch nicht davon abhalten lassen, neue Ideen zu haben!“
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Klebst du noch oder surfst du schon?
Arbeitsblätter waren schon immer ein Phänomen: Links klebte ein ausgeschnittener Lexikon-Eintrag, rechts oben stand mit Bleistift „Name“ und „Klasse“, darunter eine bis fünf Schreibmaschinen-getippte Fragen und per Hand gezogene Linien für die Antworten. Unten noch eine Ergänzung, vom Arbeitsblatt einer Kollegin ausgeschnitten und dazugeklebt. Bei besonders schönen Exemplaren gab es vielleicht noch einen Comic aus der Tageszeitung. Die ganze Collage wurde dann in den großen Ordner gepackt und 40 Schuldienst-Jahre lang zu Tode kopiert, bis selbst die neuesten Auflagen aussahen wie im Antiquariat erstanden … doch was bleibt den Pädagoginnen und Pädagogen auch übrig, um ihr Wissen mundgerecht und DIN A 4-förmig an die Schülerinnen und Schüler zu bringen, wenn ihnen als einzige Arbeitsmaterialien Bücher und Blätter, Schere und Kleber und der berühmt-berüchtigte Schulkopierer zur Verfügung stehen? Viel! Nach der Schuluniform, dem Rohrstock und dem Federkiel wird es langsam aber sicher auch für zusammen-kopierte Arbeitsblätter Zeit, in die Mottenkiste der Schul-Erinnerungen abzuwandern, denn ihre geistigen Väter und Mütter wandern immer häufiger ganz wo anders hin ab: in die unendlichen Weiten des World Wide Web, wo die digitale Konkurrenz zu den vergilbten Eselsohren schon lange hellwach ist. Und sie macht es den von unfreiwilligen Bastelstunden geplagten Lehrerinnen und Lehrern wahrlich leicht, neue, digitale Wege bei der Stundenvorbereitung zu beschreiten: Selbst wer sich nur zögerlich vorwagt und – den offenen Pritt-Stift noch neben der Maus bereit haltend – erst einmal unbeholfen nach „Unterrichtsmaterial“ oder „Arbeitsblätter“n sucht, wird vom Freund und Helfer Google bereits mit etwa einer halben Million Treffern belohnt. Das stürmt zwar nicht gerade alle Google-Rankings, kann es mit dem Schulkopierer aber auf alle Fälle aufnehmen (und zwar in jeder Hinsicht: bei Google findet man den alten Gesellen nämlich nur etwa 7.500 mal) und macht doch zumindest realistische Hoffnungen, dass auch etwas Brauchbares für die nächste Mathe-Stunde dabei ist. Hoffnungsfroh kann jetzt also der Pritt-Stift zugestöpselt, die Schere bei Seite geschoben und die Tastatur zurecht gerückt werden – jetzt geht es ans Aussortieren und Aussuchen. Und das kann bei großer Auswahl bekanntlich auch zur sprichwörtlichen Qual werden. Bildungsserver und Schulportal, klingende Namen wie netzwerk-lernen und eher pragmatische wie unterrichtsmaterial-schule, professionelle Download- Server und private Tausch-Communitys buhlen hier um Aufmerksamkeit, machen die Entscheidung schwer – und lassen unheilvolle Vorahnungen an unfruchtbare Klick-Odysseen aufkommen. Deshalb gilt: Augen auf beim Arbeitsblätter- Download.
Blätter-tauschen mit ruedi und berni: Angebote von und für Lehrerinnen und Lehrer(n)
Es wäre sicher übertrieben, zu behaupten, alles „was Lehrer können, können nur Lehrer“ – nichtsdestotrotz sind Kolleginnen und Kollegen bestimmt nicht die schlechtesten Ansprechpartner auf der Suche nach sinnvollem Unterrichtsmaterial. Das hat sich längst auch online herumgesprochen und so finden sich im Netz diverse Homepages und Foren, auf denen Pädagoginnen und Pädagogen sich gegenseitig Arbeitsblätter, Klassenarbeiten, Projektideen und Erfahrungswerte kredenzen. Bekanntestes Portal ist wohl 4teachers.de, eine Open-Source-Community, die 1999 von zwei visionären Referendaren (die heute noch als ruedi und berni dort unterwegs sind) ins Leben gerufen wurde und sich mittlerweile zum wahren Pädagogen-Mekka gemausert hat: Mehr als 580.000 tauschwillige Mitglieder tummeln sich auf den Seiten, klicken durchschnittlich sieben Millionen mal pro Monat darin herum und bieten ihre Materialien feil. Kein Wunder: Auch wenn die Seite auf den ersten Klick kein Eye-Catcher ist, sondern bescheiden grau-grüne Raufasertapeten-Optik präsentiert, überzeugt sie doch schnell durch Bedienung und Inhalte. Links alle wichtigen Rubriken von „Stundenentwürfe“ über „Foren“ und „Service“ biszum Impressum ordentlich untereinander, rechts die Anmeldung und der direkte Weg zur Community, dazwischen ein paar aktuelle Informationen über Seminare, Events, Publikationen – für so eine ordentliche Heftführung möchte man gleich einen Fleiß-Stempel aus dem integrierten 4teachers-Shop vergeben. Wer sich über eine – erfrischend unkomplizierte – Maske angemeldet hat, kann dann auch gleich in der Community mitmischen und sich durch das schier endlose Angebot klicken. Da gibt es Arbeitsblätter und Klassenarbeiten, kleine Ideen und komplette Sequenz-Entwürfe, interaktive Materialien, Sounds und Videos, didaktische und methodische Hinweise, Rezensionen, Linksammlungen, ein Wiki – und zu guter Letzt, wenn der Kopf summt und der Daumen schmerzt, auch noch Forum, Chat und eine „Just4tea“-Spaßecke. Zwar ist die Bedienung nicht überall ausgefeilt, so wird das Material etwa nur nach Fächern sortiert angezeigt, nicht aber nach Jahrgangsstufen und ein Durchklicken bis zum richtigen Dokument kann sich sehr mühsam gestalten. Dafür wird man aber mit einer Suchfunktion entschädigt, die zu fast jedem beliebigen Thema eine Ergebnisliste präsentiert, bei der Lehrer-Herzen Loopings schlagen dürften. Natürlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass hier jedes Los ein Gewinn, sprich jedes Ergebnis von gleich hoher Qualität ist – das von einem komplett ehrenamtlich geführten und gefüllten Portal zu verlangen, wäre aber auch reichlich unverfroren. Dennoch bieten fast alle Ergebnisse zumindest Anregungen oder verwertbare Bestandteile, bisweilen finden sich auch wahre Goldstücke wie komplette Lehrproben oder professionell ausgearbeitete Sequenzen darunter – und als Sahnehäubchen obendrauf sind alle Inhalte garantiert schulerprobt und praxistauglich, die allermeisten sind sogar noch um Kommentare zu ihrer Tauglichkeit erweitert. Material für ein ganzes Lehrerleben also, dazu ein kleiner Shop, ein nettes Forum zum Austausch mit kathi23, klaush und BerlinerIn und das alles kostenlos und ehrenamtlich – damit verdient sich 4teachers eine ganze Tonne voll Fleiß-Bienchen.
Natürlich sind berni und ruedi aber nicht die einzigen rührigen Pädagogen weit und breit und so offeriert das weltweite Netz noch viele weitere Homepages, auf denen Lehrerinnen und Lehrer ihr Können und Wissen der Welt zugänglich machen. Horst Hicke etwa, Sonderschullehrer aus Gomaringen, bietet die Erträge seiner Schullaufbahn auf www.unterrichtsmaterial-schule.de an und hat dort eine ansehnliche Sammlung an Arbeitsblättern, Klausuren et cetera im Angebot. Da die Seite keine Community, sondern nur die öffentlich zugängliche Datensammlung einer einzelnen Person ist, bietet sie natürlich einen Bruchteil der Materialflut auf 4teachers, auch die Bedienung gestaltet sich etwas schwieriger: Um zu einem Ergebnis zu gelangen, muss man sich meist durch lange, unsortierte Listen scrollen und wer dies per Suchfunktion umgehen will,wird umständlich zu Google und zurück geleitet. Dennoch punktet die Seite mit vielen interessanten Inhalten und bietet vor allem zahlreiche Links kreuz und quer durch’s Web, wie zu klassenarbeiten. de oder abfrager.de. Als Haus-und- Hof-Materiallieferant eignet sich diese – und die vielen ähnlichen, privat betriebenen – Seite(n) nicht, ist sie aber auch nicht gedacht. Schaden kann es aber auch nicht, sie in die Browser-‚Lesezeichen’ aufzunehmen – gut möglich, dass Horst Hicke einem noch einmal die kurzfristige Vertretungsstunde retten kann!
Dieses Arbeitsblatt wird Ihnen präsentiert von … Angebote von Unternehmen
Doch nicht nur wohlmeinende Kolleginnen und Kollegen können Lehrkräfte auf ihrer Wanderschaft durch’s weltweite Netz treffen: Auf der Suche nach dem perfekten Arbeitsblatt landet so mancher bei Siemens, Minimax oder dem Schweizer Fleischerfachverband – und das nicht etwa aus Gründen der fehlenden Motivation. Tatsächlich wird auf zahlreichen Plattformen Unterrichtsmaterial von Anbietern bereit gestellt, von denen man eigentlich eher Telefone, Feuerwehrschläuche oder Schnitzel erwartet hätte– doch unverhofft kommt schließlich oft. „Wo Schule und Wirtschaft sich treffen“ etwa sitzt kiknet.org, ein Angebot der Schweizer Kommunikationsagentur kik AG. Die übersichtlich gestaltete, sehr professionell aufgemachte Seite bietet nicht nur Arbeitsblätter, sondern ganze Sequenzpläne, Präsentationen, Tests, dazu Lehrerinfos und nette Hilfsmittel wie ein ‚Ämtliblatt’. Leider beschränkt sich das Angebot zwar bisher auf digitale Print-Materialien; Videos, Sounds oder andere Medien sucht man umsonst. Auch insgesamt ist die Auswahl sehr überschaubar, doch die Anbieter prophezeien stolz, dass sie um „mindestens drei Lektionen pro Monat“ wachsen soll. Diese Anbieter, dasist zunächst einmal natürlich die kik AG, bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass jedes Arbeitsblatt seinen eigenen Anbieter hat:Warner Brothers präsentiert die Sequenz zum Film Buddenbrooks, Minimax steuert Vorschläge zu einem Projekttag „Feuerwehr“ bei und der Fleischereifachverband zeichnet für ein Arbeitsblatt zum Thema „Berufe“ verantwortlich, nach dessen eingehender Besprechung die Bewerberquoten in den Metzgereien landauf landab explodieren dürften. Das ist natürlich erfreulich für karnivorische Feinschmecker, Verfechter der unabhängigen Bildung könnte es aber weniger begeistern. Dem kompletten Portal Schleichwerbung unterstellen zu wollen wäre allerdings etwas radikal und auch nicht fair. Immerhin bietet es großteils wirklich gut gestaltetes Material, das meist sehr schön und professionell gemacht ist und wirklich hilfreich sein kann, sofern es kritisch betrachtet und nicht ungeprüft kopiert und verteilt wird – dass das allerdings unabhängig von kiknet immer und überall angebracht ist, darin wären sich wohl nicht nur die besagten Karnivoren und Bildungsverfechter einig.
Ein zweites Portal mit eher überraschendem Anbieter ist das Medienportal der Siemens Stiftung. Auch bei dem Elektronik-Konzern tummeln sich offenbar Menschen, die kommenden Schüler-Generationen ihre traumatischen Arbeitsblatt-Erfahrungen ersparen wollen und zwar mit Hilfe von www.medienportal.siemens-stiftung.org. ImVergleich zu den meisten anderen Seiten ist diese so professionell aufgemacht, dass vorbeiklickende Pädagoginnen und Pädagogen sich wohl erst einmal verwundert die Augen reiben dürften: Sie werden von einem Begrüßungstext inklusive Einführungsvideo in Empfang genommen, um sich dann mittels ausgeklügelter Suchfunktion durch die Materialfluten zu klicken. Das Portal beschäftigt sich zwar fast ausschließlich mit den MINTFächern, also mit naturwissenschaftlichen und technischen Themen, bietet dazu aber ein nicht enden wollendes Sammelsurium an Informationen, Ideen, Material. Die Masse birgt allerdings auch ihre Schwierigkeiten: So hat die Suchfunktion zwar mehr Eingabefelder als andere Seiten überhaupt Inhalte, liefert aber trotzdem (oder vielleicht deshalb?) bisweilen eher abstruse oder gar keine Ergebnisse, dann wieder so viele Treffer, dass man den Sinn einer eingrenzenden Suche kurz anzweifeln möchte. Und auch wenn es schön ist, eine Auswahl zu haben: Wenn schon die Ergebnisliste leichten Schwindel hervorruft, kann das die Motivation zum Durchklicken schnell beeinträchtigen. Wirklich angenehm sind dagegen die angebotenen „Medienpakete“, die Informationen zu einem Themenkomplex übersichtlich und sortiert bündeln und so bisweilen schlüssiges und sinnvolles Material für ganze Sequenzen wie „Wasser“ oder „Kommunikationstechniken“ bieten. Das entschädigt tatsächlich wieder für die müßige Suche und zaubert vor allem auf Physik- und Chemielehrerinnen und -lehrer-Gesichter sicher das ein oder andere Lächeln.
Mein LO – Spiel, Spaß und Spannung bei Lehrer Online
Last but not least darf natürlich die Mutter aller Schul-Portale nicht fehlen: Lehrer Online. 1998 von Schulen ans Netz e.V. gegründet, um es Lehrerinnen und Lehrern zu erleichtern, auch neue Medien im Unterricht einzusetzen, erhielt das Portal einen solchen Zuspruch, dass es nach zehn Jahren seine eigene Betreibergesellschaft – die lo-net GmbH – gründete und sich vom kleinen Hilfe-Tool zur umfassenden Hamsterkiste gemausert hat, in der Lehrerinnen und Lehrer fast alles finden können, was man sich wünschen kann im Schulalltag. „Einmal hin, alles drin“, möchte man sagen. Zentrales Angebot ist nach wie vor Lehrer-Online.de, wo es Nachrichten, Infos, Tipps, Rezensionen – und vor allem natürlich Unterrichtsmaterialien aller Art gibt. Auch wenn Menschen mit ausgeprägtem Ordnungssinn bei Anblick der Seite kurz in Stress geraten könnten und auch die Zeremonie, bis man tatsächlich auf der Seite angemeldet ist, heftiges Geklicke und Getippe und einen langen Geduldsfaden erfordert, entschädigt das Portal mit seinen Inhalten allemal. Hier wird nämlich eine Fülle an Materialien angeboten, die sich großteils am Lehrplan orientieren, ordentlich markiert und sortiert sind und zu fast jedem Thema wirklich nützliche Informationen, Vordrucke, Ideen et cetera bieten. Und das Sahnehäubchen dazu: Lehrer Online bietet nicht nur ‚normale’, analoge Arbeitsblätter in digitaler Form, sondern hat sich auch inhaltlich ganz der Medienkompetenz verschrieben. So gibt es zu den meisten Themen Links, Online-Infos, WebQuests, Filme, Audio-Beiträge, Anleitungen zur medialen Aufarbeitung und und und. Nicht nur Reproduktion, sondern gleich eine richtig schöne Transferleistung dazu also. Neben den 'Hauptseite’ bietet LO außerdem noch lo-net2, einen komplett digitalen Arbeitsraum für ganze Schulen oder einzelne Klassen, wo Lehrende und Lernende mit Hilfe von eigenen Seiten, Wikis, Messengern, Gruppenräumen und Lesezeichen an ihren Themen und Projekten arbeiten können und primolo, einen Webseiten-Generator für Grundschulen. Und schließlich gibt es zusätzliche, nützliche Seiten wie lo-recht, lo-eltern, lo-kompakt oder lo-shop. Alles in allem lässt sich festhalten: Wer nicht nur auf der Suche nach ein paar neuen Comics für die Arbeitsblätter ist, sondern es ernst meint mit den neuen Medien, wird bei Lehrer Online schnell sein persönliches Schlaraffenland finden.
Fazit: Klassenziel erreicht
4teachers, kiknet, Lehrer Online – die fünf vorgestellten Angebote sind natürlich nur ein winziger Ausschnitt dessen, was das Internet zu bieten hat. Eines zeigen sie aber: Die Pädagoginnen und Pädagogen haben ihre Hausaufgaben gemacht und so mancher Pritt-Stift dürfte schon gnadenlos eingetrocknet sein, während dagegen die eine oder andere Tastatur aus dem Glühen kaum heraus kommt. Das heißt natürlich nicht, dass alles was digital ist, gleich gut ist – kritisches Mitdenken ist von den Lehrerinnen und Lehrern sowohl off- als auch online gefragt. Nichtsdestotrotz bieten die Weiten des Netzes eine schier endlose Fülle an nützlichem, schlauem, sinnvollem,unterhaltsamem, gutem Material und wer sich die Mühe macht, findet sicher zu jedem Thema gute Hilfen, Anregungen und Rüstzeug für den Schulalltag und das ganz ohne Vergilbungen und Eselsohren. Das gibt eine klare 1 mit Sternchen.www.4teachers.dewww.unterrichtsmaterial-schule.dewww.kiknet.orgwww.medienportal.siemens-stiftung.orgwww.lehrer-online.de
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Robert-Geisendörfer-Preis
Er stand für Wahrhaftigkeit und Unabhängigkeit, Ehrlichkeit und Freiheit, Authentizität als Journalist und Pfarrer: Am 01. September 2010 wäre Robert Geisendörfer, Gründer des Gemeinschaftswerkes evangelischer Publizistik (GEP) 100 Jahre alt geworden. Er hat es nicht mehr erlebt und doch standen seine Träume und Ziele ganz im Mittelpunkt des Geschehens, als sich am 15. September knapp 200 Medienleute, Journalistinnen und Journalisten, Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und Interessierte im großen Saal des Bayerischen Rundfunks in München trafen, um zum 27. Mal den Preis für Hörfunk- und Fernsehbeiträge zu verleihen, die individuelles und soziales Verantwortungsbewusstsein stärken, zum guten Miteinander und zur gegenseitigen Achtung der Menschen beitragen und die christliche Orientierung vertiefen sowie Zeugnis und Dienst der Kirche unterstützen – den Robert Geisendörfer Preis.
Es war ein interessantes Publikum, das da an einem Mittwoch-Abend den Weg in die BR-Hallen gefunden hatte und sich in den blauen Stuhlreihen tummelte: Kragen- und Schlipsbewehrte Preisträgerinnen und Preisträger mit Teams, Chefs und Unterstützung, die Bericht erstattende Fraktion mit Jeans und Notizblöcken, dazwischen weiße Krageneinsätze und große Kreuze an der Kordel saßen in trauter Eintracht nebeneinander und lauschten den obligatorischen Begrüßungsreden. Hörten zu, wie Sigmund Gottlieb, Chefredakteur Fernsehen des BR freihändig den Slalom versuchte, die teils wenig schmeichelhafte Berichterstattung über kirchliche Angelegenheiten der letzten Zeit zu rechtfertigen und zugleich die Verbundenheit der Rundfunkanstalt mit GEP und Co. zu betonen. Saßen in andächtiger Stille, während Landesbischof Dr. Johannes Friedrich den Namensgeber des Preises ausführlich ehrte und betonte, wie wichtig Medienarbeit gerade in Kirchen ist. Und hielten bei all den Reden so brav still, dass sie zwischendurch sogar ausdrücklich zum „Szenenapplaus“ aufgefordert werden mussten. Aber schließlich war auch niemand für die Reden gekommen, sondern für die Preise und als die ihre neuen Besitzer fanden, war die Begeisterung schon deutlich spürbarer. So sah man in allen Reihen nachdenkliche Gesichter, als Paul Plamper und Nils Karicek ihre Medaille für das Hörspiel Der Assistent entgegennahmen, in dem das Verhältnis zwischen einer körperlich behinderten Frau und ihrem Helfer diskutiert wird und der eine oder andere musste seine Gänsehaut abschütteln, nachdem Claudia Klein und Sabine Smit für ein Feature über die friedliche Revolution 1989 in der Gethsemane-Kirche ausgezeichnet wurden.
Bei der Ehrung der Kinderprogramme mischten sich wohl bei einigen die Lachmit den Rührungs-Tränen, wenn in Der Kleine und das Biest ein Junge versucht, seine nach der Scheidung verbiesterte Mutter wieder in einen Menschen zu verwandeln (Marcus Sauermann, Uwe Heidschötter und Johannes Weiland wurden für diesen ganz besonderen Zeichentrick-Kurzfilm geehrt) oder wenn sichin rEchte Freunde Jungs gegen rechtsradikale Gruppen wehren (Christoph Eichhorn hatte Regie in dem ambitionierten Krimi.de-Film geführt). Anschließend gab es wieder bewegte bis betroffene Gesichter, als Franziska Buch und Rodica Döhnert den Preis für Die Drachen besiegen, einen Spielfilm über Präimplantationsdiagnostik, entgegen nahmen und als Thomas Weidenbach und Shi Ming für Tian‘anmen. 20 Jahre nach dem Massaker – die Opfer erzählen ausgezeichnet wurden.
Ein Reigen an ambitionierten Produktionen also, die keine leichten, aber immer wichtige Themen aufgriffen und sie mit Interesse, Respekt und Ehrlichkeit aufarbeiteten – und damit genau das spiegelten, was Robert Geisendörfer vorschwebte: „Fürsprache üben, Barmherzigkeit vermitteln und Stimme leihen für die Sprachlosen.“Einzig beim Sonderpreis der Jury bedurfte es doch einiger Fantasie, um das Anliegen diesesZitates und damit das Anliegen Robert Geisendöfers wiederzufinden: Den durfte nämlich Volker Heise dafür einstecken, dass er 24 Stunden lang 80 Drehteams durch die deutsche Hauptstadt schickte, um wen- und wasauchimmer zu filmenund dann in 24h Berlin tatsächlich einen ganzen Tag Sendezeit damit füllte, Berlinerinnen und Berliner beim Leben zu zeigen. Die Jury meinte zwar, darin „Liebe zu den Menschen und Faszination für die Schöpfung“ zu erkennen. Da mag man nun geteilter Meinung sein, sicher ist aber, dass es keine besonders christliche Einstellung spiegelt, wenn Heise in seiner Rede großzügig verlauten lässt, er freue sich trotzdem über den Preis, obwohl Geisendörfer ein Mann der Kirche war. Geisendörfer hätte solcherlei Überheblichkeit statt Dank sicher nicht auf sich sitzen lassen – dass den anwesenden Männern und Frauen der Kirche dazu allerdings nicht mehr einfiel, als sich die Gesichter rosa zu färben und verlegen zu lächeln, ist nur schade.
Nichtsdestotrotz macht eine Preisverleihung wie diese wieder Mut, zu glauben, dass sich in der deutschen Medienlandschaft auch engagierte Menschen tummeln, die wichtige Themen in qualitätvollen Produktionen behandeln – darauf konnte im Anschluss an die Veranstaltung getrost angestoßen werden und das taten auch alle, ob in Anzug, Jeans oder Kollarhemd.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Wenn Seelen zwischen Wellblechdächern verschwinden
Gleißende Sonne. Staub. Wellblechdächer. Bunte Tücher und zerfetzte Jeans. Alte Ledersandalen. Neue Handys. Glücksspiel und Bettler. Lachen. Schüsse. Erste Liebe. Überleben. Aberglaube. Religion. Familie. Mittendrin Abi, rennend, schwitzend, redend, suchend. Wenn man 14 Jahre alt ist und eines Morgens erfährt, dass seinem Vater die Seele abhanden gekommen ist, dann geht man sie suchen. Soviel ist klar. Ein Vater ohne Seele ist eine traurige Angelegenheit. Aber wo sucht man eine Seele? Abis Mutter und leidgeprüfte Ehefrau des um seine Seele Erleichterten würde sich da vertrauensvoll an den nächsten Spirituosenhändler wenden: Seit Jahren schon vermutet sie das Corpus Delicti auf dem Grund einer Schnapsf lasche. Shiku, Abis Freundin und Mythen-Expertin dagegen, macht ein ganz anderes Laster für den Seelenschwund verantwortlich. Die Nyawawa, so weiß sie von ihrer Mutter, ist seit dem liebeskummer-bedingten Freitod ihrer Tochter unermüdlich auf der Suche nach untreuen Männern, die sie zunächst beglückt und dann um ihre Seelen erleichtert. Zur Vergeltung natürlich, und nicht, um sie dem nächstbesten Sohn gleich wieder auszuhändigen. Dazu, so f lüstert im dunkelsten Winkel der unheimlichsten Wellblechhütte des Slums Kiberna eine in blaue Gewänder und furchterregende Schattenspiele gehüllte Nyawawa geheimnisvoll, braucht es schon etwas mehr als ein nettes „Bitte“: Schlüpfe in die Haut eines anderen. Begleiche jemandes Schuld, ohne zu stehlen. Hilf einem Sünder, ohne ihn zu verurteilen. Erkunde eine neue Welt. Erkenne den Unterschied. Rette ein Leben. Stelle dich deiner größten Furcht. „Und dann bekomme ich die Seele zurück?“ will Abi wissen.
Statt einer Antwort gibt es Schattenspiele. Es ist eine Gratwanderung, auf der sich Abi befindet, zwischen den Andeutungen des Vaters, dem pragmatischen Überlebenskampf der Mutter, den Mythen der Freundin, seinen Ängsten und Hoffnungen … und damit ist es das ganz normale Leben in Kiberna, dem größten Slum Nairobis. Wenn Abi zwischen Staub und Wellblechhütten eine abhanden gekommene Seele sucht und dabei ein bißchen den Alkohol verflucht, ein bißchen betet und ein bißchen mit mythischen Geisterfrauen verhandelt, befindet er sich genau in dem Spannungsverhältnis, in dem sich das Leben in vielen Teilen Kenias nun einmal abspielt: Zwischen Armut, Religion und Aberglauben. Darüber muss man nicht jammern, das muss man auch nicht glorifizieren. Das ist einfach so. Und genau so zeigt es die kenianisch-ghanaische Regisseurin Hawa Essuman in ihrem Spielfilmdebüt Soul Boy auch. Ohne Tränen. Ohne Kitsch. Ohne Trommelmusik und kleine Kinder mit großen Augen. Mit afrikanischen Augen eben, ohne europäische.
Die europäischen Augen haben in diesem Fall nämlich zum Glück nur zugeschaut: Tom Tykwer und Marie Steinmann, die mit der alternativen Produktionsf irma One Fine Day Films und der britischen NGO Anno’s Africa zusammen ein Filmprojekt ins Leben riefen, um Kindern und Jugendlichen in Kibera die Chance zu geben, ihre Geschichte in einem Kinofilm so zu erzählen, wie sie es wollten. Wenige Wochen lang und mit einem kleinen Budget arbeitete Tom Tykwer in Nairobi, suchte dort Freiwillige und ihre Ideen für seinen Filmworkshop, stellte ihnen sein Wissen und seine Technik zur Verfügung – und hielt sich sonst raus. So stammt Abis Geschichte aus der Feder des kenianischen Autors Billy Kahora, Regie führte Hawa Essuman, die Schauspielerinnen und Schauspieler wurden per Mundpropaganda gesucht und vor Ort gefunden. Manche hatten schon Schauspielerfahrung, manche standen zum allerersten Mal vor einer Kamera. Es wird sich also wohl eher keiner der Beteiligten ernsthaft Hoffnung machen, demnächst einen Brief von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences im Kasten zu haben – Oscar-trächtig ist Soul Boy, der am 2. Dezember 2010 in die deutschen Kinos kommt, ganz bestimmt nicht. Es gibt keine gigantischen Effekte à la Avatar, keine halsbrecherischen Stunts à la Matrix, keine verzwickten Geschichten à la Inception.
Im Gegenteil: Sitzt man, seine westeuropäischen Erwartungen im Gepäck, im Kinosessel und beobachtet Abi, wie er seine Aufgaben nacheinander löst, ist man im ersten Moment fast enttäuscht, dass diese gar so wörtlich erledigt werden und nicht, wie man es mittlerweile von den meisten Filmen gewöhnt ist, bei jeder Aufgabe erst um fünf Ecken gedacht, die große Liebe und der Sinn des Lebens gefunden werden. Im zweiten Moment aber freut man sich, packt die Erwartungen weg, lehnt sich zurück und genießt den wahrscheinlich ehrlichsten, herzlichsten, unaffektiertesten Film seit Langem. Statt den altbekannten Zutaten zum Klassenschlager, die Hollywood meist standardmäßig zusammenschmeißt, umrührt und einen Film draus knetet, gibt es klare Bilder, lange Einstellungen, eine einzelne, stringente Geschichte – und viel Herz für das Land, die Menschen, das Thema des Filmes. Es ist ein nüchterner, pragmatischer Blick auf Kiberna, der die Probleme und Schwierigkeiten genauso sieht wie die Schönheit und Liebenswürdigkeit dieses kleinen Stückchens der Welt.
Es sind authentische Schauspieler, die sich in ihrer natürlichen Umgebung bewegen und die Zuschauerinnen und Zuschauer für einen Moment teilhaben lassen an ihrem Leben. Es ist eine ehrliche Geschichte, die ohne Sozialromantik und Kitsch vom ganz normalen und ganz besonderen Leben in Kiberna erzählt. Und es ist ein ambitionierter Film, der nicht dabei stehen bleibt, dass er ein paar afrikanische Mythen nacherzählt, sondern der die komplexe, spannungsreiche Alltagswelt der Kenianer aufzeigt, ihr Leben zwischen Tradition und Moderne, zwischen Pragmatismus und Sagenwelten, zwischen Religion und Mythen ganz deutlich macht und jede Zuschauerin und jeden Zuschauer einlädt und auffordert, diese Welt für einen Moment zu besuchen, sich hineinnehmen zu lassen in Abis Situation und sich damit auseinander zu setzen. So gewinnt man keinen Oscar, aber so gewann Soul Boy bisher schon den Dioraphte Audience Award auf dem International Film Festival in Rotterdam und den Veto Award auf dem Afrika-Filmfestival in Löwen, Belgien. So prädestiniert man sich auch nicht dafür, Hauptdarsteller in einem F ilmanalyse-Seminar zu werden. Aber so eignet man sich hervorragend, um Menschen, sei es privat oder sei es im Kontext von pädagogischer Arbeit in Schulen oder Jugendgruppen, einen Blick in eine ganz andere Welt zu eröffnen, neue Horizonte aufzuzeigen und sie anzustupsen, sich auf ein ganz anderes Land, auf ein ganz anderes Leben einzulassen und darüber nachzudenken.
Denn das Denken nimmt der Film seinem Publikum nicht ab. Er bezieht nicht Stellung, er zeigt bewusst die Themen und Lebensansätze in Kiberna auf und überlässt es am Ende den Kinobesucherinnen und -besuchern, ob sie Abis Vater oder seiner Mutter, der Nyawawa oder dem Pastor, Abis Freunden oder Shiku glauben wollen, wie es kommt, dass Seelen plötzlich verschwinden und plötzlich wieder auftauchen. Irgendwo zwischen Sonne und Staub, zwischen Wellblechdächern, bunten Tüchern und alten Sandalen. Irgendwo in Afrika.
Soul Boy
Kenia/Deutschland: 2010, 60 Minuten
Produktion: Marie Steinmann, Tom Tykwer, One Dine Day Films
Regie: Hawa Essuman
Darsteller: Samson Odhiambo (Abila), Leila Dayan Opou (Shiku), Krysteen Savane (Nyawawa)
x-verleihElisabeth Jäcklein-Kreis: Datenschutz im Internet – Hier werden Sie geholfen!
Schützt eure Daten! So klingt die Devise allüberall. Datenklau, Cybermobbing und der digitale Big Brother lauern scheinbar in allen Verknüpfungen des World Wide Web. Doch was tun? Zwar ist Selbsterkenntnis – so das viel bemühte gef lügelte Wort – bekanntlich der erste Schritt zur Besserung, allein die Mittel fehlen dem „willigen Geist“ nicht selten. Und nicht jeder, der sich schon einmal nebulös vorgenommen hat, seine Daten in Zukunft besser zu schützen, weiß sofort, dass dazu keine Bankschließfächer und Tresore notwendig sind.Da ist guter Rat gefragt – und der ist auch zu finden. Verschiedene Institutionen, Einrichtungen und Initiativen haben das Problem bereits erkannt und versuchen nun tatkräftig, es zu bannen, indem sie Hilfe suchenden Netz-Nutzerinnen und -Nutzern Informationen, Tipps und auch ganz praktisches Material an die Hand geben. Vom trockenen Aufsatz über Urheberrecht bis zum spannenden Datenschutz-‚Adventure’, von Tipps für die kleinsten User bis zu kompletten Handreichungen für Eltern, Lehrerinnen und Lehrer sowie Pädagoginnen und Pädagogen, fast alles kann man finden. Wobei natürlich nicht alles informatives ‚Gold’ ist, was im Internet so steht und glänzt. Sinnvolle und kritische Auswahl der Angebote ist deshalb vonnöten.
www.bmfsfj.de – Publikationen
www.politischebildung.nrw.de – Multimedia – Podcasts
www.internauten.de
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Zum Lachen und zum Heulen
Alles ist still, nur einige leise Klaviertöne durchbrechen die Nacht. Eine Sternschnuppe bricht sich den Weg über den funkelnden Nachthimmel, während Lisa mit tränennassem Gesicht an Simon lehnt und sie gemeinsam um ihren verstorbenen Bruder Paul trauern. Dann wird das Bild dunkler, die ersten Worte des Abspannes erscheinen und im Publikum werden hastig Tränen von Wangen gewischt und verstohlen Nasen geschneuzt.Angerührt hieß das Thema der Tagung des Internationalen Zentralinstituts für Jugend- und Bildungsfernsehen IZI, die am 07. Dezember 2010 im BR München stattfand: „Lachen und Weinen mit Kinder- und Familiensendungen“. Und die Veranstalter nahmen sich selbst beim Wort: Es wurde schallend gelacht – und es wurde bitterlich geweint.Überhaupt war vieles etwas anders bei dieser Tagung, als man es sonst von Tagungen kennt: Die knapp 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer saßen nicht brav in Stuhlreihen sondern in kleinen Grüppchen um runde Tische, auf denen Kekse, Getränke und ein Mikro zum Diskutieren bereit standen.
Statt ausschweifender Vorträge hatte Gastgeberin Maya Götz sieben Impulsvorträge à fünf Minuten auf die Tagesordnung gesetzt, bei denen die jeweiligen Referentinnen und Referenten im Schnelldurchlauf universelle Themen wie „Gefühle“, „Musik“, „Weinen“ und „Comedy“ erklären oder Forschungsergebnisse zusammenfassen sollten (und es meist sogar schafften). Und statt an einer langen Tafel auf dem Podium nahmen die Diskutierenden auf einem runden Sofa Platz, das auch bei Wetten dass…?! hätte stehen können und plauschten dort angeregt über die gezeigten Filme.
Vormittags machten es sich Bettina Reitz vom BR, Dr. Bernhard Gleim vom NDR, Jan-Willem Bult von KRO und Heike Sistig vom WDR auf der Bühne bequem und besprachen traurige Filme wie den mehrfach ausgezeichneten Trickfilm Der Kleine und das Biest, den Maus-Film Leb wohl, lieber Dachs oder das Drama Mondscheinkinder. Story und Struktur, Thema und Aufmachung, Bild und Ton, alles wurde diskutiert und analysiert, zwischendurch meldeten sich immer wieder eingeladene Expertinnen und Experten aus dem Publikum zu Wort, etwa der Autor von Der Kleine und das Biest oder Kinderpsychologen, die über Trauerarbeit bei Kindern sprachen. Und nachdem die Erwachsenen ausführlich ihre Meinungen ausgetauscht hatten, fanden auch noch die wirklichen Expertinnen und Experten, nämlich die Kinder, Gehör: Ihre Reaktionen und Meinungen zu den gezeigten Filmen wurden per Forschungsbericht, als Zitate oder Videoeinspieler oder im Rahmen der traditionellen ‚Guessing Games‘, bei denen das Publikum Kindermeinungen einschätzen muss, gezeigt – und brachten so manche kluge Erwachsene zum erstaunten Schweigen.
Nach dem Mittagessen ging es thematisch lustiger wenn auch weniger wissenschaftlich zu, auf dem Sofa wurden Plätze getauscht, nun durften Anke Engelke, Jan Markus Linhof, Martin Reinl und Leona Frommelt auf der Couch lustige (Kinder-)Sendungen ansehen und besprechen. Dabei erfuhr das Publikum unter anderem, warum Anke in der Sendung mit dem Elefanten nur gemalte Möbel hat (Zeit- und Geldnot), warum abgetrennte Arme und Beine im medialen Geschichtsunterricht wie bei Horrible Histories nur in Großbritannien, nicht aber in Deutschland funktionieren (zu britischer Humor) und dass Frank Klasen von Super RTL gar nicht dran denkt, ernsthafte Formate in sein Programm aufzunehmen, weil Humor viel weniger Arbeit macht und mehr Quote bringt ("Man muss auch ökonomisch denken"). Er bleibt lieber bei Hannah Montana und Co., für die etwa Anke Engelke nur Naserümpfen übrig hat. Und die Kinder? Lachen sich kaputt, wenn ein kleiner Junge vom Tisch fällt, können aber nichts dran finden, wenn eine Melone eine Handvoll Trauben zerquetscht und konstatieren insgesamt: „Die Anke hat so Quatsch!“Vor lauter Quatsch brachten die Nachmittags-Plauderer das Publikum leider um einige Filmausschnitte und die Abschlussrunde mit Pfarrer Bernd Merz von Matthias-Film um einige Diskussionszeit, allzu traurig dürften darüber aber wenige gewesen sein, schließlich war die Comedy-Diskussion auch um einiges kurzweiliger als etwa Frank Klasens Lob der Quote danach.
Überhaupt, kurzweilig war die ganze Tagung, interessant aus wissenschaftlicher Sicht, bereichernd für alle, die bisher geglaubt haben, sie wüssten schon, was Kinder brauchen und im besten Sinne anders, denn dank schnellem und spannendem Programm rührten schwere Augen im Saal wohl ausschließlich von vergossenen Freuden- und Mitleids-Tränen, nicht aber vom sonst leider oft obligatorischen Kampf gegen das Einnicken. Große oder kleine Expertinnen und Experten hin oder her – am Ende werden sie dann eben doch ganz ähnlich ‚angerührt‘.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder!
Werden Kinder geschützt oder Opfer bloßgestellt? Werden Täter überführt oder Menschenrechte nichtsahnender Mitbürger mit Füßen getreten? Soll Aufklärung vorangetrieben oder lediglich Voyeurismus bedient werden? Das TV-Format Tatort Internet – schützt endlich unsere Kinder, das RTL II seit 18. Oktober 2010 wöchentlich in insgesamt zehn Folgen ausstrahlen will, ruft widersprüchliche Reaktionen hervor und ist Gegenstand teils heftiger Diskussionen on- und offline.Worum geht es? Journalistin Beate Krafft-Schöning macht sich, unterstützt vom Hamburger Ex-Innensenator Udo Nagel, der „Expertise“ der Innocence in Danger-Mitarbeiterinnen Stephanie zu Guttenberg und Julia von Weiler und einem ganzen Stab von „Personenschützern“ auf, „Männern, die sexuellen Kontakt zu Minderjährigen im Internet suchen“ (RTL II), das Handwerk zu legen und die Bevölkerung über Gefahren aufzuklären. Dazu gibt sich Krafft-Schöning zunächst in Internet-Chatrooms als 13-Jährige aus, lernt dort Männer kennen, die (sexuell) an ihr interessiert sind und verabredet ein Treffen. Zu diesem erscheint eine Schauspielerin, die sich zunächst mit dem jeweils angereisten Gegenüber vor laufenden, versteckten Kameras beschäftigt, bis die Akteure der Sendung auf den Plan treten und den (verpixelten) Mann zur Rede stellen.RTL II rühmt sich auf der Sender-Homepage: „Mit der neuen Sendereihe ‚Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder‘ startet ein investigatives und gesellschaftlich relevantes Format, das aufrüttelt, schockiert und alle betrifft. RTL II widmet zehn Folgen – Prime Time – in einem noch nie da gewesenem Rahmen dem Schutz von Kindern und Jugendlichen.“ Das ist nicht ganz falsch: Wenn die Sendung etwas tut, dann schockieren. Und sicher – die Idee, das brisante Thema „Pädophilie im Internet“ aus dem Tabu zu holen, in dem es steckt, Eltern und Gesellschaft für dieses Problem zu sensibilisieren, Strategien zum Umgang damit aufzuzeigen und womöglich sogar Täter zu überführen und an die Justiz zu übergeben, ist zunächst einmal ein hehres und ehrenwertes Unterfangen. Und doch ist die Sendung, die aus diesem Unterfangen entstanden ist, an vielen Stellen mehr als kritisch zu betrachten und schockiert durchaus auf andere als die erwünschte(n) Art(en).
Voyeurismus statt Aufklärung?
Wichtiger und augenfälligster Kritikpunkt, der immer wieder vorgebracht wird, ist dabei die mediale Inszenierung dieses Formates, die Kritiker zu der etwas polemischen Aussage „Voyeurismus statt Aufklärung“ (Abendblatt) verleitet. Tatsächlich dient die Gestaltung der Sendung weniger einer sachlichen Aufklärung und sie vermittelt auch wenig journalistische Qualität. Statt sinnvoller Information zu Problemen, Gefahren und Strategien zum Umgang mit diesen, arbeitet die Produktionsfirma diwafilm lieber mit reißerischen Bildern, schnellen Kamerafahrten, dramatischer Musik und opportuner Vertonung. So werden die Szenen aus dem Off oft sehr polemisch und wertend kommentiert, bei den Chatprotokollen werden etwa die Männer betont markig und ‚machohaft‘, die Mädchen dagegen übertrieben naiv vertont, immer wieder betonen die Protagonistinnen und Protagonisten ihr Entsetzen über die Dreistigkeit und Widerlichkeit der „Überführten“ – Zahlen und Fakten zur tatsächlichen Gefahr oder gar Tipps für Eltern und Kinder findet man dagegen eher spärlich. So vergibt sich das Format die Chance, einen wirklich sinnvollen Beitrag zum „Schutz der Kinder“ zu leisten, bietet stattdessen lediglich Polemik und kann bei unkritischen Rezipientinnen und Rezipienten leider eher zu zusätzlicher, übertriebener Verängstigung statt "Schutz" führen.
Doch nicht nur die formale Aufmachung bewegt sich auf dieser zweifelhaften Ebene, auch inhaltlich tritt der gezeigte Umgang mit Menschen jegliche ethischen und moralischen Maßstäbe mit Füßen. So fragt etwa Rechtsanwalt Niklas Auffermann auf zeit.de sehr treffend: „Ich frage mich, warum nicht über Fälle berichtet wird, die bereits von der Justiz ermittelt wurden. Ist es tatsächlich notwendig, vermeintliche Taten durch eigene Aktivitäten zu provozieren?“ Die Sendung zeigt keine verurteilten Menschen, sie berichtet auch nicht sachlich über die (vermeintlichen) Täter – stattdessen werden Männer auf drastische Art und Weise vorverurteilt, noch bevor ihre Schuld bewiesen ist, die für jeden (auch für vermutlich Pädophile) geltende Unschuldsvermutung und Menschenwürde wird missachtet und sie werden vor einer großen Öffentlichkeit bloßgestellt und diffamiert. Unabhängig von der Schwere ihrer Taten (in manchen Fällen sahen die Ermittlungsbehörden nach Prüfung der tatsächlichen Fakten jenseits reißerischer Aufmachung keinen Grund, Anklage zu erheben) werden diese Männer an einen öffentlichen Pranger gestellt, der ihren Ruf und ihr Ansehen – vielleicht auch ihr psychisches Wohl – für immer ruinieren dürfte. Denn obgleich die Männer in der Sendung verpixelt werden, gibt RTL II fast immer genügend Informationen über Alter, Beruf, Wohnort et cetera preis, so dass sie problemlos identifiziert werden können. Beim amerikanischen Pendant der Sendung, To Catch a Predator, endete dies im Selbstmord eines „Überführten“, nach dem die Sendung abgesetzt wurde (taz). Natürlich darf man die Taten von Kinderschändern nicht schön reden – man darf aber auch nicht einer Lynchjustiz Tür und Tor öffnen und Menschen aufgrund eines vagen Verdachtes öffentlich diffamieren und demütigen. Dies befördert keinen sinnvollen Umgang mit einem schwierigen Thema, sondern lediglich aufgeheizte Stimmung und zerstörte Leben.
Rechtliche Grauzonen
Noch deutlicher wird dieses ethische Problem, wenn man sich vor Augen führt, dass RTL II sich damit auch rechtlich in Grauzonen bewegt. Zunächst einmal greift die Sendung nach Machtbereichen, die ihr nicht zustehen: Medien gelten in Deutschland als vierte Macht; die dritte, also die judikative Gewalt sollte in den Gerichtssälen bleiben. Wenn sich RTL II aufschwingt, ohne Verhandlung und Verteidigung Menschen schuldig zu sprechen, ist das Selbstjustiz und nicht nur überholt, sondern gefährlich. Zudem sind Lockspitzeleinsätze und damit die Provokation von Straftaten (in Deutschland) kein gerechtfertigtes Mittel zur Kriminalitäts-Bekämpfung – Anstiftung zu einer Straftat wäre gar eine eigene Straftat. Schließlich kann man nie wissen, ob jemand genauso gehandelt hätte, wäre er nicht Beate Krafft-Schöning und ihrer extrem aufreizenden Online-Identität begegnet. Dazu kommt natürlich, dass so manche Darstellung eng an der Grenze zu Rufmord bzw. Verleumdung ist – und dass die Redaktion scheinbar auch keine Dringlichkeit sieht, ihr bekannt gewordene Straftaten bzw. Verdachtsmomente an die Polizei weiterzugeben (auch dazu wäre sie rechtlich verpflichtet): Etwa der medial viel beachtete Kinderheim-Leiter aus Würzburg blieb nach der Aufzeichnung der Sendung fünf Monate völlig unbehelligt, bevor sein Arbeitgeber ihn in der Sendung entdeckte und entließ (sueddeutsche.de) – erst als daraufhin massiv Kritik laut wurde, erklärte RTL II, in Zukunft schneller reagieren und enger mit den Behörden zusammenarbeiten zu wollen. Ein solcher Umgang mit Verdachtsmomenten spricht nicht für ein ehrliches Interesse an Aufklärung und Schutz sondern lediglich für Sensations-Journalismus und ist rechtlich zweifelhaft. Die bereits genannte Missachtung der Unschuldsvermutung ist ein weiterer Punkt, den Medienrechtler für schwierig halten. Aus diesen Gründen prüft aktuell die Medienaufsicht, ob die Sendung rechtlich zu stoppen ist (zeit.de), alle Zuschauerinnen und Zuschauer sollten prüfen, ob sie sie mit der gegebenen kritischen Haltung rezipieren.
Glaubwürdigkeit fraglich
Schließlich und endlich drängt sich ein vierter Kritikpunkt auf, der die Entstehung und Glaubwürdigkeit des Formates betrifft. Immer wieder stößt man in Veröffentlichungen mittlerweile auf Ungereimtheiten: So muss man sich doch wundern, dass die gezeigten Männer sich ob der plötzlich auftauchenden Kamerateams nicht überrascht zeigen, sondern Beate Krafft-Schöning gegenüber sofort ihre Schuld eingestehen und ihre eigenen (nicht begangenen) Taten verurteilen. Dazu kommt, dass in diversen Fällen bekannt wurde, dass keine Ermittlungen aufgenommen wurden, weil nicht genügend Hinweise auf eine Straftat vorliegen, dass die Daten der Männer nicht weitergegeben wurden et cetera. Nun darf man es RTL II nicht gleich tun und der Redaktion Dinge unterstellen, die nicht bewiesen sind, man darf aber doch die Frage aufwerfen, ob alle gezeigten Fälle wirklich authentisch sind (RTL II wollte sich zu dieser Frage bislang nicht äußern) und welches Ziel die Sendung tatsächlich verfolgt, nachdem sie im Ergebnis leider mehr aufgeheizte Parolen und Polemik erzeugt als Aufklärung und Hilfe.Aus (medien-)pädagogischer Perspektive ist Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder deshalb mit äußerster Vorsicht zu genießen und sollte mit Kindern und Eltern auch dringend in Gesprächen aufgearbeitet werden. Die reißerische Diffamierung von Menschen und irrationale Panikmache helfen schließlich niemandem. Und um sich über dieses Thema sinnvoll, zielführend und sachlich richtig zu informieren, gibt es mehr als genügend engagierte und gute Angebote, etwa bei Jugendämtern, Erziehungs- und Familienberatungsstellen, beim Kinderschutzbund oder verschiedenen anderen Stellen on- und offline (vgl. etwa www.kinderschutzbund-nrw.de/index5.htm) die man lieber annehmen sollte, wenn man wirklich Bewusstsein schaffen und etwas ändern will.
Zitierte Literatur (Zugriff alle: 22.10.2010):
• http://www.abendblatt.de/hamburg/article1668486/Voyeurismus-statt-Aufklaerung.html
• http://www.zeit.de/gesellschaft/2010-10/tatort-internet?page=1
• http://www.zeit.de/gesellschaft/2010-10/tatort-internet?page=2
• http://www.sueddeutsche.de/panorama/lockvogel-serie-caritas-mitarbeiter-verschwindet-nach-tatort-internet-folge-1.1012713
Bilder: RTL IIWie ist Ihre Meinung zu diesem Format? Wir freuen uns auf Ihren Eintrag im Forum!
Elisabeth Jäcklein-Kreis: stichwort Chatroulette
Teetrinken mit einer englischen Studentin, Smalltalk mit amerikanischen Schülern, zwischendurch ein bißchen rumalbern mit einem italienischen Clown und ein bißchen tanzen mit zwei russischen Mädchen – und das alles zu Hause im eigenen Wohnzimmer. So oder so ähnlich ist Chatroulette gedacht, ein Webdienst, der seine Teilnehmerinnen und Teilnehmer per Knopfdruck mit zufälligen Gesprächspartnerinnen und -partnern überall auf der Welt verbindet. Im November 2009 programmierte der damals 17-jährige russische Schüler Andrei Ternowski das Portal – zunächst als private Spielerei –, auf dem man ohne Login oder sonstige Authentifizierung seine Webcam freigibt und dann willkürlich mit anderen Chatterinnen und Chattern verbunden wird, mit denen man reden, schriftliche Nachrichten tauschen oder sich nur gegenseitig anschauen kann – bis einer nicht mehr mag und per F9 die Scheibe neu anstößt.
Eine nette Abendbeschäftigung also für verregnete Sonntage, könnte man meinen und meinten auch bisher zahlreiche Chat-Willige – je nach Quelle zwischen 20.000 und 30 Millionen. Allerdings versteht unter ‚netter Abendbeschäftigung‘ dann eben doch nicht jeder dasselbe: So warnt Jugendschutz.net vor jugendgefährdenden Inhalten wie Pornografie oder Rechtsextremismus, die hinter der fremden Webcam lauern, das Internet Analyseunternehmen RJMetrics verkündete, etwa 13 Prozent der (meist männlichen) Besucherinnen und Besucher seien „pervers“ und internet-abc.de spricht von einem „Panoptikum der Absonderlichkeiten“. Die taz betitelte ihren Selbstversuch im Kommunikations-Glücksspiel gar mit „Penis. Zack. Penis. Zack. Penis.“ Denn obgleich die Seite obszöne, aggressive oder sexuelle Äußerungen verbietet, mittlerweile auch über einen ‚Melden‘-Button für Verstöße verfügt, tummeln sich in der scheinbar anonymen Fast-Food-Kommunikationswelt doch offensichtlich in großer Zahl Menschen mit zweifelhaften Absichten, die dort scheinbar darauf aus sind, ihr Gegenüber zu schockieren, zu ekeln, zu ängstigen oder aber ihre sexuellen Vorlieben digital auszuleben.
Damit stellt die virtuelle Drehscheibe – und ihre Pendants für mobile Endgeräte wie die mittlerweile wieder eingestellte iPhone-Applikation iChatr oder der Telefon-Dienst Phoneroulette – gerade für (medien-)pädagogische Handlungsfelder eine Herausforderung dar. Was suchen Menschen dort? Was macht den Reiz der Seite aus? Und wie sollte man damit umgehen, wenn Kinder und Jugendliche auf solche Angebote stoßen? Solche Fragen beschäftigen im Moment nicht nur den Anbieter, der bei all der schlechten Publicity um seine Werbeeinnahmen fürchten muss, sondern auch Eltern und pädagogische Fachkräfte.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Viel Exotik, wenig Essenz
Ich möchte eine Geschichte erzählen, die Geschichte eines Mädchens, das in einem anderen Zeitalter aufwuchs – eine Geschichte von Liebe, Hass, Vergebung, Brutalität, und von der Schönheit des Lebens. Es ist eine wahre Geschichte – es ist meine Geschichte.
So schallt es Dolby Digital in den Kinosaal, während zur Einstimmung des folgenden Filmes ein endloser See aus Baumwipfeln über die Leinwand zieht, in Zeitlupe, unterlegt mit gefühlsschwangerer Musik aus Trommelschlägen und kehligen Lauten. So wird auch begrüßt, wer sich hinter den grünen Karton der Originalvorlage – des autobiografischen Romans Dschungelkind von Sabine Kügler – wagt und beginnt zu lesen. Dann allerdings, mit dem Umblättern der ersten Buchseite und mit dem Ausfaden des Vorspann-Liedes im Kino, ist es scheinbar vorbei mit den Gemeinsamkeiten und man taucht ein in zwei Dschungelwelten, beide spannend und aufregend, beide mitreißend und bewegend und doch beide grundverschieden. Worum geht es? Sabine Kügler, acht Jahre alt, ein abenteuerlustiges und offenes Mädchen, wandert mit ihren Eltern und zwei Geschwistern in den Dschungel aus. In West-Papua bezieht die Familie ein schlichtes, selbst gezimmertes Heim aus Baumstämmen und Palmenblättern und lebt fortan mit den Fayu, einem bis dato unbekannten Stamm indigener Eingeborener, die Lendenschurze tragen, sich mittels Tonmodulation verständigen und ihr Mittagessen mit selbst geschnitzten Pfeilen erlegen. Dort freundet sich Sabine mit den Kindern des Stammes an, hält sich eine Spinne als Haustier, planscht nachmittags mit den Krokodilen und lernt nach und nach die Regeln des Stammes und die des Dschungeln kennen und – zum Teil – auch lieben.
Das Leben dort ist im wahrsten Sinn kein Zuckerschlecken (eher ein Zuckerrohr-kauen), das Leben in der noch fast unberührten Natur fordert hohen Tribut, von Kakerlaken im Frühstückskaffee bis zu Schlangenbissen und Malaria. Aber auch das Leben mit dem Stamm birgt einige Herausforderungen, denn die Fayu pflegen einen hartnäckigen Glauben an eine allgegenwärtige Geisterwelt, an Flüche und Zaubereien und an die Blutschuld, die für jedes Verbrechen gezahlt werden muss, und der es zuzuschreiben ist, dass der Stamm sich bereits bei der Ankunft der Küglers fast vollständig selbst ausgerottet hat.
All das erzählt Sabine Kügler in ihrem Buch in kurzen Streiflichtern, in aneinandergereihten Erinnerungsfetzen auf sehr persönliche und leicht lakonische, verklärte Art. Man hat beim Lesen das Gefühl, ihrem Gedankenstrom zu folgen, sich heimlich eingeschlichen zu haben und ihrem Sinnieren über den Dschungel und die Fayu nur zu lauschen – sie erzählt von Freundschaft und Malaria, Englischunterricht und Blutschuld und scheint dabei einfach ihren Assoziationen zu folgen. Regisseur Roland Suso Richter hat wohl versucht, diese Struktur und diese ganz eigene Art aufzugreifen, indem er auch im Film keine zusammenhängende Geschichte aufbaut, sondern einzelne Momentaufnahmen des Lebens zeigt. Unterteilt durch Zwischentitel hat jeder Abschnitt des Filmes ein eigenes Thema, beginnend mit ‚Ankunft‘, endend – natürlich – mit ‚Rückkehr in den Dschungel‘. Nach diesem zaghaften Versuch scheint ihn dann aber doch der Mut verlassen zu haben, ausgetretene Filmdramaturgie-Pfade zu verlassen. So wird aus dem rauen und (lebens-)gefährlichen Dschungelleben im Film ganz schnell romantisch verklärtes Lianen Schwingen und Schlammrutschen. Aus einer geschwisterlichen Liebe und tiefen Verbundenheit zwischen Sabine und einem Fayu-Jungen wird eine hollywood-tauglich überzeichnete, tränenreiche Love Story und aus mit allen Wassern gewaschenen und kämpferischen Fayu-Männern werden Harte-Schale-Weicher-Kern-Stereotype. Und selbst vor zentralen Kernaussagen macht Richter leider nicht Halt in seiner Mission, ein echtes Leben den Vorgaben einer genormten Filmgeschichte anzupassen.
So geht Familie Kügler in der literarischen Vorlage in den Dschungel, um dort als Missionare und Sprachforscher zu arbeiten. Sie begegnen den Fayu mit Respekt für deren Sitten, bleiben aber dennoch ihren Überzeugungen treu, helfen kranken Menschen, die die Fayu als ‚verflucht‘ ansehen und ausstoßen, leben ihnen ein demokratisches Familienleben vor, das einen krassen Unterschied zur Fayu-Sitte darstellt, nach der Frauen ‚gestohlen‘ und ‚besessen‘ werden und zeigen ihnen, dass Nächstenliebe und Vergebung sie weiter bringen als Rache und Vergeltung. Doch sie müssen den Fayu solche Ideen nicht einhämmern: Indem sie ihnen mit Liebe und Respekt begegnen, kommen sie ins Gespräch – und geben den Fayu so die Chance, selbst zu überdenken, ob all ihre Traditionen wirklich noch Sinn machen. Im Film dagegen fehlt der Mut dafür, solche leisen und ehrlichen Annäherungsprozesse zu zeigen. ‚Klausu‘ ist auf der Leinwand plötzlich kein Missionar mehr – christliche Werte entsprechen zwar zumeist den sozial erwünschten, dürfen aber scheinbar nicht beim Namen genannt werden. Stattdessen ist der Familienvater hier Sprachforscher mit Leib und Seele, erfüllt sich im Dschungel einen egoistischen Wunsch (den seine Frau nur widerwillig mitträgt) und nähert sich dem Stamm mit einem sachlichen, wissenschaftlichen Interesse statt mit Menschenliebe. Das gipfelt darin, dass er seiner Frau vorwirft: „Wir sind hier Gäste. Du kannst nicht kommen und ihre Regeln auf den Kopf stellen“, als sie einem angeschossenen Fayu einen Verband und tröstende Worte bringen will. Sein Beruf steht hier über allem, das Leben der Fayu scheint ihn nur so lange zu interessieren, bis er die Sprache kann – dann dürften sie sich wohl auch ausrotten. Wertvoll ist der Film sicher dennoch: Er bietet an vielen Stellen einen wirklich spannenden Blick in eine ganz andere Welt, kann neue Sichtweisen eröffnen und Diskussionen anregen – und eignet sich durch die Unterteilung sicher auch gut, ihn in einer Schulklasse oder Jugendgruppe in Teilen anzusehen und einzelne Aspekte zu diskutieren.
Darüber hinaus lohnt es aber auch, die Originalvorlage einmal zur Hand zu nehmen und selbst nach der eigentlichen Botschaft zwischen Bildern und Buchstaben zu suchen. Denn, wie kino.de es treffend ausdrückt: „Roland Suso Richter macht aus Sabine Kueglers autobiografischem Bestsellerroman ein Culture-Clash-Abenteuer mit guten Darstellern vor exotischer Kulisse.“ Das muss nicht schlecht sein, muss aber auch nicht alles bleiben.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Stichwort Crawler
Er wühlt sich durch die Seiten, kriecht in jeden Winkel, durchforstet alles, was er findet und nimmt mit, was wertvoll aussieht, um seine Schätze dann anzuhäufen und zu katalogisieren. Vor nichts macht er halt und niemand ist vor ihm sicher, wenn er seine Streifzüge antritt. Die Rede ist vom sogenannten ‚Crawler‘, zu deutsch etwa: ‚Kriecher‘ – bisweilen tritt er aber auch als ‚Spider‘, ‚Robot‘ oder ‚Searchbot‘ auf.
Sein engster Komplize ist der Indexer: Er wartet geduldig, um die Schätze zu horten, die der Crawler ihm bringt. Was vielleicht anmuten mag, wie ein futuristisches Wesen aus einem Science-Fiction-Film, ist tatsächlich ein Programm, das im Internet alltäglich ist. Vor allem Suchmaschinen wissen die Vorteile von Crawlern zu schätzen: Sie rüsten die Kriechprogramme mit einer Liste an Homepages aus, die diese nach und nach besuchen, um deren Inhalt auszulesen. Jeder Link, den ein Crawler auf einer besuchten Seite findet, wird zur Liste hinzugefügt, so dass im Schneeballsystem schließlich alle miteinander verlinkten Seiten Besuch vom Crawler bekommen. Alle dort vorhandenen Informationen werden dem Indexer zugespielt, der sie erfasst, in relevant und irrelevant sortiert und dann – der Name lässt es vermuten – indexiert, also systematisiert und katalogisiert.
Für Suchmaschinen dient dies einem ganz einfachen Zweck: Wenn das ganze WWW bereits als dicker, digitaler Katalog vorliegt, lässt sich darin viel schneller ein gewünschtes Ergebnis ausmachen, als wenn die Maschine tatsächlich bei jeder Anfrage auf die mühsame Wanderung durch das unendliche Netz gehen müsste.Doch natürlich lässt sich so ein Crawler auch prima als „Trüffelschwein“ einsetzen und wird deshalb auch oft verwendet, um etwa RSS-Newsfeeds, E-Mail-Adressen oder andere Informationen zu suchen und zu sammeln – das ist dann wiederum nicht immer ganz im Sinne der Betroffenen.
Wie bei der sprichwörtlichen Medaille mit den beiden Seiten gilt also auch hier: Als Suchender kann mir der Crawler durchaus nützlich sein – als Akteur sollte ich mir gut überlegen, was ich ihm unter die digitalen Augen kommen lassen möchte.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Keine Bildung ohne Medien. Kongress
Bereits seit zwei Jahren (März 2009) gibt es die „Initiative Keine Bildung ohne Medien!“ sowie deren „Medienpädagogisches Manifest“, das eine breite Verankerung von Medienpädagogik in allen Bildungsbereichen, flächendeckend und nachhaltig, fordert. Mehr als 1.350 Personen, Institutionen, Verbände et cetera haben ihre Unterschrift unter die Forderungen gesetzt und zeigen ihre Unterstützung für die Anliegen des Manifestes.
Um dieses noch einmal zu diskutieren, mit Nachdruck zu formulieren und damit auch politisch Gehör zu finden, lud Prof. Dr. Horst Niesyto, Sprecher der Initiative, am 24. und 25. März 2011 zum Medienpädagogischen Kongress nach Berlin – die Resonanz sprengte alle Erwartungen.Statt der ursprünglich geplanten 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich mehr als 400 Interessierte auf den Weg in die Hauptstadt gemacht, um dort zwei Tage lang zu diskutieren, sich zu vernetzen, Ideen einzubringen und Forderungen zu formulieren. Volle Hallen und viele Meinungen waren da garantiert – leider aber auch ein paar organisatorische Schwierigkeiten. Dennoch wurden in 13 Arbeitsgruppen (fast) alle denkbaren medienpädagogischen Themen gesammelt, erörtert und weitergedacht, in Vorträgen Schlaglichter, Erfolge und Ziele aufgezeigt und in zwei Podiumsdiskussionen mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik Meinungen ausgetauscht und mitunter hitzig diskutiert. Und so flogen auch die Forderungen nur so durch die Luft in den Seminarräumen und unter dem hohen Dach des Lichthofes.
Die wichtigste Forderung: Medienpädagogik darf nicht weiterhin nur punktuell und projektbezogen gefördert werden, sondern muss auf einer breiten, nachhaltigen und gut vernetzten Basis stehen. Und: Es braucht – auch und gerade von politischer Seite – Nägel mit Köpfen. Das vor allem war das Anliegen der anwesenden Medienpädagoginnen und -pädagogen, auch wenn dies vielen noch längst nicht weit genug ging.Es bleibt doch zu hoffen und liegt nun am Engagement sowohl von Einzelnen wie von Institutionen, dass die vielen ausgearbeiteten Forderungen und Anregungen Gehör finden, wenn sie im Nachklang des Kongresses in die Enquete Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ eingebracht werden – und dass die vielen engagierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung auch weiterhin nicht ruhen, ihre Ideen und Anregungen voranzutreiben und umzusetzen – die im Kongress formuliert und auch die vielen anderen, innovativen Ideen, die auf dem Kongress noch wenig Raum fanden.Damit es in Zukunft immer mehr Bildung in den Medien, immer mehr Medien in der Bildung und immer mehr Nägel mit großen, medienkompetenten Köpfen gibt.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Spiel, Spaß und Ärgernis mit dem ‚klügsten Stift der Welt‘
tiptoi® Stift, Ravensburger, 34,99 €, (Im Lieferumfang: Stift, USB-Kabel, ausführliche Bedienungsanleitung), ab 4 Jahre Tiptoi Globus Puzzleball, Ravensburger, 49,99 € (Im Lieferumfang: Globus; Stift muss separat erworben werden.), ab 8 Jahre, 96 Teile
96 kleine Plastikstücke liegen vor mir auf dem Tisch verstreut. Sie sind bilderbuch-pastellfarben bemalt und alle ein bißchen verbogen und verdellt. Daneben ein oranges Plastik-Gerät, das entfernt an eine Karotte, noch entfernter an einen adipösen Kugelschreiber erinnert. Außerdem verschiedene, undefinierbare Plastikteilchen in allen Größen, Farben und Formen. Beim Anblick des chaotischen Kunststoff-Berges beschleicht mich langsam Hilflosigkeit und das Gefühl, vier Jahre alt zu sein und gerade das große tausend-Teile-Puzzle über den Esstisch geschüttet zu haben: Nur mit Mühe kann ich dem Drang widerstehen, laut und weinerlich „Papaaa“ zu rufen. Leicht resigniert werfe ich nach einigen Anläufen, Ordnung in den Tumult zu bekommen, schließlich meine Trial-and-Error-Ambitionen über Bord und ziehe ergeben die mitgelieferte Bedienungsanleitung aus dem Karton. tiptoi® – Der klügste Stift der Welt brüllt mir die Packung dabei entgegen und ich frage mich, ob der klügste Stift der Welt wohl auch den klügsten Bediener der Welt erfordert.
Doch die Überraschung folgt auf dem Fuß: Als ich derart eingeschüchtert beginne, in der Hochglanz-Anleitung zu blättern, erwarten mich keine aus dem Japanischen übersetzten Grammatik-Ungeheuer, sondern eine nett gestaltete Einführung, die mir schnell eine wahre Ballsaal-Beleuchtung aufgehen lässt. Und dann kann die Bastelstunde losgehen: zwei Plastik-Kärtchen fungieren als Vorlage, die anderen Teile setzen sich nach und nach zu einem Globus zusammen, auf dem mich in bunten Farben nicht nur die Kontinente, sondern auch Schmankerln wie in den jeweiligen Ländern beheimatete Tiere sowie eine tiptoi-Bedientafel anstrahlen. Die Hartplastik-Karotte wird mit einigem Geschraube und Geziehe und zwei kleinen Batterien zum Leben erweckt und fertig ist das ‚audiodigitale Lernsystem‘, die allerneueste Innovation aus dem Hause Ravensburger. Mein kluger Stift begrüßt mich mit einem fröhlichen Dreiklang, lässt sich per USB- und Internet-Verbindung mit dem nötigen Wissen füttern (denn natürlich gibt’s den tiptoi nicht nur für den Globus, sondern für zahlreiche andere Bücher, Puzzles und Lernspiele) und wünscht mir dann viel Spaß mit meinem neuen Globus. Noch etwas skeptisch beginne ich, wahllos auf Länder und Meere zu tippen und mir von der etwas blechernen Stift-Stimme Ländernamen aufsagen zu lassen, die ich auch lesen könnte. Meine Versuche, die Stimme im Stift durch völlig planloses Tippen zu ärgern, scheitern natürlich und sind auf Dauer auch nicht sehr kurzweilig – das hätte mir aber sicher auch ein Vierjähriger sagen können und der befindet sich, im Gegensatz zu mir, an der Untergrenze der Altersempfehlung für den tiptoi. Also schlage ich eben doch wieder die Anleitung auf und lerne nun, was es mit den beiden silbernen Tafeln auf sich hat, die im Paket dabei sind: Die darauf eingezeichneten kleinen Formen und Zeichen fungieren sozusagen als Mittler zwischen intellektuellem Stift und wissbegierigem Anwender. So bringt man das orange Superhirn etwa durch Klick auf eine Art Skyline dazu, statt Ländernamen nunmehr Hauptstädte auszuspucken. Ein Tip auf ein Mund-Symbol beschert hernach Informationen über die Sprache des jeweiligen Landes, außerdem hält der Stift Wissen zu Fläche, Zeitzone, Geografie, Tieren, aber auch „Interessantes“ bereit.
Nach und nach lerne ich so kluge Dinge wie „Dieses Land heißt Marokko“, „Finnland hat 5.300.000 Einwohner“, „Kolumbien hat 1.140.000 m2“, „Die Hauptstadt von Kanada ist Ottawa“, „Eine der einzigartigsten Landschaften der Welt befindet sich an der Nordseeküste und ist 2009 zum Weltkulturerbe ernannt worden: das Wattenmeer“. Zwar hätte der Stift mit seiner etwas freudlosen Stimme vermutlich wenig Chancen als Radiosprecher, aber die Informationshäppchen sind kurz und prägnant, so dass man wirklich etwas erfahren kann. Dennoch braucht es wohl eine ausgeprägte Geografie-Affinität oder wahlweise herannahende Probearbeiten in der Schule, um tatsächlich die Motivation aufzubringen, länger als drei Minuten damit zu verbringen, sich Fakten über aller Herren Länder vor die Füße bzw. die tippenden Finger schmeißen zu lassen. Auch hier kann das Plastik-Wunderwerk aber Abhilfe schaffen und bietet vier verschiedene Spiele an, die je einer bis vier Spieler gemeinsam bestreiten können. In kleinen Variationen sind sie alle Schnelligkeits-Memorys, es gilt, vor dem Gegner Länder, Tiere oder Städte zu finden. Als Gegenspieler können entweder Freundinnen und Freunde herhalten oder – sollten solche gerade nicht greifbar sein – auch der unschlagbare Stift. Der ist zwar – im Gegensatz zu echten Antagonisten –unermüdlich und ein äußerst guter Verlierer, irgendwie ist er mit seiner blechernen Besserwisserei dann aber doch nicht der Gesprächspartner, den ich mir für lange Abende bei Kerzenschein und Rotwein wünsche. Und als ich mich daher von ihm verabschiede, schenkt er mir einen ebenso freudigen Dreiklang wie zur Begrüßung. Er wird mich wohl auch nicht vermissen.
Was bleibt zum Schluss meines Intermezzos mit dem schlauen Gerät? Spaß hat es definitiv gemacht. Der Globus ist schön und liebevoll gestaltet, der Aufbau herausfordernd aber auch spaßig. Kinder brauchen definitiv Hilfe dabei, sowohl kognitiv als auch in Form von Muskelkraft, denn die harten Teile halten zwar für immer, wenn sie einmal am richtigen Platz sind, müssten dorthin aber erst gezwungen werden. Auch die Bedienung ist durchaus reizvoll, der tiptoi hat den „Aha“-Effekt definitiv auf seiner Seite und besticht durch seine Andersartigkeit: Sich einen Globus, ein Bilderbuch oder Ähnliches von einem sprechenden Stift erklären lassen – das will jeder mal probieren. Natürlich ist es unter Umständen auch sinnvoll: Als Geografie-Nachhilfe, um Kindern ein langweiliges Thema ‚peppig‘ zu verkaufen, wenn gerade niemand Zeit hat … Und doch: Nach der ersten Faszination bleibt das langweilige Thema eben doch langweilig, auch wenn es von einem orangen Stück Plastik präsentiert wird. Und nach der ersten Testrunde sind sicher auch Spielkameraden aus Fleisch und Blut auf Dauer reizvoller, als der kleine artifizielle Besserwisser.
Obendrein lässt sich die innovative, digitale Vorleseoma stolz bezahlen: 34,99 Euro muss man für den Stift berappen, die passenden Produkte kommen obendrauf – im Fall Globus wären das 49,99 Euro. Für den Preis kann man die echte Oma schon fast in einen Zug setzen, anreisen lassen und ihr Kaffee und Kuchen spendieren. Bei ihr darf man beim Bilderbuch-Blättern dann nämlich auf einem Schoß sitzen, kann sich interessante Geschichten erzählen lassen und auch mal zurück fragen, kann ganz ohne digitale Unterstützung Memory spielen mit einem Gegner, der nicht auf gewonnene wie verlorene Züge mit gleich bleibendem Phlegma reagiert – und am Ende knipst sie noch das Licht aus und sagt nett „gute Nacht“ statt „Ding Dang Dong“.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Ich bin online, also bin ich
Demletzt, im ÖPNV meines Vertrauens, wurde ich unfreiwillig Zeugin eines Gespräches zweier Mädchen, mittleres Teenie-Alter, angetan mit Chucks, Eastpaks, Haarreifen und iPods. Thema – natürlich – Liebesglück und Liebesleid. Objekt der Begierde – in diesem Fall – „der süße Typ aus dem Schulbus“.
Problem – naheliegend – die Kontaktaufnahme. Während das leidgeplagte Opfer von Amors neuestem Pfeil nur scheue Blicke aus der Ferne wagte, erwies sich die zu Rate gezogene Freundin als patenter und musste nicht lange um gute Ratschläge gebeten werden: „Ganz klar, du gehst hin und fragst nach seiner Handynummer!“
Ganz klar war dabei allerdings leider nur: „Das trau ich mich nicht.“
Eine einfachere Version musste also her und ward schnell gefunden: „Du fragst nach der E-Mail-Adresse.“ Doch leider, bei allen großen Gefühlen, auch der Plan wurde mangels Courage verworfen. Blieb also in den Augen der Ratgeberin nur eine Lösung: „Jemand anders geht hin. Ich könnte zum Beispiel hingehen, dann frag ich ihn, ob er bei facebook ist und dann könnt ihr euch befreunden.“
Noch etwas skeptisch, doch schon weitaus hoffnungsfroher bedachte die unglücklich Verliebte den Vorschlag und kam zum Ergebnis: „Super. Dann kann ich erst mal kucken, wie der so drauf ist und wir schauen uns alle Fotos an und so.“
Nur ein Unsicherheitsfaktor blieb, der schnell identifiziert wurde: Was, wenn der Angebetete nicht bei facebook ist? Plan B und C wurden also gefasst: „Ich frag, ob er bei facebook ist. Wenn er ‚Nein‘ sagt, frag ich, ob er bei SchülerVZ ist. Wenn er wieder ‚Nein‘ sagt, frag ich nach Lokalisten. Und wenn er dann noch ‚Nein‘ sagt … dann ist er eh komisch und du vergisst ihn.“
Darauf schließlich konnten sich die Verkupplungs- Expertinnen einigen und sich an der nächsten Haltestelle zufrieden mit einem „Bis später, im ICQ“ verabschieden. Was aus der gedanklich angebahnten Romanze geworden ist, entzieht sich leider meiner Kenntnis, doch die Moral von der Geschichte ist klar: Erstens: Soziale Netzwerke machen unkommunikativ, einsam und sozial isoliert – zumindest den, der nicht drin ist. Denn wer sich weigert, im digitalen Poesiealbum des 21. Jahrhunderts sein schönstes Foto nebst Hobby, Lieblingsfach und Beziehungsstatus (ganz wichtig!) zu hinterlassen und seine Pinnwand virtuos mit Musikvideos, witzigen Links und Buchstaben-Bildern zu gestalten, der kann nicht alle Gurken im Glas haben und ist entweder Eremit, Sektenanhänger, dem Mittelalter entflohen oder hat was zu verbergen – auf alle Fälle ist er aber, da mag er im Bus so süß aussehen wie er will, ganz schnell weg vom Dating-Fenster.
Zweitens: Datenschutz hin oder her – die online auffindbare Visitenkarte muss stimmen. Musste man früher seine Interessen noch umständlich, analog und nach und nach bekannt geben, gilt jetzt: Ich bin online, also bin ich. Das birgt so manche Herausforderung bei der Interessen- und Fotoalbum-Gestaltung. Schließlich braucht man ein paar seriöse Bilder für Lehrer und eventuelle Arbeitgeber, ein paar coole Bilder für die Freunde, ein paar nette Bilder für neugierige Mädchen aus dem Bus – und natürlich muss man das mühevoll gestaltete Alter Ego mindestens stündlich mobil checken und pflegen, denn der Super GAU wäre natürlich, wenn zwischen der Freundschaftsanfrage der mutigen Bus-Mitfahrerin und dem nächsten eigenen Status-Update etwa Tante Klara auf die grandiose Idee kommt, das Blockflötenkonzert vom letzten Weihnachtsfest mit all ihren Freundinnen und Freunden zu teilen und alle fleißigen Akteure zu verlinken.
Drittens, letztens und der ganzen, schönen neuen Welt zum Trotz: Ob in Zeiten der Cholera oder in Zeiten der weltweiten Vernetzung, die wirklich wichtigen Fragen des Lebens bleiben dann eben doch immer gleich: Irgendjemand muss erstmal selbst ‚hingehen‘…
Elisabeth Jäcklein, Birgit Siehl, Andrea Krüger: Englisch lernen leicht gemacht
Lernerfolg Grundschule. Englisch Klasse 1 – 4. CD-ROM, Windows 98/2000/ME/XP, Pentium 233. Berlin: Tivola in Zusammenarbeit mit The Web Production, 2006. 19,99 €
Englisch – keine Hexerei. Speicherkarte, Windows 98/200/XP: ab Pentium III 400 Mhz. Langenscheidt in Zusammenarbeit mit Extrememory, 2006; 19,90 €
Tell me more Kids 3.0, Englisch 5 – 7 Jahre. CD-ROM, Windows ME/XP, Pentium 200. Auralog. Hamburg: HMH Hamburger Medien Haus, 2006; 29,89 €
Englisch lernen per Computerspiel? Das verspricht Spaß an der Sprache und ganz nebenbei noch einen Lerneffekt, zumindest wenn man den Herstellern und Werbern Glauben schenken möchte. Doch es besteht auch die Gefahr, Kindern auch noch das Freizeitmedium PC zu verleiden, wenn der Erfolg ausbleibt. Tivola hat sich auf diese Gratwanderung begeben und die Lern-CD-ROM Lernerfolg Grundschule produziert. Der kleine grüne Vampir Freddy heißt hier die Lernenden mit fröhlicher Marge-Simpson-Stimme in seinem Heim, Burg Schädelrauch, willkommen und lädt sie ein, die einzelnen Räume zu besuchen. In jedem Raum gibt es ein Themengebiet zu entdecken, von At School über Animals bis Body and Clothes ist alles dabei, was das Lernanfängerherz begehrt. Zu jedem Thema bietet Freddy Aufgaben und Tests an, die er immer fröhlich und ausführlich erläutert. Ist ein Test bestanden, darf das Kind zur Belohnung ein gänzlich Englisch-freies Spiel wie etwa Pingpong spielen. Freddys bester Freund, die Fledermaus Bodo, sitzt dabei immer im Bildschirmeck, grinst schelmisch in die Runde und bietet in seinen Flügeln Hilfe an. Schade ist, dass der Spaß am Spiel schon bei der extrem aufwendigen Installation und einem ersten Blick auf die nicht besonders schönen, dafür aber umso überladeneren Bilder des Schlosses getrübt wird.
Wenn sich dann noch der Sinn der Themengebiete überhaupt nicht erschließt, man etwa beim Fenster It’s party time in eine Schatzkammer gelangt und eine Art Memory zum Thema Valentinstag spielen soll, ist die Verwirrung komplett. Leider ist auch die Abfolge der Spiele stark vorgegeben, das Kind hat kaum Wahlmöglichkeiten und muss vor jeder Übung und jedem Test erst langatmige Erklärungen des grünen Vampirs über sich ergehen lassen. Diese Erklärungen wären im Hilfemenü oder einem beigelegten Heft für die Eltern besser untergebracht und weniger störend. Für jüngere Kinder kann es überdies ein Problem darstellen, dass fast bei jeder Übung schon Englischkenntnisse und Lesefähigkeiten vorausgesetzt werden – dieses Programm ist, wie sein Name schon vermuten lässt, wirklich nur als Ergänzung zum Schulunterricht zu empfehlen.
Einfach die Memory-Card in den mitgelieferten USB Card-Reader einlegen, im Menü auf Start klicken und schon führt auch Langenscheidt Kinder in die Welt des Übernatürlichen. Mit der Hexe Huckla und ihrer englischen Freundin Witchy erleben die Kinder einen normalen Tag einer englischen Hexe Witchy zeigt Huckla ihre Heimat und benennt die verschiedenen Dinge und Begriffe, die ihnen dabei begegnen, auf Englisch. Huckla liefert die deutsche Übersetzung dazu und wiederholt brav alles, was Witchy ihr vorspricht. So lernen die Kinder zunächst nur die Bedeutung der einzelnen Begriffe und werden nicht gleich mit ganzen Sätzen überfordert. Das Ganze erscheint in einer ansprechend bebilderten Umgebung. Nach jeder Episode, jedem Bild, fliegen die Hexen weiter und eröffnen ein neues Thema, welches man aber auch nach Belieben überspringen kann, ohne den Anschluss zu verlieren. Vom Warzen-Zauber bis zum Parkbesuch mit kleinen Hexereien wird in den 21 kleinen Episoden alles erzählt, was die Hexenwelt zu bieten hat. Leider hält sich die Software mit Effekten und Steuerungselementen sehr zurück. Man kann die Erzählungen zwar stoppen, will man sich eine Stelle jedoch nochmals anhören, so muss man die Episode wieder von vorne starten. Es gibt auch auf jedem neuen Bild zwei bis drei Animationen zu entdecken, diese sind jedoch extrem minimalistisch gehalten und können nicht überzeugen. Im Großen und Ganzen erinnert alles eher an ein Hörspiel mit interaktivem Bilderbuch als an eine Software, mit der das Kind aktiv an seinem Lernerfolg mitarbeiten kann. Außer einem kleinen Spiel, das auch erst nach einigem Suchen zu finden ist, steht man der Geschichte als stille Zuhörerin bzw. stiller Zuhörer gegenüber. Hier hält der Begrüßungstext auf der Verpackung das, was er verspricht: Ein Hörspiel, mit dem Kinder mehr als 400 wichtige englische Wörter sprechen und verstehen lernen können. Aber auch nicht mehr.Etwas weniger spukig geht’s beim Konkurrenzprodukt aus dem Hause Auralog zu: Hier übernehmen der grauhaarige Professor Julius und sein quirliger Papagei Calico die Fremdenführer-Rolle. Das Konzept ist verblüffend ähnlich wie bei der Lernsoftware von Tivola: Ein Haus mit Garten und Garage und vor allem zahlreichen Fenstern. Hinter jedem Fenster verbirgt sich auch hier ein Themengebiet, das es – auf Englisch, versteht sich – zu entdecken und schließlich auch zu lernen gilt. Ähnliche Symbole in den Zimmern führen zu ähnlichen Spielen, beispiels-weise liegt in jedem Raum ein Stapel Karten, der einlädt, Memory zu spielen. Die Spiele selbst sind dann aber auf die Themen der Zimmer ausgerichtet: In der Garage spielt man also Memory mit Car und Bucket, im Badezimmer dagegen eher mit Toothbrush und Towel. Pluspunkt hier ist, dass die Installation sehr einfach und schlüssig funktioniert, man kann wählen, ob das Kind lieber in britischem oder amerikanischem Englisch mit Julius und Calico kommunizieren soll, auch die Grafik im 3D-Stil und mit vielen fröhlichen Farben ist ansprechend und einladend. Außerdem können die Eltern im Kids-Manager diverse Voreinstellungen ändern und die Erfolge ihres Sprösslings abrufen. Inhaltlich ist die Palette der angebotenen Spiele wesentlich umfangreicher als in Freddys Portefeuille: Es gibt einfache Memorys, Ausmalbilder und Finde-den-Fehler-Aufgaben für die Kleinen ohne Vorkenntnisse, Zahlen- und Buchstabenrätsel für die etwas Größeren. Abgesehen davon liegt der Reiz des Spiels darin, immer höhere Schwierigkeitsstufen zu meistern und schließlich das Kids Achievement Certificate von Julius entgegen zu nehmen. Ein zusätzliches Schmankerl der 3-CD-ROM Box ist ein mitgelieferter immerwährender Jahreskalender. Mittels dieses Kalenders kann der Englisch-Lernende sich Schritt für Schritt jeden Tag ein neues Wort einprägen. Außerdem gibt es ein zusätzliches Übungsheft, das sich die Kinder selbst zu Hause ausdrucken können.
Das Non-Plus-Ultra ist aber auch die Professor-Julius-Variante nicht: Die Navigation und die Spiele sind zwar sinnvoll, erschließen sich aber nicht immer auf den ersten Blick und während Freddys Stimme auf Schloss Schädelrauch noch nervte, wünscht man sich hier manchmal die eine oder andere Erklärung. So aber muss das Kind alleine per Trial-and-Error einen Weg durchs Englisch-Haus finden, was mühsam und zäh sein kann. Auch auf das Hilfemenü kann es dabei nicht zurückgreifen, da dieses nicht die eigentlich versprochene Hilfe bietet. Es gibt we-der ein Wörterbuch, noch Übersetzungen. Um den eigenen Zwischenstand zu sehen, muss man das Haus erst wieder verlassen. In den Spielen selbst steigert sich zwar die Schwierigkeitsstufe, allerdings sehr langsam und bis das Certificate einmal erreicht ist, haben wohl die meisten Kinder den Ehrgeiz verloren, sich durch endlose und zermürbende Spielrunden zu klicken. Etwas seltsam mutet auch an, dass das Kind zu Beginn des Spiels aufgefordert wird, sich eine eigene Spielfigur zu kreieren, diese Figur übernimmt dann aber lediglich die Funktion des Mauszeigers, könnte also genauso gut voreingestellt sein.
Was aber allen Spielen gemein ist: Es sind und bleiben Lernspiele und keines macht einen großen Hehl aus seinem pädagogischen Zweck. Schade, denn so wird sich das Kind auch beim PC-spielen nach getaner (Schul-)Arbeit immer noch wie auf der Schulbank fühlen, wobei Professor Julius noch eher eine spielerische Reise durch seine Welt anbietet, während Freddy der quietschende Vampir sehr deutlich Übungen und Tests für das Kind bereit hält und lediglich zur Belohnung kurze Vergnügungsspiele anbietet. Bleibt die Verantwortung also bei den Eltern, ihren Kindern das Spiel wenigstens als Freizeitbeschäftigung nahe zu bringen, satt sie per CD-ROM zum lernen zwingen zu wollen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Feel old yet?
Na, woran denken Sie, wenn Sie TikTok hören? An den Wecker neben Ihrem Bett und sein grausames Piepsen? Und bei ‚Feed‘? Assoziieren Sie sofort den alten McDonald und seine vielen, tierischen Freunde? Dann können Sie sich ‚Reel‘ doch sicher nur mit einem Rechtschreibfehler erklären? Nun, es tut mir leid, aber – Sie sind offiziell alt.
Das wüssten Sie natürlich schon längst, wenn Sie in letzter Zeit mal einen Blick in Ihren Feed geworfen hätten, statt immer nur Kinderlieder zu singen und von der Snooze-Funktion zu träumen. Dort fasst sich nämlich die ‚Jugend von heute‘ ein Herz und hilft den betagteren Mitmenschen liebevoll digital über die Straße. Soll heißen: Gibt großzügig Nachhilfe darin, wie und wo man sich altersmäßig bitteschön zu kategorisieren hat. Beispiel gefällig?
Sie müssen sicher gar nicht weit scrollen, bis sie über vertraute Bilder stolpern werden. Kassetten und Bleistifte finden sich da oder auch Telefonzellen. Na, kommen schon nostalgische Gefühle auf? Denken Sie jetzt, diese Feeds wären doch genau das richtige für Sie. Quasi die Ü-30-Party im Netz? Dann lesen Sie mal, was drunter steht: „Young people will never understand!“ zum Beispiel. Herzlichen Glückwunsch. Zur jungen Generation gehören Sie also schonmal nicht. Ach, das kann Sie noch nicht beeindrucken? So alt sind Sie ja gar nicht? Dann scrollen Sie ruhig mal weiter!
Vielleicht schaut Ihnen dann ein sehr junger Harry Potter neben einem gar nicht mehr so jungen John Lennon aus dem Bildschirm entgegen. „Remember Harry Potter?“ werden Sie gefragt. Und während Sie noch arglos nicken, lesen Sie weiter: „This is him now. Feel old yet?“ Na? Geht das Nicken weiter? Feel very old yet? Nicht? Gut, ich hab‘ da noch was für Sie!
Manchmal gibt es nämlich auch lustige Mitmach-Aufgaben im großen, digitalen Kindergeburtstag. Fast so wie damals die Kettenbriefe. Nur ohne Papier und Stift und ohne die Chance auf 1.000 Päckchen Gummibärchen. Heutzutage gibt’s als Hauptgewinn 1.000(.000) Views und Kommentare. Diese Aufgaben heißen dann zum Beispiel: „Tell me you are old without telling me you are old.“ (Also: „Zeig mir, dass du alt bist, ohne zu sagen, dass du alt bist.“)
Und was fällt den jungen Leuten dazu lustiges ein? Sie halten Festnetztelefone und Nintendos in die Kamera. Spielen die Spice Girls und die herzzerreißenden Szenen auf der Titanic ein. Oder sie lauschen dem Geräusch eines Modems, das sich gerade verbindet. Piepiep Krächz Quietsch. Und: Sie zeigen auf ihrem Ausweis, dass ihr Geburtsjahr mit einer 1 beginnt! Eine 1! Als Beweis dafür, dass man den Stempel ‚alt‘ verdient …
Nun ja. Ich persönlich drücke jetzt lieber nochmal auf ‚Snooze‘. Ich weiß eh gerade nicht, wo ich meinen Ausweis hingelegt habe. Hia-Hia-Ho.
Schell, Fred (2003). Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. Theorie und Praxis. Reihe Medienpädagogik, Band 5. 4. Aufl. München: kopaed.
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60 Jahre merz Buchklassiker
(Ehemalige) merz-Redakteurinnen und -Redakteure empfehlen medienpädagogische Klassiker: Dazu haben sie jeweils eine ihrer liebsten, interessantesten, herausforderndsten, wichtigsten ... Publikationen aus dem Regal gezogen, aus der sie heute noch Gewinn und Anregungen ziehen.
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Medien als Unterhalter und Informierer, als Stimulanzien und Zeitfüller, als Lust-, Frust- oder gar Gefahren-Bringer, kurz: Medien als aktiv Einfluss-nehmende Instanzen, denen die Menschen passiv hingegeben bis hilflos ausgeliefert sind. Lange genug spukte dieses Bild durch Köpfe und Literatur. Fred Schell schuf mit seinem Werk zur ‚aktiven Medienarbeit‘ ein Gegengewicht, das lange überfällig war. Basierend sowohl auf Jugendforschung als auch auf Medientheorie stellt Schell das Konzept der aktiven Medienarbeit vor, in der Jugendliche den Medien nunmehr als Gestaltende und Nutzende begegnen, Medien selbst kritisch hinterfragen, für ihre eigenen Zwecke in Dienst nehmen und eigene, neue Produkte und Medien(-Inhalte) kreieren – und somit zu Schaffenden und Gestaltenden ihrer (medialen) Umwelt werden. Nach dem Motto: Wir machen was mit den Medien, nicht die Medien was mit uns. Durchexerziert wird das Konzept nach dessen theoretischer Erarbeitung am Beispiel der aktiven Videoarbeit, einer der ersten, grundlegendsten und immer noch beliebtesten Umsetzungsformen der aktiven Medienarbeit. In dieser doppelten, theoretischen und praktischen Verankerung liegt damit ein Werk vor, das die Medienpädagogik in Theorie und Praxis geprägt hat, das sowohl Begründung als auch praktische Anregung ist und aus medienpädagogischem Forschen und Agieren auch heute nicht wegzudenken ist.
Elisabeth Jäcklein-Kreis ist Mitarbeiterin am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis sowie im kopaed Verlag. Seit 2009 arbeitet sie in der Redaktion von merz | medien + erziehung.
stichwort Drei-Stufen-Test
Ob schon GEZahlt oder abGEZockt – die Rundfunkgebühren sind seit jeher stark umstritten. Die aktuellste Blüte der öffentlichen Diskussion ist der „Drei Stufen Test“, anhand dessen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten seit 1. Juni 2009 ihre Telemedien-Angebote prüfen und deren Finanzierung rechtfertigen müssen. Eingebrockt hat ihnen dieses Süppchen der Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) mit einer Beschwerde bei der EU-Kommission über die Rechtmäßigkeit der Gebühren. Die Kommission erklärte die GEZ zu einer unzulässigen staatlichen Beihilfe – und erwirkte damit eine Änderung im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 01. Juni 2009: Um den eigenen Auftrag transparenter zu machen und seine Einhaltung sicher zu stellen, müssen nun die Rundfunkräte der Sender mittels besagter „drei Stufen“ ihre Angebote in den Telemedien (sprich ihre Homepages und Online-Radios) prüfen. Bis August 2010 haben sie Zeit, die bestehenden Angebote zu testen, danach müssen alle neuen und veränderten Inhalte daraufhin untersucht werden, ob sie 1. demokratische, soziale und kulturelle Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger erfüllen, 2. qualitativ zum publizistischen Wettbewerb beitragen und 3. ihre eigenen Kosten durch Mehrwert rechtfertigen. Ob Rundfunkräte dazu die nötige Expertise und genug Unabhängigkeit haben und ein millionenschweres Testverfahren der richtige Weg zu mehr finanzieller Effizienz ist, sind sich Kritiker allerdings unsicher – die Diskussion geht also bereits jetzt munter weiter.
stichwort Apps & Widgets
Dieser Tage kennt die (Fernseh-)Werbung scheinbar nur ein Thema: Apps. Liedtitel gesucht? Das App findet ihn. Verlaufen? Einfach das App nach dem Weg fragen. Langeweile auf der Zugfahrt? Wofür ist das Spiele-App da? Apps scheinen allgegenwärtig und omnipotent zu sein. Doch was ist das eigentlich genau – ein App? Der Name ist eine Abkürzung des englischen Begriffs ‚application’, also Anwendung. Synonym werden in manchen Zusammenhängen auch das Kunstwort ‚Widget’ (Wi(ndow) + (Ga)dget) oder die Begriffe ‚Gadget’ (technische Spielerei) oder ‚Minianwendung’ benutzt. Doch ob App, Widget oder Gadget, gemeint sind immer kleine Anwendungen, die als Buttons oder ‚Fenster im Fenster’ auf einem Computer- oder auch Handy-Bildschirm erscheinen und ihre Dienste anbieten. Etwa Horoskope, Schlagzeilen oder Navigation per Klick. Bekannt gemacht hat diese Buttons das iPhone, das fast ausschließlich mit Apps arbeitet, mit dem Spruch „Es gibt für alles ein App“; deshalb schreibt so mancher auch die Erfindung und Namensgebung der App(le)s der Apfelmarke zu. Ganz richtig ist das aber nicht, denn als Desktop-Anwendung auf Computern wurden Apps bereits seit Mitte der 90er Jahre von Windows und Apple verwendet. Gängig sind die kleinen Helfer und/oder Spielereien heute – neben dem iPhone – auch im Rahmen von Online-Diensteanbietern – so warten etwa Google und Yahoo! mit App-bestückten Sidebars auf – und Social Communitys: Etwa facebook oder friendster bieten reihenweise Informations- und Spiel-Kästchen an, die auf dem eigenen Profil platziert werden können und der Welt von dort aktuelle Geburtstage von Freunden, Reiserouten oder neue Quiz-Ergebnisse kundtun.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Nazibraut, Skingirl, Mädchen
„Sowas bedien’ ich nicht“ sagt Marisa und schlägt trotzig eine Zeitschrift auf. Unsicherheit macht sich breit, Erstaunen, Ärger. Eine Kundin fordert eine zweite Kasse, ein Kind stellt sich auf die Zehenspitzen, die beiden afghanischen Jungen mit ihren Cola-Flaschen schauen angestrengt auf das Band, kneten ihre Finger. In den Gesichtern spiegelt sich Unsicherheit, Trauer, Ärger, Beschämung. Endlose Sekunden verstreichen, während alle Anwesenden betreten in verschiedene Richtungen sehen und die Kasse leise summt. Marisa blättert eine Seite um, schaut stur auf die Zeitschrift. Um ihren Mundwinkel zuckt es. Dann, endlich, der erlösende Satz: „Mach mal Pause, geh eine rauchen!“ Marisas Mutter ist es, die den Platz an der Kasse des kleinen Supermarktes übernimmt und ihre verunsicherte Kundschaft bedient. Als die beiden Jungen das Geschäft verlassen, wirft Marisa ihnen durch ihren Zigarettenqualm hasserfüllte Blicke zu. Auf ihrem Brustbein gibt das T-Shirt den Blick frei auf ein tiefschwarzes Tattoo: ein Hakenkreuz.
Ausländer bedient sie nicht, denn Ausländer kann sie nicht leiden. Die schnorren sich durch, die nehmen Arbeitsplätze weg, die sind kriminell. Daran hat Marisa keine Zweifel. Genau wie ihr Freund Sandro und der Rest ihrer Clique ist sie sicher, dass ein irgendwie gearteter Krieg nicht mehr lange auf sich warten lässt – ein Krieg, in dem sie gegen alles kämpfen, was sie in Deutschland stört. Ausländer, Arbeitslose, Politiker, Linke, die Polizei. Marisa lebt nicht 1940 – sie lebt 2011. In irgendeinem Dorf in den neuen Bundesländern, wo die Arbeitslosigkeit und die Verzweiflung groß sind, wo rechtsradikale Ideen allzu viel Gehör finden. Dort jobbt sie im Supermarkt, läuft nach Feierabend durch den Zug, um vor laufenden Handykameras Leute zu provozieren oder zu verprügeln, trinkt abends mit ihrer Clique Bier und hört alte Hitler-Reden. Doch an diesem Tag läuft alles irgendwie anders als geplant. Als Marisa die afghanischen Jungen am See wiedertrifft, eskaliert die Situation und die junge Rechtsradikale ist nicht zu bremsen. Ein Wort gibt das andere, Anfeindungen und Drohgebärden enden schließlich in einer Verfolgungsjagd Roller gegen Auto auf der Landstraße, dann die Kollision, Blut, Sirenen. Der Unfall verändert Marisa. Er nagt an ihr, lässt ihr keine Ruhe, stellt alles in Frage, wofür sie lebt, woran sie glaubt. Und während das Leben äußerlich zunächst gleich weitergeht, wird Marisa anders, zieht sich zurück, sucht Kontakt zu Rasul, einem der afghanischen Jungen, ändert schleichend aber unaufhaltsam ihre Perspektive. Nationalsozialismus heute – der Weg hinein in den Extremismus und die (ungleich schwierigere) Läuterung – es ist beileibe kein einfaches Thema, das sich Regisseur David Wnendt da ausgesucht hat. Und er hat es sich nicht leicht gemacht. 1998 wurde er bei einer Reise durch die neuen Bundesländer mit der Nase darauf gestoßen, wie sehr und wie selbstverständlich Rechtsradikalismus dort teilweise an der Tagesordnung ist.
Erschrocken über seine Beobachtungen begann er zu recherchieren, beobachtete das öffentliche Leben, traf sich mit Jugendlichen, führte Gespräche, versuchte, die Szene zu verstehen. Mehr als zehn Jahre später kommt sein Film in die Kinos und der zeichnet ein erschreckendes und bedrückendes Bild. Er zeigt keine Parolen-brüllenden Dummköpfe. Er zeigt auch keine straff organisierte rechte Gruppe, keine ‚schlechten‘ Menschen und keine ‚guten‘. Stattdessen zeichnet er die Lebenswege und Entwicklungen ganz ‚normaler‘ Menschen nach, die durch Umfeld, Sozialisation, Zufall, Pech auf einen Weg geraten, den sie nur schwer wieder verlassen können. Dabei entschuldigt der Film in keinem Moment das Tun der rechten Clique. Doch er zeigt, wie schnell eine solche Ideologie vereinnahmen kann und wie schwer es ist, sich wieder von ihr zu distanzieren. Kriegerin ist dabei kein Film, der viele Effekte und große Show braucht – im Gegenteil, für sein ‚brutales‘ Thema ist er überraschend ruhig und leise (was ihn von dem beinahe einzigen Film unterscheidet, der dieses Thema auf ähnliche Weise anging, American History X). Während Marisa und ihre Freunde im Zug ein asiatisches Pärchen verprügeln, sieht das Publikum die verwackelten Bilder einer Handykamera und die hassverzerrten Gesichter der Peiniger. Als Marisa Rasul und seinen Bruder überfährt, bleibt die Kamera auf ihr Gesicht gerichtet und zeigt, wie sie mit Wut, Aggression und schleichend aufkommender Reue und Panik ringt. Kein Tropfen Blut ist in diesem Moment zu sehen, selbst die Musik im Auto stellt Marisa vor Schreck ab – doch die Beklemmung, die einen überfällt, während man erschrocken tiefer in den Kinosessel rutscht, ist wahrscheinlich größer und nachhaltiger, als ein paar Liter Filmblut sie gemacht hätten. Überhaupt versucht der Film, ehrlich und authentisch zu bleiben und den Zuschauerinnen und Zuschauern keine Stereotype und Hollywood-tauglichen, sekundenschnellen Gesinnungswechsel zu verkaufen. Ebenso wie Marisa sich jahrelang in ihrer rechtsextremen Überzeugung eingerichtet und darauf ihre Identität aufgebaut hat, vollzieht sich der Wandel davon weg langsam und schleichend. Es ist ein kleiner Zweifel, der erst nach und nach neue Ideen, neue Ansichten und irgendwann neue Handlungen nach sich zieht. Aber bis dahin ist es ein langer Weg, auf dem Marisa mitnichten immer überzeugt geht. Stattdessen ficht sie einen harten Kampf mit sich selbst aus, in dem sie darum ringt, zu entscheiden, was sie eigentlich glaubt und was nicht. Und diese Entwicklung gipfelt – und auch das macht die Qualität des Filmes aus – auch nicht in einer einfachen Lösung, in keinem Happy End, sondern in einem drastischen, aber wahrscheinlich dem ehrlichsten Finale, das ernüchtert und doch Platz lässt für mindestens einen Funken Hoffnung. Alina Leyshin, die Marisa verkörpert, trägt den Film dabei in weiten Teilen durch die ehrliche Darstellung der zerrissenen Person. Sie ist aggressiv und empathisch, brutal und verletzlich, konsequent und unsicher zugleich – und macht es damit noch viel schwerer, das Thema oberflächlich und klischeehaft zu behandeln.Kriegerin soll „aufklären, ohne vordergründig pädagogisch zu sein. [Der Film] soll Stellung beziehen, ohne auf Klischees zurückzugreifen. Er soll provozieren und unterhalten, ohne nach billigen Effekten zu haschen.“
Das war David Wnendts Anspruch an sich selbst und sein Werk – und damit beschreibt er selbst eigentlich am besten, was den Film und seine bewegende Wirkung ausmacht. Es ist ein bedrückendes Gefühl, das einen beschleicht, wenn man aus den dunklen Kinosälen zurück in die ‚echte Welt‘ tritt. Kriegerin macht niedergeschlagen und zugleich erschrocken. Während man die Wärme des Sessels und den Popcornduft beim Verlassen des Kinosaales hinter sich lässt, wird wohl auch der Kloß im Hals langsam kleiner und gemäß erfolgreich erlernter Strategien versucht das Unterbewusstsein, die ‚Ist doch nur ein Film‘-Distanzierung zu starten – und kommt doch nicht an gegen das Wissen, dass genau dieser Film, genau im Jahr 2011, genau mitten in Deutschland, leider aktueller ist, als man zugeben möchte. Nicht umsonst wurde der Film daher auch beim Filmfest München hoch gelobt und kann sich bereits mit dem Prädikat besonders wertvoll der FBW, mit dem First Steps Award als Abendfüllender Spielfilm sowie dem Förderpreis für das Drehbuch und die weibliche Hauptrolle schmücken. Und bis zum Kinostart am 19. Januar 2012 können die Macher vielleicht noch auf ein paar weitere Auszeichnungen hoffen – unter anderem läuft Kriegerin im Moment beim Zürich Film Festival, ist nominiert für den MFG-Star und ist beim Filmfestival Münster zu sehen. Für politisch Interessierte und Desinteressierte, für Menschen aus ostdeutschen Dörfern aber nicht minder solche aus westdeutschen Städten, für Lehrerinnen und Lehrer und deren Schülerinnen und Schüler (die aber nicht jünger als circa 14 Jahre sein sollten), für ältere und jüngere Menschen – empfehlenswert ist Kriegerin auf jeden Fall für (fast) alle, denn der Film ist sicher die ehrlichste, schockierendste, drastischste und aufrüttelndste Auseinandersetzung mit einem leider immer noch viel zu sehr unterschätzten und verharmlosten Phänomen.
Kriegerin (Combat Girls)
Deutschland 2011
Sozialdrama103 Minuten
Drehbuch und Regie: David WnendtDarsteller: Alina Levshin, Jella Haase, Sayed Ahmad Wasil Mrowat, Gerdy Zint, Lukas Steltner
Kinostart 19. Januar 2012
Mafilm GmbH
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Hilfe beim Helfen. Seiten und Initiativen rund um Flüchtlinge
Die Ankunft zahlreicher Flüchtlinge aus der ganzen Welt hat in Deutschland eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft hervorgerufen. Doch nicht alle, die gerne helfen wollen, wissen auch, wo sie mit anpacken kön-nen, welche Spenden benötigt werden oder welche Aktionen wirklich ankommen. Um den Flüchtlingen die Ankunft und den Hilfsbereiten das Engagement zu erleichtern, haben sich zahlreiche Angebote formiert, die Kontakte vermitteln, Unterstützungsangebote koordi¬nieren, Informationen sammeln und bündeln ... kurz: Ordnung in ein großes, unübersichtlich und häufig noch nicht endgültig geklärtes Thema bringen.
www.willkommen-bei-freunden.de
Das Bundesprogramm Willkommen bei Freunden – Bündnisse für junge Flüchtlinge ist ein gemeinsames Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Es soll helfen, die Integration von Flüchtlingen in den einzelnen Kommunen vor Ort einfacher und reibungsloser zu gestalten. Besonderes Anliegen ist es, die Eingliederung junger Flüchtlinge in Kindertagesstätten und Grundschulen sowie örtliche kulturelle Angebote zu erleichtern. Dazu wurden bundesweit sechs Servicestellen eingerichtet, gelungene Beispiele aber auch praktische Hilfen werden über die Webseite vermittelt.
www.refugees4refugees.wordpress.com ‚
Erfahrene' Flüchtlinge haben sich im Verein Flüchtlinge für Flüchtline e. V. zusammengeschlossen, um sich zu vernetzen, Informationen zu sammeln und Wissen und Erfahrungen an neu Ankommende weiterzugeben. Der Verein organisiert Begleitpersonen, hilft bei Behördengängen, bietet Übersetzungsdienste und Workshops an, sammelt auf seiner Webseite aber auch Informationen über Presseberichte, politische Entscheidungen, und Demonstrationen.
www.fluechtlinge-willkommen.de
Flüchtlinge integrieren – nicht nur in das Land, sondern ganz konkret in freie Zimmer und Wohnungen, das ist das Ziel der Initiative Flüchtlinge Willkommen. Auf der Webseite werden leere Zimmer an Flüchtlinge vermittelt und umgekehrt. Wer in seinem Haus, seiner Wohnung oder WG Platz übrig hat, kann diesen online anbieten, die Räume werden dann an Flüchtlinge vermittelt – und von Spendengeldern, die ebenfalls online gesammelt werden, bezahlt.
www.proasyl.de
Pro Asyl ist eine unabhängige Menschenrechtsorganisation, die sich bereits seit langem für Flüchtlinge einsetzt, entsprechend ist die Webseite bereits gut gefüllt mit Informationen und Möglichkeiten, aktiv zu werden. Hier werden sowohl News als auch allgemeines Wissen gesammelt – etwa in der Broschüre Refugees Welcome – gemeinsam Willkommenskultur gestalten oder im ‚Material'-Bereich –, aber auch Kampagnen gestartet und Projekte umgesetzt. Zudem findet man Kontakte zu allen Flüchtlingsräten in den Bundesländern Deutschlands sowie Informationen zu örtlichen Aktionen, an denen man sich beteiligen kann (über uns → Förderverein → Mitmachen).
fluechtlingshilfemuenchen.de
Neben diesen bundesweiten Angeboten gibt es viele lokale Initiativen, die Wissen und Informationen vermitteln, praktische Hilfen anbieten und Möglichkeiten aufzeigen, sich zu engagieren, etwa die Flüchtlingshilfe München, auf deren Webseite Münchner Angebote vorgestellt und Kontakte vermittelt werden.
Diese und weitere Angebote finden Sie auch online: www.merz-zeitschrift.de/links
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Beamer an, Jalousie runter, jetzt wird gearbeitet!
Filme in der Schule? Das klingt nach Vertretungsstunde, Ausruhprogramm, Zeittotschläger vor den Ferien … Dabei können Filme so viel mehr sein als der obligatorische Lückenfüller für Stunden, die irgendwie abgesessen werden müssen. Sie sind eine Kunstform und historische Zeugnisse. Sie sind Träger von Ideen, Träumen oder Ideologien. Sie transportieren Emotionen, Wissen oder Fantasien. Sie beleuchten Themen, stellen Fragen und schlagen Antworten vor. Sie sind so vielschichtige Kunstwerke wie kaum etwas anderes: inhaltlich, technisch, ästhetisch, formal, akustisch, ideologisch … Wie kommt es dann, dass Filme nicht längst an der Tagesordnung sind in Lehr-Lernsituationen landauf landab? Die Antwort liegt auf der Hand: In Schulbüchern, Curricula oder in der Lehrerausbildung werden die audiovisuellen Werke schlicht ignoriert, nirgendwo finden Lehrkräfte kompakt und niederschwellig aktuelle Filmlisten, Anregungen zur Unterrichtsgestaltung, Ideen zur Arbeit mit dem Bewegtbild.
Wer Film in pädagogischen Kontexten einsetzen will, braucht entweder einen Experten an der Hand – oder muss sich langwierig durch Filmkanons und Listen wühlen, nächtelang mögliche Filme sichten, Arbeitsaufträge entwerfen, Ideen entwickeln – schlicht das Rad der Filmarbeit scheinbar neu erfinden.Dabei kann alles so einfach sein, gerät man nur an kompetente Unterstützung. Im Schroedel- Verlag kommt diese etwa in knapp 15 mal 20 Zentimetern Plastik daher und nennt sich Grundkurs Film 3 – Kurzfilme! Die DVD, ein gemeinsames Projekt der AG Kurzfilm – Bundesverband Deutscher Kurzfilm, der Bundeszentrale für politische Bildung, des Forschungsprojekts Integrative Filmdidaktik der Pädagogischen Hochschule Freiburg, des Schroedel Verlags und von VISION KINO – Netzwerk für Film- und Medienkompetenz enthält insgesamt 18 Kurzfilme, die im Schulunterricht sowie in der außerschulischen Bildung zur Filmarbeit eingesetzt werden können, sowie zu jedem Film Begleitmaterial zur Bearbeitung. Die Filme wurden ausgewählt von der Empfehlungsliste 100 Kurzfilme für die Bildung und sind alle zwischen drei und 30 Minuten lang, also gut selbst bei 45-Minuten-Taktung einer Lernsituation zu bearbeiten. Inhaltlich haben alle den Anspruch, die Gattung des Kurzfilms darzustellen und für pädagogische Einsätze nutzbar zu machen – dann aber ist es mit den Gemeinsamkeiten auch schon zu Ende.
Das Angebot umfasst Dokumentarfilme, Spielfilme, Animationsfilme, Experimentalfilme, Musikfilme, Werbefilme und Videokunst; es gibt Produktionen aus Deutschland, aus Europa, aus Amerika und aus Afrika; es werden klassische Motive wie Mozarts Papageno ebenso aufgegriffen wie neue oder experimentelle Ansätze und Themen; es findet sich eine Vielzahl filmsprachlicher, filmhistorischer und künstlerischer Herangehensweisen. Da gibt es alte Dr.-Oetker-Werbungen und verdrehte Liebesgeschichten, satirische Dokumentation und politische Statements, futuristische Roboter- Geschichten und tiefe Einblicke in fremde Kulturen und vieles mehr.Zu jedem Film findet sich auf der DVD ein PDFDokument als ‚Arbeitsmaterial‘. Dieses enthält eine kurze Zusammenfassung des jeweiligen Filmes, Hinweise, zu welchem Themenbereich und in welchem Schulfach der Film eingesetzt werden kann sowie verschiedene Arbeitsaufträge, die sich auf den Inhalt oder die Gestaltung des Films beziehen und die Kinder dazu auffordern, sich vertieft mit einem Thema zu beschäftigen, die Botschaften des Filmes zu entschlüsseln und zu hinterfragen oder in eine Diskussion zu treten. Hier und da findet man noch weiterführende didaktische Hinweise für Lehrkräfte, auch wenn diese leider recht kurz kommen. Zwar sind die Arbeitsblätter schön gestaltet und enthalten interessante Impulse und Fragen, noch schöner wären aber auch Ideen zur Gestaltung der Unterrichtssituation, etwa Anregungen zu Gruppenarbeit, zu vertiefenden Aktivitäten, zu eigener, weiterführender Medienarbeit et cetera.
Eine Filmarbeit lediglich auf das Ausfüllen eines Arbeitsblattes zu beschränken ist eigentlich schade. Bisweilen gibt es zwar durchaus auch solche Anregungen auf den Arbeitsblättern als Arbeitsaufträge an die Schülerinnen und Schüler, etwa die Aufforderung, selbst einen Film zu drehen. Hier wäre aber viel mehr möglich gewesen: Gäbe es etwa zusätzlich zu den Blättern für die Schülerinnen und Schüler ein an die Lehrkräfte adressiertes Material, auf dem Ideen, Vorschläge, denkbare Unterrichtsszenarien vorgestellt werden, die dann nach eigenem Belieben umgesetzt werden können, Kopiervorlagen, Anleitungen, zusätzliche Hintergrundinformationen oder Anregungen, wäre sicher eine noch kreativere und spannendere Auseinandersetzung mit den Filmen möglich als über reine Arbeitsblätter.Darüber hinaus bieten die Arbeitsblätter zwar stets eine hilfreiche Einordnung, wo sich ein Film in bestimmten Fächern oder zur Behandlung bestimmter Themen gut einsetzen lässt; leider findet sich diese Zuordnung aber jeweils nur im PDF zu den einzelnen Filmen, so dass eine Auswahl der Filme danach schwierig bzw. langwierig ist – gäbe es noch eine übersichtliche Kategorisierung der enthaltenen Filme, würde das die Arbeit mit dem Material sicher erleichtern.
Trotz allem aber bleibt Grundkurs Film eine schön zusammengestellte, ‚reichhaltige‘ Sammlung an Kurzfilmen, die im Regal jedes Sekundärstufen Lehrers (und natürlich jeder Lehrerin) stehen sollte. Denn hier wird Kindern und Jugendlichen ein spannender, interessanter und bestimmt horizont- erweiternder Einblick in Filmwelten geboten, fernab von Kinoblockbustern oder Privatsender- Unterhaltung. Hier wir das vielfältige Genre Kurzfilm in all seinen Facetten gewürdigt und Filmarbeit für die Lehrkraft sozusagen auf dem silbernen Tablett serviert. Und wer dann gar nicht genug bekommen kann, der kann sich von der DVD die „Empfehlungsliste“ mit 100 Titeln selbst herunterladen und stöbern, der findet im gleichnamigen Buch von Michael Klant viel mehr, viel ausführlichere Informationen – oder er wagt sich gleich an die anderen DVDs der Reihe Grundkurs Film, die sich mit Kino, Fernsehen, Videokunst sowie Filmkanon, Filmklassiker, Filmgeschichte beschäftigen. Eines auf jeden Fall ist sicher: Wenn jetzt der Beamer ins Klassenzimmer und die Jalousie nach unten rollt, ist längst keine langweilige Vertretungsstunde mehr zu erwarten – sondern spannende (Kurz-)Filmarbeit für alle.
Claudia Lampert und Elisabeth Jäcklein-Kreis: Aktuelle Literatur zum Thema Kinder – Medien – Gesundheit
Aufenanger, Stefan/Große-Loheide, Mike/Hasebrink, Uwe/Lampert, Claudia (Hrsg.) (2002). Alkohol – Fernsehen – Jugendliche. Programmanalyse und medienpädagogische Praxisprojekte. Berlin: Vistas Verlag.
Die Studie gibt einen umfassenden Überblick über die Darstellung von Alkohol im Fernsehen. Die Analyse des Sendeangebots von acht Sendern innerhalb einer künstlichen Woche (520 Stunden Programm) zeigt, dass Alkohol in allen Formaten und Genres präsent ist, der Konsum aber nur selten zum Thema gemacht wird. In Ergänzung zur quantitativen Inhaltsanalyse wurden qualitative Interviews und medienpraktische Projekte mit Jugendlichen im Alter von zwölf bis 22 Jahren durchgeführt, die sehr deutlich zeigen, dass die Jugendlichen die Alkoholdarstellungen nicht in der Weise wahrnehmen, wie es die Ergebnisse der Inhaltsanalyse vermuten lassen, und dass die Einstellungen gegenüber Alkohol vor allem durch persönliche Erfahrungen mit Alkohol und das jeweilige soziale Umfeld geprägt sind.
Baumann, Eva (2009). Die Symptomatik des Medienhandelns. Zur Rolle der Medien im Kontext der Entstehung, des Verlaufs und der Bewältigung eines gestörten Essverhaltens. Köln: Herbert von Halem Verlag.
Im Rahmen einer aufwändigen Mixed Method Studie untersucht die Autorin den Zusammenhang zwischen einem gestörten Essverhalten, dem Körperbild und dem Umgang mit Medien. Dafür wurden 45 qualitative Leitfadeninterviews mit Patientinnen im Alter zwischen 15 und 52 Jahren mit unterschiedlichen Formen von Essstörungen durchgeführt. Die qualitativen Daten wurden zunächst computergestützt (Atlas.ti) ausgewertet und die Codes anschließend in ein Statistikprogramm exportiert, mittels dessen schließlich 17 Medienhandlungstypen identifiziert wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Auswahl bestimmter Medienangebote individuellen und krankheitsbezogenen Motiven folgt und sowohl essstörungsbestätigende als auch -bewältigende Funktionen übernehmen kann. Mit Blick auf die Prävention und die Behandlung von Essstörungen plädiert die Autorin dafür, sich intensiver mit den medialen Vorlagen auseinanderzusetzen und den kritischen Blick von Heranwachsenden auf übermäßig schlanke Vorbilder zu schärfen.
Bergsma, Lynda J./Carney, Mary E. (2008). Effectiveness of health-promoting media literacy education: a systematic review. In: Health Education Research, 23, 3, S. 522-542.
Wie kann man jungen Menschen erfolgreich ‚media literacy‘, also Medienkompetenz, anhand von Gesundheitsthemen beibringen? Welche Voraussetzungen und Umstände müssen gegeben sein und wie gestaltet sich die Vermittlung – inhaltlich, personell, zeitlich – am effizientesten? Und was kommt schließlich an? Diese Fragen stellten sich Bergsma und Carney und versuchten, mit Hilfe einer systematischen Auswertung vorhandener Erfahrungen, zu belastbaren Antworten zu gelangen. Dazu zogen sie insgesamt 26 Veröffentlichungen heran, die zwischen 1990 und 2006 in englischsprachigen, peer reviewten Zeitschriften veröffentlicht wurden, und versuchten aus deren Ergebnissen eine Systematik zu erstellen. Sie orientierten sich dabei an verschiedenen Fragen: Auf welche Art und in welchem Rahmen wurde Medienkompetenz vermittelt, wer trat als ‚Vermittler‘ auf und wie alt waren die unterrichteten Kinder und Jugendlichen? Auf welche Medien bezogen sich die jeweiligen Anstrengungen und welche ‚Gesundheitsthemen‘ standen im Vordergrund? Und schließlich: Konnten kurz- oder langfristige Ergebnisse erzielt und beobachtet werden? In übersichtlichen Tabellen geben die Autorinnen einen ausführlichen Überblick über die Arbeiten in ihren verschiedenen Ausprägungen. Auch wenn die beobachteten Auswirkungen schließlich aus verschiedenen Gründen recht knapp ausfallen und wenige Aussagen über langfristige Erfolge oder Misserfolge getroffen werden können, bietet der Artikel dennoch eine lohnende Systematik.
Borzekowski, Dina L. G./Rickert, Vaughn I. (2001). Adolescents Cybersurfing for Health Information. Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine, 155, S. 813-817.
Angesichts der Bedeutung des Internets als Informationsquelle für gesundheitsbezogene Themen untersuchen Borzekowski und Rickert, inwieweit auch Jugendliche im Internet nach Gesundheitsthemen bzw. -Informationen suchen. Hierzu wurden 412 Schülerinnen und Schüler (Durchschnittsalter 15,8 Jahre) gefragt, welche Quellen sie nutzen, um sich über ausgewählte Gesundheitsthemen zu informieren (Familienplanung/sicherer Sex, Diät/Ernährung/Bewegung, Dating/Gewalt in der Familie). 49 Prozent der Befragten gaben an, im Internet schon einmal nach Gesundheitsthemen gesucht zu haben. Nach 17 Gesundheitsthemen befragt, gaben 42 Prozent der Jugendlichen an, schon einmal nach Informationen zu den Themen Sex (sexuelle Aktivitäten, Verhütung, Schwangerschaft) und Fitness/Sport gesucht zu haben, gefolgt von sexuell übertragbaren Krankheiten und Diät/Ernährung (jeweils 37 %). Am wenigsten wurde nach Selbsthilfegruppen (7 %), Gesundheit von Eltern und Kindern (9 %) sowie mentaler Gesundheit (15 %) gesucht.
Große-Loheide, Mike/Neuß, Norbert (Hrsg.) (2007). Körper. Kult. Medien: Inszenierungen im Alltag und in der Medienbildung. Bielefeld: Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationsstruktur in der Bundesrepublik.
Der Band versammelt verschiedene Beiträge, die sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema Körperinszenierungen befassen. Neben Beiträgen zur medialen Körperinszenierung, zum Zusammenhang zwischen Essstörungen und Medien sowie zu den Potenzialen der Medien für die Gesundheitsförderung werden Beispiele praktischer Medienarbeit zu gesundheitsbezogenen Themen oder mit Betroffenen (z. B. Heranwachsenden mit Behinderungen) vorgestellt.
Hancox, Robert J./Milne, Barry J./Poulton, Richie (2004). Association between child and adolescent television viewing and adult health: a longitudinal birth cohort study. The Lancet, 364, 9430, S. 257-262.
Im Zusammenhang mit der Frage nach den gesundheitlichen Auswirkungen der Mediennutzung wird immer auf den Bedarf von Langzeitstudien hingewiesen. Die Autoren nehmen in ihrer Studie die Auswirkungen der Fernsehnutzung in der Kindheit auf die gesundheitliche Verfassung im Erwachsenenalter in den Blick und untersuchten hierzu knapp 1.000 Kinder, die zwischen 1972 und 1973 geboren sind, bis zum 26. Lebensjahr. Die Befunde deuten auf einen Zusammenhang zwischen der Fernsehnutzung in der Kindheit und späterem Übergewicht, geringerer körperlicher Fitness, erhöhtem Cholesterinspiegel und dem Rauchverhalten hin, wohingegen kein Zusammenhang zwischen der Fernsehnutzung und dem Blutdruck festgestellt werden konnte. Wenngleich kein kausaler Zusammenhang unterstellt wird, verweisen die Autoren vor dem Hintergrund ihrer Befunde auf die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen übermäßiger Fernsehnutzung im Kindesalter und schließen sich der Empfehlung der American Academy of Pediatrics (2001) an, die Fernsehnutzungsdauer von Kindern auf eine bis maximal zwei Stunden zu begrenzen.
Lampert, Claudia (2007). Gesundheitsförderung im Unterhaltungsformat. Wie Jugendliche gesundheitsbezogene Botschaften in fiktionalen Fernsehprogrammen wahrnehmen und bewerten. Baden-Baden: Nomos Verlag.
Die Studie untersucht unter Berücksichtigung des Gesundheitsinformationsverhaltens von Jugendlichen das Potenzial fiktionaler Unterhaltungsangebote für die Gesundheitsförderung. Durchgeführt wurden zwölf Gruppeninterviews mit Jugendlichen zwischen 13 und 19 Jahren. Die Ergebnisse der qualitativen Studie zeigen, dass fiktionale Angebote, in denen Gesundheitsthemen aufgegriffen werden, durchaus ihre Spuren hinterlassen und zu einer Sensibilisierung für und zu einer Auseinandersetzung mit gesundheitsbezogenen Themen und dem eigenen Gesundheitsverhalten beitragen können. Vor dem Hintergrund des Mediennutzungs- und Gesundheitsinformationsverhaltens von Jugendlichen werden die Potenziale und Grenzen des Entertainment-Education-Ansatzes diskutiert, auf dessen Grundlage insbesondere in den USA und in Ländern der Dritten Welt unterhaltsame Bildungsprogramme zu gesundheitsbezogenen oder prosozialen Themen konzipiert werden, und abschließend Konsequenzen für Programmgestaltung, Gesundheitsförderung und Medienpädagogik aufgezeigt.
Lampert, Claudia/Schwinge, Christiane/Tolks, Daniel (2009). Der gespielte Ernst des Lebens: Bestandsaufnahme und Potenziale von Serious Games (for Health). MedienPädagogik. Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung (Themenheft 15/16: Computerspiele und Videogames in formellen und informellen Bildungskontexten). Online verfügbar unter: www.medpaed.com/15/lampert0903.pdf [Zugriff: 31.10.2011].
In den letzten Jahren hat sich mit den „Serious Games“ eine Kategorie für Spiele etabliert, die nicht der reinen Unterhaltung dienen, sondern die interaktiven Möglichkeiten für pädagogische Zwecke nutzen. Der Beitrag gibt in Abgrenzung zu anderen Formen computerspielbasierter Wissensvermittlung einen Überblick über einen Teilbereich der Serious Games, die sich mit gesundheitsbezogenen Themen befassen und zeigt die Chancen und Grenzen dieser Angebotsform für Prävention, Gesundheitsförderung und Therapie auf.
Lampert, Thomas/Sygusch, Ralf/Schlack, Robert (2007). Nutzung elektronischer Medien im Jugendalter. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS). Bundesblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 50, S. 643-652.
Die Beobachtung, dass sich die Mediennutzung zunehmend intensiviert, wirft immer wieder die Frage nach den gesundheitlichen Auswirkungen auf. Der Beitrag untersucht auf der Grundlage des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) den Einfluss der Mediennutzung auf die gesundheitliche Verfassung von Elf- bis 17-Jährigen. Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass eine übermäßige Mediennutzung sich negativ auf die körperlich-sportliche Aktivität auswirkt und die Vielseher (mehr als fünf Stunden täglich) zudem stärker von Adipositas betroffen sind.
Nunez-Smith, Marcella/Wolf, Elizabeth/Huang, Helen Mikiko/Chen, Peggy G./Lee, Lana/Emanuel, Ezekiel .J./ Gross, Cary P. (2008). Media and child and adolescent health: a systematic review. Online verfügbar unter:
www.commonsensemedia.org/sites/default/files/Nunez-Smith%20CSM%20media_review%20Dec%204.pdf.
Der Beitrag bietet eine übersichtliche Gliederung und Zusammenfassung von 137 Artikel, in denen die Ergebnisse von 173 Studien zum Thema ‚Medien und Gesundheit‘ referiert werden. Aufgenommen wurden Studien, die Medieninhalte betrachten ebenso wie Studien, die die reine Nutzungsdauer behandelten sowie Kombinationsstudien; auf der ‚Gesundheits‘-Seite wurden Suchterkrankungen (Alkohol, Tabak und Drogen), Übergewicht, Leistungsabfall und Aufmerksamkeitsstörungen einbezogen. Die Ergebnisse fallen mehr als deutlich aus: Nur eine der untersuchten Studien konnte positive Auswirkungen von Mediennutzung auf die Gesundheit nachweisen, alle anderen fanden negative Auswirkungen in verschiedenen Ausprägungen – während Tabakgebrauch in 88 Prozent der darauf fokussierten Studien mit Mediennutzung in einen Zusammenhang gebracht werden konnte, ein verändertes, weniger zurückhaltendes Sexualverhalten gar von 93 Prozent der dies untersuchenden Studien gefunden wurde, konnten sich verschlechternde Schulleistungen nur in 69 Prozent der entsprechenden Studien gezeigt werden. Insgesamt aber fanden 80 Prozent der Studien einen Zusammenhang zwischen Mediennutzung bzw. Medieninhalten und negativen, gesundheitlichen Auswirkungen.
Pagani, Linda/ Fitzpatrick, Caroline/ Barnett, Tracie A./ Dubow, Eric (2010). Prospective associations between early childhood television exposure and academic, psychosocial, and physical well-being by middle childhood. Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine, 164, 5, S. 425-431.
Die kanadische Langzeitstudie untersucht die Auswirkungen der Fernsehnutzung im frühen Kindesalter auf die psychische und physische Entwicklung sowie die Schulleistungen von Zehnjährigen. Befragt wurden 1.314 Eltern und Lehrkräfte. In Bezug auf die gesundheitliche Entwicklung bzw. Verfassung der Kinder zeigen die Ergebnisse, dass diejenigen, die als Kleinkinder mehr als zwei Stunden am Tag fernsahen, später weniger aktiv und weniger sportlich waren, mehr Süßigkeiten zwischen den Mahlzeiten aßen und schon als Zehnjährige fünf Prozent mehr wogen als Kinder, die weniger ferngesehen haben.
Rideout, Victoria (2001). Generation Rx.com. How Young People use the Internet for Health Information. Menlo Park, California: Henry J. Kaiser Family Foundation. Online verfügbar unter:
www.kff.org/entmedia/loader.cfm?url=/commonspot/security/getfile.cfm&PageID=13719
Zwei nur am Rande verwandte Themen werden in der Studie behandelt: Die Frage, ob und wie Jugendliche das Internet nutzen, um sich über gesundheitsbezogene Themen zu informieren sowie die Frage, wie häufig Jugendliche online mit Pornografie in Kontakt kommen und wie sie damit umgehen bzw. was sie von Filtersoftware halten, um dies zu verhindern. Der Zusammenhang ist nicht zu finden, es wird auch nicht ernsthaft versucht, einen herzustellen, die Studie muss wohl als multithematisch hingenommen werden. Dennoch: Zunächst wird untersucht, wie stark Jugendliche das Internet nutzen, um sich über Fragen im Themenfeld Gesundheit zu informieren, wobei sowohl Aufklärung und Information über Themen wie Vorsorge, Verhütung, gesunde Lebensweise als auch spezielle Hilfen bei Krankheiten in Frage kommen. Insgesamt wurden in einer Telefonbefragung 1.209 Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren zu diesem Thema befragt, wobei deutlich wurde, dass Jugendliche das Internet zwar nach wie vor für das am wenigsten vertrauenswürdige Medium halten, dennoch stark darauf zugehen, wenn sie Fragen oder Wissensbedarf haben. 75 Prozent aller befragten Jugendlichen hatten bereits online zu Gesundheitsthemen recherchiert – manche vereinzelt, manche regelmäßig. Mehr als ein Drittel der Befragten gab zudem an, die gefundenen Informationen für sehr nützlich befunden und daraufhin das eigene Verhalten geändert zu haben. Bei einigen führen die neu gefundenen Informationen auch zu Gesprächen mit Eltern, Freundinnen und Freunden oder Ärzten. Pornografie, so belegt die Studie, ist 70 Prozent der befragten Jugendlichen bereits online begegnet, während mehr als die Hälfte dies zwar nicht verstörend oder belastend fand, spricht sich dennoch eine Mehrheit dafür aus, Filtersoftware auf öffentlichen Computern zu installieren, etwa ein Drittel hat Filtersoftware auf dem eigenen PC. Fast die Hälfte der Befragten wurde von dieser Software aber auch bereits davon abgehalten, ‚normale‘ Seiten zu besuchen.
Steinhauff, Nicola (2007). Gesundheitswebsites für Jugendliche. Das Internet als Partner für Jugendliche in Gesundheitsfragen. Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller.
Angesichts der steigenden Zahl von gesundheitsbezogenen Onlineangeboten geht die Autorin der Frage nach, inwieweit Internetseiten für die Prävention und Gesundheitsförderung von Jugendlichen geeignet sind. Genauer in den Blick genommen werden drei Internetseiten aus Deutschland (Drugscom), den USA (Teenshealth) und Großbritannien (Mind, Body & Soul), die hinsichtlich ihrer Nutzerfreundlichkeit, ihrer Informationsqualität sowie bezüglich datenschutzrelevanter Aspekte und der Transparenz im Hinblick auf Anbieter, Autoren und Finanzierung des Angebots beschrieben und bewertet werden. Vor dem Hintergrund der Analyse skizziert die Autorin ihre eigene Modellkonzeption für eine jugendspezifische Gesundheitswebsite.
Stern, Susannah R. (2005). Messages from Teens on the Big Screen: Smoking, Drinking, and Drug Use in Teen-Centered Films. Journal of Health Communication, 10, S. 331-346.
In der Studie werden 43 erfolgreiche Filme aus den Jahren 1999-2001, in denen mindestens ein Jugendlicher eine Hauptrolle spielte, in Bezug auf die Darstellung bzw. den Konsum von Alkohol, Tabak und illegalen Drogen untersucht. Insgesamt wurden 146 jugendliche Charaktere (zwischen zwölf und 19 Jahren) erfasst, von denen 40 Prozent Alkohol tranken, 17 Prozent rauchten und 15 Prozent illegale Drogen konsumierten. Kurzfristige Wirkungen der Drogennutzung werden bei einem Drittel der Charaktere gezeigt, die Alkohol trinken und bei zwei Fünftel, die illegale Drogen konsumieren, längerfristige Folgen werden nur bei einem Viertel der Alkoholkonsumenten und bei einem Zehntel der
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Stichwort Etherpad
Quietschend kratzt die Kreide über die Tafel, dem Protokollanten stehen Schweißtropfen auf der Stirn, während er versucht, in einer Art privaten Steno-Schrift die Meldungen der Diskussionsrunde festzuhalten. Ein neuer Finger schnellt in die Luft. „Ich habe Sie notiert“, verkündet der Gesprächsführer, „ich habe noch zwei Meldungen hier vorne, eine hinten links, zwei in der Mitte – und dann kommen Sie!“
Solche und ähnliche Situationen dürften, ginge es nach Machern und Verfechtern des Etherpads, bald der Vergangenheit angehören. Denn der collaborative real-time editor soll seinen Benutzerinnen und Benutzern ermöglichen, gemeinsam und zeitgleich ein schriftliches Dokument zu erstellen und zu bearbeiten. Das klingt zunächst einmal nicht sehr spektakulär und kommt auch recht schlicht daher: Wer ein Etherpad über einen der verschiedenen Server, die diesen Dienst aktuell kostenlos anbieten, aufruft, sieht sich mit einem einfachen Editor konfrontiert. Ein leeres Blatt, ein Textwerkzeug-Cursor und Buttons, mit deren Hilfe Schrift fett, kursiv und unterstrichen werden kann. Dazu ein kleines Fenster mit der Überschrift ‚Chat’. Alles in allem also etwas weniger, als ein normales Word-Dokument bietet. Der Unterschied liegt allerdings im Wörtchen „collaborative“: Etherpads liegen nicht auf Festplatten und PCs – es gibt sie nur online. Und sie ermöglichen ihren Nutzerinnen und Nutzern das, was Word nicht kann, nämlich das gleichzeitige Arbeiten am selben Dokument. Alle ‚Mitschreibenden’ können sich mit ihrem Namen eintragen und sich eine Farbe aussuchen. Dann darf munter drauflosgeschrieben werden: Jede und Jeder wohin, wie und wie viel er will, aber immer in der eigenen Farbe.
Egal, ob Menschen örtlich getrennt einen gemeinsamen Artikel verfassen oder die Teilnehmenden einer Diskussionsrunde gemeinsam ihre Ergebnisse formulieren wollen – das Etherpad bietet ihnen ein Tool, um anstrengedes Sammeln, Synchronsieren und Herumschicken von Versionen und damit Flüchtigkeits- und Kommunikationsfehler zu vermeiden. Und nebenbei kann im Chat-Fenster notiert werden, was alle wissen sollen, aber trotzdem nicht in den Text soll. Fazit: Ein kleines, aber feines Tool, dass wenig aufregend daher kommt, bei Diskussionen, Brainstormings, Co-Autorenschaft et cetera aber sicher so manchen Leidgeplagten zum Strahlen bringt.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Unerkannt im Netzwerk?!
Es war ein großer Aufschrei, als das weltweit größte soziale Netzwerk Facebook 2011 seine damals aktuellste Neuerung ankündigte: Eine automatische Gesichtserkennung, die über alle online gestellten Fotos laufen und Vorschläge zur Markierung von Personen darin machen sollte. Datenschützer, Medienpädagoginnen und -pädagogen, aber auch viele Nutzerinnen und Nutzer hatten vehement dagegen protestiert und vor allem kritisiert, dass eine solche automatisierte Zuordnung von Bildern zu Personen über die Maßen in die Privatsphäre jedes Einzelnen eingreife und zudem ein erhöhtes Missbrauchs- und Risikopotenzial berge. Es wurde eingefordert, dass Nutzerinnen und Nutzer zumindest um ihr Einverständnis für jedes einzelne, verlinkte Foto gebeten werden müssen – auf keinen Fall dürfe Facebook Bilder ohne jegliches Zutun und Wissen der betroffenen Personen verlinken. Tatsächlich aber wurde die Funktion zunächst fast unbemerkt eingeführt und konnte nur sehr umständlich eingeschränkt oder deaktiviert werden.
Nun scheint das Online-Portal einzulenken, die irische Datenschutzbehörde, die für die Prüfung von Facebook in Europa zuständig ist, teilte mit, dass die Gesichtserkennung zum 15. Oktober 2012 eingestellt werde und Facebook in Europa bis dahin auch alle im Zusammenhang mit dieser Funktion erstellten Profile löschen werde. Damit kam das Portal den Empfehlungen der Behörde vom Dezember 2011 nach. Ob die Gesichtserkennung in dieser oder einer anderen Form zu einem späteren Zeitpunkt wieder eingeführt wird, ließen die Verantwortlichen von Facebook Europa zunächst offen. Aktuell aber zeigte sich die irische Datenschutzbehörde in einem fast 200 Seiten starken Prüfbericht zufrieden mit der Entwicklung des Online-Portals, das in der Vergangenheit bereits mehrmals wegen unzureichender Datenschutz- und Privatsphäre-Einstellungen in der Kritik stand. Dennoch blieben auch einige Kritikpunkte offen: So konnte nicht sichergestellt werden, dass Facebook die Daten von Nutzerinnen und Nutzern, die sich von dem Portal abmelden, auch wirklich und unwiederbringlich aus seinen Archiven löscht. Zudem ist die Weitergabe von sensiblen Daten an Werbetreibende noch immer ein ungeklärter Punkt, so die Behörde.
Elisabeth Jäcklein: Von Mut, Tapferkeit, Zusammenhalt - und einem kleinen Wunder
Kaum sind die Schrecken des Zweiten Weltkrieges im Osten Polens im Jahr 1944 vorüber und die wenigen Überlebenden beginnen, ihr Leben in den zerstörten Dörfern neu aufzubauen, da passiert das Unfassbare: Mehr als tausend Menschen, Juden, tauchen wie aus dem Nichts auf, laufen zerlumpt, ausgelaugt, aber lebend einfach aus den nahen Wäldern. Doch es sind keine Geister, wie viele vermuten. Es sind Flüchtlinge, die sich in den Wäldern versteckten, dort drei Jahre lang ausharrten und wie durch ein Wunder überlebten.Die Geschichte beginnt 1941, als deutsche Soldaten in Osteuropa einfallen und unter den Juden dort ein schreckliches Massaker anrichten. Drei Brüder, Asael, Zus und Tuvia Bielski flüchten sich in die nahen Wälder, verstecken sich unter Büschen und hinter Bäumen, um den Soldaten zu entkommen. Doch sie bleiben nicht lange allein, immer mehr Menschen erfahren von den Brüdern und gesellen sich zu ihnen, ihre Gruppe wächst. Mit der Zeit entsteht eine Gemeinschaft von hunderten, schließlich über 1.000 Menschen, sie bauen sich Hütten im Wald, stehlen Essen von nahen Bauernhöfen, besorgen sich Waffen und ziehen immer weiter rastlos durch den Wald, immer auf der Flucht vor den Nazis. Die Geschichte ist so wahr wie unfassbar und war doch lange unbekannt. Erst Regisseur Edward Zwick verfilmte den Überlebenskampf der Bielski-Brüder in Defiance, der am 5. März auch in den deutschen Kinos zu sehen ist.
Die tapferen Überlebenden sind dabei hochkarätig besetzt: Daniel Craig mimt Tuvia Bielski, den charismatischen Anführer der versteckten Juden, Liev Schreiber gibt Zus Bielski, den etwas jüngeren, rabiateren Bruder und Jamie Bell ist Asael, der jüngste im Bunde. Während ihres gemeinsamen Überlebenskampfes durchleben die Charaktere dabei die ganze Bandbreite der Gefühle. Von der Freude über ihre Rettung bis zur Verzweiflung und Resignation angesichts der nahenden Feinde, von Freundschaft und Liebe im Lager bis zu Konkurrenzkämpfen unter den Brüdern und Hass unter den Flüchtlingen, von ausgelassenen Feiern und guten Zeiten bis Todesangst, Krankheit und Hunger. Schließlich siegen aber immer der Überlebenswille, Gemeinschaftsgefühl und Tapferkeit, so dass die Gruppe auch noch so widrigen Umständen trotzen, noch so übermächtige Hindernisse besiegen und den noch so starken Feind vertreiben kann.
Dass der Film dabei dick aufträgt, mit Special Effects, pathetischer Musik und dramatischen Szenen nicht geizt, ist kaum verwunderlich, schließlich lädt das Thema ja geradezu dazu ein. Ein tapferer Krieger am Rande seiner Kräfte, ein blutüberströmter deutscher Soldat oder ein gebrochenes, weinendes Mädchen weniger hätte auch gereicht – womöglich hätte weniger filmische Dramatik die tatsächliche Unfassbarkeit der Geschichte noch betont.
Doch auch so ist das Publikum gebannt und ungläubig. Aus der Flut der Weltkriegs-Dramen, die so oft sehr stereotyp daher kommen, hebt sich dieser Film hervor. Und bietet sich damit auch geradezu an, das Thema etwa in der Schule einmal von einer etwas anderen Seite zu beleuchten. Gerade für ältere Schülerinnen und Schüler, die von der „Weltkriegsthematik“ oft schon überflutet sind und die auch mit schockierenden Eindrücken umgehen können, dürfte dieser Film eine gute Möglichkeit sein, das Interesse am Thema neu zu wecken.
Aber auch um den Vergleich mit anderen ‚Helden’ dieser Zeit wie Sophie Scholl oder Anne Frank zu ziehen, ist der Film gut geeignet. Jüngere Zuschauerinnen und Zuschauer dagegen können von der Dramatik des Filmes, besonders von den blutigen oder bedrohlichen Szenen und ihrer Realitätsnähe leicht überfordert und geängstigt werden.Im Ganzen also sicher ein sehenswerter Film über Mut, Zusammenhalt und Tapferkeit. Nicht unbedingt überragend in seiner Gestaltung, aber faszinierend in seiner Geschichte, die ganz wahr und doch ganz anders ist – und dem Kinopublikum ein bisschen Glauben an ein Wunder zurück gibt.
Defiance
USA 2008
Regie: Edward Zwick
Darsteller: Daniel Craig, Liev Schreiber, Jamie Bell, Alexa Davalos, Allan Corduner, Mark Feuerstein
Produktion: Edward Zwick und Pieter Jan BruggeVerleih: Constantin Film
Elisabeth Jäcklein: Mit einem vieräugigen Alien zu mehr Weltverständnis?!
„Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, wir sehen sie so, wie wir sind“ prangt auf dem Deckel der monströsen, hellblauen Box. Daneben: step21 – Box [Weltbilder : Bilderwelten] und ein Bild von einem grinsenden, vieräugigen Alien. Nein, die Box ist keine Post aus anderen Galaxien und auch kein Esoterik-Kit für Anfänger. Stattdessen verbirgt sich hinter der bunten Verpackung Lehrmaterial für die Grundschule in Hülle und Fülle.Es ist bereits die zweite „Lernbox“, die step21, die „Initiative für Toleranz und Verantwortung“, diesmal mit Förderung durch die Nordmetall Stiftung, die Robert Bosch Stiftung und Ein Herz für Kinder, herausgegeben hat. Nachdem die erste Box sich an ältere Adressatinnen und Adressaten im Jugendalter richtete und ‚Identität’ zu ihrem großen Thema gemacht hatte, dreht sich nun alles um Weltbilder und Bilderwelten. Konkret bedeutet das: Die Box will Grundschullehrerinnen und -lehrer dabei unterstützen, ihren sieben- bis zehnjährigen Schützlingen Medienkompetenz und interkulturelle Kompetenz nahezubringen. Dazu bietet sie nicht nur Ideen und Hintergrundinformationen, sondern auch komplett ausgearbeitete Stundenentwürfe, Druckvorlagen für Arbeitsblätter, Bilder und Karten, ausgiebig Overheadfolien, Arbeitshefte im Klassensatz sowie drei CDs bzw. DVDs mit Bildern, Filmen, Hörspielen und Software zur Unterrichtsgestaltung. Die reinste Schatzkiste also.Inhaltlich sind die Materialien recht übersichtlich und sinnvoll aufgebaut: Acht verschiedene ‚Lerneinheiten’ fordern die Benutzerinnen und Benutzer auf, sich „zu Hause“, „in meinem Zimmer“, „auf der Straße“, „in der Schule“, „in der Kirche, Moschee & Synagoge“, „im Museum“, „im Einkaufscenter“ und „auf dem Bahnhof“ mit Medien, Bildern und Kulturen auseinanderzusetzen. Dabei gibt es zu jeder Einheit wiederum verschiedene einzelne Themen. ‚Zu Hause’ beispielsweise findet man Familiensituationen und Familienbilder – im wörtlichen und übertragenen Sinn – vor, beschäftigt sich mit Esskultur in Deutschland und anderswo, bekommt einen Einblick in Entstehung, Aufbau und Wirkung von Fernseh(-bildern) und Zeitungen. Zu jedem dieser Themen lassen sich aus der Kiste die verschiedensten Unterrichtsmaterialien zaubern – von Bildern, Folien, Hörspielen oder Filmen zum Einstieg über Spielideen bis hin zu anspruchsvollen Projekten, in denen die Kinder sich selbständig und über einen längeren Zeitraum mit Medienbildern oder Kulturen auseinandersetzen. Dabei sind die Lehrerhefte stimmig aufgebaut und alle Materialien farblich sortiert und mit Verweisen versehen, so dass aus der opulenten Fülle an Material immer das richtige für jede Lerneinheit problemlos gefunden werden kann. In den Schülerheften begleiten das nette Alien Tiro und sein lilaner Freund Flecki die Kinder durch den Bilder- und Kulturendschungel. Und wem die unendlichen Möglichkeiten im Lernkoffer immer noch nicht ausreichen, der findet unter www.step21box.de das passende weiterführende Angebot zur Box, wo es noch mehr Materialien gibt und man zusätzlich Ergebnisse einstellen, sich mit anderen Klassen vernetzen und sich weiter informieren kann.Alles in allem dürfte die Box, die es online auf www.step21.de zu bestellen gibt, also die meisten Lehrerherzen höher schlagen lassen, bietet sie doch schön und kindgerecht gestaltetes und gut ausgearbeitetes Unterrichtsmaterial, ist ansprechend und interessant aufgebaut und überzeugt mit guten Ideen und wirklich viel Inhalt. Über die stolze Schutzgebühr von 137 €, die nur Schulen in Schlesweig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern erspart bleibt, könnte man in Anbetracht dessen sogar hinwegsehen. Weniger angenehm ist allerdings, dass den Machern nach dutzenden Arbeitsblättern und Folien leider die Puste ausgegangen zu sein scheint – das würde zumindest erklären, warum die Video- und Hörspiel-CDs die sonst so angenehm übersichtliche Sortierung gänzlich vermissen lassen und ihren Inhalt unbenannt und unsortiert präsentieren, oder warum die Hörspiel-Software lediglich in einem Verweis auf den Internet-Auftritt besteht. Auch erschließt sich die Themenkombination Weltbilder : Bilderwelten nicht unbedingt selbstredend. So schön das Wortspiel auch sein mag – man fragt sich bisweilen, warum ausgerechnet Medienkompetenz und interkulturelle Kompetenz in eine Lernbox zusammengewurstet werden mussten. Essmanieren in verschiedenen Kulturen etwa haben mit Medien herzlich wenig zu tun und der Zusammenhang zwischen der Arbeit eines Zeitungskioskverkäufers und seinem Migrationshintergrund wirkt auch etwas geschraubt und stereotyp. Vielleicht hätte eine Aufteilung der beiden Themen auf zwei Boxen den quantitativen Umfang jeder einzelnen etwas verringert – aber der inhaltlichen Klarheit des Themas doch einen Gefallen getan. Die hier vorhandene Masse an Vorschlägen lässt sich ohnehin zeitlich kaum im Unterricht unterbringen: Beim Versuch, die Box auch nur annähernd mit einer Klasse durchzuarbeiten, müssten wohl andere Lehrplaninhalte wie das Alphabet und das kleine Einmaleins dran glauben.Dennoch ist die Box alles in allem eine gute Bereicherung für jeden Unterricht und sicher ein guter Schritt, Welt und Medien ein bisschen mehr so zu sehen, „wie sie sind.“
Elisabeth Jäcklein: Auf in den Kampf gegen den visuellen Analphabetismus!
Samstag, 07. März 2009, ARRI Kino München: Der Kulturreferent hatte zur Diskussion geladen – und alle waren gekommen: die Regisseure Edgar Reitz und Peter Sehr, Vision Kino-Mitarbeiterinnen Maren Wurster und Katrin Miller, Filmfest-Veranstalter Andreas Ströhl, und sogar Vera Haldewang vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung als Überraschungsgast fanden sich auf der Bühne des ARRI Kinos in München ein, um fleißig zu diskutieren. In den Kinosesseln harrte derweil ein ansehnliches Grüppchen von Journalistinnen und Journalisten, Medienschaffenden und sonstwie Interessierten der Diskussionen die da kommen sollten.Ist Film ein vernachlässigtes Kulturgut? Sind die SchulKinoWochen unser aller Rettung oder doch nur ein glimmendes Strohfeuer? Macht Frankreich alles besser? Sollten sich Regisseure lieber mehr in Klassenzimmern tummeln statt in Regiestühlen? Oder ist der Lehrplan die Wurzel allen Übels, der Filme so schändlich vernachlässigt? Das waren die Fragen, die sie alle angelockt hatten. Viele Meinungen waren da nicht zu finden, so dass statt hitziger Diskussionen eher abwechselndes Blasen in dasselbe Horn auf der Tagesordnung stand. Eine gute Bestandsaufnahme sowie einige interessante Ansätze bot die Runde aber allemal.Der Film ist ein Kulturgut, so der Tenor, mit dem Jugendliche verantwortlich und kompetent umgehen lernen sollten. Und das tun sie nicht zur Genüge. Stattdessen ‚Visueller Analphabetismus’ in deutschen Kinosälen und Fernsehzimmern allerorten.Das kann so nicht weiter gehen, fanden die Disputanten. Der Film als allgegenwärtiges Medium müsse wieder verstanden und geschätzt werden. Sonst gehe die Kreativität im Land der Dichter und Denker über kurz oder lang den Bach runter, das ehrenwerte Filmhandwerk wandere mit Sack und Pack nach Hollywood aus und die deutschen Augen und Gemüter wären den importierten Bewegtbildern hilf- und kompetenzlos ausgeliefert.‚Film’ als Fach im Lehrplan könnte helfen, fanden die einen. Mehr Angebote von Dritten, fanden die anderen. Die SchulKinoWochen sind der Weg zum Glück und zur Kompetenz fanden – wenig erstaunlich – die dritten. Insgesamt waren sich aber alle einig, dass Filme mehr Beachtung brauchen – am besten auf allen Schienen. Bessere Ausbildung der Lehrenden, ein bisschen mehr Verankerung im Lehrplan, ein Deut mehr Zusammenarbeit von Schulen und Hochschulen, hier und da ein Regisseur oder ein praktisches Filmprojekt in den Schulklassen, immer wieder mal ein Festival oder ein Projekt und bitteschön eine große Portion mehr Ansehen für den – in erster Linie deutschen – Film als wichtiges Kultur- und Bildungsgut. So das Rezept aus der Kompetenzbäckerei. Gute Ideen sind das mit Sicherheit, der hehre Wille ist landauf landab zu finden. Jetzt sind die Akteure praktisch gefragt. Lehrerinnen und Lehrer: ran an den Film als Thema statt als didaktisches Hilfsmittel! Regisseurinnen und Regisseure: rein in die Klassenzimmer! Schülerinnen und Schüler: ab hinter die Kameras und die Filmgeschichte-Bücher! Und Politikerinnen und Politiker: an die Bleistifte und Filme in den Lehrplan geschrieben!Ob tatsächlich etwas passiert, bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass den einmütig schönen Worten auch Taten folgen – denn ein diskutierender Regisseur und ein dazu klatschender Journalist machen noch keine Medienkompetenz unter Kindern und Jugendlichen.
Elisabeth Jäcklein: 151 Minuten Deutschland – for better or for worse
Ein lebenserfahrener und redefreudiger ‚Animier-Bar’-Besitzer, ein unschuldig unter Terrorverdacht stehender Wissenschaftler, ein mit Sozialinfarkt ins Krankenhaus eingelieferter Patient namens Deutschland, eine 16-jährige Freidenkerin, die Ulrike Meinhof und Susan Sontag an einen Tisch bringt, ein durch die Lüfte schwebendes Kind, dazu ‚Papst’, ‚Kartoffeln’ und ‚Katastrophe’ – das soll Deutschland sein?Nun, vielleicht nicht Deutschland in Gänze, aber doch ein kaleidoskopartiger Einblick in das Deutschland unserer Tage. Und das war schließlich auch das Ziel, das Regisseur Tom Tykwer und seine Mitstreiter verfolgten, als sie 2007 zum ersten Mal Regisseure, Sponsoren und sonstige kreative Köpfe zusammentrommelten und ihnen ihre Idee von einem filmischen Panoramabild Deutschlands à la ‚Deutschland im Herbst’ von 1977 unterbreiteten. Seitdem haben sie fleißig daran weitergesponnen, Konzepte gebastelt, verworfen und neu gestaltet, über Ideen gebrütet, Pläne geschmiedet und zu guter Letzt die Kameras geschwungen, bis der 151-minütige Patchwork-Film fertig war, der ab 26. März 2009 überall in der Nation über die Leinwand flimmern soll: "Deutschland 09 – 13 Kurzfilme zur Lage der Nation".Entstanden ist dabei tatsächlich ein veritables Kaleidoskop vom Leben in unserem Lande. Schöne Szenen und hässliche Fratzen des Lebens, realistische Alltagsbilder und fantastische Geschichten, kritische Gedanken und poetische Werke – alles, was das Leben nun mal zu bieten hat. Ob man nun die Einzelheiten aus dem ereignisreichen Leben eines Bordellbesitzers bzw. die Wünsche seiner Gäste unbedingt en detail erfahren muss oder wie weit man einen Sarkasmus noch geschmackvoll findet, der versucht, Deutschland möglichst drastisch als Notfallpatient darzustellen, bleibt dabei natürlich jedem und jeder selbst überlassen und ist wohl eine Frage des Geschmacks, über den zu streiten noch selten produktiv war. Auch scheint der eine oder andere Regisseur das – zugegebenermaßen frei gestellte – Thema des Filmes so individuell interpretiert zu haben, dass es ohne Erklärung kaum mehr erkennbar ist. Summa summarum bleibt der Effekt des Gesamtwerkes aber doch der eines monströsen Kaleidoskopes: Begeisterung ob der zahlreichen einströmenden Farben und Bilder, eine kurze Phase der völligen Reizüberflutung, vorübergehende Verwirrung und schließlich doch ein gutes Gefühl und eine kleine Ahnung davon, was Deutschland anno 2009 eigentlich ist: Papst und Kartoffeln, Freiheit und Gefangenschaft, große Gedanken und niedere Instinkte und noch vieles mehr, das 13 Kurzfilme gar nicht alles fassen können.
Elisabeth Jäcklein: Geschichten aus dem Leben
Familien tummeln sich auf Mattscheiben aller Art mit Vorliebe: Von den putzig-netten Flintstones über die schräg-frechen Simpsons und die hilflos-doofen Ludolfs bis zu den tragisch-komischen Windsors gibt es Eltern, Kinder und Anverwandte anscheinend in allen Farben, Formen und Ausführungen. Dazu kommen diverse ‚Eintags’-Familien diverser Namen, die allabendlich bei den öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern auf der Suche nach dem Glück ihre kleinen und großen Abenteuer bestreiten. Wenigstens im Kino will man da doch von banalem Familienglück und -leid verschont bleiben und große Filme über große Themen sehen – oder?Rémi Bezancon sieht das wohl anders und präsentiert seit dem 23. April auch in deutschen Kinos ganz unverdrossen ‚seine’ Familie Duval. Unter dem eher betulich wirkenden Titel C’est la vie – so sind wir, so ist das Leben schickt er die ‚ganz normale’ Familie auf die ganz große Leinwand und will damit ganz viele Zuschauerinnen und Zuschauer begeistern. Ganz schön gewagt.Und tatsächlich: Familie Duval ist nichts Besonderes – eher richtig normal. Der Taxi fahrende Familienvater Robert kämpft zeitlebens um die Liebe seines unterkühlten Vaters, die taffe Mutter Marie-Jeanne lässt sich zwar nicht von ihren pubertierenden Kindern, wohl aber von ihrem unaufhaltsamen Älterwerden beeindrucken, während die Kinder Albert, Raphaël und Fleur jedes auf seine eigene Art die kleineren und größeren Probleme auf dem Weg zum Erwachsenwerden ausfechten. Dazu bietet Bezancon noch nicht einmal eine tolle Verpackung – die Hauptdarsteller wirbeln nicht mittels Special Effects in Zeitlupe durch die Lüfte, es gibt keine dramatische Opernmusik und auch keinen effekt-heischenden zeitgeschichtlichen oder geografischen Hintergrund. So weit, so unspektakulär, derselbe Film läuft wohl in vielen mitteleuropäischen Häusern täglich live.Doch bekanntlich ist nicht alles Gold was glänzt – und manchmal verstecken sich die schönsten Perlen da, wo es am wenigsten glitzert. Die Duvals zumindest haben bereits in den ersten Minuten einen Charme, der den Zuschauer sofort fesselt und bis zum Ende nicht loslässt. Nur fünf ausgesuchte Tage innerhalb von zwölf Jahren ihres Lebens verbringt man mit ihnen, aber fünf Tage, nach denen nichts mehr ist wie vorher: Der Tag, an dem Albert, der Älteste, auszieht und das erste Loch in die heile Familie reißt – jetzt gilt es für alle, ihre Plätze neu zu sortieren. Und das nicht nur am Esstisch. Der Tag, an dem Fleur, die Jüngste, 16 wird und beschließt, erwachsen zu sein – inklusive erstem Mal und erbitterter Feindschaft gegen die allzu coole Mutter. Der Tag, an dem Raphaël seinen Großvater und Seelenverwandten verliert und dafür langsam beginnt, sein eigenes Leben in den Griff zu bekommen. Der Tag, an dem Marie-Jeanne den verzweifelten Kampf gegen ihr Alter aufnimmt. Und schließlich der Tag, an dem Robert erfährt, dass seine Tage gezählt sind. Nur fünf Tage, fünf Wendepunkte im Leben der Familie und ihrer Mitglieder – und doch kommt einem die Familie in diesen fünf Tagen so nah, als kenne man sie ein Leben lang. Man schmunzelt mit Robert und seinem hinreißend feinsinnigen Humor, verzweifelt mit Marie-Jeanne in ihrer so liebenswert starken und doch so verletzlichen Art, grübelt mit Albert über das Leben an sich, im Großen, Ganzen, Kleinen und Halben, lacht von Herzen mit Raphaël, der die Welt mit seinem unbeeindruckten Phlegma ganz einfach nicht ernst nimmt und weint bitterlich mit Fleur, die mitten im Gefühlschaos manchmal zu ertrinken droht. Und immer lacht, weint, grübelt oder schmunzelt man dabei über das eigene Leben, die eigenen Erinnerungen und Erlebnisse, die unweigerlich wachgerufen werden. Nicht umsonst wurde die tragisch-komische Geschichte der tapferen Familie zum Überraschungserfolg in Frankreich und für insgesamt neun Césars nominiert. Denn die fünf Charaktere sind so alltäglich, so normal in ihren Hoffnungen und Ängsten, ihren Freuden und Nöten, dass sich wohl wirklich jeder und jede in ihnen finden kann. Und auch wenn natürlich jede Familie anders ist und sich überall andere Szenen abspielen – die Emotionen und Muster bleiben doch dieselben. Und so ist C’est la vie eine hinreißend ehrliche und berührende Hommage an die Familie, die eindrücklich vor Augen führt, dass es manchmal ganz schön schrecklich und doch meistens ganz schrecklich schön ist, eine Familie zu haben.Vielleicht hat der Film keine millionenschwere Kulisse oder oscarverdächtige Effekte. Vielleicht besteht die Besetzung zu einem beachtlichen Teil aus Nachwuchsschauspielerinnen und -schauspielern und die Musik kommt nicht vom großen Orchester. Doch vielleicht schafft er genau deshalb, was viele teure Hollywood-Streifen bei all dem Streben nach toller Verpackung anscheinend leider verlernt haben: Dass aus den Kinositzen herzhaftes Gelächter und unterdrücktes Schluchzen abwechselnd ertönt; dass wohl jede Zuschauerin und jeder Zuschauer danach heimlich die alten Familiendias entstaubt, um den Zauber der Erinnerungen selbst zu wecken; und dass sie bzw. er dabei immer noch ein leises Ziehen im Zwerchfell spürt, während gleichzeitig die letzte kleine Träne auf seiner Wange trocknet.C´EST LA VIE - SO SIND WIR, SO IST DAS LEBEN(Le premier jour du reste de ta vie)Regie: Rémi Bezancon | Frankreich 2007Mit: Jacques Gamblin, Zabou Breitman, Déborah Francois, Marc-André Grondin, Pio Marmai uva. Verleih: KinoweltKinostart: 23.04.2009
Elisabeth Jäcklein-Kreis: What you see is what I say!?
„Mein Haus, meine Auto, mein Boot“ klingt die Fernsehwerbung in unseren Ohren nach. „Liebes Tagebuch ...“ schrieben neben Anne Frank wohl ungezählte Hände in ungezählte Hefte. „das bin dann mal ich, damit ihr bescheid wisst...“ (sic!) schreibt scotishgirl911 als Einleitung zu ihrem YouTube-Video. Ein Online-Video zur Selbstdarstellung? Dasallgegenwärtige Web 2.0 scheint sich nun auch den Lebensbereich Identitätsarbeit erschlossen zu haben. Die folgende Untersuchung geht diesem Phänomen im Rahmen eines medienpraktischen Projekts auf den Grund.
Literatur
Alby, Tom (2008). Web 2.0. Konzepte, Anwendungen, Technologien. 3., aktualisierte Auflage. München: Hanser Verlag.
Döring, Nicola (2003). Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. 2. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Göttingen: Hogrefe.
Erikson, Erik (1991). Identität und Lebenszyklus. Frankfurt/M.: Suhrkamp.Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2007). JIM-Studie 2007. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart. www.mpfs.de/index.php?id=110 [Zugriff: 20.08.2008]
Mikos, Lothar/Hoffmann, Dagmar/Winter, Rainer (Hrsg.) (2006). Mediennutzung, Identität und Identifikation. Die Sozialisationsrelevanz der Medien im Selbstfindungsprozess von Jugendlichen. Weinheim: Juventa Verlag.
Oerter, Rolf/Dreher, Eva (2002). Identität: das zentrale Thema des Jugendalters. In: Oerter, Rolf/Montada, Leo (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz Verlag.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Große Politik ganz cool?!
Das ZDF ganz jung, MeinVZ ganz vernünftig und Politik ganz nah zum Anfassen. Was irgendwie klingt wie verkehrte Welt ist tatsächlich ein aktuelles Projekt von ZDF und MeinVZ: Politik für alle im Open Reichstag. Ganz im Sinne eines „offenen Parlaments“ und einer „offenen Gesellschaft“, wie das ZDF verlauten ließ – und zudem wohl ganz im geistigen Erbe des amerikanischen Wahlkampfes – lädt das Projekt auf seiner YouTube-Seite www.youtube.com/openreichstag Wählerinnen und Wähler sowie Politikerinnen und Politiker ein, sich online über Wahl und Qual, über große Politik und kleine Sorgen und auch sonst über alles, was man mit mehr oder weniger Mühe mit der Bundestagswahl in Zusammenhang bringen kann, auszutauschen.
Ankermann des Online-Wahlspektakels ist Ex-MTV-Moderator Markus Kavka, der im schicken Anzug versucht, den Spagat zwischen seriösem Politik-Berichterstatter und jugendlichem Zielgruppen-Fischer zu meistern. Der präsentiert den Wahlkampf hier in vier Etappen: In Phase eins drehte sich von 7. Juni bis 19. Juli beim Open Reichstag alles um die „Sonntagsfrage“: Politikerinnen und Politiker verschiedener Parteien stellten jede Woche eine Frage zu einem politischen Thema, die die Wählerinnen und Wähler dann per Videobotschaft beantworten und natürlich möglichst engagiert diskutieren sollten. Ausgewählte Antwort-Videos wurden zusätzlich im ZDF-Programm gezeigt. Ab 19. Juli startete das Projekt in die zweite, die „Deine Meinung“-Phase. Diesmal lösen prominente Partner die Politiker beim Themen-Stellen ab, die Nutzerinnen und Nutzer sind wie gehabt fürs Diskutieren zuständig. Bis 9. August müssen sie damit aber fertig sein, dann nämlich ist die Diskussionsrunde beendet, rien ne va plus. Jetzt werden im Open Reichstag noch einmal die wichtigsten Themen und Meinungen zusammengefasst präsentiert, damit sich auch all diejenigen für ein Kreuzchen entscheiden können, die vorher beim Diskutieren nicht zum Nachdenken gekommen sind.
Ab 16. September schließlich fragt der Open Reichstag: „Debatte, was nun?“ Während und nach der Wahl soll dann aktuell berichtet werden, mögliche Koalitionen werden vorgestellt und immer die neuesten Entwicklungen berichtet. Zusätzlich zeigt die Seite während des ganzen Projektes Beiträge aus ZDF-Sendungen zu aktuellen politischen Themen. Hintergrundinfos zu Politikerinnen und Politikern und ihren Parteien steuert das MeinVZ auf verlinkten Seiten bei. Die Überraschung des Jahres ist diese ‚Wahl 2.0’ eher nicht – nachdem schon im vergangenen Jahr der werdende US-Präsident Barrack Obama schier allgegenwärtig durch das Web geisterte. Und schließlich, betrachtet man die Beteiligung gerade der jungen Wählerinnen und Wähler bei der zurückliegenden Europawahl im – zugegebenermaßen nicht ganz fairen – Vergleich zu ihrer Beteiligung an diversen Social Communitys und Plattformen online, so drängt sich der Verdacht auf, dass das Internet irgendetwas hat, was die Politik nicht hat. Warum also nicht das eine mit dem anderen verknüpfen? Politik + Web 2.0 = begeisterte Jungwählerscharen bei der Bundestagswahl. So oder so ähnlich rechnet bzw. hofft wohl das ZDF. Und die Nutzerinnen und Nutzer rechnen mit. Sie klicken sich zwar nicht invasionsgleich, aber doch recht fleißig in den Open Reichstag und hinterlassen dort ihre Kommentare, Meinungen und Videobotschaften unterschiedlichster – politischer, inhaltlicher und qualitativer – Couleur. Natürlich ist der Versuch, den Wahlkampf in den neuen Medien schmackhaft zu machen, für die Organisatoren ein neuer und so wackeln sie teilweise doch etwas unbeholfen in Kinderschuhen durch ihr Projekt. Markus Kavka scheint nicht ganz genau zu wissen, wieviel Gramm Musiksender-Coolness und wieviel Gramm Heute-Themen-Seriosität den perfekten Web 2.0-Wahl-Teig geben und auch das jugendliche Handschrift-Design der Seite wirkt unecht, wenn der angestrengt jung gelayoutete Text seine Leserinnen und Leser inhaltlich siezt. Das merken auch die Besucherinnen und Besucher der Seite und kritisieren in den – leider am Rand etwas schmal geratenen und nicht thematisch sortierten – „Channel Comments“ abwechselnd das formelle Siezen und das „Fingerfarben-Design“, den denglischen Namen und den negativ belegten Begriff „Reichstag“, die Linken und die Rechten, das ganze Projekt und seine Kritiker. Überhaupt finden sich durchdachte und engagierte politische Aussagen hier neben stumpfen Parolen, Spaßbeiträge neben tiefsinnigen Gedanken – und auch, wenn nicht alle Beiträge wirklich sendetauglich sind, so zeigt das Kaleidoskop der Meinungen doch, dass offenbar ein buntes Grüppchen an unterschiedlichsten Besucherinnen und Besuchern seinen Weg auf die Seite findet. Ob ein genauso buntes und großes Grüppchen auch wieder seinen Weg von der Seite weg in die Wahllokale findet, bleibt abzuwarten und zu hoffen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Mit einem Klick zum Matheprofi
Die Mathearbeit naht, im Schulbuch stehen nur böhmische Dörfer und im Mathe-Heft sind statt Aufgaben irgendwie nur Herzchen und Flugzeuge gelandet. Hilfe muss her und zwar schnell, wenn das Prüfungsblatt nicht ähnlich leer bleiben soll. Doch woher? Der Aushang am schwarzen Brett in der Schule? – Das kann ja Wochen dauern, bis sich da einer meldet! Schnell im Nachhilfeinstitut um die Ecke anmelden? – Dann wird’s eine ziemlich teure Note. Also bleibt doch, was im Jahr 2014 sowieso allen zuerst einfällt: Der Blick ins Netz. Denn da gibt’s ja bekanntlich für (fast) jedes Problem irgendeine Art von Lösungsvorschlag. Und tatsächlich: Wer sich online auf die Suche nach Unterstützung bei Wissensfragen aller Art macht, wird schnell fündig. Von Blogeinträgen über YouTube-Erklärvideos bis hin zu wissenschaftlichen Abhandlungen tummelt sich hier allerhand Wissen zu allerhand Themen – für jeden Anspruch, jedes Zeitkontingent, jede Format-Vorliebe. Mit nur wenigen Klicks wird aus der generellen Ratlosigkeit schon die Qual der Wahl: Denn selbst, wer schnell entschieden hat, dass er sich weder durch eine Doktorarbeit zum Mathestoff wühlen, noch sich allein auf das Erklärvideo der gleichaltrigen Mitschülerin verlassen will, kann aus einem ganzen Fundus an Nachhilfe-Anbietern wählen. Und da ist es manchmal gar nicht so einfach, den richtigen zu finden.
Kostenlos aber nicht umsonst: Mit Salman Khan zum Matheprofi
Ein Name, über den man bei der Suche nach Unterstützung in allen naturwissenschaftlichen Gebieten immer wieder stolpert ist die Khan Academy (www.khanacademy.org). Sie tritt mit dem großen Anspruch auf, „Bildung zum Besseren verändern“ zu wollen, indem „erstklassiges Wissen kostenlos und für jeden, jederzeit verfügbar“ gemacht wird. Dem Gründungsmythos nach wurde die Academy gegründet, als Khan, selbst Mathematiker und Informatiker, seiner Nichte per Tablet und Video Fern-Nachhilfe in Mathe gab und der Erfolg ihn so beflügelte, dass er gleich der ganzen Welt zu besserem Mathe-Verständnis verhelfen wollte. Mittlerweile leitet er einen gemeinnützigen Verein mit einem beeindruckenden Mitarbeiterstab, der bereits mehrere tausend kluge Videos aus den verschiedenen Themenfeldern der Naturwissenschaften in über 30 Sprachen anbietet. Auf der englischen Hauptseite können sich Lernende, Eltern und Lehrkräfte mit je unterschiedlichen Profilen anmelden; Schülerinnen und Schüler, um anhand der angebotenen Videos neues Wissen zu sammeln, es in Übungen zu vertiefen oder sich in einem Coach-System gezielt und intensiv begleiten zu lassen, Lehrkräfte und Eltern, um Einblick in die Fortschritte ihrer Schützlinge zu erhalten.
Auf der deutschsprachigen Seite ist das Angebot etwas rudimentärer, hier gibt es nur Videos, die ohne Anmeldung aufrufbar sind und nach Themen ausgewählt werden können; das internationale Angebot befindet sich aber auch noch im ständigen Aufbau. Die Videos selbst wirken so harmlos, wie ein Lernvideo nur wirken kann: Es gibt keine irgendwie geartete grafische Aufmachung, es sind keine Personen zu sehen – stattdessen präsentiert sich dem wissbegierigen Publikum ein schwarzer Tablet-Hintergrund, auf dem die jeweiligen Inhalte aufgemalt oder vorgerechnet werden, während eine Stimme aus dem Off dazu erklärt. Laut Khan soll es ermutigender sein, bei der Lösung des Problems zuzusehen, statt etwa von einer abgebildeten Person abgelenkt zu werden. Zu vielen Themen bietet die deutschsprachige Seite nach dem Erklär-Video noch ein Video mit Aufgaben an, in denen der eigene Erfolg getestet werden kann. Eine schnelle Hilfe bei akuten Problemen also, ohne Anmeldung und ohne Kosten, allerdings ist der Mathe-Stundenplan auf deutsch bisher auch nicht vollständig abgedeckt – möglicherweise müssen zum Mathelernen also auch noch die Englisch-Kenntnisse ausgepackt oder doch zu einem anderen Portal weitergezogen werden.
Fast wie bei Felix daheim: Mathehilfe mit Fex
Viel heimeliger geht es zu bei www.mathehilfe.tv, einem deutschsprachigen Portal, das rund um seinen Protagonisten Felix Donhöfer alias Fex aufgebaut ist. Auf der übersichtlich gestalteten Seite lassen sich alle Mathe-Themen finden, die auch der deutsche Stundenplan zu bieten hat, von der fünften Klasse bis zu G8-Abitur. Zu jedem Thema bietet die Seite schriftliche Erklärungen, Skizzen und Veranschaulichungen und häufig auch Videos, in denen Fex am Whiteboard steht, Zahlen schreibt oder Funktionen malt und dazu Erklärungen abgibt. Nach jeder Lektion warten auch hier Übungsaufgaben darauf, zu testen, ob sich der gewünschte Lernerfolg wirklich eingestellt hat. Wer dann noch nicht schlau genug geworden ist, kann unter „Frag Fex“ auch seine ganz eigenen Fragen in einer Art Gästebuch loswerden, die dort auffindbaren Fragen sind allerdings nur zu einem kleinen Teil auch wirklich beantwortet. So nett Fex in seinen Videos wirkt, ganz so selbstlos wie die Khan Academy scheint er nicht zu sein, hier gibt es Wissen nämlich nur für Bares: Pro Thema lassen sich zwei Probe-Lektionen kostenlos ansehen, dann fordert die Mathehilfe eine Anmeldung, die die hilfsbedürftigen Surferinnen und Surfer zwischen 7,45 € und 15 € im Monat (je nach Paket) kostet. Kein ganz billiges Vergnügen also, wenn man bedenkt, dass Fex bei seinen Tafelmalereien doch sehr an ein Klassenraum-Szenario erinnert – vielleicht hätte man also gleich der Lehrkraft zuhören können, die von jemand anderem dafür bezahlt wird?
Schicker Inhalt, schicker Preis: professionelle Betreuung vom Sofatutor
Wirklich professionalisiert hat die digitale Nachhilfe www.sofatutor.com, das wahrscheinlich größte deutschsprachige Nachhilfe-Portal. Hier gibt es nicht nur Mathefilme, sondern gleich Unterstützung in allen Schulfächern, wenn auch die schiere Angebotsmenge einen deutlichen Schwerpunkt in den Naturwissenschaften aufweist. Hier ist der Nachhilfelehrer eine GmbH, die ihre Inhalte in Zusammenarbeit mit dem Klett-Verlag anbietet und sich das auch entsprechend bezahlen lässt: Zwischen 14,95 € (im 24-Monats-Abo) und 99,95 € (für einen Monat Einzel-Nachhilfe) muss berappen, wer Zugriff zum begehrten Wissen haben will. Dafür sind aber auch die Inhalte spürbar am professionellsten: Es gibt Lern-Videos, in denen mit schicken Legetrick-Bildchen die gewünschten Zusammenhänge erklärt werden, Übungen und Tests, die das eigene Leistungsniveau bestimmen, Sofort-Hilfe im Fach-Chat, Schüler- und Lehrer-Accounts für den kollaborativen Fortschritt und auf Wunsch und gegen entsprechende Bezahlung auch intensive Einzel- Nachhilfe für den ganz schnellen Lernerfolg. Insgesamt also die mit Abstand umfassendste und in ihrer Aufmachung ansprechendste achhilfestunde im Netz, allerdings auch die teuerste. Alles in allem bleibt es schließlich aber wohl doch eine Frage von persönlichem Geschmack und akutem Bedarf, ob das Netz sich als nachhilfelehrer- Ersatz anbietet oder bewährt: Wer nur schnell eine konkrete Antwort sucht, findet hier sicher auch schnelle Hilfe; ebenso wer die Lücken im eigenen Wissen erst kurzfristig entdeckt, denn die Online-Angebote sind jederzeit und flexibel verfügbar.
Man hat keine Anfahrt, muss keine Termine machen und den Online-Lehrern geht bestimmt auch nie die Geduld aus. Hinter den ‚großen‘ Anbietern stecken zudem meist wirklich kompetente Menschen – Mathematiker, Lehrkräfte oder zumindest Studierende, so dass die Inhalte tatsächlich fundiert und hilfreich sind und meist auch für akute Fragen ein kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung steht. Preislich ist alles möglich, selbst die kostspieligeren Angebote liegen aber meist in ähnlichen oder niedrigeren Gebieten als professionelle Nachhilfe-Institute. Dennoch ist klar: Wer schon im Klassenzimmer Schwierigkeiten damit hat, Erklärungen zu verfolgen, die ihm an einer Tafel angeboten werden, wird möglicherweise auch am Bildschirm nicht die nötige Konzentration aufbringen, denn auch hier ist keine Person anwesend, die einem persönlich und gezielt auf die Finger klopft. Motivation und Initiative muss man schon selbst mitbringen. Auch ist der Lernprozess nie so individuell abgestimmt, wie er es bei einer persönlichen Betreuung sein kann: Hier können nicht die Hausaufgaben gemeinsam gemacht oder das Problem selbst in immer anderen Worten erklärt werden, auch gibt es kein Gegenüber das die eigenen Fragen beantwortet (höchstens punktuell im Chat) und die eigenen Schwachstellen kennt – so ausgereift sind die Portale dann eben doch noch nicht.
Und gerade wer nicht nur schnelle Akut-Hilfe sucht, sondern möglicherweise langfristige Begleitung in einem Fach benötigt, könnte bei einem Oberstufenschüler oder einer Studentin unter Umständen besser und günstiger aufgehoben sein. Beim nächsten Schweißausbruch, weil im Kalender die Mathearbeit naht, im Kopf aber noch Ferien sind – keine Angst, das große, schlaue Netz weiß Rat. Und wenn der gefürchtete Test erst überstanden ist, wird es vielleicht trotzdem Zeit, sich diese Mathematik mal grundsätzlicher zu Gemüte zu führen – mit Salman oder Fex oder dem schlauen Bekannten aus der Oberstufe, das ist dann Geschmackssache.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Stichwort Prism
„Yes we scan!“ prangt es groß vom zur Karikatur umfunktionierten Obama-Wahlplakat: Der sonst so beliebte amerikanische Präsident ist derzeit Zielscheibe von Spott, Häme aber auch erbitterter Wut. Schuld ist der Skandal um das Programm Prism, mit dem der US-Geheimdienst NSA (National Security Agency) im großen Stil ‚im Internet mitliest‘. Am 6. Juni 2013 veröffentlichten die Washington Post und der Guardian Informationen des Whistleblowers Edward Snowden, eines 29-jährigen ehemaligen Mitarbeiters einer Firma, die die Ausspäh-Programme der NSA anbietet und wartet. Der hatte sich die Praktiken der NSA eine Zeit lang angeschaut, entschieden, dass er sie nicht so gut fand, sich dann krank gemeldet, in Hongkong versteckt und die brisante Information über das amerikanische Verhältnis zur Privatsphäre an die Medien weitergegeben – in Form einer PowerPoint-Präsentation. Daraus geht in etwa hervor: Die NSA weiß alles, kein Klick bleibt geheim.Konkreter: Diensteanbieter im Netz sind verpflichtet, Verbindungsdaten und Inhalte an staatliche Stellen auszuliefern, wenn dafür ein Gerichtsbeschluss vorliegt. Diese Beschlüsse lässt sich die NSA vom geheim tagenden FISA-Gericht in großer Zahl produzieren, so wurden im Jahr 2012 etwa 1.856 Anträge abgesegnet. Das ist nicht wirklich illegal, aber auch nicht transparent. Mitspielen mussten in den letzten Jahren so ziemlich alle großen Internet-Dienste: Google, YouTube, Facebook, Microsoft, Skype, PalTalk, AOL, Yahoo und Apple haben nach und nach ihre Datenwege mit Ausfahrten Richtung amerikanische Regierung versehen.
Das konnten sie theoretisch nicht verhindern: Die Auslieferung der Daten ist verpflichtend und alle Anbieter geben sich nun auch große Mühe, entrüstet darüber zu sein, dass ihre Kollaboration so schamlos ausgenutzt wurde. Immer bessere technische Möglichkeiten zu finden, um Daten schnell und übersichtlich zu sammeln und weiterzugeben dagegen ist nichts, was gerichtlich eingefordert werden kann – der Kurznachrichtendienst Twitter etwa spart sich schon lange das technische Know-how für solcherlei Bemühungen und hält sich so auch aus der NSA-Party heraus. Aber was macht Prism genau? Eigentlich das, was früher heimlich, über Wasserdampf passieren musste. Mitlesen. Prism überwacht die Internet-Aktivitäten an den ‚Ausleitungsstellen‘, also den Knotenpunkten, wo Diensteanbieter Informationen übergeben, und liest Inhalte aus. Und scheinbar ist Prism damit nur ein Teil einer ganzen ‚Späh-Familie‘: Angeblich gibt es Mainway, ein Programm, das Informationen über Telefonverbindungen sammelt, Marina, Mainways Schwester, die sich um die Internetdaten kümmert, und Nucleon, der mit Vorliebe Telefongespräche belauscht und Inhalte herausfiltert. Eine ganze Familie also, um die große Neugier der US-Regierung zu befriedigen.Nur Prism wurde allerdings so ausführlich aufgedeckt.
Und warum das Ganze? Klar: Wenn man die US-Regierung fragt, geht es um Sicherheit. Mindestens zwei Terroranschläge will Prism verhindert haben. Und mit solcherlei Schutz bedenken neben Amerika auch andere Länder ihre Bürgerinnen und Bürger. Deutschland etwa lässt seinen Geheimdienst bestimmte Mails nach Schlüsselbegriffen durchsuchen. Dass viele der so geschützten Menschen dafür gar nicht so richtig dankbar sind, können die fleißigen Internet-Mit-Leser scheinbar nicht verstehen. Aber die Leute wollten ja schon früher nie richtig einsehen, dass die Nachbarin mit dem Fernglas nur ihr Bestes will. Manche lernen es eben nie.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Medienkompetenz – Bericht und Datenbank
Viel diskutiert, viel gelobt, viel definiert und viel herbeigewünscht – und dann doch irgendwie immer zu wenig vorhanden, zu schwammig, zu vernachlässigt. Medienkompetenz schwirrt seit langem durch die Köpfe und Münder, in und außerhalb von genuin medienpädagogischen Kontexten, als Zieldimension und frommer Wunsch, als Diskussionsthema und Herausforderung für Theorie und Praxis gleichermaßen. Definitionsversuche und praktische Umsetzungen gibt es zu Hauf – aber scheinbar nirgendwo ‚auf einem Haufen‘. Damit diese Unklarheit und die vielen kleinen ‚eigenen Süppchen‘ ein Ende haben, wurde nun unter www.medienkompe-tenzbericht.de ein Angebot vorgelegt, das Klarheit und Übersichtlichkeit in die Bemühungen bringen und nicht nur die bisherigen Anstrengungen bündeln, sondern auch allen zukünftigen hilfreiche Unterstützung sein soll. Wie das funktioniert? Ganz einfach: Was Kristina Schröder im Namen des Dialog Internet im Dezember 2011 als Empfehlung aussprach, nahm die GMK, die Gesellschaft für Medien- und Kommunikationskultur anschließend praktisch in Angriff und brachte den Medienkompetenzbericht mit Hilfe vieler ihrer Mitglieder aus der ganzen, deutschsprachigen Medienpädagogik, auf den Weg. Der Medienkompetenzbericht ist nun als 107 Seiten starkes PDF-Dokument online verfügbar. ‚Medienkompetenz‘ wird von allen Seiten betrachtet und hinterfragt, in Theorie und Praxis und allen Anwendungsgebieten vorgestellt und als umfassendes Konzept und Ziel greif- und nutzbar gemacht.
Von der allgemeinen Begriffsbestimmung (Ulrike Wagner und Bernd Schorb) über einen einleitenden Forschungsüberblick (Dagmar Hoffmann) gelangt der Bericht zu den diversen Anwendungsgebieten des Konzeptes, die jeweils fundiert vorgestellt und erläutert werden: Medienkompetenz in der frühen Kindheit (Norbert Neuß), in der Schule (Dorothee M. Meister) und außerschulisch (Angela Tillmann), exzessive Mediennutzung (Rudolf Kammerl) und Medienkompetenz in Familie (Bernward Hoffmann); Fachkräfte als Zielgruppe (Franz Josef Röll) und ‚Berufsfeld Medienkompetenzförderung‘ (Kai-Uwe Hugger) – und als Abschluss eine Stellungnahme der GMK selbst aka Ida Pöttinger. Da kommt ein schöner Reigen an Wissen zusammen; der offenbart zwar keine echten Neuigkeiten, denn all diese Facetten des schillernden Begriffs wurden und werden an diversen Stellen bereits bearbeitet, besprochen und umgesetzt, sei es in der medienpädagogischen Grundlagenliteratur, in diversen Veranstaltungen und Diskussionen oder in praktischen Handreichungen und Berichten. Nichtsdestoweniger ist der Bericht aber eine nützliche Wissensquelle, denn es werden wirklich fast alle relevanten Themen aufgegriffen und in überschaubarem Umfang präsentiert. Außerdem macht natürlich die kostenlose Verfügbarkeit des Dokumentes einen Unterschied für Spontane, Internet-Affine und Neulinge – sie können hier einen guten Einblick erhalten, bevor sie sich in langen Bibliotheksreihen in die Untiefen der einzelnen Themenfelder stürzen.
Doch bei dem Bericht bleibt das Angebot nicht stehen – die schwarz-auf-weiße Theorie soll auch mit praktischer Farbe gefüllt werden und so hat der kleine, aber feine Internet-Auftritt des Medienkompetenz-Berichtes nicht nur einen Button, der zum PDF-Dokument führt, sondern daneben einen zweiten, der eine „Medienkompetenz-Datenbank“ verspricht. Ab Herbst 2013 sollen Interessierte hier ein Sammelsurium finden (bisher gibt es leider nur einen Verweis auf die anvisierte Datenbank), wo Projekte, Materialien und praktische Erfahrungen gesammelt und zur Verfügung gestellt werden sollen. Wenn das nicht nur umfassend, sondern auch nachhaltig funktioniert (die Idee allein ist ja nicht revolutionär), wäre das Angebot also durchaus eine schöne und runde Fundgrube, in der medienpädagogische Neulinge nicht nur theoretisches Wissen sondern auch gleich praktische Anregungen und ‚alte Hasen‘ neue Perspektiven, Ideen und Anregungen finden könnten – ob sie das tun, bleibt abzuwarten.
www.medienkompetenzbericht.de
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Das Leben, die Welt, die Zukunft …
Mädchensachen. Nicht nur für Mädchen (2009). MedienKompetenz Forum Südwest. DVD kostenfrei, 1 € Rückporto.
„Gut siehst du aus“ sagt Chris. Elo grinst schief, zupft sich am Rock, zuckt die Schulter: „Mädchensachen halt.“ Normalerweise trägt Elo solche Sachen nicht; solche Mädchensachen. Sie trägt Jeans und Jogginghosen, kaut mit offenem Mund Kaugummi und gibt sich gerne laut und forsch, wenn sie mit ihrer Clique durch die Straßen zieht. Da fliegen Papierkügelchen und Beleidigungen durch die Luft, da wird getanzt und gerempelt und in der kleinen Tankstelle des Ortes stapeln die Mädchen Gummibärchen und Zigaretten, Schokoriegel, Zeitschriften und Schnaps auf die Theke, bis sie kaum darüber sehen können und drücken die Daumen, dass sie keinen Ausweis vorzeigen müssen. Die Schule finden sie öde, gerade gut genug für den täglichen Klatsch und Tratsch, das wahre Leben findet abends auf den Partys statt und später werden sie ‚hartzen‘: „Nichts tun und Geld kriegen“. Ist doch klar. Oder? Nachmittags sitzt Nissa dann doch nervös beim Vorstellungsgespräch, knetet sich die Finger und wünscht sich, sie hätte bessere Noten vorzuweisen. Zwei Straßen weiter knallt Blue ihrer Mutter die Türe vor der Nase zu, weil diese wieder einmal in eine neue Stadt umziehen will und Blue keine Chance hat, irgendwo anzukommen. Und Elo? Die pfeffert den Rock in die Ecke, steigt wieder in die gewohnte Jogginghose und vergießt bittere Tränen über Chris im Speziellen und die (Männer-)Welt im Allgemeinen. Erwachsen werden, einen Platz im Leben finden, Freundschaft und Liebe, Schule und Beruf, Heimat, Sprache, Familie und Identität, Konsum und Medien – das sind die Themen, die in Mädchensachen aufgegriffen werden; an einem ganz normalen Tag werden Elo, Nissa und Co. mit all diesen Themen konfrontiert – mehr oder weniger explizit, mehr oder weniger angenehm – und müssen ihren Weg finden, Entscheidungen treffen und mit den Konsequenzen leben.
Sieben Mädchen zeigt der etwa 21 Minuten lange Film Mädchensachen, der Hauptfilm der gleichnamigen ‚Lehr-/Lern-DVD‘, die alle die gleiche Klasse besuchen, einen gemeinsamen Tag verbringen und einer Clique angehören und die doch alle ganz alleine, jede auf ihre eigene Art, ihren Weg finden müssen. Das Besondere: Der Film entstand in einem Projekt mit einer achten Hauptschulklasse in Offenbach, in dem Schülerinnen und Schüler genau die Themen aufgearbeitet haben, die sie tatsächlich bewegen. Elo und Nissa heißen zwar in Wirklichkeit anders, die Fragen, die sie sich im Film und tatsächlich stellen, die Probleme an die sie stoßen, ihre Ziele und Hoffnungen aber sind dieselben. Und das macht den kurzen Film sehr dicht und sehr authentisch, weil die sieben Laiendarstellerinnen nicht nur ihre Rollen, sondern eben auch sich selbst spielen. Und weil so wertvolle Filme wie dieser nicht in den Schubladen der Projektbüros herumliegen und verstauben dürfen, nahm sich die Stiftung MedienKompetenz Forum Südwest (MKFS) das kleine Werk vor, bastelte ein didaktisches Paket außen herum und brannte alles zusammen auf ein paar DVDs, die jetzt darauf harren, in Schulen, Jugendzentren oder anderen Projekten angeschaut und diskutiert zu werden. Die DVD hat dabei tatsächlich mehr zu bieten, als ihr eher bescheidenes Äußeres vermuten lässt: Zusätzlich zum ohnehin guten Hauptfilm knüpft sich das ‚Unterrichtsmedium‘ insgesamt sechzehn verschiedene Themen vor, die im Film angeschnitten werden: Individuum, Ausbildung, Schule, Geschlecht, Engagement, Sinn des Lebens, Erwachsen werden, Medien, Konsum, Film, Heimat, Sprache, Familie, Peergroup, Jugendschutz, Mobbing im Unterricht.
Zu jedem dieser Themen gibt es kurze Infoblöcke, genannt „Erläuterungsbeitrag“ also Audiobeiträge, die den Begriff einordnen und definieren, Gedankenanstöße oder Hintergrundinformationen liefern, Perspektiven auf das Thema offerieren oder Fakten dazu vorstellen. In einer „Referenz zum Film“ wird jeweils die Szene herausgegriffen, die sich mehr oder weniger explizit auf das Thema bezieht und kurz erläutert, im Kontext einsortiert und zur Diskussion gestellt. Zusätzlich bietet die DVD „Filmbeiträge“, „Interviewbeiträge“ und „Audiobeiträge“ an, die verschiedene Zugänge und Perspektiven anbieten, Gedankenanstöße und Fragen aufwerfen, um sich mit einem Thema zu beschäftigen. Da gibt es Interviews mit Jugendlichen und Erwachsenen, Filmbeiträge die das Thema aus einer anderen Sichtweise oder auf ganz andere Art, etwa als Musikclip, Sketch, Stoptrickfilm oder Mini-Drama darstellen oder einfach Sinnieren über das Leben und die Welt. Während der Hauptfilm eine reine Projekt- und Laien-Produktion ist, vermischen sich hier Schüler-, Studenten und Profibeiträge. So entsteht ein Kaleidoskop an Denkanstößen zu den verschiedenen Fragestellungen, die trotz oder gerade wegen ihrer scheinbaren ‚Unperfektheit‘ eine entlarvende Nähe zum Leben haben und einen ehrlichen, klaren Ton anschlagen. Die Beiträge stehen dabei mehr oder weniger unverbunden nebeneinander, werden als Gedanken, Meinungen, Ideen stehen gelassen und bieten ihrem Publikum so die Chance, aufzuhorchen, einzusteigen und mit- und weiterzudenken. An keiner Stelle bricht ein gigantischer, pädagogischer Zeigefinger durch die Kulisse, um mit Drohgebärde die Denk-Richtung zu weisen. Stattdessen bekommt jeder Beitrag seinen Platz, steht unkommentiert, weder kritisiert noch als absolute Wahrheit deklariert für sich und lässt viel Raum für eigenes Nachhorchen und Los-Denken.
Um diese authentische und ungekünstelte Herangehensweise zu komplettieren, schlagen die Herausgeber der DVD auch in ihren didaktischen Vorschlägen eine eher minimalistische Richtung ein: Statt ausführlicher Anleitungen, Arbeitsblätter und Stundenvorschläge packen sie in die DVD-Hülle nur ein zwölfseitiges Heftchen, das ein paar Worte zur Entstehung des Filmes, ein Impressum und ein ausführliches Inhaltsverzeichnis der DVD enthält. Außerdem: Zehn Zeilen zur „Aufgabe des Lehrers im Lehr-Lern-Prozess“, in denen sinngemäß steht: „DVD anmachen (kann auch durch Schüler erfolgen), Diskussion zulassen“. Gewiss erfordert das ein gerüttelt‘ Maß an Souveränität in den Klassenzimmern und ein pädagogisches Selbstbild als Begleiter und Coach statt als Chef und Bestimmer – wer sich das aber traut, dem sei prophezeit, dass hitzige Diskussionen, revolutionäre Gedanken, erhellende Erkenntnisse und ganz neue Perspektiven in die Klassenräume Einzug halten könnten. Und das nicht nur für Mädchen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Stichwort TTIP
Autoteile nach Italien, fertige Motorroller nach Frankreich, Tomaten aus Holland nach Österreich und den Bauauftrag für die Grundschule in Augsburg nach Florida. Die Welt ist offen geworden und schon jetzt nehmen Produkte, Dienstleistungen und Kooperationen die abenteuerlichsten Routen rund um den Globus. Nicht jedem aber ist die Welt schon offen genug. Während etwa die europäischen Länder zwar kaum (Handels-)Grenzen ziehen und Zölle großenteils der Vergangenheit angehören, ist der amerikanisch-europäische Handel manchen längst nicht einfach und florierend genug. Seit den 90er Jahren gibt es deshalb bereits Überlegungen, ihn noch freier zu gestalten – und herausgekommen ist dabei TTIP, die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership).
Damit Europa und Amerika enger zusammenarbeiten und ein starkes Gegengewicht gegen die Wirtschaftsmächte in Asien sein können, sollen laut TTIP die Industrie-Standards vereinheitlicht werden, das öffentliche Beschaffungswesen geöffnet werden und auch in den Bereichen Lebensmittel und Kultur möchte man zusammenrücken. Also: Standards für Autoteile müssen vereinheitlicht, Regeln für die Lebensmittelproduktion diskutiert und Ausschreibungen für öffentliche Projekte transatlantisch publik gemacht werden. Und was bedeutet das für die Medienpädagogik? So ganz genau weiß es noch niemand – klar ist aber schon jetzt, dass gerade medienpädagogische Themen noch heißt diskutiert werden dürften, sollte das TTIP in greifbare Nähe rücken. Etwa die Frage nach der Relevanz und Finanzierbarkeit kultureller Aktivitäten, zu denen auch Medienpädagogik gehört – denn nicht alle potenziellen Partner finden es nötig, dafür Geld auszugeben. Fast noch dringender aber die Frage nach Datenschutzstandards – denn gerade die Spionageaffäre um PRISM (vgl. Stichwort in merz 4/2013) hat viele Fragen und viel Skepsis aufgeworfen, das machte etwa Justizkommissarin Viviane Reding deutlich: „Partner spionieren einander nicht aus.
Wir können nicht über einen großen transatlantischen Markt verhandeln, wenn der leiseste Verdacht besteht, dass unsere Partner die Büros unserer Verhandlungsführer ausspionieren.“ Bevor die Grenzen, zumindest wirtschaftlich, also komplett fallen, gibt es noch einiges zu klären – und die Medienpädagogik sollte da ein großes Wörtchen mitzureden haben.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Mit Kindern im Internet
Im Internet gibt es für Kinder einiges zu entdecken. Nur ganz wenige Klicks auf einen der bunten Buttons führen direkt zu einem tollen Spiel, einem witzigen Video – oder mitten hinein in die bunte Konsumwelt. Werbebanner sind bisweilen selbst für den versierten, erwachsenen Internetnutzenden nicht leicht zu erkennen – sie fügen sich in Seiten ein, passen sich dem Layout an und tun alles, um angeklickt zu werden. Wie geht es Kindern mit diesen kommerziellen Angeboten? Können sie Werbung erkennen und von redaktionellen Inhalten unterscheiden? Wie gehen sie mit Werbeangeboten um – und braucht es im Internet ähnlich wie im Fernsehen deutlichere Kennzeichnungen? Diese Fragen stellte sich die Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) Rheinland-Pfalz und schrieb daraufhin ein Forschungsprojekt „Mit Kindern unterwegs im Internet: Beobachtungen zum Surfverhalten – Herausforderungen für die Medienaufsicht“ aus, das ein interdisziplinäres Forschungsteam aus fünf verschiedenen Fachbereichen der Hochschule der Medien in Stuttgart unter der Leitung von Prof. Dr. Petra Grimm durchführte.
Die Forscherinnen und Forscher entwickelten ein Mehrmethodendesign aus Angebots-, Rezeptions- und Evaluationsanalyse sowie einer Einschätzung der gültigen Rechtsnormen in Bezug auf Online-Werbung und beleuchteten dieses bisher wenig erforschte Thema eingehend von allen Seiten; nun liegen ihre Ergebnisse vor und sind als Publikation im NOMOS-Verlag erschienen. Die Ergebnisse der Studie sind zwar nicht allzu überraschend, aber dennoch ein deutlicher Hinweis auf beachtlichen Handlungsbedarf. Für die meisten Kinder, so konnten die Forscherinnen und Forscher beobachten, stellt es eine recht große Herausforderung dar, Werbung sicher zu erkennen. Gerade weil Werbetreibende viel dafür tun, um nicht erkannt zu werden, sogenannte ‚Camouflage‘-Techniken einsetzen und Werbung etwa im redaktionellen Inhalt verankern, Kinder über spielerische Angebote an ihre Produkte heranführen oder auf eigenen Seiten Werbung schalten, die gar nicht gekennzeichnet ist. Vor allem die Fernseh-anbieter bedienen sich dieser Techniken in großem Maß. Auch versuchen die Werbetreibenden häufig, Kinder über ‚Sackgassen‘ in ihre Shops zu locken, platzieren etwa Links, die direktzu externen Seiten führen, von denen aus Kinder selten zur Ausgangsseite zurückfinden. Dieses Vorgehen fanden die Forschenden bei jedem zweiten Werbeangebot.
Die 26 untersuchten Kinder hatten entsprechend auch große Schwierigkeiten, mit Werbung kompetent umzugehen – teilweise weil sie sie nicht erkannten, teilweise weil sie so attraktiv gestaltet war, dass sie ihr nicht ‚widerstehen‘ konnten. So kommt es auch, dass viele der untersuchten Kinder angaben, bereits schlechte Erfahrungen, etwa mit Kostenfallen im Internet, gemacht zu haben. Es ist deshalb dringend angezeigt, so die Forschungsgruppe, dass etwa in Schulen verstärkt Aufklärung betrieben wird und Kinder lernen, sicher und bewusst mit Werbung umzugehen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: „Wer kein Internet hat, ist schon arm“
Medienprojekt Wuppertal (Hrsg.) (2013). Andere Welten. Zwei Filme über die exzessive Computer- und Internetnutzung durch Jugendliche. DVD, 73 Minuten + 37 Minuten Bonusmaterial. Kaufpreis 30,– €, Ausleihe 10,– €, Preis V & Ö 50,– €.
Sascha, Erik, Aaron, Artur, Morris, Jannik, Dogus, Jan, Miriam, Charlotte, Aaron, Jonas – zwölf Jugendliche, zwischen 15 und 22 Jahren, die nichts gemeinsam haben. Außer das: Sie gehören zur Generation der ‚Digital Natives‘, Medien sind ein zentraler, für manche nahezu der wichtigste Bestandteil ihres Lebens und sie sind die Hauptfiguren der DVD Andere Welten. Zwei Filme über die exzessive Computer- und Internetnutzung durch Jugendliche, die das Medienprojekt Wuppertal produziert und herausgegeben hat. Seit 1992 hat sich das Medienprojekt „Jugendvideoarbeit“ auf die Fahnen geschrieben, produziert Filme von und mit Jugendlichen, für Jugendliche – zu immer anderen Themen, auf immer andere Art, in unterschiedlichen Kontexten, aber immer mit den Themen, Ideen und vor allem aus der Perspektive der Jugendlichen selbst. Und so ist auch Andere Welten die blanke Enttäuschung für alle Bewahrpädagoginnen und -pädagogen, für Kulturpessimistinnen und -pessimisten, für alle Freundinnen und Freunde des überdimensionierten pädagogischen Zeigefingers und Drill-Instructors, denn es ist keine DVD, die Mediennutzung an den Pranger stellt und genau weiß, was Jugendliche ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ machen oder machen sollten.
Im Gegenteil. Auf dieser DVD setzen Jugendliche sich selbst damit auseinander, was ihnen wichtig ist, was sie an ihren Medien schätzen und was sie stört, sie erzählen von sich und ihren Erfahrungen, ziehen ihre eigenen Schlüsse und finden zu ihren eigenen Konsequenzen. Nicht weil sie müssen, sondern weil man sie lässt. Die beiden Hauptfilme auf der DVD beschäftigen sich mit Onlinegaming (Andere Welten) und sozialen Netzwerken (Schein & Sein). In je circa einer halben Stunde werden Jugendliche in ihrem Medienhandeln begleitet und haben Raum, darüber zu berichten. Die Kamera kommt nach Hause, ins Wohnzimmer, ins Jugendzimmer, bekommt Einblick in die Privatsphäre und das ‚echte Leben‘ der Jugendlichen und ist dabei, wenn Siege errungen und Niederlagen eingefahren werden, wenn Charaktere sterben und wenn Freunde miteinander kämpfen, wenn Partys verabredet, Facebook-Kontakte geknüpft und Partybilder belächelt werden. Und sie darf zuhören, wenn die Jugendlichen über sich und ihre Medien erzählen. Wenn sie berichten, wie lange sie täglich spielen (zwischen zwei und acht Stunden). Wenn sie darüber sinnieren, wann eine Sucht anfängt (wenn man keine Freunde mehr hat). Wenn sie reflektieren, was sie an ihrem Spiel fasziniert („Das Coole daran ist, dass du mit Freunden was machst und nicht alleine in deinem Zimmer hockst und spielst, dass du nicht alleine gelassen wirst … deswegen find ich Offline-Spiele auch nicht so interessant.“) oder wenn sie mit per Skype verbundenen Freunden die Katastrophe gerade noch abwenden können: „Mo, hilf mir mal!“ – „Wirst du grad bewusstlos?“ – „Ja, ich werd grad gefressen …“ – „Ja, dann sag doch was! Ey, Kollege, lass ihn in Ruhe!“
Die Kamera darf aufnehmen, wenn die Bilder für Facebook ausgewählt werden: „Man versucht ja über Facebook immer, sein Leben so gut wie möglich darzustellen und zu sagen: ‚Mein Leben ist voll geil.‘“ Sie schaut zu, wie soziales Leben funktioniert („Seitdem das mit WhatsApp so viel geworden ist, unternimmt man viel mehr mit anderen, weil man sich da verabreden kann.“) aber auch, wo soziales Leben leidet unter den neuen Möglichkeiten: „Bei Facebook ist es viel einfacher zu mobben, weil man nicht so schnell erwischt werden kann. Es ist mehr passives Mobben, man lädt Leute nicht in Gruppen ein oder liked etwas absichtlich nicht.“ Und sie sieht, wo die Jugendlichen selbst an Grenzen stoßen und ihre Kommunikation kritisch sehen: „Bei WhatsApp ist eh alles oberflächlich und gefaked, da erzählt man nichts Wichtiges (…) Was ich wirklich negativ finde, ist, dass Leute so like-geil sind und an Likes feststellen, wer fame ist und wer Opfer ist.“ Dabei sind die Filme aber an keiner Stelle beliebig oder platt – die Jugendlichen machen sich ernsthaft und ausführlich Gedanken und diese werden stringent, mit großer inhaltlicher Dichte und entlang einer logischen, inneren Dramaturgie dargestellt. Die Interviews sind mit Liebe zum Detail aufeinander geschnitten, die Gedanken der Jugendlichen werden veranschaulicht, ohne verniedlicht oder bloßgestellt zu werden und ihre Perspektiven finden ausgewogen Raum – mal bestätigen sich die Interviewten gegenseitig, mal widersprechen sie sich, aber nie scheint der Film vorgeben zu wollen, was ‚wahr‘ ist. Stattdessen wird ein Einblick gegeben in zwölf ganz subjektiv ‚wahre‘ Sichtweisen, denen man zustimmen darf, die man ablehnen darf, über die man nachdenken kann. Pädagoginnen und Pädagogen sowie Erziehenden, die genau wissen, was richtig und falsch ist und nur nach dem passenden Material suchen, mit dem das auch in den Köpfen der ihnen anvertrauten Jugendlichen ankommt, sei deshalb dringend abgeraten von dieser DVD.
Wer aber mit Jugendlichen zu tun hat und ein echtes Interesse daran hat, zu erfahren, wie sie denken, was sie tun und womit sie sich beschäftigen, wer die Auseinandersetzung auf Augenhöhe schätzt und aushält und vielleicht mit einer Klasse, einer Jugendgruppe oder den eigenen Kindern ein ehrliches Gespräch suchen und beginnen möchte, ist gut damit beraten, eine gute Stunde Zeit zu investieren und einen erhellenden und spannenden Blick in die Lebenswelt seiner Zielgruppe zu wagen – Horizonterweiterung garantiert. Und das letzte Wort? Wer sonst sollte das in so einem Fall haben, wenn nicht die Jugendlichen selbst: „Meine Eltern sagen manchmal: ‚Mach das Ding aus‘ und dann sag ich: ‚Nee, ich muss zocken.‘“ Die DVD sowie alle Informationen zum Medienprojekt und deren Filmen gibt es unter www.medienprojekt-wuppertal.de/v_173
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Ahoi, da gibt‘s was auf die Ohren ...
Lüttner, Kai (2012). Achtung, Milchpiraten. Lesung für Kinder mit Bürger Lars Dietrich und Leon Seibel. 1 CD, Laufzeit ca. 75 Minuten. Der Audio Verlag.Lagerfeuer. Würstchen. Milch. Piratensongs. Die Milchpiraten haben ihren ersten Ferientag und alles ist bereit für die Piratenparty des Jahres in Brunos Garten. Eine Party, wie sie nur echte Abenteurer feiern können, die mit allen Wassern gewaschen sind! Ohne langweilige Erwachsene (die das Lagerfeuer nur wieder verbieten) und nervige Mädchen (iiih). Besser wäre es gewesen, sie hätten sie auch ohne Bubi gemacht. Der kleine Tollpatsch bringt es nämlich fertig, sich nicht nur im Haus, sondern dort auch noch im Bad einzusperren und beide Schlüssel hintereinander die Toilette runter zu spülen. Jetzt schallt nicht mehr Aaargh mit drei ‚a‘, sondern stattdessen ein eher verzagtes Hiiilfe mit drei ‚i‘ durch das Piratenhauptquartier und die tapferen Kielratten stehen erst vor zwei verschlossenen Türen, dann außerdem vor einem herausgebrochenen Türrahmen, einem zersplitterten Treppengeländer, einem vollgebluteten Teppich, einer großen Beule an Tetjes Kopf … und insgesamt vor allerlei Schlamassel. Was tun als echte Helden? Bruno knurrt und macht krasse Karatebewegungen. Swanni macht Fotos. Der Mater-Kater Erwin maunzt. Schlaubi denkt komplizierte Sachen. Birk putzt eins ums andere Mal seine Brille. Aber das bringt doch alles nichts! Wie Bubi aus dem Bad und die Kuh vom Eis kommen, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten – klar ist, die Piraten brauchen ihren ganzen Mut, Grips und ein Quäntchen Glück, um diese legendäre Party heil zu überstehen, aber am Ende ist alles in Butter bzw. Milch und die Jungs haben sich als echte Piraten bewiesen!
Für alle Landratten, die nicht live dabei waren, gibt es die abenteuerliche Party zum Glück zum Nachhören, als Hörspiel. Bürger Lars Dietrich und Leon Seidel standen dafür vor den Mikros und bringen die Abenteuer von Oberpirat Matz und seinen Freunden nach Hause – Bürger Lars Dietrich als witziger, abenteuerlustiger Erzähler und Leon Seidel, der mit charmanter prä-stimmbruch-Stimme die Tagebucheinträge – pardon– das Freimaurer-Logbuch, Piraten-Pergament, die Abenteurer-Aufzeichnungen, Säbelwetzer-Erinnerungen, das Rabenschwarzen Schwarzbuch, die blutige Piratenkladde – nun ja – von Oberpirat Matz zum Besten gibt. 75 Minuten lang entführen die beiden Erzähler ihr Publikum auf die kleine, schweinsohrige (wie das Gebäck, nicht wie das Tier!) Insel Pong, wo Matz und seine Freunde ihre Abenteuer bestreiten. Diese Abenteuer sind zuallererst aus der Feder von Kai Lüttner geflossen – und, das sei als Schmankerl angemerkt, werden auf der CD von Lüttners etwa dreijährigem Sohn mit herzerweichender Krächzstimme angekündigt, die allein das Werk schon hörenswert macht. Und sie sind richtiger Abenteuer-Stoff für echte Milchbart- Helden. Charmante, nette, einzigartige Protagonisten, jeder mit seinen eigenen Stärken und Schwächen, ein großes Abenteuer, das gut genug ausgeht, um nicht zum Stoff für Albträume zu werden – für junge Zuhörerinnen und Zuhörer im Vorschul- oder jungen Grundschulalter bietet die CD viel zum Lachen und gebannt Lauschen, zum Mitfiebern und Identifizieren und zum Träumen von eigenen, piratenstarken Abenteuern.
Gerade weil sich so viele Helden in Brunos Garten tummeln, die alle unterschiedlichere Persönlichkeiten nicht sein könnten, können die jüngsten Piraten- Fans sich gut eingliedern in die Bande und ihren eigenen Platz finden. Zwar sind 75 Minuten für die junge Zielgruppe eine recht lange Zeit, wenn man ruhig sitzen und lauschen muss – das wäre den Milchpiraten sicher allesamt zu langweilig! Aber das Abenteuer ist in 27 mundgerechte Häppchen aufgeteilt und bleibt so auch viele Abende lang spannend. Für junge Hörerinnen und Hörer, allein oder gemeinsam, zu Hause auf dem Sofa oder in der Kuschelecke im Kindergarten – die Geschichte ist kurzweilig, witzig und kindgerecht, hat keinerlei Pädagogischen Nimbus und bietet trotzdem so viel, was die Jüngsten brauchen, um ihre ‚Großwerd‘-Fragen zu behandeln.
Identifikationsfiguren, Vorbilder, Spaß, ein Abenteuer in sicherer Umgebung … Wer die Milchpiraten nach der gemeinsam überstandenen Ferienparty ins Herz geschlossen hat, kann sie danach auch online besuchen ( www.diemilchpiraten.de ) oder mit ihnen oder ihren weiblichen Konterparts, der Mädelsbande Medels von der Insel Ping noch einige andere Abenteuer bestreiten – langweilig wird es mit den tapferen Gesellen bestimmt nicht. Was bleibt zu sagen? Klar: Aaargh! Mit drei ‚a‘.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Bewerbungstrainer
Konfetti, Sekt, Jubelschrei – die letzten Prüfungen sind geschafft, das Abschlusszeugnis muss nur noch abgeholt werden, das Leben kann beginnen. Nach der Schule beginnt ein ganz neuer Lebensabschnitt und der birgt tausend Möglichkeiten, die ganz große Freiheit – und jede Menge ganz neue Herausforderungen. Eine der ersten Herausforderungen für frisch gebackene Inhaber von Schulabschlüssen aller Art ist, die ersten Schritte in Richtung der tausend Möglichkeiten der Berufswahl zu gehen. Plötzlich müssen Lebenslauf und Passfotos, Anschreiben und Motivationsbekundungen her und wenn man die gerade alle zusammengebastelt hat, klingelt auch schon das Telefon und Einladungen werden überbracht. Aber nicht solche zu Abschluss-Partys, mit denen man sich schon auskennt – sondern solche zu Bewerbungsgesprächen und mit dieser Art von Einladungen flattern auch gleich eine ganze Menge neue Fragezeichen ins Haus.
Was zieht man an zu so einem Gespräch, wie soll man sich geben, welche Fragen müssen beantwortet werden und welche Auskünfte darf man verweigern? Wie so oft hilft auch hier ein Blick ins weltweite Netz, das doch zu fast allen Themen etwas zu sagen hat. Auf der Suche nach guter Starthilfe bei der Gesprächsvorbereitung bietet Google Seiten über Seiten an, die „Die zehn besten Tipps“, „Die 15 wichtigsten Dos und Don’ts“ oder gleich „Alles Wichtige“ in petto zu haben scheinen. Da gibt es Informationsseiten und Broschüren, Checklisten und Forendiskussionen rund um Kleiderwahl und Gesprächsverhalten, Selbstvermarktung und potenzielle Inhalte. Nun gibt es Broschüren auch im Arbeitsamt und gute Tipps in Omas Küche – doch das Internet hat noch mehr zu bieten. Auf einigen Seiten können Bewerbungs-Aspiranten mittlerweile nicht mehr nur Texte lesen und Listen abhaken, sondern sich gleich mitten in den Ernstfall stürzen – ohne natürlich die Konsequenzen des Ernstfalls erwarten zu müssen. Diverse Bewerbungstrainer bieten die Möglichkeit, das gefürchtete Gespräch einmal komplett durchzuspielen, von der Auswahl der Garderobe über die Begrüßung des potenziellen Arbeitgebers, von der Getränkewahl bis zur Gehaltsverhandlung und versprechen so die ultimative Vorbereitung auf das Gespräch der Gespräche …
Ich hab Power – Startzündung für die Metall-Karriere
Bunte Farben, Graffiti-Animationen und viel Bewegung – das erwartet einen auf ichhabpower.de, einer Seite des Gesamtverbands der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie e. V. Offenbar haben sich hier die Arbeitgeber selbst ein Herz gefasst und bereiten ihre zukünftigen Azubis schon vor der Bewerbung auf ihr zukünftiges Tätigkeitsfeld vor. Die Seite bietet umfangreiche Informationen zur M+E (Metall+Elektronik)-Branche, vermittelt Ausbildungsplätze, hält Tests zum Allgemeinwissen und zur Eignung für das Berufsfeld bereit und trumpft vor allem auf mit dem „Bewerbungstrainer 2.0“. „Wir beamen dich direkt ins Bewerbungsgespräch“, verspricht die Seite und tatsächlich: Wer sich hier einklickt, kann Bewerbungsgespräche in den Berufsfeldern Mechanik, Informatik, Elektrotechnik, ‚Kaufmännisch‘ führen und das sehr realistisch: Zu jedem Bereich wir eine fiktive Firma vorgestellt, mit einem Profil zum Durchlesen, anschließend schlüpft man in den Avatar des Bewerbers und macht sich auf den Weg zum Personaler.
Der stellt durchaus ‚klassische‘ Bewerbungsgesprächs-Fragen, allerdings auch sehr spezifische Fragen zur Berufseignung, zum Hintergrundwissen über das angestrebte Tätigkeitsfeld und zur Firma selbst. Zu jeder Frage werden verschiedene Antwortmöglichkeiten angeboten. Das schöne daran: Die Antworten sind – darauf wird auch vorher hingewiesen – nicht ‚richtig‘ oder ‚falsch‘, sondern eher besser oder schlechter – das macht den Trainer interessant zu bedienen, weil es nicht möglich ist, die offensichtlich ‚blöden‘ Antworten einfach auszuschließen, ohne wirklich darüber nachzudenken. Eine ‚Auflösung‘, wie gut die ‚Bewerbung‘ gelaufen ist, gibt es zwar am Ende des ganzen Gespräches, der Gesprächsverlauf insgesamt nimmt aber durchaus eine andere Richtung, wenn man sich als besonders unvorbereiteter Bewerber entpuppt, was das Programm zusätzlich realistisch macht.
Wer etwa im Bereich ‚Elektrik‘ arbeiten will, weil er ‚schon immer gern am PC‘ arbeitet, wird vom Personaler direkt gefragt, ob er sich nicht lieber in der Informatik bewerben will. Leider werden die Antworten nicht vorgelesen, sondern nur schriftlich eingeblendet – mit sehr viel Lesezeit. Das macht das Gespräch unter Umständen sehr lang. Dennoch ist die Seite insgesamt sehr fundiert und informativ, wer sich für den M+E-Bereich interessiert, wird hier sicher alles finden, was er für den Berufseinstieg braucht – auch wenn man dank etwas unübersichtlicher Gestaltung bisweilen ein wenig suchen muss. Und vor allem der Bewerbungstrainer ist realistisch und anspruchsvoll und bietet eine wirklich gute Auseinandersetzung sowohl mit dem Berufsfeld als auch mit der Bewerbungssituation.
Planet Beruf – Stippvisite auf dem fremden Planeten
Wer längst noch nicht weiß, ob er Informatiker, Florist oder vielleicht Porzellanmaler werden will, kann die ersten Schritte auf dem unbekannten Planeten ‚Berufswelt‘ auf den Seiten der Agentur für Arbeit machen. Diese bietet bwt.planet-beruf.de an, ein Bewerbungshilfeportal mit vielen Angeboten rund um Bewerbungen, Tipps und Materialien von der ersten Information zu Ausbildungsplätzen über die Bewerbungsmappe und Informationenzu Online-Tests, Auswahlverfahren bis hin zum Ausbildungsvertrag. Hier gibt es zwar keinen interaktiven Bewerbungstrainer mit Avataren und einer flexiblen Geschichte, aber doch einen exemplarischen Ablauf eines Bewerbungsgespräches in kurzen Videosequenzen.
Die verschiedenen Phasen eines Vorstellungsgespräches werden nacheinander gezeigt, jede Frage wird vorher eingeblendet und an die Person vor dem Bildschirm weitergereicht: Sollte Frau Baier ein Getränk annehmen? Sollte Frau Baier noch Fragen stellen? Sollte Frau Baier auf diese Frage antworten? Das Feedback zur jeweiligen Auswahl kommt sofort, es gibt eine richtige Verhaltensweise und sonst nur falsche, was etwas schade ist; den Minuspunkt macht die Seite aber dadurch wieder wett, dass die jeweils richtige Antwort immer sofort ausführlich erläutert wird. Insgesamt sind die Fragen hier sehr allgemein gehalten, es werden alle ‚klassischen‘ Szenen einmal durchgespielt, man lernt also die Basics, die man immer kennen sollte – egal in welcher Branche man sich später vorstellt.
So bietet das Tool einen guten und anschaulichen Einstieg für alle, die sich beim Thema ‚Vorstellungsgespräch‘ wirklich fühlen wie Expediteure in fremde Welten. Wer aber schon auf einer Checkliste oder in Omas Küche gelernt hat, dass man nicht nach Cappuccino fragt, wenn Wasser angeboten wird oder sich beim Ankommen über die Wegbeschreibung der Firma beschwert, kann sich die etwas altbackenen und langwierigen Videos sparen und sich den anderen Angeboten der Seite widmen, unter denen sich durchaus hilfreiche Materialien verstecken.
Lizzynet – Frauen an die Arbeitsplätze!
Eine dritte ‚Berufswelt‘ gibt es auf den Seiten von Lizzynet, einer Online-Community für Mädchen. Das Portal beherbergt nicht nur ausführliche Informationsseiten rund um Studiums- und Berufswahl, sondern auch ein umfangreiches interaktives Angebot. Hier beschränkt sich das Selbst-Ausprobier-Angebot nicht nur auf das Bewerbungsgespräch – Berufe-Sucher können gleich den kompletten Bewerbungsprozess von Anschreiben und Lebenslauf über Outfit bis zum Bewerbungsgespräch durchspielen. Und das nicht nur theoretisch: Anschreiben und Lebenslauf etwa können online gleich mit den eigenen Daten befüllt und dann gespeichert werden – so nimmt man von der Übung nicht nur den Lerneffekt, sondern gleich echte Unterlagen mit, die nur noch ein wenig optische Überarbeitung brauchen, dann aber direkt auf den Weg zum Traum-Arbeitgeber wandern können.
Für das Vorstellungsgespräch ist es auch hier möglich, einen Avatar vorzuschicken, der sich in einem von sechs verschiedenen Berufsbereichen (kaufmännisch, Maler/Lackierer, Friseurin, Chemielaborantin, Maßschneiderin, zahnmedizinische Fachangestellte) ins Personaler-Büro wagt. Mit dem Avatar gemeinsam gilt es zunächst, den Kleiderschrank zu plündern und ein Bewerbungsoutfit zusammenzustellen. Im Bewerbungsgespräch-Trainer selbst wird dann mit einem gezeichneten Avatar interagiert, dessen Fragen per Auswahl aus mehreren Möglichkeiten beantwortet werden. Die Antworten sind nicht ganz so spezifisch wie bei ichhabpower, aber deutlich spezifischer als bei planet-beruf.
Auf die ausgewählten Antworten gibt es sofort Feedback, am Ende jeder Rubrik stehen Feedbacks, Checklisten und weitere Tipps … wer hier einmal durchsurft, hat nicht nur dank schöner Animation und klarer Bedienung viel Spaß beim Entdecken und Lernen, sondern darf sich danach auch bestens vorbereitet fühlen für die nächste Bewerbungsrunde. Da fehlt eigentlich nur noch die Adresse der Traumfirma und dem Karrierestart steht nichts mehr im Weg – und das auch für Jungs. Insgesamt ist also für alle was dabei im großen weiten Internet – Grundsatz-Infos für die ganz Ahnungslosen, Ernstfall-Training in realistischen Szenarien und sogar ganz spezifische Vorbereitung auf einzelne Berufsfelder. Ein Rundum-Sorglos-Startpaket für Berufseinsteiger – und für den einen oder anderen vielleicht der erste Schritt zur nächsten „Konfetti, Sekt, Jubelschrei“-Gelegenheit.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Warum? Weil’s geht.
Ein Surren. Ein Krachen. Unter vernehmlichem Stöhnen rutschen die Dias in der Schlange einen Platz nach vorne, für eine Sekunde blitzt die Leinwand grell weiß auf und leuchtet den sonst schummrigen Raum gnadenlos aus, jeden Anflug von Schläfrigkeit entlarvend. Pupillen springen schreckartig auf, um sich gleich wieder zu entspannen: Die Mutter lacht übermütig von der Leinwand, streckt dem mühsam flackernden Diaprojektor ihren Tequila Sunrise entgegen. KLACK. Papa und Sohnemann, stolz vor der gemeinsam errichteten Sandburg. KLACK. Mama, Tochter und der halbe Sohn, der in letzter Sekunde doch nicht aufs Bild wollte. KLACK. Mamas sonnenrotes Dekolleté, dazu ein Stück vom Oberarm, greifend nach dem fliehenden Sohn gestreckt, unter dem Arm ein schelmisches Auge der Tochter. KLACK. Sonnenuntergang.Zeitsprung. Wer heute von einer Reise heimkehrt, muss sich nicht mehr mit dem Diaprojektor herumärgern, dafür häufig genauso lange und intensiv mit dem Beamer. Die Fotos erscheinen gestochen scharf an der Wohnzimmerwand, dazu verbreitet der Laptop ostasiatische Klänge. An der Wand: Die Mutter, herzlich lachend, in der Hand den halb geleerten Mai Tai. Der Sohn mit dem gerade am Strand gefangenen Krebs vor dem Gesicht. Mutter und Sohn, gehüllt in ein zerlöchertes Betttuch, ausgemergelt und mit verzweifelten, großen Augen im Straßenstaub. Aber keine Sorge: Natürlich ist es nicht dieselbe Mutter, die ihren properen Nachwuchs eine Woche zuvor im gepolsterten Flieger ins ‚Exotische‘ entführt hat und vom Aufenthalt dort so mitgenommen ist. Mitnichten. Die Frage nach der Identität der abgebildeten Familie ist dennoch zumeist keine geeignete für den gemütlichen Abend, wird sie doch mit großer Wahrscheinlichkeit mit einem Schulterzucken beantwortet und der Aussage: „Keine Ahnung, Einheimische, die saßen da am Straßenrand. Aber ist das nicht herzerweichend? Die großen Augen? Schau doch mal, wie furchtbar arm die Leute da sind!“Man verlegt sich also auf empathisches Nicken, auf ‚Oh‘ und ‚Ah‘, teilt einen Moment der emotionalen Überwältigung im Angesicht der Armut der Menschen in fernen Ländern, nimmt einen Schluck aus der ausgehöhlten Kokosnuss und geht weiter zum nächsten Bild.
Straßenkinder beim Fußballspiel mit zum Ball zusammengezimmerten Socken. Kleine Mädchen, die versuchen, selbstgebastelte Armbänder zu verkaufen. Drogendealer. Eine Schlägerei. Eine Frau in ärmlicher Kleidung mit unmutig erhobenem Arm. „Die war komisch. Wollte sich nicht fotografieren lassen.“ Komisch – dabei werden ‚Einheimische‘ doch von den Reiseveranstaltern so dekorativ in fremde Länder gesetzt, um als Touristenattraktion und emotionales Highlight jeder Fotoshow zu dienen. Dabei wurden Filmdöschen und Diaprojektoren doch eigens durch größenwahnsinnige Speicherkarten ersetzt, damit man sich nicht mehr auf die fünf wichtigsten Augenblicke der Reisegruppe beschränken muss, sondern auch munter auf jede sich darbietende Szene des ‚landestypischen‘ Alltagsleben draufhalten kann. Und dabei geben sich die großen Medien doch extra so viel Mühe, ihrem Publikum zu vermitteln, dass jeder ein ‚Bürgerreporter‘ sein kann – und sollte. Da darf man die neu entdeckte Paparazzi-Ader im Urlaub doch nicht gleich wieder verkümmern lassen.Gerade wo die teure Kamera das Elend am Straßenrand doch auch aus sicherer Entfernung noch pixelfrei ablichtet! Da wären ja die technischen Möglichkeiten vollkommen ungenutzt!
Bisweilen scheint im Umgang mit medialen und technischen Möglichkeiten die Devise zu gelten: Was geht, muss auch getan werden. Warum? Weil’s geht. Taktgefühl, gesunden Menschenverstand und ‚Denken vor dem Klicken‘ sind was für Langweiler oder Leute ohne gutes, technisches Equipment.Das machen Reality-TV und Co. vor und Otto Normalverbraucher macht’s nach. Und was bleibt für die Medienpädagogik? Nun, die ‚macht was dagegen‘-Rolle wäre noch zu besetzen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: stichwort Live-Streaming-Apps
Echt, echter, Live-Streaming. Wem Scripted Reality-Formate zu fiktiv sind und Facebook zu dezent ist, für den gibt es nun Hoffnung: Per Live-Streaming-App lässt sich das Leben der Anderen nicht nur in Text und Bild, sondern live und in Farbe beobachten. Die Smartphone-Kamera macht’s möglich, die beste Freundin oder den liebsten Feind, den begehrtesten Star oder die gelangweilte Nachbarin live zu begleiten, auf Schritt und Tritt. Viel braucht es dazu nicht: Man nehme ein Smartphone, installiere eine Live-Streaming-App wie Meerkat (der Vorreiter) oder Periscope (aus dem Hause Twitter) und los geht die Show. Senden kann dabei jede und jeder, es genügen eine aktivierte Kamera und ein kurzer Einleitungstext, schon wird das eigene Leben zur Reality-Show.
Noch einfacher hat es nur das Publikum: Einfach die App öffnen und kucken, wer so sendet. Über eine Synchronisation der Twitter-Kontakte kann man so alten Bekannten ins Wohnzimmer schauen oder aber nach berühmten, spannenden oder sonst interessanten Streams suchen. Bietet eine Live-Streamerin bzw. ein -Streamer nicht die gewünschte Aktion, kann sie bzw. er per Kommentar oder Chat angesprochen werden – etwa wenn der Bildausschnitt nicht zufriedenstellen wirkt. Ein Traum für Unzertrennliche oder Unersättliche, Stalker und Helikopter-Eltern – oder doch nur die ernüchternde Erkenntnis, dass anderer Leute Alltag auch kein Dauer-Adrenalin-Schock ist? Der Blick in die Periscope-Kanäle jedenfalls fördert deutlich mehr ‚Chillin‘ on the Couch‘-Streams als ‚Skydiving over the Niagara-Falls‘.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: #dennsi #ewis #senni #chtwassi #etun
Er ist gekommen, um Ordnung zu schaffen in einer chaotischen Welt. Um Inhalte und Informationen zu bündeln. In #justforfun und #seriousthings, in #cybermonday, #justinbieber und #aufschrei. Er ist gekommen, um Menschen schnell zu ihrem Ziel zu führen, sei dieses nun #fcbayern, #gamescom oder #db_bahn. Er ist nie zu spät. Er verfährt sich nicht. Er nimmt keine Umwege. Er duldet kein Chaos. Er kennt sich mit dem #business genauso gut aus wie mit dem #Weltkatzentag, hilft beim #startup weiter und hält zur #icebucketchallenge auf dem Laufenden. Und wer das möchte, den informiert er auch zu #tiniundclarissabestfriendsforever, #soproudofmylittlesisterannidubistdiegrößte oder #kaumzuglaubenderbacheloristgeschaffturlaubherewecomewoohoo6monateaustralien-letsgetthepartystartet. Freilich, besonders viel ‚Laufendes‘ wird da mitunter nicht zu finden sein.
Wer sich anschickt, seine Timeline auf #miawird5prinzessinnenpartyimgarten hin zu sortieren, wird sich vermutlich mit einer überschaubaren Anzahl an royalen Veranstaltungen zufriedengeben müssen. Schlimmer ergeht es nur dem, der die Unvorsichtigkeit begeht, dem tieferen Sinn so mancher #-Tiraden auf den Grund gehen zu wollen. Der nämlich findet sich mitunter in einem urbanen Bermuda-Dreieck wieder, versunken und verloren in endlosen Reihen von scheinbar willkürlich aneinander gereihten Buchstaben, weit und breit kein rettendes Leerzeichen oder Satzzeichen in Sicht, kein Ausweg mehr nach hinten oder vorne, nur noch #einschierunendlichesgetümmelanimmerneuenzeichenausdeneneskaum-mehrmöglichistunverehrthervorzukommen. An der Suche nach sinnvollen Fragmenten, logischen Bruchstücken dieser Wahnsinns-Gebilde ist schon so manch versierte Löserin bzw. Löser von Rätselheften gescheitert, bringt der Hashtag in seiner ewigen Eintönigkeit doch noch jeden Bildschirm zum Flirren und jeden noch so scharfen Blick zum Kapitulieren.
Vorbei ist es dann mit dem vollmundigen Versprechen, Ordnung in Timelines und Nutzerhirne zu bringen, unversehens wird aus dem schönsten Tag im Leben ein #dre #am #wed #ding, aus dem beruflichen Erfolg ein #karri #er #esch #ritt und aus dem gemütlichen Abend mit Bewegtbild und Snack ein #dennsi #ewis #senni #chtwassi #etun. So lange letzteres nicht nur für James Dean und Co., sondern auch für so manch #-Nutzende gilt, drängt sich doch die Frage auf: Wer bringt nun Ordnung in die chaotische Welt der Hashtags? Wer bündelt, wer sortiert, wer führt zum Ziel? Brauchen wir ein neues System? Tags für die Tags? Es muss in dieser Informationsflut doch einen rettenden Anker geben, der den Überblick behält und die Menschen endlich zu ihrem Ziel führt.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Studie zu mobilen Medien in der Familie
Mobile Medien wie Smartphones, Tablets und Co. machen das Internet so omnipräsent, leicht und schnell verfügbar wie nie zuvor. Dies birgt viele Vorteile und Chancen – stellt aber gerade Eltern und pädagogische Fachkräfte auch vor viele neue Herausforderungen, wenn es darum geht, Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, sich die vielfältigen Angebote im Netz mittels mobiler Endgeräte souverän, kompetent und möglichst schadfrei anzueignen. Gerade in Familien ist Medienerzie¬hung mehr denn je nötig und relevant, zugleich sind hier angemessene und zielführende Unterstützungsangebote von Seiten der Pädagogik gefragt. Die Studie MoFam – Mobile Medien in der Familie, herausgegeben vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, widmet sich diesem Bedarf und stellt folgende Fragen:
- Welche Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie sowie der Kinder- und Jugendme-dienforschung sind für die Medienerziehung als relevant einzuschätzen?
- Welche Bedarfe und Fragen haben Eltern zum Umgang mit mobilen Medien und dem Internet? Welche Unterstützung brauchen Familien?
- Welche Fragen haben Fachkräfte? Welche Unterstützung brauchen sie?
Anhand einer Expertise, in der der Wissensstand aus Entwicklungspsychologie und Medienforschung systematisch aufbereitet und ausgewertet wurde, sowie zweier Befragungen – von Eltern und pädagogischen Fachkräften – näherten sich die Forscherinnen des JFF diesen Fragestellungen und konnten feststellen, dass Eltern und pädagogische Fachkräfte einen großen Bedarf an mehr Medienerziehung und besseren Unterstützungsangeboten sehen.
Gerade durch häufig einseitige, negative Berichter¬tattung und fehlendes Wissen entstehen bei den Befragten Befürchtungen und Ängste zum Mediengebrauch der jungen Generationen, denen sie nicht genügend begegnen können. Es sind deshalb vermehrt Unterstützungsangebote, aber auch eine Verbreitung von Wissen und Kompetenz etwa durch Multiplikatorinnen und Multiplikatoren gefragt. Die Studie wurde gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration. Die Ergebnisse wurden im Februar im Institut für Jugendarbeit Gauting vorgestellt – einen Tagungsbericht finden Sie auf unserer Webseite.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: stichwort OER
Bildung für alle – frei, gleich, kostenlos. So oder so ähnlich ließe sich die Vision vielleicht zusammenfassen, die hinter dem Phänomen OER, Open Educational Ressources, steht. Wissen, Informationen, (Lern-)Materialien sollen – wenn es nach OER-Befürworterinnen und -Befürwortern geht– jederzeit und für jedermann frei zugänglich sein, sowohl in der Nutzung als auch in der Weiter-Bearbeitung. Konkret bedeutet das: Literatur, Veröffentlichungen, Unterrichtsmaterialien, aber auch Bilder, Filme, Arbeitsmaterialien sollen nicht exklusiv über Verlage oder Distributoren angeboten und nur an Kaufwillige weitergegeben werden, sondern im besten Fall im Internet auffindbar sein, mit einer freien (Creative Commons-)Lizenz versehen sein und von dort aus nach Lust und Laune verbreitet und bearbeitet werden können. Von Fachkräften, von Lehrkräften, aber auch von Lernenden selbst.
So soll Lernen flexibler und individueller gestaltet werden können, so soll befördert werden, dass aktuelle Lernmaterialien auch einen Weg in die Schulen (und freien Bildungsangebote) finden und Pädagoginnen und Pädagogen nicht vor zu hohen Kosten zurückschrecken – und so sollen Fachkräfte motiviert werden, selbst Bildungsmaterialien zu schaffen und zur Verfügung zu stellen, um einen großen und immer wachsenden Pool qualitativ hochwertiger Angebote zu gestalten. Das zumindest wünschen sich die Befürworterinnen und Befürworter, etwa die UNESCO. Auf der anderen Seite stehen natürlich die Befürchtungen, dass Autorinnen und Autoren der Materialien nicht mehr von ihrer Arbeit leben können, wenn alles zum ‚Allgemeingut‘ erklärt wird.
Dass Fachkräfte gar nicht die Zeit haben, OER-Portale im großen Stil zu befüllen – weder in Schulen, wo Stundenpläne die Tage takten, noch in der freien Pädagogik, wo die Finanzierung traditionell kein Selbstläufer ist. Dass eine zu große Freiheit in der Gestaltung auch die Fehlerwahrscheinlichkeit erhöht. Bislang ist der Pool an Materialien (und Vertreterinnen und Vertretern) in Deutschland eher überschaubar; unter OERcommons.com etwa lässt sich suchen, was es bisher zu finden gibt. Doch die Bewegung wächst – und gerade für Akteurinnen und Akteure der (informellen) Medienpädagogik bleibt es spannend, wie sich dieses Thema in Zukunft entwickelt – sowohl in Hinblick auf die Nutzung, als auch auf die Erstellung von Bildungsmaterialien.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Monster!
Robert Paul Weston (2014). Die Monsterabteilung. Hörbuch, gelesen von Bastian Pastewka. 4 CDs, etwa 310 Minuten. Berlin: Der Audio Verlag. 16,99 €.
Eine uralte, halb verfallene Villa – mitten auf dem Hof des fünftgrößten Elektronikherstellers der Welt und des modernsten Gebäudes der Stadt. Wände, die sich von Zauberhand öffnen, Türen, die keiner sehen kann, ein kleines Hinterzimmer, das viel größer ist, als das ganze Haus. Gügor und Goggelmoggel, Patti Matschmeyer und der General Admiral, ein Fledermauself, ein Bombastodon, eine Sumpfnymphe und ein Kopf auf Beinen … und mittendrin Elliot und Leslie. Das kann ja heiter werden. Aber von vorne. Denn eigentlich ist Elliot ein ganz normaler Junge. Sehr normal sogar. Seine Welt besteht, ganz normal, aus Schule und Ferien, Essen und Schlafen, ein bisschen Spaß und ein bisschen Langeweile. Und mit Zauberei, Monstern oder sonst irgendwelchen abgefahrenen Dingen hat er gar nichts am Hut. Besser gesagt: Hatte er nichts am Hut. Bis jetzt. Denn in diesen denkwürdigen Sommerferien geht Elliots größter Wunsch in Erfüllung – er darf die Mega-Fabrik DENKi-3000, in der sein Onkel Archie arbeitet, endlich einmal von innen sehen.
Doch was als harmloser Besuch mit Firmenrundgang beginnt – endet im größten Abenteuer in Elliots kurzem und an Abenteuern armem Leben. Kaum nämlich haben sich die hochmodernen Türen der DENKi-3000-Fabrik hinter Elliot, dessen (neuer) Freundin Leslie und Onkel Archie geschlossen, überschlagen sich die Ereignisse. Nicht nur, dass Elliot und Leslie, deren Freundeskreise vorher jeweils eher sparsam ausfie¬len, plötzlich schier unüberschaubar viele neue Freundinnen und Freunde gewinnen: solche nämlich, die über und über lila behaart sind oder solche, die nur wenige Zentimeter groß sind, dafür aber fliegen können oder auch solche, die zwar fürchterliche Ausmaße haben, mit ein paar Keksen im Mund aber die friedlichsten Gesellen sind. Kurz, viele neue Monster- Freundinnen und -Freunde, die alle in der DENKi-3000-Forschungsabteilung leben und arbeiten – oder zumindest arbeiten sollten, statt dort für Chaos zu sorgen. Auch trotzt die Fabrik jeder Logik dieser Welt, sie ist der abgefahrenste Ort, den man sich überhaupt vorstellen kann.Als wenn all das nicht genug wäre, purzeln Elliot und Leslie auch noch unversehens mitten in einen Krimi hinein. In eine feindliche Übernahme. In eine Entführung. In einen Wettlauf mit der Zeit. Und in … ach was, mehr wird nicht verraten.Wer den ganzen Krimi in all seiner Spannung, seiner Lustigkeit und seiner Verrücktheit hören will, muss schon selbst zu den CDs greifen und die Anlage mit der Die Monsterabteilung-CD füttern. Dann gibt es 300 Minuten lang Monsterquatsch auf die Ohren.
Bastian Pastewka hat das gleichnamige Kinderbuch von Robert Paul Weston eingesprochen und erzählt seinen jüngeren (und vielleicht auch älteren) Zuhörerinnen und Zuhörern launig und mit viel Stimm-Virtuosität von Elliot, Leslie und ihren monstermäßigen Sommerferien. Empfohlen ist das Hörspiel ab neun Jahren – und ist wohl auch erst dann interessant. Zum einen, weil mehr als fünf Stunden Spielzeit (die bereits eine gekürzte Version des Buches darstellen) doch einen einigermaßen langen Atem einfordern, den jüngere Kinder noch nicht unbedingt aufbringen können. Zum anderen aber, weil Weston seinem Publikum doch ein paar aktive Synapsen zutraut. Den Überblick über alle Monster zu behalten, den Humor und teilweise auch die Begrifflichkeiten zu verstehen ist eine Aufgabe, die eher für ältere Grundschulkinder zu meistern ist. Problematisch sollte es für Kleinere nicht sein – man kann also ganz unbesorgt auch auf der fünfstündigen Fahrt in den Urlaub die Monster ins Auto lassen. Vieles finden sicher alle witzig – manches eben nur manche. Insgesamt besticht Weston – und dessen deutsche Stimme Pastewka – durch einen sehr netten, feinsinnigen Humor.
Die Figuren sind liebevoll gezeichnet, jede eine ganz eigene, liebenswerte Persönlichkeit mit ihren ganz ei-genen, liebenswerten Macken. Die Story ist klar und übersichtlich, aber spannend. Und aus jeder Hör-Minute quellen witzige, kleine Ideen, unglaubliche Bilder, die der Zuhörerschaft in den schönsten Tönen vor das innere Auge gemalt werden und eine riesige Lust am Fantasieren und Traumwelten erkunden. Fast ist es nicht möglich, sich von der Fröhlichkeit und fantastischen Fabulier-Lust des Hörstücks und der herzlichen Liebenswürdigkeit der Monster nicht mitreißen zu lassen. Darüber hinaus ist die Geschichte eine schöne Fabel über Freundschaft und Teamwork, über das Zusammenhalten, selbst bei kleineren und größeren Unterschieden und darüber, wie kleine Leute (und Monster) Großes erreichen können. Und so etwas können Kinderohren schließlich gar nicht oft genug hören!
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Gemobbt im Netz? Ab in den App-Store!
klicksafe (Hrsg.) (2015). Cyber-Mobbing Erste-Hilfe App. Betriebssysteme Android und iOS, kostenfrei.
„Jemand hat dich übers Handy oder Internet verletzt und jetzt brauchst du Hilfe? Dann lade dir die App.“ Was im Google-Playstore so lapidar klingt, hat einen ziemlich ernsten Hintergrund: ‚Hass im Netz‘, ‚Gewalt im Netz‘, ‚Cybermobbing‘ ist nach wie vor ein großes Thema für Kinder und Jugendliche – und leider auch nach wie vor häufig ein Thema, mit dem sich Betroffene eher allein gelassen fühlen, weil es mit Angst, Scham oder Ratlosigkeit besetzt ist. Was tun, wenn Gleichaltrige, Klassenkameradinnen, Klassenkameraden oder Kinder aus der Nachbarschaft hänseln, ärgern oder sogar gewalttätig werden, sei es auf der Straße und in Schulfluren oder sei es – häufig die wesentlich grausamere Variante – im Kontext neuer Medien, in WhatsApp-Gruppen, auf Facebook-Seiten, in Instagram- oder Snapchat-Profilen et cetera? Wie kann man reagieren, wie sich wehren, wie einen Weg finden, den (häufig anonymen) Bullys zu begegnen und die Gewalt im besten Fall zu beenden?
klicksafe versucht, dieser Thematik da zu begegnen, wo sie meist stattfindet: auf den Smartphones der Kinder und Jugendlichen. Gemeinsam mit dem klicksafe Youth Panel, einer ‚Internet- Arbeitsgruppe‘, in der Jugendliche eingeladen sind, ihre Sichtweisen und Fragen zu Medien einzubringen und anzugehen, erarbeitete die Initiative eine App, die Mobbing-Opfern erste, aber auch langfristige Hilfe leisten soll. Dazu kommt die App zunächst einmal in ansprechender Optik und sehr übersichtlichem Aufbau daher. Satt großer Menüführung, Begrüßungsseiten oder ähnlichem Schnickschnack gibt es genau drei Seiten, die sich auswählen lassen: ‚Tutorials‘, ‚Hilfe‘ und ‚Info‘. Die ‚Info‘-Seite bietet einige erklärende Sätze dazu, was Cyber- Mobbing eigentlich ist, nützliche Links zu klicksafe und juuuport (von denen beim Testlauf leider nur die klicksafe-Links funktionierten) sowie anhand deutscher Strafgesetzbuch-Paragrafen erläuterte Erklärungen, warum bzw. inwiefern Cyber-Mobbing strafbar ist. All das in kurzen, informativen ‚Info-Häppchen‘, die auch ohne viel Lese-Zeit oder -Lust verstanden und genutzt werden können.
Auf der ‚Tutorials‘-Seite ist ebenfalls genau das zu finden, was angekündigt wurde, nicht weniger und nicht mehr. Sortiert nach den Plattformen, in denen Cybermobbing stattfinden könnte, gibt es hier kurze Anleitungen, wie bei Facebook, Instagram oder WhatsApp Personen bzw. Inhalte gemeldet oder blockiert werden können und eine Info, wie man Screenshots mit dem Handy erstellt. Letzteres ist leider nicht für alle Smartphone-Typen gültig, die anderen Tutorials sind dafür umso richtiger und wichtiger – und bestehen ausschließlich aus Fotos, in denen die jeweiligen Schritte zum Melden oder Blockieren markiert sind, keinerlei langatmige Erklärungen und Beschreibungen. Das Herzstück der App ist die ‚Hilfe‘-Seite. Hier lässt sich direkt per Klick auf ‚Beratung‘ die ‚Nummer gegen Kummer‘ aufrufen, um mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Oder aber man nimmt die Dienste der App in Anspruch, wählt sich dazu einen Guide aus (Tom oder Emilia, zwei Jugendliche ‚von nebenan‘) und lässt sich von diesem durch die ersten Schritte im Kampf gegen Cybermobbing begleiten.
In sechs aufeinanderfolgenden Tipps versuchen die beiden, Nutzerinnen und Nutzern erste Schritte aufzuzeigen. Diese gehen von ‚Bleib ruhig und lenk dich ab‘ (dazu werden eigens Links zu lustigen Spielchen und Videos zur Verfügung gestellt) über ‚Dokumentiere die Angriffe‘, ‚Vertrau dich jemandem an‘, ‚Blockiere, melde, lösche‘ und ‚Verteidige dich‘ bis hin zu ‚Du bist in Ordnung‘. In kurzen, aufmunternden Videos nehmen die ‚Guides‘ betroffene Jugendliche an die Hand und ermutigen sie, sich kurz zu sam¬meln, um anschließend nacheinander die notwendigen Schritte zu gehen, um ihren Peinigern erfolgreich die Stirn zu bieten und ihre Situation zum Besseren zu wenden. Auf jedes Video folgt eine Info-Seite mit den entsprechenden Informationen (etwa Tutorials), die direkt genutzt werden können. Wenn Tom und Emilia ihre ‚Schützlinge‘ schließlich mit einem „Du bist toll, so wie du bist! Niemand hat das Recht, dich zu verletzen!“ entlassen, ist deren Cybermobbing-Geschichte vielleicht noch nicht final beendet – hat aber möglicherweise einen dramatischen Wendepunkt erfahren, weil die Opfer den Mut und die Entschlossenheit aufbringen konnten, nicht mehr ausschließlich Opfer zu sein, sondern anfangen, Mobbing zu bekämpfen. Und dieser erste Wendepunkt ist nicht selten der wichtigste Part all dessen, was anschließend folgen kann und muss. Insgesamt also eine ansprechende, engagierte und mutmachende App von klicksafe – die zu Recht bereits mit dem ENABLE Hackathon-Preis ausgezeichnet wurde. Bleibt zu hoffen, dass viele Jugendliche in misslichen Lagen sich hierhin klicken und Cybermobbing erfolgreich zu einem Thema ihrer Vergangenheit machen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Buch auf, Handy an – los geht das Gewusel und Gewimmel
Carlsen Verlag GmbH (Hrsg.) (2014). LeYo! – Entdecken, Lernen, Spielen mit Kinderbuch und App. App-Store/Play-Store, kostenfrei.Oftring, Bärbel/Henkel, Christine/Mähler, Maria (2016).LeYo! Im Wald. Pappbilderbuch. Hamburg: Carlsen Verlag. 16 Seiten, 19,99 €.
Neugierig blinzelt der Fuchs, als wir uns dem Wald nähern, der Schmetterling flattert gleich aufgeregt davon und auch der Hase setzt zum Sprung an. Und was ist das – klingt da hinten nicht das gleichmäßige Klopfen eines Spechtes zwischen den Bäumen hervor? Gleich mal näher heranpirschen. Aber psst, viele Tiere hier sind sehr scheu!Wirklich verschwinden können die Tiere zwar nicht, denn wir befinden uns nicht leibhaftig im Wald; stattdessen sind wir Flora und Fauna per Buch und App auf der Spur: LeYo! heißt das – im wahrsten Sinn multimediale – Angebot des Carlsen Verlag, das Bücher lebendig machen und seine Leserinnen und Leser in die spannendsten Welten entführen will. Die Idee ist denkbar simpel. Man nehme ein Kinderbuch – sei es eine Geschichte wie Connis erste Abenteuer im Kindergarten, ein Kleinkind-Wörterbuch, vollgepackt mit Bildern aus allen Lebensbereichen zum Anschauen und Kennenlernen, oder ein Sachbuch wie Im Wald –, halte ein Handy mit passender, geöffneter App daran und mache sich so die Vorteile beider Medien zu Nutze: Die Größe, Haptik und Gestaltbarkeit eines Buches sowie die schnelle Verfügbarkeit, multimediale Ausrüstung und vielfältige Nutzbarkeit des Smartphones.
Bei LeYo! bedeutet das konkret: Wer ein LeYo!- Buch mit all seinen Möglichkeiten nutzen möchte, lädt sich die LeYo!-App herunter, die sowohl für Apple- als auch für Android-Smartphones kostenfrei verfügbar ist, allerdings erst ab iOS 7.0 bzw. Android 4.2 funktioniert. In der App selbst wird das vorliegende Buch ausgewählt und heruntergeladen, dann kann der Lesespaß losgehen. Mit der Handykamera erfasst man eine Stelle im Buch, die App bietet die passenden Zusatz-Optionen. Auf diese Art werden die Figuren und Szenen im Buch lebendig, Tiere bewegen sich und springen umher, Menschen führen ihre Tätigkeiten aus, Fahrzeuge oder Häuser öffnen ihre Türen und erlauben einen Blick ins Innere. Das alles wird begleitet von passenden Geräuschen und Informationen. Zusätzlich können die Texte im Buch von der App vorgelesen werden, es lassen sich weiterführende Infos zu den Themen der Bücher abrufen und an vielen Stellen hat die App auch Gimmicks wie kleine Spielchen in petto. So wird eine eigentlich nur zweidimensionale Buchseite plötzlich zu einer eigenen Welt, voll mit witzigen Entdeckungen, spannenden Überraschungen, interessanten Einblicken, voll Gewusel, Gewimmel und Leben – weit über die Papierseiten hinaus. So lassen sich trotz übersichtlicher Seitengestaltung und kurzen, knackigen Texten so viele Ideen und Inhalte auf den Seiten unterbringen wie sonst nicht einmal in das vollgepackteste Wimmelbuch.
Die Bedienung der Bücher über die App hat – im Vergleich zu den bisher auf dem Markt angebotenen Möglichkeiten mit elektronischen Stiften – durchaus ihre Vorteile. Zum einen für den verlängerten, nämlich zahlenden Arm der kleinen Leserinnen und Leser. Musste zu interaktiven Büchern bisher nämlich noch für einen recht stolzen Preis der Stift zusätzlich erworben werden, funktioniert die Erweiterung der Buchinhalte jetzt über ein Gerät, das in den Haushalten sowieso vorhanden ist und lediglich – und kostenfrei – ‚aufgerüstet‘ werden muss. Zudem funktioniert die Bedienung über ein Touchpad relativ intuitiv, die Buttons in der App sind selbsterklärend. Durch die Navigation über die Handykamera können sich die Kinder einfach auf der Buchseite orientieren. Das Gerät wirkt optisch wie eine Erweiterung des Buches, da der betrachtete Buchausschnitt parallel auf dem Handy-Display angezeigt wird. Und zu guter Letzt bietet ein Smartphone einfach mehr Möglichkeiten der Präsentation und Inhalte-Vermittlung. So können Inhalte und Optionen auf einem Touchpad intuitiv und spontan ausgewählt werden und müssen nicht umständlich über Knöpfchen gefunden werden, es lässt sich nicht nur Ton, sondern auch (bewegtes) Bild anzeigen und eine tatsächliche ‚Erweiterung‘ der Buchseite gestalten, über die sich Kinder wirklich selbständig bewegen können, um sich die Inhalte zu erschließen. Natürlich ist auch die App nichts für ganz kleine Kinder, ein wenig Geschick und Feinmotorik wird durchaus vorausgesetzt. Bei vielen Büchern ‚ruckelt‘ die Anzeige auch noch ein wenig, Objekte rutschen bisweilen schneller als gedacht wieder aus dem Bildausschnitt, so dass ein Vogel, der gerade hoffnungsvoll zum Flug ansetzte, unverhofft wieder platt auf der Buchseite liegt oder der Feuerwehrschlauch, gerade zum Löschen erhoben, noch vor dem ersten Tropfen wieder entgleitet.
Ärgerlich ist das bei Info-Texten, die auf halber Strecke stoppen und den Rest ihrer Information verweigern. Hin und wieder braucht die App auch mehrere Anläufe, um ein Objekt wirklich zu erkennen und lässt sich lange bitten, ihre Schätze zu offenbaren – während sie nebenbei munter RAM-Speicher und Batterie aus dem benutzten Smartphone saugt. Jüngere Kinder sollten daher lieber noch auf die Hilfe eines erfahreneren Zeitgenossen mit ruhiger Hand zurückgreifen; spätestens ab dem Grundschulalter kann die App dann alleine bedient werden. Im Leyo!-Sortiment finden sich für sie auch tatsächlich viele Infotainment-Bücher wie der genannte Band Im Wald oder ein Atlas-Band. Damit können die jungen Forscherinnen und Forscher nicht nur Zeit vertreiben, das Handy nutzen, das ohnehin immer eine gewisse Faszination hat, und sich neue Fähigkeiten in Feinmotorik und Navigation erarbeiten, sondern nehmen ganz nebenbei noch eine Menge Wissen mit, das ‚nur‘ in ein zweidimensionales Buch gar nicht passen würde – und das mit einiger Wahrscheinlichkeit auch ein vorlesendes Elternteil nicht gleich parat gehabt hätte. Wer aus ohnehin schon grenzenlosen Fantasiewelten der Bücher noch so fantastische Entdeckungsreisen zaubert und den kleinen Figuren und Szenen zwischen zwei Pappdeckeln Leben einhaucht, kann sich dafür ruhig auch mal ein paar Preise abholen.
So wurde Leyo! bereits für den Tommy Kindersoftwarepreis2015 in der Kategorie ‚Elektronisches Spielzeug‘ und als ‚Top 10 Spielzeug 2015‘ beim Bundesverband des Spielwaren- Einzelhandels nominiert.Schon jetzt lässt sich auf den Seiten des Carlsen Verlag eine recht ansehnliche Liste von Leyo!-Büchern durchstöbern, in denen Feuerwehrautos und Schneeschaufeln, einheimische Waldbewohnerinnen und -bewohner sowie exotische Raubtiere, Brotzeitboxen und Sandschaufeln darauf warten, durch Kinderzimmer zu fahren und zu kratzen, zu zwitschern und zu fauchen und Kindern ihre Talente und Hintergründe zu präsentieren.
Elisabeth Jäcklein-Kreis ist Redakteurin bei merz |medien + erziehung und Lektorin im kopaed Verlag.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: stichwort Snapchat
Diese Konkurrenz lehrt Facebook das Fürchten, lässt WhatsApp alt aussehen und macht Instant Messaging endgültig überflüssig. Den Eindruck zumindest vermittelt der Hype, mit dem die App gehandelt und medial besprochen wird. Snapchat heißt das Phänomen, das wie ein Erdrutsch durch die Medienlandschaft zu gehen scheint. Die App kommt unscheinbar daher, wirkt auf den ersten Blick eher so, als verbergen sich dahinter Puzzles und Lieder für kleine Kinder: Auf quietschgelbem Hintergrund flattert ein weißes Gespenst, ohne Augen oder Mund, nur am Umriss erkennbar. Und auch, was sich hinter dem Gespenst verbirgt, scheint zunächst nicht revoluntionär. Fotos und Videos lassen sich über die App aufnehmen und verbreiten, Bilder können bearbeitet und mit Stickern, Texten et cetera verziert werden. Es lassen sich Nachrichten an einzelne Freundinnen und Freunde, aber auch an die ganze Snapchat-‚Gemeinde‘ senden. So weit, so unspektakulär. Das Besondere: Zum einen ist es die einzige Messaging-App mit Verfallsdatum.
Alle Fotos und Videos im Verlauf können 24 Stunden lang geöffnet und dann für circa zehn Sekunden betrachtet werden. Danach weiß nur noch das Gespenst, was da gesendet wurde – oder technisch versierte Nutzerinnen und Nutzer, die sich in den Ordnerstrukturen ihrer Smartphones zurechtfinden können. Erst seit 2016 lassen sich Bilder auch in der App selbst als ‚Snapchat Memories‘ abspeichern und so dauerhaft verfügbar machen. Diese eingebaute Kurzfristigkeit hat zweierlei Folgen. Zum einen sind die Nutzenden quasi gezwungen, täglich einmal die App zu öffnen, wollen sie nicht Gefahr laufen, die vermeintlich wichtigsten Nachrichten zu verpassen. Zum anderen scheint das Wissen um die Vergänglichkeit der eigenen Nachricht einen gewissen enthemmenden Einfluss zu haben. So war Snapchat etwa lange Zeit vorrangig als ‚Die App für Nacktbilder‘ bekannt. Mittlerweile hat sie sich aus dieser etwas zwielichtigen Ecke befreit, ist vor allem für bunte Emoticons und aufwändig verzierte Gesichter bekannt, und hat vor Kurzem die Nutzerzahlen des bislang unangefochtenen Marktführers Facebook geknackt und überholt.
Ganz unkritisch wird das Angebot dennoch nicht gesehen. Gerade aus medienpädagogischer Warte hat der Dienst doch wiederholt mit Datenschutz-Skandalen von sich reden gemacht. So wütet die App relativ unkontrolliert in den Daten der Smartphones, auf denen sie installiert ist. Die Betreiber behalten sich das Recht vor, Aufnahmen zu speichern und selbst weiter zu verwenden, ohne dass die Nutzen den dies beeinflussen können, und mehrmals wurden Sicherheitslücken in der Datenübertragung angeprangert oder aufgedeckt. Die Begeisterung der Jugendlichen aber ist ungebrochen – und auch das wiederum ist für die Medienpädagogik nicht unerheblich. Bedeutet es doch auch, dass hier nicht nur eine potenzielle Gefahr lauert, sondern auch eine große Chance, mit den Nutzenden über genau diese Themen ins Gespräch zu kommen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Mehr Drill-Instructor als Mentor
Turnschuhe binden, Kaugummi raus und ran an die Maus. Jetzt wird das Internet von der Pieke auf gelernt, denn jetzt übernimmt der Coach die Führung: Der webcoach. Ob der Klett-Verlag bei der Namensgebung für seine Unterrichtsmaterialien zu neuen Medien auch kleine, stämmige Männer mit ungekämmten Haaren und orangenen T-Shirts vor Augen hatte, die 2 Meter große Rugbyspieler mit Schulterpolstern und Mundschutz anschreien und zu Ordnung und Disziplin ermahnen, wissen natürlich nur die beteiligten Redakteure – dass der doch recht gewollt jugendliche, denglische Neologismus allerdings bei Lehrerinnen und Lehrern und deren Zöglingen von elf bis 16 Jahren gleichermaßen gut ankommt, darf bezweifelt werden. Nichtsdestoweniger – der webcoach nimmt sich einem Thema an, an das sich bisher leider nur wenige Schulbuchverlage so recht trauen und kommt zudem in einer ansprechenden Aufmachung daher, nämlich in Form von Lehrermaterialien und Arbeitsheften für die Schülerinnen und Schüler und nicht nur als Handreichung mit einem großen, verstaubten Zeigefinger auf dem Cover. Die Hefte werden vom 5. bis zum 10. Schuljahr angeboten, differenziert nach Bundesländern und Schularten. Scheinbar zumindest, denn de facto sind die meisten Einzelhefte dann doch für „5.-10. Schuljahr“ angelegt – die Auswahl sieht also größer aus, als sie wohl ist. Inhaltlich gibt es bisher die Themen „Cyber-Mobbing“, „Recherche im Internet“ und „Soziale Netzwerke“, weitere sollen folgen. Soweit, so erfreulich, endlich mal ein Material, mit dem neue Medien tatsächlich im Unterricht besprochen werden können, denkt man und schlägt frohgemut das Heft auf, in dem Fall die Ausgabe zu sozialen Netzwerken.
Innen wird die Freude auch zunächst nicht getrübt, eine kurze, übersichtliche Gliederung präsentiert sich in optisch ansprechendem Gewand, es gibt ein Grundlagenkapitel zu sozialen Netzwerken (Was ist das und warum nutzen wir es?), einen Abschnitt „Regeln und Tipps“ (in dem Themen wie sichere Passwörter, Profilgestaltung, Urheberrecht und Persönlichkeitsrechte zur Sprache kommen) und ein letztes Kapitel mit dem Titel „Soziale Netze wahrnehmen“ (dahinter verstecken sich Werbung, Cybermobbing und Online-Sucht). Dazu eine Zeichenerklärung, denn im Innenteil ist jedes Thema bestückt mit Querverweisen, Links und zusätzlichen Inhalten wie Checklisten, gekennzeichnet durch kleine Buttons. Überhaupt scheinen die Grafiker des Arbeitsheftes ihren Spaß gehabt zu haben, alles erstrahlt in bunten Farben, jede Tabelle ist zumindest bunt unterlegt und zu fast jeder Aufgabe gibt es bunte Fotos, die manchmal inhaltliche Relevanz haben, manchmal aber einfach nur illustrieren. Optisch also durchaus opulent, das 30 Seiten starke Arbeitsheft. Inhaltlich werden die drei großen Themen der Gliederung in 13 einzelnen „Modulen“ präsentiert, die sowohl für den Schulalltag als auch für Projekttage geeignet sein sollen. Leider waren die Autorinnen und Autoren aber etwas sparsamer als ihre grafischen Kolleginnen und Kollegen: Es gibt keinerlei einleitende Worte oder Grundlagen, die Information zu den Aufgaben muss wohl komplett von der jeweiligen Lehrkraft kommen. Auch bei den Aufgaben selbst sind die Erklärungen und Informationen meist recht kurz gehalten, der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den Aufgabenstellungen. Das ist für ein Arbeitsheft zwar im Grunde nicht verwerflich, aber dennoch etwas schade: Mehr zusätzliche Informationen oder zumindest Hinweise auf interessante Links, Broschüren, Filme oder Literatur hätten dem Thema gut getan, zum einen inhaltlich, zum anderen um die besprochenen neuen Medien auch gleich einzusetzen, was sich ja angeboten hätte. Zumal viele Aufgaben recht offen gestellt sind und die Schülerinnen und Schüler zu Diskussionen oder Begründungen auffordern – das ist zwar durchaus gut gedacht und soll wohl eigenes Denken anregen, diesem Denken würde es aber sicher nicht schaden, wenn es sich nicht nur auf den drei Sätzen aus dem Arbeitsheft, sondern auf vielfältigen Quellen begründen könnte.
Die wenigen Verweise, etwa auf Internet-Seiten, sind zudem recht kompliziert als Buchstaben-Zahlen-Codes verpackt, die man erst auf der webcoach-Seite eingeben muss, um dann weitergeleitet zu werden – ein eher umständliches Prozedere, das die Schwelle, tatsächlich dorthin zu klicken, deutlich hebt. Hier vergibt sich das Heft also leider die Chance, Jugendliche wirklich zum Mitdenken und kritisch Reflektieren anzuregen und einen bewussten Umgang mit neuen Medien zu schaffen und bleibt stattdessen lieber zwischen seinen eigenen Buchdeckeln kleben – wahrscheinlich die einfachere Lösung. Mehr als das stößt aber auf, dass viele der Fragen nicht nur dritte Meinungen ausschließen, sondern auch inhaltlich plakativ sind und wenig Raum für ehrliche Diskussion lassen. So sind einige Fragen so suggestiv gestellt, dass man sie genauso gut gleich als Antworten hätte formulieren können. Beispiel gefällig? In einer Aufgabe sollen sich die Schülerinnen und Schüler in einen Personalchef versetzen, der die Profile seiner Bewerber auf einem Sozialen Netzwerk betrachtet und unter anderem Folgendes findet: Ein Bewerber hält auf einem Bild stolz eine Pump Gun (Waffe) in den Händen. Darunter steht: „Mein neuestes Spielzeug, und ich weiß, wie man günstig an die Dinger kommt…“Dass vermutlich kaum jemand unter einem Foto über seine Connections zu kriminellen Szenen prahlen würde und der, der es tun würde, möglicherweise selten Bewerbungen für Jobs versenden würde, bei denen ein Personalchef die ordentlich zusammengestellten Mappen vorsortiert, ist nur die eine Ungereimtheit an der Sache. Dass das Arbeitsheft ein so plakativ überzeichnetes Bild anbietet und die Schülerinnen und Schüler damit vermutlich bestenfalls zu einem müden „Jaja, würde ich nicht nehmen“ anregt, nicht aber zu einem differenzierten Nachdenken darüber, welche Themen bei einer Selbstdarstellung wirklich nachdenkenswert und gegebenenfalls problematisch sind, ist der größere Haken.
Denn wer würde sich mit einer solchen, schwarz-weißen Darstellung der Profile-Welt schon genügend identifizieren, um darüber ins Nachdenken über eigene Inhalte zu kommen? Ausgenommen den einen Schüler in jeder siebten Klasse, der gerade Freundschaft mit einem Waffen-Hehler geschlossen hat, der hat aber sicher auch andere Probleme. Weiteres Beispiel, das ins Auge sticht, ist das letzte Kapitel im Heft, das sich dem Thema Online-Sucht widmet. Ungeachtet der Tatsache, dass Online-Sucht nach wie vor kein anerkanntes Krankheitsbild ist und nirgendwo verlässliche Forschung dazu existiert, fragt das Heft die Leserinnen und Leser ganz unverschämt: „Bist du schon süchtig?“ Von 560.000 „Internetsüchtigen“ spricht es, bildet eine an eine Tastatur gekettete Hand ab und lässt auch sonst kein Klischee aus. Eine Differenzierung oder Begriffsklärung (etwa nach Online-Spielen, bestimmten anderen Inhalten oder dem Internet allgemein) wird ebenso wenig für nötig gehalten wie ein differenzierter und kritischer Umgang mit einem unerforschten und heftig umstrittenen Phänomen. Stattdessen fragt das Heft lieber im „Fragebogen zur Selbsteinschätzung“ „Wie oft freust du dich darauf, bald wieder ‚on‘ zu sein?“ und schickt alle, die das Internet gerne nutzen, pauschal zum Psychologen: „Lass dir helfen und schäme dich nicht dafür“.
Der Paukenschlag zum Schluss: Eine Abbildung mit zwei Wegweisern nach „Realität“ und „Cyberspace“, die in entgegengesetzte Richtungen zeigen. Schade, dass der gute Vorstoß, neue Medien in Schulen zu behandeln, letztlich in so viel Bewahrpädagogik und klischeebehafteten Angstszenarien enden musst – solcherlei Verteufelungen der Angebote führen sicher nicht dazu, dass Lehrerinnen und Lehrer in einen echten, kritischen Dialog mit ihren Schülerinnen und Schülern eintreten, sondern lassen vielmehr befürchten, dass der Großteil einmal mit den Schultern zuckt, die richtige Antwort ins Arbeitsheft kritzelt und unter der Bank seine facebook-Updates abruft. Denn wer will sich schon von einem wie auch immer gearteten Coach in solcher Drill-and-Practise-Manier einreden lassen, wie er das Internet zu bedienen hat? Dazu bräuchte es ehrliche Auseinandersetzung und Diskussion statt Trillerpfeifen.Mayer, Thomas/Dippl, Franz/Höhbauer, Christian (2012). Webcoach. Soziale Netzwerke. Arbeitsheft. Stuttgart, Leipzig: Ernst Klett Verlag. 32 Seiten, 19,95 €.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Wer hat Angst vor‘m schwarzen Mann?
Schon als er in die Einfahrt biegt, kann ich ihn sehen. Ein fachmännischer Blick genügt mir, um genau zu wissen, mit wem ich es hier zu tun habe. Er ist nicht sehr groß, wohl eher durchschnittlich, dafür aber recht untersetzt. Etwas schleppend bewegt er sich auf meine Haustüre zu, strahlt eher Lethargie als Dynamik aus, während ich reglos hinter dem Fenster stehe, um seine Aufmerksamkeit nicht auf mich zu ziehen. Selbst aus der Distanz erkenne ich die untrüglichen Zeichen: Der letzte Friseurbesuch ist lange her, die dunkelblonden Haare hängen ihm strähnig und ungepflegt um das bleiche Gesicht. Und sind das nicht Augenringe, die sich da unter den wirren Brauen deutlich von der hellen Haut abzeichnen? Dazu die ausgebeulte Jeans, die an den Rändern schon Fransen zieht, ein schlecht sitzender, leicht ausgewaschener Pulli mit – da bin ich mir ganz sicher – Ketchupflecken! Jetzt besteht kein Zweifel mehr, dieser Hinweis ist untrüglich: Das muss ein Computerspieler sein!
Ich habe schließlich nicht umsonst so gut aufgepasst, in den Internet-Videos und Fernseh-Spots, die einem genau erklären, wie diese PCSpiele- Junkies aussehen, in den Texten, in denen so anschaulich beschrieben wird, was Computerspiele mit jedem machen, der den Fehler begeht, sie auch nur einmal zu öffnen! Tageslichtscheue Kreaturen mit ungesunder Haar- und Hauterscheinung, vorletztjährige Kleidung, da der PC-Platz nicht mehr verlassen werden kann und der charakteristische Ketchupfleck, der auf einseitige Ernährung ausschließlich durch Heimservice-Pizza und Pommes schließen lässt. Vor meinem geistigen Auge rufe ich mir das Bild wach: Ja, genau so sehen sie aus. Die fahle Bläue vom Widerschein des Bildschirmes, die in den Videos immer da ist, fehlt zwar, aber er steht ja auch in meiner Einfahrt statt vor dem PC. Das allerdings macht mich stutzig und auch etwas panisch: Was tut dieser Computer-Süchtige hier? Sicher hat er nichts Gutes im Sinn! Wahrscheinlich wähnt er sich in einem Computerspiel und wird gleich versuchen, in das Haus einzudringen und mich zu überwältigen! Bestimmt hält er mich für einen Gegner! Was, wenn er vielleicht sogar Waffen dabei hat? Langsam wird mir mulmig.
Doch ich habe wenig Zeit, einen Notfall-Plan auszuarbeiten: Schon klingelt er an der Tür. Ich hyperventiliere. Soll ich ein Messer holen? Die Polizei rufen? Vorsichtig spähe ich noch einmal durch das Fenster, doch Zweifel sind ausgeschlossen: Das runde Gesicht, der etwas langsame Blick und dieser Mittelscheitel! Das kann nur ein PC-Junkie sein! Ich erwäge, mich tot zu stellen, doch in diesem Moment blickt er auf, sieht mich und hebt die Hand. Ich erstarre. Hat er da einen Schlagring?Tränengas vielleicht? Oder versteckt er die Waffen in dieser komischen Tasche, die von seiner Schulter baumelt? Mein Herz rast. Doch ich habe keine Wahl: Er hat mich gesehen. Wenn ich nicht öffne, wird er sicher durch das Fenster springen – oft genug habe ich es gesehen, dass man so etwas lernt, in diesen Gewaltspielen! Ich nehme meinen Schlüsselbund als einzige verfügbare Waffe fest in die Faust und öffne zitternd und auf alles vorbereitet die Türe:
„Jaa?“
„Guten Tag, ich komme von den Pfadfindern, wir sammeln für den Spielplatz, der hier um‘s Eck gebaut wird, hätten Sie eine Spende für uns?“
Mit lautem Klirren trifft mein Schlüsselbund den Fliesenboden.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Verschläge, Erdlöcher, Kleiderschränke
Sie liegen in Scheunen, auf Dachböden, in Verschlägen über dem Stall oder unter der Treppe oder in Bunkern. Manchmal auf Dörfern, manchmal mitten in der Stadt. Manchmal haben sie einen Decknamen und können sich im ganzen Dorf bewegen, weil alle dicht halten, manchmal dürfen sie aber auch nur nachts aus ihrem Verschlag spitzen, damit niemand Verdacht schöpft. Bisweilen sind sie in netten Familien, die sich liebevoll kümmern, bisweilen bei geldgierigen Menschen, die sie wie Sklaven behandeln, hungern lassen und vielleicht sogar ausliefern. Manchmal sind sie alleine, manchmal mit ihren Familien zusammen ... Die Rede ist hier nicht von Spionen oder Gangstern – sondern von Kindern und Jugendlichen, die alle das gleich Schicksal teilen: Sie gerieten während des zweiten Weltkrieges ins Visier der Nazis und mussten sich versteckt halten. Versteckt wie ihre berühmteste Leidensgenossin, Anne Frank.
23 Geschichten von jüdischen Mädchen und Jungen, die während des zweiten Weltkrieges in den Niederlanden untertauchten, um dem sicheren Tod zu entkommen, haben Marcel Prins und Peter Henk Steenhuis gesammelt, haben mit den Menschen gesprochen und ihre Lebenswege aufgezeichnet und alles in dem Buch Andere Achterhuizen. verhalen van Joodse onderduikers gesammelt und veröffentlicht. Daraus entstand später die gleichnamige, niederländische Homepage und seit Kurzem gibt es die bewegenden Geschichten auch auf Deutsch, Dank der Übersetzung von Sybille Krumpl und einer Förderung durch die Botschaft des Königreichs der Niederlande und das Anne Frank Zentrum in Berlin: I>www.verstecktwieannefrank.de. Die Seite kommt schlicht daher: Eine schwarze Linie kennzeichnet die geografischen Umrisse der Niederlande, darin sind einige Punkte verstreut, darüber nur drei Links: „Inhaltsverzeichnis“, „Das Buch“ und „Über diese Seite“. Fährt man mit der Maus über die Karte, werden die Punkte bunt, gestrichelte Linien dazwischen erscheinen und kleine Strichzeichnungen tauchen neben den Punkten auf. Sie markieren wichtige Stationen im Leben der 23 vorgestellten Personen. Per Klick gerät man dann jeweils zu den Lebensgeschichten: Die sind in Form von Gedächtnisprotokollen mit vielen Zitaten und einigen Erklärungen dazwischen aufgeschrieben und werden von Fotos der zitierten Personen veranschaulicht. Einige zentrale Erlebnisse oder Momente jeder Geschichte werden audiovisuell präsentiert: als kleine Animationsfilme, die auf Strichzeichnungen basieren. Zu den schlichten bewegten Bildern werden die Geschichten vorgelesen – im niederländischen Original von den tatsächlichen Zeitzeugen, in der deutschen Version von Synchronsprechern. Das ist alles nicht sehr spektakulär, es gibt keine Effekte, keine aufwändigen Filme, keine auf die Tränendrüse drückende Musik und keine Mitleid heischenden Texte. Stattdessen aufs Wesentliche reduzierte Strichzeichnungen und unaufgeregt vorgelesene Gedächtnisprotokolle. Dennoch, oder aber gerade deshalb, sind die Geschichten authentisch und berührend. Die ehrlichen kleinen Geschichten sind so persönlich erzählt, dass man sich tatsächlich auf den Teppich vor einen Schaukelstuhl versetzt fühlt und andächtig lauscht, die auf das Wichtigste beschränkten Zeichnungen, die auf alle stören-den Elemente verzichten, bisweilen nur mit Umrissen und Andeutungen arbeiten, lassen genügend Raum, sich selbst in die Situationen zu versetzen – und zeichnen dennoch, gerade in ihrer klaren, unbeschönigenden schwarz-weiß Optik die Drastik der Situationen.
So entführt die Seite auf sehr nüchterne und sachliche Art und doch sehr ergreifend und aufwühlend in eine Zeit und ein Leben, das heute – zum Glück – für viele unvorstellbar ist. In geheime Kammern, in denen man mit angehaltenem Atem sitzen und hoffen muss. Auf dunkle Straßen, durch die man sich mit allem Hab und Gut unterm Arm schleichen muss. In ungewisse Stunden, die man zwischen Hoffen und Bangen ertragen muss. Das nimmt mit und führt die schrecklichen Ereignisse des zweiten Weltkrieges mit ganz neuer, da sehr persönlicher und sehr authentischer Heftigkeit vor Augen, ohne vordergründig moralisierend oder erzieherisch sein zu wollen. Es gibt aber auch viel Grund zum Lächeln und Aufatmen, weil es zugleich die andere Seite zeigt: Die vielen Menschen, die sich nicht vereinnahmen ließen von Ideologien, sondern sich widersetzten und auf ihre je eigene Art gegen das Regime kämpften, indem sie Kinder und Familien aufnahmen, ihnen zur Flucht verhalfen oder sich Untergrundbewegungen anschlossen. So ist die Seite durch ihre behutsame Aufmachung schon für jüngere Kinder – hier natürlich in Begleitung eines Erwachsenen, denn die Inhalte bleiben schwer verdaulich –, aber auch für alle anderen Altersgruppen ein wahres Juwel, mit dem man sich diesem oft überstrapazierten Thema auf erfrischend besonnene Art und doch ganz intensiv nähern kann. Wer bereits gut informiert ist, wird hier eine ganz neue Facette des Themas entdecken können, wer erst beginnt, sich damit auseinander zu setzen, kann die Seite dank vieler Links in den Texten auch gut als Startpunkt nutzen. Zwar führen auch die Links natürlich auf niederländische Seiten (in englischer Sprache), bieten aber trotzdem viel Interessantes. Die übersichtliche Aufbereitung hilft zudem, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und macht es einfach, sich ganz intuitiv zurecht zu finden. Hier können nicht nur Erwachsene sondern auch Kinder und Jugendliche, Projektgruppen und Schulklassen eintauchen in eine spannende Welt voller berührender Geschichten – aus der man gar nicht so leicht wieder auftaucht.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: stichwort tablet
Bisweilen sieht man dieser Tage Menschen in Zügen, U-Bahnen oder auf Parkbänken sitzen, den Kopf auf sehr nackenunfreundliche Art gesenkt und mit einem kleinen, von Größe und Form einem Frühstücksbrettchen nicht unähnlichen Etwas auf dem Schoß, dem sie ihre ganze Konzentration widmen. Sie wischen darauf herum, als gälte es, auch das letzte Staubkörnchen zu entfernen, klopfen mit den Fingerspitzen darauf, um sich danach wahlweise zu freuen oder zu ärgern, drehen und wenden es bisweilen oder heben es in die Luft. Ab und zu wurde auch jemand gesichtet, der es etwas ungeduldig schüttelte. Die Rede ist – natürlich – von den sogenannten Tablets, digitalen Endgeräten, die sich in Größe und Funktionalität irgendwo zwischen Smartphone und Laptop ansiedeln und sich immer größerer Beliebtheit erfreuen. Eröffnet hat den Reigen der Tablets das iPad, mittlerweile ziehen dessen fruchtigem Hersteller aber auch andere Marken nach und werfen die smarten Scheiben auf den Markt. Aber was können die?
Je nachdem, wen man fragt, natürlich ‚alles‘ oder ‚nichts‘. So viel ist jedenfalls klar: Die Geräte sind kleiner und handlicher (und weniger leistungsfähig) als Laptops, aber größer und übersichtlicher (und sperriger) als Smartphones. Sie verfügen über einen Touchscreen, sparen sich aber die Tastatur (mittlerweile gibt es aber ansteckbare Tastaturen). Romane lassen sich darauf also sicher nicht schreiben (nur lesen), allerdings ermöglichen die Brettchen es, immer und überall online zu sein, Präsentationen oder Dokumente platzsparend und knitterfrei zu transportieren, sie können kleine Spiele oder E-Books in ihre kleinen Speicherkarten packen und bei Bedarf wieder ausspucken, manche lassen sich auch zum Fotoapparat umfunktionieren. Eine ‚Zwischenlösung‘ also – für all jene, die viel in Zügen, U-Bahnen und auf Parkbänken sitzen, Spaß an der Technik haben – oder sich einfach nicht entscheiden können.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Cybermobbing
Ein Witz, ein Streich, eine Hassgruppe – in den medialisierten Lebenswelten, in denen sich Kinder und Jugendliche heute bewegen, findet nicht nur Freundschaftspflege zunehmend digital statt. Auch negative Phänomene wie Mobbing und Bullying treten in neuen Ausprägungen medial auf und sind hier oft ungleich schlimmer als im ‚realen‘ Leben.
Literatur
Beratungsstelle Frauennotruf in Frankfurt am Main (2009). Digitale Welten Digitale Medien Digitale Gewalt. www.frauennotruf-frankfurt.de/fileadmin/redaktion/pdf/FNR-Flyer-Digitale-Gewalt-09-09.pdf [Zugriff: 11.03.2011]
dpa (2010). Opfer von Cyber-Mobbing begeht Selbstmord. eltern.t-online.de/social-networking-selbstmord-nach-cyber-mobbing/id_20025890/index [Zugriff: 11.03.2011]
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (2008). Cyber-Mobbing. Informationen,Tipps und Hinweise zum Umgang mit Mobbing via Internet, E-Mail und Mobiltelefon. www.gew.de/Binaries/Binary31974/GEW%20Brosch%FCre%20mit%20Tipps%20und%20Hinweisen.pdf [Zugriff: 04.03.2011]
Grimm, Petra/Rhein, Stefanie/Clausen-Muradian, Elisabeth unter Mitarbeit von Koch, Elisabeth/Eisemann, Christoph (2008). Gewalt im Web 2.0. Der Umgang Jugendlicher mit gewalthaltigen Inhalten und Cyber-Mobbing sowie die rechtliche Einordnung der Problematik. Berlin: Vistas.
Härtling, Peter (2002). Ben liebt Anna. Landsberg: Beltz.Ittel, Angela/Dienhardt, Anja (2009). Psychosoziale Folgen von Cyber-Mobbing und Happy-Slapping. bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/medien/jugendmedienschutz/sicherheit_im_internet_und_beim_handy/fachtagung_Cyber-Mobbing/Cybermobbing_LISUM_Frau_Ittel.pdf [Zugriff: 11.03.2011]
klicksafe (Hrsg.) (2011). Cyber-Mobbing – was ist das? www.klicksafe.de/themen/kommunizieren/cyber-mobbing/cyber-mobbing-was-ist-das.html [Zugriff: 04.03.2011]
Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen (Hrsg.) (2010). Cyber-Mobbing. Medienkomptenz trifft Gewaltprävention.Livingstone, Sonia/Haddon, Leslie/Görzig, Anke/Ólafsson Kjartan (2011). Risks and safety on the internet. The perspective of European children. Full findings and policy implications from the EU Kids Online survey of 9-16 year olds and their parents in 25 countries. www2.lse.ac.uk/media@lse/research/EUKidsOnline/EU%20Kids%20Online%20reports.aspx [Zugriff: 11.03.2011]
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest MPFS (2010). JIM-Studie 2010. Jugend, Information, (Multi-)Media. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest MPFS (2010.2). KIM-Studie 2010. Kinder + Medien, Computer + Internet. N.N. (2011). Cybermobbing. de.wikipedia.org/wiki/Cyber-Mobbing [Zugriff: 04.03.2011]
Patalong, Frank (2007). Tod eines Teenagers. www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,518042,00.html [Zugriff: 11.03.2011]
Polizei Beratung (Hrsg.) (2011). Cybermobbing – Folgen für Täter. www.polizei-beratung.de/themen-und-tipps/gefahren-im-internet/cybermobbing/folgen-fuer-taeter.html [Zugriff: 11.03.2011]
Servicebureau Jugendinformation (2009). Cyber-Bullying! www.servicebureau.de/publication.php [Zugriff: 11.03.2011]
Zentrum für empirische pädagogische Forschung (zepf) (Hrsg.) (2007). Mobbing bei Schülerinnen und Schülern in der Bundesrepublik Deutschland. Eine empirische Untersuchung auf der Grundlage einer Online-Befragung. www.zepf.uni-landau.de/das-zepf/mitarbeiter/jaeger-reinhold-s/veroeffentlichungen [Zugriff: 10.03.2011]
www.lizzynet.de/wws/3322660.php
www.mediaculture-online.de/Cyber-Mobbing.1228.0.html
www.unterrichtsmodule-bw.de/index.php?id=56&tx_umo_pi1[showUid]=392&cHash=a6683803a4 (Unterrichtsmodul)
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Wundertag gefällig?
Die Becken schwingen unaufhörlich und erzeugen einen unruhigen Tonteppich, dazwischen drängt sich die Tuba ins Bewusstsein, jetzt eine Trompete, eine E-Gitarre und dann – ein Schuss! Blut! Ein verschwörerischer Blick direkt in den Pistolenlauf – Das muss James Bond sein, der Doppel-0-Agent, leibhaftig!Man zögert, schaut noch einmal hin, im Hinterkopf bläst die Tuba unbeirrt weiter und während man das Filmthema leise pfeift, muss man unwillkürlich lächeln. Nein, James Bond ist das nicht, der da so gekonnt die Pistole schwenkt und frech über den Rand seiner coolen Sonnenbrille lugt, einmal sogar bei- nahe aus dem Kreis hüpft, der den Pistolenlauf darstellt – Nikolaus Gerlach und Daniel Tietjen von der Hamburger Theatertruppe Eisenhans springen vergnügt durch die Kreise und machen den ‚echten‘ Bonds dabei mächtig Konkurrenz.Die beiden selbstbewussten Hamburger sind die Titelmodels der allerersten Ausgabe des Magazins TOLL – Magazin für Wundertage, das im September 2011 als Dummy erschienen ist.TOLL? Ganz schön selbstsicherer Name …Für Wundertage? Da kann man ja manchmal lange warten ...Doch sobald man die beiden James Bonds der Titelseite hinter sich gelassen hat, weiß man: Ein Tag mit TOLL wird von selbst ein Wundertag.
Denn da folgt ein wundervolles Wort auf das andere, liebevoll auf die Seiten geworfen, umrahmt von herzerwärmenden Illustrationen und den wahrscheinlich charmantesten Bildern, die eine Hochglanzzeitschrift jemals zu bieten hatte. Um Liebe geht es. Um gute Tage und schlechte. Um Glück. Um Pech. Um sich selbst. Um Musik. Um Mode. Um das Leben, von vorne und hinten und oben und unten. Aus lauter verschiedenen Sichtweisen und ganz besonderen Perspektiven.Denn die Autorinnen und Autoren sind alle besonders TOLL und anders. Es sind Menschen mit Behinderung, aus der Hamburger Schreibwerkstatt Tolle Worte, die ihre Texte bisher – seit nunmehr fünf Jahren – nur auf dem Blog www.tolle-worte.de veröffentlicht haben und jetzt mit Anlauf den Sprung ins echte Papier gewagt haben. Initiatorin und Herausgeberin Sylvia Heinlein hat sie losgeschickt und feuert sie dabei an. Weil sie ein Potenzial sieht und große Träume hat. Weil die Texte ehrlich und schön sind und man sich jede zweite Seite einrahmen möchte.
Weil sie raus will aus dem Schonraum und rein in den echten Markt, auf dem TOLL genau am richtigen Platz wäre. Denn TOLL ist „stylish, schräg und überraschend. Hingebungsvoll layoutet und ohne sozialpädagogisches Schischi.“ Das behauptet nicht nur die Homepage, das könnte man auch selbst sehen, wenn man unvoreingenommen hineinschaut.Und hineinschauen sollen bald noch viel mehr Menschen können. Bisher kann man unter www.toll-magazin.de ‚nur‘ den ersten, 47 Seiten starken Dummy ansehen und als pdf herunterladen. Bald aber soll es TOLL regelmäßig geben, möglichst als Beilage eines Printmediums, so es vielen Menschen in die Hände rutscht und ein Lächeln zaubert. Die Bonds und ihre schreibenden, malenden, fotografierenden und layoutenden Kolleginnen und Kollegen stehen dafür in den Startlöchern, Sylvia Heinlein sucht derweil noch Sponsoren und das passende Printmedium. Denn wenn mit deren Hilfe der Anlauf geschafft ist, schwebt ihr Großes vor: Die weltweit erste professionelle Redaktions-Werkstatt mit festen Arbeitsplätzen für geistig behinderte Autorinnen und Autoren, das wäre ihr Traum.
Ein paar Sponsoren tummeln sich bereits online, die diesen Traum mitträumen. Und jeder, der noch mit einem leisen James-Bond-Beckenklingen im Kopf den TOLL-Dummy zuschlägt und auf der Rückseite zum letzte Mal schmunzeln muss, weil der letzte Bond zum Abschied vornüber aus dem Kreis springt, träumt sicher auch ein bißchen mit – denn lange möchte man nicht warten müssen, auf den nächsten Wundertag mit TOLL!
Ingo Bosse und Elisabeth Jäcklein-Kreis: Editorial
In der Medienpädagogik ist es erklärtes Ziel, allen gleichermaßen Mediennutzung zu ermöglichen, Medienkompetenz in allen räumlichen, sozialen und generativen Bereichen zu verankern, soziale und politische Teilhabe für alle zu ermöglichen. Gerade Neue Medien bieten dazu wertvolle Möglichkeiten, auch jenen Menschen Teilhabe zu ermöglichen, die sonst Gefahr laufen, an Barrieren zu stoßen und gegebenenfalls daran zu scheitern. Seien es ältere Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit niedriger formaler Bildung oder Menschen mit Behinderung. Letztere wurden lange Zeit dennoch als ‚Sonderfall‘ angesehen und standen selten im Fokus medienpädagogischer Bemühungen. Doch in jüngster Zeit finden sie zunehmend Beachtung. Immer wieder fällt dabei in (medien-)pädagogischen Diskursen das Stichwort ‚Inklusion‘. Kinder mit und ohne Behinderungen in gemeinsamen Klassen, inklusiven Krippen, Horten, Betreuungsangeboten. (Mediale) Werkzeuge, die gemeinsames, inklusives Lernen und Arbeiten erleichtern oder ermöglichen, werden zunehmend diskutiert und auch in die Praxis umgesetzt.Ein Katalysator war dabei sicher die Verabschiedung der Behindertenrechtskonvention (BRK) der Vereinten Nationen im Dezember 2006, die seit März 2009 auch für Deutschland verbindlich ist. Sie machte erstmals deutlich, dass die Grund- und Menschenrechte auch für Menschen mit Behinderungen uneingeschränkt Geltung haben – auch und gerade, wenn es um gesellschaftliche und politische Teilhabe geht.
So fordert die Konvention unter anderem klar das Recht auf uneingeschränkte Teilhabe an der Informationsgesellschaft, an mediatisierten Welten und an der Kommunikationskultur. Dabei stehen zwei zentrale Forderungen im Vordergrund: - Auf gesellschaftlicher Ebene soll Menschen mit Behinderung eine echte und wirksame Teilhabe ermöglicht werden. Es geht darum, „den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern“ (UN Behindertenrechtskonvention – Artikel 1).- Für die Einzelnen bedeutet Partizipation auch zugleich Selbständigkeit. Es muss allen Menschen möglich sein, mit ihren selbst verfügbaren persönlichen, materiellen und sozialen Kräften zur eigenen Lebensqualität beizutragen und diese zu gestalten.Beide Forderungen setzen in Bezug auf Medienpädagogik zunächst Chancengerechtigkeit voraus. Menschen mit Behinderung müssen die Möglichkeit haben, barrierefrei an Medienbildung zu partizipieren. Dies betrifft die Nutzung von Medien, aber auch die Möglichkeit, an allen Angeboten der Medienpädagogik teilzuhaben.
Diese grundsätzlichen Forderungen der UNKonvention sind seitdem viel diskutiert worden und finden immer stärkeren Anklang und immer breitere Umsetzung. Viele Organisationen und Institutionen, die sich von jeher mit Menschen mit Behinderung beschäftigen, haben sich die Ideen der Konventionen zu eigen gemacht und versuchen, ihre Umsetzung voranzutreiben bzw. Hilfestellungen zur Umsetzung zu liefern. Genannt sei etwa die Caritas, die auf ihrer Homepage ein ausführliches, praxisorientiertes Handbuch Inklusion zum Download anbietet oder die Deutsche UNESCO-Kommission, die in ihrer Hauptversammlung 2011 ebenfalls eine Resolution zur Inklusiven Bildung verabschiedete.Doch auch Forschung und Praxis, die nicht in erster Linie Menschen mit Behinderung im Blick haben, werden mehr und mehr darauf aufmerksam. Veranstaltungen wie die Fachtagung All inclusive? Informationskompetenz und inklusive Mediengesellschaft, die am 30. November 2011 in Düsseldorf stattfand oder die Tagung Anschluss statt Ausschluss. (Inklusive) Medienbildung an Förderschulen und im gemeinsamen Unterricht (www.anschluss-statt-ausschluss.tudortmund.de), die am 23. März 2012 an der TU Dortmund stattfinden wird, zeigen dies.
Inklusion in Theorie und Praxis – Die Texte in diesem Heft
In dieser Ausgabe der merz | medien + erziehung möchten wir dieses aktuelle Thema aufgreifen und einen Blick auf die Anforderungen und Ziele werfen, aber auch die Erfolge betrachten, die bereits verzeichnet werden können.Um den viel diskutierten Begriff ‚Inklusion‘ einführend zu klären und auch von ‚Integration‘ abzugrenzen, eröffnet Hildegard Mogge-Grotjahn von der Evangelischen Fachhochschule in Bochum das Thema mit einer Begriffsklärung und -einordnung. Dabei beschäftigt sie sich sowohl mit der Herkunft des Begriffes als auch mit gängigen Fehldeutungen und Fehlanwendungen und legt so die Grundlage des Begriffsverständnisses für das Heft.Jan-René Schluchter von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg gibt daran anschließend eine ausführliche Einführung in den Themenkomplex ‚Inklusion und Medienpädagogik‘ und erläutert, welche Aufgaben Medienpädagogik im Rahmen inklusiver Bemühungen zufallen, welche Anforderungen sich stellen und auch, wo sich Grenzen auftun.An diese theoretischen Grundlagen anschließend beschäftigen sich zwei Autoren mit spezielleren Fragestellungen der inklusiven Medienpädagogik:Christopher Mihajlovic, Pädagogischer Mitarbeiter in der Ambulanten Familienhilfe der Lebenshilfe e. V. in Frankfurt am Main stellt eine Lehrerbefragung zum Einsatz von Computern und Internet an Förderschulen vor und zeigt dabei, dass Neue Medien hier deutlich häufiger und intensiver eingesetzt werden, als dies an Regelschulen der Fall ist, dass zwischen den verschiedenen Medien(-angeboten) aber dennoch teilweise große Unterschiede in der Nutzbarkeit und Anwendung klaffen.
Florian Lock präsentiert anschließend eine umfassende Inhaltsanalyse der Zeitschrift Der Spiegel, für die er Studien von 1955 bis 2005 zugrunde legt sowie eine eigene Untersuchung anstellt, die umfassend darlegt, wie Menschen mit Behinderung im Spiegel dargestellt wurden bzw. werden. Dabei zeigt er, dass Aspekte wie die Schwerpunktsetzung bei der thematischen Einbettung und der Schreibstil recht ähnlich geblieben sind, kann aber dennoch einen Wandel in der Sichtweise auf Menschen mit Behinderung feststellen.Die theoretischen und empirischen Artikel zum Thema Inklusion werden auch in diesem Heft ergänzt und weitergeführt durch kurze Vorstellungen bereits existierender, praktischer Projekte.So beschreibt Ingo Bosse Konzeption, Umsetzung und Evaluation von Computerkursen in Wohnheimen von Bethel Regional für Erwachsene mit hohem Hilfebedarf, Carola Werning und Diana Stuckatz schildern ihre Erfahrungen aus Kooperationsprojekten der LAG Lokale Medienarbeit NRW e. V. und der tjfbg gGmbH, Vera Tillmann beschäftigt sich mit inklusiven Bewegungs- und Sportmöglichkeiten mit der Spielkonsole Wii und Elisabeth Jäcklein-Kreis stellt das Magazin TOLL vor, das von Menschen mit Behinderung gestaltet und teilweise produziert wird.Wer nach all diesen theoretischen und praktischen Beiträgen immer noch Wissensdurst zum Thema verspürt, der findet auf der nächsten Seite zudem eine kurze Literaturliste mit interessanten, informativen und hilfreichen Lese- und Klickempfehlungen.Wir wünschen viel Spaß beim Lesen und eine anregende Lektüre.
Literatur zum Thema ‚Medienpädagogik und Inklusion
‘Jan-René Schluchter (2010). Medienbildung mit Menschen mit Behinderung. Schriftenreihe Medienpädagogische Praxisforschung Band 5. München: kopaed.Theoretisch-konzeptionelle Grundlagen zur Medienpädagogik mit Menschen mit Behinderung. Für zehn thematische Schwerpunkte im Schnittfeld ‚Behinderung‘ und ‚Medien‘ werden Themen und Ansatzpunkte für die praktische Arbeit herausgearbeitet.Lani, Florian/Hegarty, John (2004). ICT and Special Educational Needs: A Tool for Inclusion.London: Open University press.Umfangreiches, englischsprachiges Herausgeberwerk, das die Chancen und Grenzen des Einsatzes neuer Medien in der pädagogischen Arbeit mit Menschen mit Behinderung erläutert und dabei schulische sowie außerschulische Ansätze vermittelt.Diözesan.Caritasverband für das Erzbistum Köln: Handbuch Inklusion. Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Alltag. http://blog.kein-mensch-ist-perfekt.de/wp-content/uploads/2010/12/Handbuch_inklusion_koeln.pdf
Ausführliches, informatives Handbuch mit Begriffsklärungen, theoretischen Grundlagen und umfassenden praktischen Informationen und Tipps zur Inklusion, aufgegliedert nach verschiedenen Behinderungen und Zielgruppen. Ergänzt um Literaturtipps.Mekonet Handreichung. Inklusive Medienbildung auf einen Blick. www.mekonet.deSechsseitige Broschüre mit Informationen zu Inklusion und Medienbildung und vielen interessanten Links.LAG Medien NRW: www.inklusive-medienarbeit.deDarstellung eines Modellprojektes zur Umsetzung einer inklusiven Medienpädagogik in Nordrhein-Westfalen sowie weitere Informationen und Links.www.einfach-teilhaben.deDas Webportal für Menschen mit Behinderungen, ihre Angehörigen, Verwaltungen und Unternehmen; mit praktischen Tipps und Informationen zu allen Lebensbereichen und -fragen.www.einfach-fuer-alle.deInitiative der Aktion Mensch für ein barrierefreies Internet
Meldestelle für digtiale Barrieren
Forschungsinstitut Technologie und Behinderung der ev. Stiftung Vollmarstein
www.barrierefrei-kommunizieren.de
Berufliche und gesellschaftliche Integration von Menschen mit und ohne Behinderung mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)www.anschluss-statt-ausschluss.tu-dortmund.deÜbersicht über zahlreiche Praxis- und Forschungsprojekte
Elisabeth Jäcklein-Kreis: stichwort Barrierefreiheit
Denkt man an Barrieren, tauchen zunächst einmal rote und weiße Streifen vor dem geistigen Auge auf. Straßensperrungen, Zäune, Schranken an Bahnübergängen und Parkhäusern, sechseckige Schilder mit warnendem STOP darauf. Solcherlei Barrieren sind ‚die Guten‘, sie wollen Menschen von potenziellen Gefahren fernhalten und schützen. Doch nicht alle Barrieren sind so gutmütig – immer wieder tun sich sowohl im ‚echten Leben‘ als auch in Medien Barrieren auf, die eigentlich niemand will und brauchen kann. Treppen etwa, wo ein Rollstuhlfahrer in den fünften Stock muss. Deutsche Textwüsten, in denen Menschen mit anderer Muttersprache nur ‚Bahnhof‘ lesen können. Homepages mit winziger Schrift, die die Seniorin erst zur Lesebrille und dann resigniert zur Zeitung greifen lassen. Seiten mit Werbebannern und Bildanordnungen, die Braille-Software an den Rand des Absturzes bringt. Solche Barrieren verhindern, dass alle Menschen gleichermaßen Zugang zu Gegenständen, Einrichtungen und Medien haben können und sind deshalb weniger beliebt – im Gegenteil.
Menschen, Institutionen und Anbieter bemühen sich nach Kräften, diese Barrieren abzubauen und Angebote zu schaffen, die sich als ‚barrierefrei‘ bzw. ‚zugänglich‘ (vom englischen Ausdruck accessability) bezeichnen können. In Deutschland ist dieser Wunsch sogar gesetzlich festgelegt: Das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen erklärt etwa in § 4: „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“Generell sollte es natürlich Ziel sein, (Medien-)Angebote so zu gestalten, dass alle potenziellen Nutzerinnen und Nutzer sie auch für sich in Anspruch nehmen können, ohne dass die Aneignung zum Lebenswerk wird – auch und gerade aus medienpädagogischer Sicht.
Denn wer mit Kindern oder älteren Menschen, mit Menschen mit Migrationshintergrund oder aus bildungsbenachteiligten Milieus, mit Menschen mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen arbeitet – also wer überhaupt mit Menschen arbeitet, sollte auch versuchen, ‚menschen‘gerechte Angebote zu machen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Jugendschutz – Land in Sicht?
Die Novellierung des JMStV ist gescheitert, dafür wurden zwei technische Jugendschutzprogramme für Windows erstmal von der Kommission für Jugendmedienschutz kjm anerkannt – und nun? Um das zu diskutieren lud die kjm am 30. März 2012 zur Veranstaltung ‚Fragen am Freitag‘ in die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien BLM. Eine „streitige Diskussion“ erwartete Moderatorin Verena Weigand nicht, als sie auf dem Podium die Gäste begrüßte und die wurde es auch nicht, dafür sorgte schon die Auswahl der Expertinnen und Experten an den Mikros. Felix Barckhausen, der Referatsleiter „Jugend undMedien“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Katharina Geiger, die Geschäftsführerin des Deutschen Evangelischer Frauenbundes, Landesverband Bayern, Friedemann Schindler, der Leiter von jugendschutz.net sowie für die beiden anerkannten Jugendschutzprogramme Stefan Schellenberg, der Mitbegründer JusProg e.V., und ein kurzfristig umdisponierter Vertreter der Telekom hatten sich eingefunden. So vielfältig wie die Runde waren dann auch die Meinungen; man war sich einig, dass Jugendschutzprogramme ein wichtiger Schritt seien, dass die Anerkennung der beiden Programme sehr zu begrüßen sei und dass es nun wichtig sei, diese Programme flächendeckend einzusetzen und sowohl ihre Usability als auch ihre Zuverlässigkeit (bisher werden 80 Prozent der gefundenen Seiten richtig eingeschätzt) und Einsetzbarkeit (bisher nur auf Windows-Rechnern möglich) weiter zu verbessern.
Zwar warf Verena Weigand ein paar Kritikpunkte als ‚Themenanreize‘ in die Runde, die wurden aber schnell abgewunken, es wurde eher einmütig festgestellt, dass die vorher so kritische Netzgemeinde sich erstaunlich ruhig verhielte und Stefan Schellenberg meinte, das darauf zurückführen zu können, dass es gegen die Programme „bei Licht betrachtet“ eben keine wirkliche Kritik mehr gäbe. Einzig die Frage, wie viel Verantwortung Eltern überhaupt noch haben sollten, ließ einige Wogen entstehen: Während etwa Schellenberg moderat forderte, Eltern zwar flächendeckend zu informieren, aber nicht zum Einsatz der Programme zu zwingen, möchte Katharina Geiger am liebsten nur noch Computer mit vorinstallierten Jugendschutzprogrammen auf dem Markt sehen. Diese harmonische Atmosphäre konnten auch vereinzelte kritische Fragen der 50 Zuhörerinnen und Zuhörer nicht stören – schade eigentlich, ein echtes Gegenüber mit gegensätzlicher Meinung hätte der Diskussion doch sicher mehr Würze verliehen und Mut zur ehrlichen Auseinandersetzung bewiesen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Ist das Pädagogik oder kann das weg?
Mikhail, Thomas (2016). Pädagogisch handeln. Theorie für die Praxis. Paderborn: Ferdinand Schöningh. 302 S., 39,90 €.
Auf dem Spielplatz und dem Pausenhof, im Seniorenheim und beim Assessment Center, im Hörsaal und selbst im Straßenverkehr, ständig werden Menschen informiert, angeregt, belehrt, unterwiesen, erzogen – schlicht, es wird pädagogisch gehandelt. Doch ist das tatsächlich so? Ist jede Belehrung oder sogar jedes Schimpfen, jede Erklärung oder auch Machen-Lassen gleich pädagogisch? In welchen Kontexten findet überhaupt ‚Pädagogik‘ statt und was ist ‚richtiges‘ pädagogisches Handeln? Wo verlaufen die Grenzen? Welchen Kriterien muss Handeln genügen, damit es pädagogisch ist? Wie lässt es sich definieren, wie unterschieden – und wovon? Thomas Mikhail, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institut für Berufspädagogik und Allgemeine Pädagogik der Universität Karlsruhe bzw. des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) stellt in seinem Buch Pädagogisch Handeln die Gretchenfrage: Wann ist die Pädagogik eine Pädagogik? Eine „flächendeckende pädagogische Orientierungslosigkeit“ beobachtet Mikhail, die er am Absatz der Erziehungsratgeber, Elternkurse und Beratungsangebote festmacht und als Ausgangspunkt seiner Betrachtungen nimmt – und daneben ein weit ausdifferenziertes berufliches Feld von „…pädagoginnen“ und „…pädagogen“ aller Art, die aber über keinerlei gemeinsame Definition ihrer Tätigkeit verfügen: Pädagogisch ist, was die Pädagogin bzw. der Pädagoge tut. Davon ausgehend stellt sich Mikhail dem ambitionierten Vorhaben, das Feld des (potenziell) Pädagogischen ein- und abzugrenzen und ‚aus der Theorie für die Praxis‘ zu bestimmen, was denn nun Pädagogik ist und was nicht.
Er nähert sich dem, wie man es häufig tut, zunächst historisch. In einer ‚Problemgeschichte‘ lässt er diverse Vertreter der (theoretischen) Pädagogik zu Wort kommen und stellt deren verschiedene Herangehensweisen an ihr Feld vor. So widmet er Platon, Augustinus, Thomas von Aquin, Comenius, Rousseau, Herbart, Pretzelt und Prange je ein Unterkapitel, zeichnet deren Denklinien und ihre sowohl terminologischen als auch methodischen Unterschiedlichkeiten nach und arbeitet aus den jeweiligen Sichtweisen den Kern pädagogischen Agierens heraus, um abschließend mit Bezug auf Schleiermacher eine Systematik vorzustellen, in der er einen Überblick über die Herangehensweisen schafft und deren Gemeinsamkeiten aufzeigt und betont. Auf Basis dieser Gemeinsamkeiten soll geprüft werden, was Pädagogik eigentlich ausmacht. Dieser Frage nähert er sich anschließend in zwei größeren Kapiteln aus gänzlich gegensätzlichen Richtungen: zum einen über die Erarbeitung genuin pädagogischer Prinzipien, zum anderen über die Vorstellung sogenannter parapädagogischer Handlungsformen, also explizit nicht „rechtmäßig pädagogischer“ Handlungen, die mithin die Grenzen der Pädagogik darstellen.
Im Rahmen der ‚pädagogischen Prinzipien‘ arbeitet er als zentrale Charakteristika und „unhintergehbare Prinzipien“ jeder Pädagogik Bildsamkeit, Selbstbestimmung und Dialog heraus – wobei er betont, dass diese Prinzipien zwar über keine Erkenntnisfunktion verfügen, also nicht vermitteln können, wie pädagogisch gehandelt werden soll, durchaus aber ordnungsstiftende Funktion haben und nützlich dabei sein können, Erfahrungen und Erkenntnisse daran zu prüfen. Auf der anderen Seite identifiziert er als parapädagogische, also gerade nicht pädagogische Handlungsweisen Unterweisung, Gewöhnung, Laissez- faire. Zwar legt Mikhail Wert darauf, jeweils herauszuarbeiten, dass ein solches Agieren nicht per se ‚schlecht‘ sei und auch nicht ‚verboten‘ in pädagogischen Zusammenhängen; im Gegenteil, er hält alle drei für wichtige Aspekte und Aktionsformen innerhalb pädagogischen Handelns. Er stellt aber dennoch heraus, dass sie für sich genommen nicht pädagogisch sind, sondern vielmehr die Grenzen pädagogischen Handelns markieren, etwa weil sie sich an anderen Gesichtspunkten – wie bei der Unterweisung beispielsweise ökonomischen – orientieren als an pädagogischen, weil sie Vorstufen zum pädagogischen Handeln darstellen, wie die bei der Gewöhnung der Fall ist, oder weil sie, wie Laissez-faire, gerade eine (bewusste) Unterlassung pädagogischen Handelns bezeichnen.
Auf Grundlage sowohl dieser historischen Hinführung als auch der Abgrenzung widmet sich Mikhail in einem finalen Kapitel der Betrachtung zentraler Praxisfelder pädagogischen Handelns. Nun muss er zu guter Letzt doch feststellen, dass die Grenzen zwischen pädagogischem und parapädagogischem Handeln in der Praxis verschwimmen und überhaupt „reines Erziehungshandeln“ nicht denkbar ist. Nichtsdestoweniger werden Institutionen, Schule und Familie als pädagogische Umfelder herausgearbeitet und beschrieben und Kriterien dafür vorgestellt, wie sich pädagogisches Handeln in diesen Kontexten zeigt. Nach der letzten Seite bleibt ein wenig der Eindruck, dass der Untertitel sich im Innenteil doch nicht allzu stark durchsetzen konnte – es wird zwar viel Theorie behandelt, eine umfassende Beschäftigung mit der Praxis bleibt aber weitgehend aus. Nichtsdestoweniger ist diese Theorie ein wirklicher Gewinn für alle, die sich aus privatem oder beruflichem Interesse, mit forschender oder praktischer Perspektive für das Thema interessieren. Mikhail geht sein sehr grundlegendes Thema strukturiert und nachvollziehbar an, schreibt interessant und stringent und lädt so Laien wie Expertinnen und Experten ein, sich einmal ganz neu mit Pädagogik in ihren Erscheinungsformen, Möglichkeiten und Grenzen zu beschäftigen – und so vielleicht ganz neue Blickwinkel zu gewinnen, die eben doch auch der Praxis zuträglich sein können.
Dr. Elisabeth Jäcklein-Kreis ist Redakteurin bei merz | medien + erziehung sowie Lektorin im kopaed-Verlag.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Sie dürfen die Braut jetzt küssen ...
Es war der Moment, auf den alle gewartet hatten. 50 Sitzreihen voller Gäste in frisch polierten Lackschuhen, schnell noch aufgebügelten Röckchen und mit mehr oder weniger kunstvollen Skulpturen auf den ordentlich bemalten Köpfen drängten sich dicht an dicht, die Augen gebannt nach vorne gerichtet. Die Stille war perfekt, nur unterbrochen durch das leise Seufzen einer Tante von hinten und das Knistern eines Taschentuches in der zweiten Reihe. Hände verschränkten sich erwartungsvoll, in manchen Augenwinkeln wartete eine kleine Träne darauf, sich den Weg durch die Rouge-Wüste zu bahnen.Vorne, wo alle hinsahen, wurde ein Mikro überreicht, weißer Tüll schälte sich aus einem Stuhl: Die Braut stand auf, bereit, vor aller Augen ihr Trauversprechen abzugeben. Sie holte tief Luft, straffte die Schultern, lächelte kurz in die Runde und – zog ihr tablet unter dem Sitzkissen hervor. „Moment“ übertrugen die Lautsprecher ihr erstes Wort, dann ein Klacken, ein Piepsen, als die Tastensperre aufgehoben wurde, drei schnelle Klicks und es konnte losgehen. Während salbungsvolle Worte durch den Chorraum klangen, während die Trauzeugin ergriffen ihr iPad in die Luft hielt, um den Moment für immer zu bannen und während aus den hinteren Reihen, wohin sich ein Kind verzogen hatte, um seiner motorischen Unruhe mit fliegenden Vögeln auf dem tablet zu begegnen, die angegriffenen Schweine angsterfüllt quietschten, wurde auch dem letzten, medienfernen Zeremoniengast klar, dass die Invasion der tablets nicht mehr aufzuhalten sein wird.
Sie sind in der U-Bahn und im Museum, auf Parkbänken und Picknickdecken, an der Haltestelle, im Flugzeug, im Restaurant – sogar auf Berggipfeln und Taufen wurden sie schon gesichtet. Bestenfalls 25 Zentimeter an Länge können sie aufweisen, einen bis drei Knöpfe und ein paar Eingänge für Kabel aller Art – unscheinbare Erscheinungen also, viel zu klein, um von den ausgewachsenen Artgenossen ernst genommen zu werden; und doch schleichen sie sich nach und nach überall ein, bahnen sich schier unaufhaltsam ihren Weg in die privaten und öffentlichen Räume, in Besprechungszimmer und Büros, Wohnzimmer und Kinderzimmer, auf Spielplätze und in Seniorenresidenzen.Sie heißen Playbook, Transformer, Flyer oder Ideapad und sie kleiden sie unauffällig in Stoffumhänge in allen Farben, in Lederetuis, Filztaschen und Plastikschalen.Manchmal blinken sie oder blenden in den grellsten Farben, manchmal piepsen sie frenetisch und bisweilen hört man in ihren Untiefen Vögel wütend mit den Flügeln schlagen, Schweine ängstlich quietschen oder Fische blubbern.
Ihren jüngsten Freundinnen und Freunden lesen sie Gute-Nacht-Geschichten vor, den älteren ermöglichen sie Kontakte in alle Welt, für so manchen ersetzen sie das Kochbuch, die Gute- Nacht-Lektüre, den Busfahrplan, den Taschenrechner, den CD-Player und den Ernährungsberater in einem.Sie machen es einem aber auch gar so einfach: Nehmen kaum Platz weg, essen nichts, schreien selten, haben keine kilometerlangen, wörtlich aus dem Chinesischen übersetzten Bedienungsanleitungen, sondern nur ein kleines Display, auf dem sie alles feil bieten, was sie können. Da drückt man drauf, wo man hin will – und es funktioniert. „What you get is what you see“ sozusagen. Ein Konzept, das der Braut nur wünschen ist ...Die allerdings hat derweil das Brettchen verstaut und sich zum Kuss unter allgemeinem Seufzen auffordern lassen, ganz analog und ohne elektronsiche Unterstützung, bis auf den Fotoauslöser im iPad der Trauzeugin.
Alfred Reif und Elisabeth Jäcklein-Kreis: stichwort: facebook chronik
Datenschützer sind alarmiert, Nutzende verunsichert - seit Kurzem gibt es bei facebook die Chronik und wie immer, wenn facebook an seinen Seiten bastelt, ist der Aufschrei groß. Doch was steckt diesmal dahinter?In erster Linie ist die Chronik eine Art Lebenslauf, in der die virtuelle Identität der Nutzerinnen und Nutzer präsentiert wird. Wurden Inhalte, die auf den Profilen der facebook-Userinnen und User eingestellt waren, zu ‚Prä-Chronik-Zeiten‘ chronologisch untereinander aufgelistet, so dass ältere Inhalte relativ schnell aus dem sichtbaren Bereich verschwanden, hat facebook nun für Übersichtlichkeit gesorgt: Jede Statusmeldung, jedes Foto, jeder Kommentar und jedes Ereignis, das je seinen Weg in ein Profil gefunden hat, wird an einem Zeitstrahl angeordnet, dem nichts verborgen bleibt. Per Klick auf die Jahreszahl werden auch alte Ereignisse sofort sichtbar – ein Blick also in verstaubte facebook-Kellerräume, deren Verschwinden manchen Nutzerinnen und Nutzern nicht unrecht war.
Ganz handlungsunfähig ist aber niemand: Bisherige Datenschutzeinstellungen werden auch in der Chronik übernommen, Bilder, Videos und Texte, die früher nicht für die Allgemeinheit freigegeben waren, bleiben weiterhin verborgen. Und nach wie vor können Inhalte gelöscht werden. Was dagegen neu ist: Es können nun Ereignisse in der Vergangenheit nachträglich eingefügt werden, um den Lebenslauf lückenlos darzustellen.Die Idee dahinter ist klar: Durch das neue Angebot der Chronik und der Lebensereignisse kann facebook Werbefirmen noch passgenauere Datensätze für personalisierte Werbung liefern, Vorlieben können noch besser erkannt, Veränderungen registriert, Zusammenhänge aufgedeckt werden. Und die dahinter stehende Datenschutzpolitik zum Umgang mit all dem Wissen bleibt so intransparent wie eh und je.
Doch die Konsequenz für Nutzende bleibt im Grunde die gleiche, wie vor der Chronik: Nur ein kritischer, reflektierter und vorsichtiger Umgang mit den Angeboten von facebook und Co. kann auch ein lustvoller und ungefährlicher bleiben.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: stichwort WhatsApp
Anrufen, SMS schicken, E-Mail schreiben, Skypen … Waren Handys früher nur Telefone ohne Kabel, sind sie heute Allround-Kommunikationsgeräte und wer jemanden erreichen will, hat die Qual der Wahl zwischen mündlich und schriftlich, online oder per Telefonnetz, Text oder Bild ... Ein Angebot allerdings versucht, sich zwischen alle Kommunikationsstühle zu setzen und fährt damit sogar ziemlich erfolgreich: WhatsApp ist die nahezu einzige, nahezu plattform-unabhängige „Instant-Messaging-Anwendung für Smartphones“, die Anstalten macht, sich als eierlegende Wollmilchsau zu präsentieren: Man kann Texte schicken wie per SMS, aber ohne Zeichenbegrenzung. Bilder versenden wie in einer MMS oder Mail, aber kostenlos, da WhatsApp über die Internet-Verbindung läuft und prompt, weil Nachrichten wie SMS auf dem Empfänger-Telefon erscheinen und nicht erst als Mail abgerufen werden müssen. Man kann zu zweit chatten oder Gruppen gründen, Dateien versenden oder den eigenen Standort austauschen.
Ausgedacht haben sich diese Alles-in-einem-App Brian Acton und Jan Koum 2009 – und haben damit ganz erstaunlichen Erfolg eingefahren. Zahlen wie ‚täglich mehr als zehn Milliarden Nachrichten‘ geistern herum, wenn man nach Statistiken sucht. Zugleich tun sich aber auch immer wieder massive Sicherheitslücken und Problempunkte auf. So halten sich die Betreiber offen, Geld für die Nutzung zu verlangen – und immer wieder verbreiten sich Gerüchte über plötzliche Bankeinzüge. Auch hat sich die App schon mehrmals von Hackern kapern lassen, weil sie beträchtliche Sicherheitslücken aufweist, etwa bei der Verschlüsselung der Nutzerdaten. Was ist also dieses WhatsApp – die Erfüllung aller Smartphone-Nutzerträume oder doch eine Spielerei, die lieber mit Vorsicht zu genießen ist? Klar ist zunächst: Es ist ein Dienstprogramm, das viele Vorzüge bietet, aber dennoch, wie all die anderen auch, nur dann ‚sicher‘ nutzbar ist, wenn es auch reflektiert und kompetent genutzt wird.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Kinder-Medien- Festival Goldener Spatz
Von 26. Mai bis 1. Juni 2013 findet bereits zum 21. Mal das Kinder-Medien-Festival Goldener Spatz statt. Die jährlich in Erfurt und Gera stattfindende Veranstaltung möchte ein Forum bieten sowohl für Vertreterinnen und Vertreter der Film-, Fernseh- und Onlinebranche, Pädagoginnen und Pädagogen, Journalistinnen und Journalisten, Politikerinnen und Politiker als auch für das Zielpublikum, also die Kinder selbst. Die Meinung der Kinder über das für sie gemachte Angebot ist gefragt. Ziel ist es, einen Überblick über deutschsprachige Kinderfilm- und Fernsehproduktionen sowie Onlineangebote für Kinder zu gewähren, auf qualitativ hochwertige und innovative Produktionen aufmerksam zu machen und sie auszuzeichnen.
Im Vorfeld konnten Filme für das Festival eingereicht werden, diese werden dann von Kinder- und Fachjury auf dem Festival live und vor Ort in den Kategorien Minis, Kino-/Fernsehfilm, Kurzspielfilm, Serie/Reihe, Animation, Information/Dokumentation und Unterhaltung ausgezeichnet. Das Filmprogramm in Gera (26. bis 28. Mai 2013) wird von einem umfangreichen Workshopangebot für Kinder wie Erwachsene begleitet, während die Vorführungen in Erfurt (29. Mai bis 1. Juni 2013) durch Fachveranstaltungen für Autorinnen und Autoren, Produzentinnen und Produzenten, Programmanbieter und -verwerter, dem Filmmarkt Pro Junior – Programmes on Demand, der Online-Lounge, einem Blick in die Werkstatt entstehender Produktionen, dem Pitching der Akademie für Kindermedien, der Stoffbörse Meet & Read sowie durch Film- und Fachgesprächeergänzt werden.
Das komplette Festivalprogramm ist auf der Website www.goldenerspatz.de zu finden.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Keine Ausreden mehr für Eltern
Häusler, Tanja/Häusler, Johnny (2012). Netzgemüse. Aufzucht und Pflege der Generation Internet. München: Wilhelm Goldmann Verlag. 288 S., 9,99 €.
Albers-Heinemann, Tobias/Friedrich, Björn (2012). Das Facebook-Buch für Eltern. Köln: O‘Reilly. 333 S., 17,90 €.
Klicken, posten, chatten, streamen ... Auch 2013 verstehen viele Eltern nur ‚Böhmische Dörfer’, wenn der Nachwuchs vor dem Computer sitzt und in die digitalen Welten abtaucht. Facebook, YouTube, World of Warcraft, der Gefällt-mir-Button und Cybermobbing – was Kinder und Jugendliche im Internet tun, ist für viele Eltern ein großes Fragezeichen aus vielen unverständlichen Begriffen, leeren Schlagworten und angstbesetzten Medienthemen. Um der digital solchermaßen unversierten Generation ein bisschen Nachhilfe zu geben, gibt es aber inzwischen diverse Angebote – etwa Mein Kind ist bei Facebook von Thomas Pfeiffer und Jöran Muuß-Merholz (siehe merz 4/2012) oder Das Facebook-Buch für Eltern von Tobias Albers-Heinemann und Björn Friedrich und Netzgemüse von Tanja und Johnny Häusler. Eine Reihe ausgewiesener Expertinnen und Experten stellt sich da der schwierigen Aufgabe, allen negativen Schlagzeilen und furchteinflößenden Implikationen manch anderer Publikationen zum Trotz Eltern eine aufgeklärte, reflektierte und verständnisvolle Sicht auf das digitale Treiben ihrer Kinder zu ermöglichen. Dabei gehen sie denkbar unterschiedlich vor.
Das Facebook-Buch kommt schon beim ersten Hinsehen eher als Handbuch daher: Ein querformatiges Buch mit zwar insgesamt 333 Seiten, von denen aber jede zweite von einem Bild belegt wird – und mit einer so kleinteiligen Gliederung, dass die farblichen Markierungen der Gliederung am Seitenbeschnitt mindestens ein Regenbogenspektrum abbilden. Auch inhaltlich steht offensichtlich der praktische Nutzen im Vordergrund: Die Gliederung arbeitet sich vom Allgemeinen (Was sind eigentlich Medien? Was ist Facebook? Zahlen und Daten.) über Technisches (Wie funktioniert Facebook? Welche Funktionen gibt es?) zu Inhaltlichem (Was tun Jugendliche da? Welche Einstellungen gibt es, welche Probleme können auftauchen? Wie können sich Eltern verhalten?). Außerdem gibt es einen Blick ‚darüber hinaus‘, der mobile Medien, Werbung, Kostenfallen, Viren, Datensicherheit et cetera ins Zentrum stellt und schließlich Hilfe, Links, Glossar, Index. Insgesamt wirkt die Gliederung fast wie ein FAQ, in einem ausführlichen Rundumschlag werden sehr viele Themen aufgemacht und jeweils kurz, knackig und per Bild oder Grafik veranschaulicht und auf einer, höchstens zwei Seiten besprochen. Auch der Schreibstil ist kurz, prägnant und praxisbezogen, es gibt kaum ‚Expertenwissen‘, sondern anschauliche, leicht verständliche Antworten auf (fast) alle alltäglichen Fragen: Von ‚Wie erstelle ich ein sicheres Passwort?‘ bis ‚Wo meldet man rechtsradikale Inhalte?’ Das alles ist sehr knapp, vermittelt aber die wichtigsten Fakten, damit Eltern sich sicher fühlen können, erklärt alles rund um Bedienung und potenzielle Ängste, gibt praktische, aber nicht allzu plakative Tipps – und ist so ein praktisches Nachschlagwerk, das am besten direkt neben dem PC stehen sollte und bei Bedarf sofort nach einer schnellen Antwort auf eine drängende Frage konsultiert werden kann. Die begleitende Homepage, www.facebook-elternbuch.de weist (bislang) eher grundlegende Informationen auf, gibt einige Infos über die beiden Autoren, weist auf Rezensionen hin, enthält ein Probekapitel, auf der zusätzlichen Facebook-Seite findet man außerdem immer wieder neue Informationen, Links, interessante Artikel ...
Ganz anders kommt Netzgemüse daher: Tanja und Johnny Häusler, die sonst den Spreeblick-Blog betreiben, legen kein Handbuch vor, sondern eher einen zu lang geratenen, ausgedruckten Blogartikel: Sie machen ihr Thema zwar scheinbar breiter auf, nehmen sich ‚digitale Medien‘ bzw. ‚das Internet‘ ganz allgemein als Thema vor, behandeln inhaltlich aber ein ähnliches Themenspektrum – nur dass Videospiele, Smartphones et cetera im Facebook-Buch eben in den Anhang geschoben sind, während sie bei Netzgemüse einen Gliederungspunkt bekommen. Für Wenig-Leserinnen und -Leser und Menschen auf der Suche nach schnellen Informationshäppchen ist das Buch erst einmal abschreckender, auf den 288 Seiten findet sich ausschließlich gegliederter Text, keine Anleitungen, keine Grafiken, keine Bilder. Und im Text überschaubar viele Informationen. Stattdessen launige Geschichten darüber, wie das Ehepaar Häusler, seine Nachbarn, Verwandten, Freundinnen und Freunde und deren jeweiliger Nachwuchs sich so im Netz tummeln, was sie da erleben, wie sie das finden, welche Abenteuer sie gemeinsam meistern und wie sie sich dabei fühlen.
Das alles in der Ich-Pespektive und nach einer scheinbar gefühlten Logik. Informationen suchen, sich gezielt schlauer machen oder ein konkretes Problem mitbringen sollte man nicht, wenn man dieses Buch öffnet – man kann sich aber durchaus einen netten Leseabend machen, statt dem üblichen Krimi mal Netzgemüse zum Einschlafen lesen, über die Geschichten schmunzeln und hier und da dennoch ein paar eigene Schlüsse ziehen. Auch zu diesem Werk gibt es begleitend eine Homepage, in dem Fall www.netzgemuese.com, die bisher auch ganz ähnliche Inhalte bietet wie des Elternbuch:
Infos zum Buch, Rezensionen, ein Probekapitel, weiterführende Links, ein 30-minütiger Podcast. Insgesamt also zwei durchaus empfehlenswerte Bücher, als Nachschlagwerk, als Gute-Nacht-Lektüre und hoffentlich immer als Elternhorizont- Erweiterung.
Elisabeth Jäcklein-Kreis ist Redakteurin bei merz | medien + erziehung.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Farben, bitte!
Szillat, Antje (2010). Alice im Netz. Das Netz vergisst nie! Herausgegeben von lehrer-online und Caritas. Neureichenau: Edition Zweihorn. 155 S., 6,95 €.
Lehmann, Daniela/Szillat, Antje (Hrsg.). Unterrichtsmaterialien für die 7.-10. Klasse zum Buch Alice im Netz. Das Netz vergisst nie! Neureichenau: Edition Zweihorn.
Szillat, Antje (2010). Rache @. Herausgegeben von lehrer-online. Neureichenau: Edition Zweihorn. 136 S., 6,95 €.
Szillat, Antje (Hrsg.) Unterrichtsmaterialien für die 6.-10. Klasse zum Buch Rache @. Neureichenau: Edition Zweihorn.
Eine Warnung muss ausgesprochen werden und das eindringlich: Finger weg von diesen Medien! Am besten einen großen Bogen machen um Computer und Co. Denn wer sich einmal mit ihnen einlässt, der ist schon fast verloren. Das zumindest ist der Eindruck, der diffus stehenbleibt, wenn man die letzte Seite umgeblättert hat und die Bücher Rache @ oder Alice im Netz von Antje Szillat zuklappt. Dabei hat alles so viel versprechend angefangen! Eine Buchreihe erschien, in der Edition Zweihorn, herausgegeben von lehrer-online. Da freut man sich, denn lehrer-online macht viele gute Angebote zur Förderung der Medienkompetenz und die Buchreihe – für die diese beiden Bücher natürlich nur als Beispiel stehen können – beschäftigt sich mit Medien und den Problemen, in die man geraten kann, wie Cybermobbing, Stalking, das ganze Programm. Man bestellt also zwei Bücher, das begleitende Lehrermaterial gleich dazu und fängt voller Interesse an zu lesen. Rache @ ist zuerst dran. Man lernt Ben kennen, einen etwas unsicheren, ein bisschen zu naiv gezeichneten Jungen mit schwankendem Selbstwertgefühl und intakter aber nicht allzu herzlicher Familie. Der wird von Mitschülern sowie dem Mathelehrer nicht akzeptiert bzw. gemobbt, sucht daraufhin Hilfe bei Marcel, gleichaltrig, aus kaputtem Elternhaus, depressiv, kaltherzig und durchtrieben, der sofort eine Verleumdungskampagne vom Feinsten startet, den Lehrer innerhalb kürzester Zeit als angeblich Pädophilen diffamiert, die Klassenkameraden brutal verprügelt und zu guter Letzt mit einer scharfen Waffe hantiert – bis die Polizei eingreift und ihn in eine Therapie-Einrichtung verfrachtet, wo er „wohl ‘ne Weile bleiben“ muss. Ende gut, alles gut?! Plötzlich sind die Klassenkameraden und der Lehrer Bens beste Freunde und das Internet – darüber redet lieber niemand mehr. So viel Schwarz-Weiß-Denken auf 136 groß bedruckten Seiten liegt schwer im Magen und die Klischee-Kasse klingelt auch auf jeder Seite – ganz abgesehen davon, dass das Buch als glatte Themaverfehlung durchgehen würde, weil Marcel ein ganz ‚normaler‘ Bully ist, der seine Prügelattacken lediglich um ein YouTube-Video anreichert. Die eigentlichen Spezifika von Cybermobbing, die Art des Mobbing, die Verbreitung, die Anonymität, werden völlig außen vor gelassen.
Also kurz durchatmen und weiter zu Alice im Netz. Hier dreht sich – natürlich – alles um Alice. Das weibliche Pendant zu Ben ist nur nach Farben, bitte! Unterrichtsmaterial, das so schön sein könnte, wäre es nicht so schwarz-weiß außen selbstsicher, ein bisschen naiv gezeichnet, mit intakter aber nicht allzu herzlicher Familie ...Ihr wird das Lebens schwer gemacht von (einem vermeintlichen und) einem verrückten Stalker, nahezu gleichaltrig, aus kaputtem Elternhaus, Ein-Euro-Jobber, depressiv, kaltherzig und durchtrieben, der sich aus dem Internet Name, Adresse und Vorlieben seines Opfers sucht, seine Wohnung mit Unterwäsche-Fotos von ihr tapeziert (die er durch ihr ebenerdiges Schlafzimmerfenster schießt), sie auf Schritt und Tritt verfolgt und zu guter Letzt Anstalten macht, sie zu vergewaltigen – bis die Polizei eingreift und ihn von der Bildfläche verschwinden lässt. Und das Internet? Dort werden sofort und restlos alle Spuren von Alice „ausgelöscht“ und sie nimmt sich fest vor, nie mehr so „digital naiv“ zu sein. Nach dieser erschütternden Lektüre ist das Unterrichtsmaterial nur die logische Fortsetzung des offensichtlich dramatisch zweifarbig (nämlich schwarz und weiß) gehaltenen Weltbildes von Frau Szillat: Die Schülerinnen und Schüler sollen Textarbeit machen, auf eng gestellte Fragen die richtigen Textstellen heraussuchen und abschreiben – ein Transferversuch oder gar eine Diskussion der Datenschutzproblematik im Internet oder von Cybermobbing werden nicht angeregt.
Dieses Paket ist deshalb gleich auf mehreren Ebenen enttäuschend: Es behandelt kaum bis gar nicht die angegebenen Themen – in beiden Büchern wird im Grunde der Werdegang eines psychisch schwer kranken Menschen gezeichnet. Dass der sich irgendwann im Krankheitsverlauf auch mal an einen PC setzt, hat mit seinem eigentlichen Problem nichts zu tun. An keiner Stelle werden die Schwierigkeiten thematisiert, die tatsächlich medienspezifisch sind – und noch weniger werden auf Probleme konstruktive Lösungsvorschläge gemacht. Nirgendwo findet sich ein Ansatz, wie mit Medien denn ‚besser‘ umzugehen wäre, obwohl ‚Medien‘ als zentrales Thema der Bücher angekündigt werden. Inhaltlich spielen sie aber nur die Rolle des Sündenbocks, weiter nichts. Die Probleme in beiden Büchern lösen sich durch zwei einfache Strategien: 1. Polizeieinsatz. 2. Medienabstinenz. Das ist so plakativ und drastisch wie unrealistisch – ganz ‚alltägliche‘ Arten von (Cyber-)Mobbing etwa werden völlig ausgeklammert, von den Wegen, Prävention zu betreiben oder ihnen zu begegnen, ganz zu schweigen. Antje Szillat zeichnet so ein angsteinflößendes, ohnmacht-suggerierendes und eindimensionales Weltbild, mit den ‚Guten‘ (Opfern), den ‚Bösen‘ (Tätern, allerdings ohne jedes Identifikationspotenzial, denn diese ‚Täter‘ sind ja durch ihre Familie, Herkunft, kaputte Kindheit ohnehin prädeterminiert) und ‚Medien‘ (von denen man tunlichst die Finger lassen sollte). Sie vergibt sich so die Chance, Jugendliche zum Nachdenken und reflektierten Nutzen anzuregen und polarisiert stattdessen, ohne sich auf eine ernsthafte Auseinandersetzung einzulassen. Die letzten Seiten der Bücher und Begleithefte stimmen dann doch wieder etwas versöhnlicher, da die Materialien sich am Ende nach außen öffnen und jeweils etwa gut ausgewählte Linklisten und Adressverweise, teilweise auch Zusatzaufgaben mit Materiallisten und Diskussionsanregungen in den Lehrerheften zur Verfügung stellen. Dies zumindest sind teilweise auch Materialien mit einem umfassenden, dialektischen und konstruktiven Ansatz, die helfen können, sich mit Medien sinnvoll, reflektiert und kompetent auseinanderzusetzen.
Elisabeth Jäcklein-Kreis ist Redakteurin bei merz | medien + erziehung.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Alter Schabernack auf neuen CDs
Paul Maar/Capella Antiqua Bambergensis/Murat Coskun (2012). Das fliegende Kamel – Ucan Deve. Geschichten von Nasreddin Hodscha neu erzählt von Paul Maar. Bamberg: CAB Records. Doppel CD. 19,50 €.
„Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger.“ Ein vermutlich kluger Mensch (hartnäckig wird behauptet, es sei Kurt Tucholsky) hat das einmal recht treffend bemerkt und sich damit tausendfach in Zitatbücher, auf Postkarten und Facebook-Profile katapultiert und dort verewigt. Wie es zu dem Spruch kam und wo sich der Sprecher selbst einsortieren müsste, bleibt unklar. Sicher ist aber, dass er damit ziemlich treffend ein Lebensmotto auf den Punkt bringt, das sich eine berühmte Figur mündlicher Prosa hervorragend zu eigen gemacht hat: Till Eulenspiegel, Afántí, Kožanasyr oder auch: Nasreddin Hodscha. Den weisen Narr, der durch die Lande zieht und den Menschen abwechselnd einen Spiegel vorhält und augenzwinkernd das Geld aus der Tasche zieht, kennen fast alle Kulturkreise. Sie haben unterschiedliche Namen für ihn und erzählen leicht abgewandelte Geschichten; bisweilen sind Lebensdaten und scheinbare Beweise der echten Existenz eines dieser pfiffigen Spaßvögel im Umlauf, Nasreddin Hodscha treibt seinen Schabernack mit den Menschen sogar so weit, dass er gleich in mehreren Gräbern in der Türkei, im Iran und im Irak begraben sein will. Doch ob es ihn gab oder nicht, wie er hieß und was er wirklich erlebte – klar ist, dass die Geschichten des Schelmes sich über hunderte Jahre von Mund zu Mund verbreiteten, dass sie Kinder zum Staunen und Erwachsene zum Schmunzeln brachten, so manches Aha-Erlebnis oder einen fallendes Groschen produzierten und immer wieder die Menschen genau an ihren ‚menschlichsten‘ Punkten trafen.
Damit gerade Nasreddin Hodscha, der schelmische Lehrer, der im 14. Jahrhundert in Anatolien seine absurden, philosophischen, oft närrischen,fast immer mit einer weisen, tiefsinnigen oder zumindest überraschenden Geschichten erlebt haben will, nicht in einem seiner diversen Gräber verschwindet, hat sich Paul Maar, der deutsche Kinderbuchautor und Sams-Papa, jetzt dem arabischen Schalk angenommen. Denn gerade weil viele junge Menschen türkischer Herkunft in Deutschland nicht mehr richtig Türkisch lernen, die Sprache oft kaum lesen und schreiben können, verlieren sie den Kontakt und Bezug zu den traditionellen Geschichten ihres Kulturkreises. Das findet Paul Maar schade, das findet auch die Ernst Reuter Intitiative für Dialog und Verständigung zwischen den Kulturen schade und so entstand die Idee, den Schalk der ‚alten Zeiten‘ wieder aufleben zu lassen, ihm den Staub vom einzigen Mantel zu klopfen, seinen alten Esel wieder auf die Hufe zu stellen und ihn nicht nur in zeitgemäßer, sondern auch noch gleichzeitig in deutscher und türkischer Sprache den Kindern und Jugendlichen des 21. Jahrhunderts zu präsentieren.
Dazu hat Paul Maar getan, was er am besten kann, nämlich (nach der Vorlage der alten Sagen) Nasreddins Abenteuer (neu) geschrieben. Anschließend sperrte sich erst Paul Maar mit Murat Coskun für die deutsche Version und dann Murat Coskun mit Ibrahim Sarialtin für die türkische Version in ein Studio und sie erzählten den Mikros, was der alte Schelm so alles erlebt, wenn der Tag lang ist. Und zu guter Letzt packte noch die Capella Antiqua Bambergensis ein paar Instrumente und Kostüme aus und steuerten Klänge bei, die die Zuhörerinnen und Zuhörer direkt ins bunte Treiben und Summen und Brummen der Marktplätze des arabischen Kulturkreises im 14. Jahrhundert versetzen. Herausgekommen sind zwei CDs mit je 28 Geschichten des spitzbübischen Hodscha, insgesamt je fast eine Stunde Hör-Zeit, in der man dem weisen Mann, seinen klugen Pointen und dazu dem fidelen Klang der mittelalterlichen Instrumente lauschen kann. Das ist kurzweilig und spaßig, manchmal erhellend und manchmal verblüffend, manchmal zum Schmunzeln und manchmal zum an-die-eigene-Nase-Fassen. Gerade für Kinder, denen man einen Zugang zu diesem Kulturkreis verschaffen will – vielleicht auch genau so, wie Paul Maar es im Sinn hatte – eignen sich die zwei CDs sehr gut und weil die einzelnen Geschichten gar so kurz sind, können sie auch schön als auditiver Impuls und Aufhänger für die verschiedensten Themen herangezogen werden – um über Ehrlichkeit und Lüge, über Geiz oder einfach über Parabeln zu sprechen etwa. Etwas schade ist, dass der kulturübergreifende Ansatz sich darauf beschränkt, die Geschichten auf einer CD deutsch und auf einer türkisch zu lesen – so bleibt dieser Zugang allen verwehrt, die nur eine Sprache sprechen. Wären die Geschichten noch im Begleitheft abgedruckt oder die Sprachen hin und wieder gemischt, hätte viel mehr Zusammenhang hergestellt werden können.
So bleibt das einzig gemeinsame der beiden CDs die Hintergrundmusik – und wer etwa nur die deutsche CD hören kann, hätte fast ebenso gut auf Till Eulenspiegel zurückgreifen können. Dennoch bleibt die CD ein charmantes Stück Literatur, die wahlweise Zugang zum arabischen Kulturkreis, einen Einstieg in Satire als Humorform, die Beschäftigung mit zahlreichen tiefgründigen Themen oder einfach ein nettes Hörvergnügen bieten kann. Kostprobe gefällig? An einem heißen Sommertag war der Hodscha mit seinem Esel unterwegs. Mittags legte er sich zur Rast in den Schatten eines Walnussbaumes. Ganz in der Nähe sah er ein Feld voller reifer Wassermelonen. Nasreddin Hodscha dachte eine Weile nach, dann sagte er: „Wie eigenartig ist doch Gott, der die großen Wassermelonen so geschaffen hat, dass sie an einem kleinen Stengel wachsen, während die kleinen Walnüsse an einem riesiggroßen Baum wachsen.“ Genau in diesemMoment fiel eine Walnuss vom Baum und traf den Hodscha am Kopf. Nasreddin Hodscha rieb seinen schmerzenden Schädel und sagte sinnend: „Gott weiß es doch am besten, warum die Wassermelonen nicht auf Bäumen wachsen.“
Elisabeth Jäcklein-Kreis ist Redakteurin bei merz | medien + erziehung.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Apps für kleine Mathekönige
„Gibt’s dafür ‘ne App?“ – der Markt mobiler Medien ist in jüngster Zeit gewachsen wie kaum ein anderer. Wer sich heute in einen App-Store klickt, sollte besser genau wissen, was er da sucht – denn flanieren könnte man durch die schier endlosen Angebote kleiner Programme für Smartphones und Tablets wohl für immer. Und natürlich ist auch die jüngste Zielgruppe nicht außen vor, im Gegenteil: Die leichte Zugänglichkeit, die intuitive Bedienung und immer mehr Apps, die speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind, sorgen dafür, dass Kinder immer mehr die Welt der mobilen Medien erobern. Sie spielen kleine Spiele, lesen Bilderbücher oder malen selbst; sie gehen ihre ersten Schritte ins Internet. Und sie lernen; üben ihre ersten Buchstaben und Zahlen, lassen sich den Schulstoff oder Wissenswertes animiert, bunt und in ihrem Tempo erklären. Doch in der Fülle der Angebote, die um die Gunst und Klicks der jungen Nutzerinnen und Nutzer buhlen, ist es bisweilen gar nicht so leicht, die Programme herauszusuchen, mit denen man seine Kinder wirklich alleine lassen will und die einen echten Mehrwert bieten – denn wenn die Lern-App eigentlich nur ein Bilderbuch oder digital dargestellte Vokabelkarten enthält, ist nicht nur der Lerneffekt möglicherweise ziemlich klein, sondern das ganze, schöne Gerät mit all seinen Möglichkeiten auch dramatisch überqualifiziert. Deshalb gilt auch hier: Augen auf beim App-Download. Ein Anbieter im App-Dschnungel, der sich besonders den ‚schlauen‘ Programmen verschrieben hat, ist das Projekt Learning Apps @ TU Graz. Das Team der TU Graz entwickelt diverse Lern-Apps für die Allerkleinsten in Kita und Kindergarten bis hin zu Studierenden, es werden Möglichkeiten ausprobiert, Lernstoff ansprechend und effizient zu vermitteln und es wird der Einsatz von iPads in Schulen ganz konkret getestet und begleitet.
Das alles präsentieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf ihrer Seite app.tugraz.at – und natürlich im App-Store, wo man diverse Apps kostenfrei herunterladen kann. Schwerpunkt der Apps ist natürlich der MINT-Bereich, es gibt viele Mathe- Apps, vom Rechenbaum für die erste Klasse bis zu Algonary oder der eApp Suite, die Studierende der Elektrotechnik bzw. Informatik mit in die Untiefen von Algorithmen, Schaltungen und Netzwerken nehmen. Vor allem aber findet man im Angebot der TU viele Apps für die erste bis vierte Klasse – und da neben Mathe durchaus auch einige andere. Snailwrite zum Beispiel ist ein Leselernspiel für alle, die sich gerade erst frisch mit Buchstaben anfreunden: Gemeinsam mit vier netten, bunten Schnecken kann man da durch die Levels kriechen und eine regelrechte Buchstabenparty veranstalten. Dabei geht es mit der ersten Schnecke noch ganz ‚langsam‘ los, es werden Wörter und Bilder angezeigt und man muss je einem Wort das passende Bild zuordnen. In den nächsten Runden wird es schon schwerer, jetzt gilt es selbst zu tippen und wie bei ‚Galgenmännchen‘ Lücken in den Wörtern zu füllen oder ganze Wörter selbst zu schreiben. Das alles natürlich begleitet von wahlweise begeisterter oder erschrockener Mimik der Schnecken, die tapfer am Rand stehen und anfeuern. Alleine diese netten Gesellen steigern die Motivation, richtige Wörter zu schreiben, schon beträchtlich – was sie aber auch müssen, denn leider gibt es keine ‚Runden‘ oder Highscores, durch die man ein Feedback bekommen könnte.Allein die strahlende Schnecke gibt Feedback im immerwährenden Schreibtraining.
Doch zurück zum ‚Steckenpferd‘ der TU Graz: Den Mathe-Apps. Hier gibt es alleine für den Grundschulbereich bereits eine beachtliche Auswahl: iBubble Math, iLearn+, MatheZoo oder 1x1-Trainer heißen die kleinen Programme, die den Jüngsten die Welt der Zahlen nahebringen wollen. Die Apps sind alle sehr liebevoll animiert und entführen die Kinder in verschiedene Lernwelten, um dort gemeinsam mit ihnen mit ein paar Zahlen zu jonglieren. So tauchen die jungen Lernerinnen und Lerner bei iBubble Math in ein farbenfrohes Aquarium ein, wo ihnen überall mathematische Luftblasen begegnen: Hier, unter Wasser, dreht sich alles um Multiplikationen aus dem kleinen Einmaleins. Nur wer in den Tiefsee- Gefilden die Luftblase mit der richtigen Lösung anpiekst, darf Atem holen für die nächste Aufgabe – andernfalls löst sich die Luft ‚in Wasser auf‘ und man muss mit angehaltenem Atem weiterrechnen. Richtig gefährlich wird es erst im Quiz-Modus: Da verschwinden die Luftblasen nämlich, wenn sie nicht schnell genug angeklickt werden … hier hilft nur schnell rechnen und richtig tippen, damit der Tauchgang nicht mit Atemnot endet. Wer sich lieber auf sicherem Boden bewegt und vielleicht sowieso mehr an Addition und Subtraktion interessiert ist, dem sei ein Ausflug in den Zoo ans Herz gelegt: Im MatheZoo warten die quietschvergnügten Zootiere in fünf Runden darauf, gemeinsam mit einem schlauen Verbündeten am Tablet oder Smartphone ihre Abenteuer zu meistern.
Auch hier muss zu einer vorgegebenen Aufgabe jeweils die richtige Lösung gesucht und angeklickt werden, damit etwa die Äffchen den Baum nach und nach vollständig erklimmen können. Auf einem Spielfeld kann man durch den Zoo wandern und sich in die verschiedenen Gehege schwingen, wo dann jeweils Plus- und Minus-Aufgaben warten. Leider bleiben die Affen, Papageien und Löwen, so sehr sie auch hüpfen und quietschen, stets Animationen am Rande – das ist schade, denn die Zootiere hätten auch eine schöne, kleine Spielgeschichte hergegeben. Noch bedauerlicher ist, dass der tierische Spaß nach dem fünften Gehege vorbei ist, dann sind alle Aufgaben gelöst, der Zoo ist gerettet und es gibt weder einen Quiz-Modus noch Übungsräume, um weiterzurechnen. Einzig die bekannten Gehege könnten neu gerechnet werden, was aber bei der überschaubaren Anzahl an Aufgaben nicht allzu motivierend sein dürfte.Also raus aus dem Zoo, rein in die nächste App: iLearn+ besinnt sich konsequent auf seine Mission und die ist: Addition im Zahlenraum von null bis hundert. Hier gibt es erstmals drei Modi, leicht, mittel und schwer, dafür verzichtet die App auf eine Spielgeschichte oder -landschaft. Stattdessen gibt es Aufgaben über Aufgaben, deren Lösungen man manchmal eintippen, manchmal richtig auswählen und manchmal aus einer Menge an Symbolen auswählen muss. Ein Quiz spart sich die App – und berechnet nach jeder Übungsrunde gleich den Highscore und belohnt die Rechnerinnen und Rechner bei guten Runden mit neuen Avataren.
Insgesamt wurde hier scheinbar viel mehr Wert auf die ‚inneren‘ Werte gelegt als bei iBubble und MatheZoo, die Grafik ist schön aber weniger aufwändig, dafür versprechen die verschiedenen Aufgabenarten und Schwierigkeitsstufen angemessene Aufgaben für jedes Lernniveau und gute Übungsergebnisse. Noch individueller holt die Kinder nur die App 1x1-Trainer ab, der nicht umsonst das aktuell größte Projekt unter den Mathe-Apps der TU Graz ist: Diese App bietet vor dem strahlend blauen Himmel einer Bilderbuchlandschaft alles in einem, was die anderen Apps nur in Teilen hatten: Es gibt Übungsbereiche, wo Multiplikationen im Zahlenraum 1 bis 100 geübt werden können, bis die Finger vom Lösungen-Tippen glühen. Es gibt ein ‚Speedgame‘, in dem die zukünftigen Mathekönige ihr Können auf Zeit unter Beweis stellen und sich ihren Platz im Highscore erkämpfen können. Und das besondere Schmankerl: Diese App ist eigens dafür konzipiert, mit Kindern im Schulunterricht echte Lernfortschritte zu erzielen. So können sich Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam mit ihren Klassen anmelden, die Schülerinnen und Schüler üben unter einem je eigenen Login und Benutzernamen und werden dank individueller Leistungsstandserhebung vom Programm ganz individuell mit den Aufgaben konfrontiert, die ihnen die meisten Knoten im Gehirn verursachen. Den 1x1-Trainer gibt es als Web-Portal, als iPhone/ iPad-App und – im Gegensatz zu den anderen, vorgestellten Apps – auch für Android-Systeme.
Ziel ist es, dieses Programm flächendeckend in Grundschulen einzusetzen, so dass Kind in allen Klassen in ihrem Tempo Malnehmen üben können und Multiplikationen für kein Kinder mehr der Stoff sind, aus dem Albträume entstehen. Dank der liebevollen Grafik, der motivierenden Aufteilung in Übung und Quiz auf jeder Schwierigkeitsstufe und der individuellen Förderung per Algorithmus hat die App durchaus das Zeug dazu, aus Mathemuffeln Rechenköniginnen und -könige zu machen. Zwar gibt es auch hier, wie bei all diesen Apps, keine wirkliche Spielgeschichte oder Rahmenhandlung; das muss es aber auch nicht: Werden die Apps im Schulunterricht eingesetzt, müssen sie wohl auch nicht wie Spiele daher kommen, sondern können sich als das ausgeben, was sie sind, nämlich Lern- Helfer. Und das sind sie ziemlich gut.