Katharina Jäntschi
Beiträge in merz
Katharina Jäntschi/Nicole Rauch: Geschlechtsspezifische Gewalt in Zeiten der Digitalisierung
Gewalt gegen Frauen* findet auch im digitalen Raum statt. Ein prominentes Phänomen in diesem Zusammenhang ist Hassrede gegen Frauen* im Netz. Weniger öffentlich diskutiert wird digitale Gewalt im sozialen Nahraum zum Beispiel durch Stalking, Diffamierung, Drohungen, Veröffentlichung privater Video- und Bildaufnahmen bis hin zur Kontrolle im Alltag durch Spionageapps. Digitale Tools werden dabei für die Macht- und Gewaltausübung benutzt. In der vorliegenden Publikation werden Formen von und Interventionsstrategien gegen geschlechtsspezifische digitale Gewalt im sozialen Nahraum diskutiert, um dieser Leerstelle zu begegnen. Es werden dabei Beiträge aus Praxis und Forschung gebündelt. Unter den Praktiker*innen sind Frauen* aus den Bereichen Beratung, Fachanwaltschaft, Zeitschriftenredaktion und feministischer Aktivismus vertreten, während aus der Wissenschaft Forscher*innen aus der Politikwissenschaft, der Sozialen Arbeit, den Erziehungswissenschaften, Rechtswissenschaften, Gender Studies und den Ingenieurwissenschaften mitwirken.
AUFBAU
Im ersten Teil des Buches werden die Grundlagen der ‚Digitalisierung geschlechtsspezifischer Gewalt als Diskussionsgegenstand‘ erläutert. Herausgeberin Prasad geht darin auf die ‚Digitalisierung geschlechtsspezifischer Gewalt‘ ein, grenzt diese von anderen Phänomenen wie Online-Hatespeech ab und setzt sie in Bezug zu analoger geschlechtsspezifischer Gewalt. Lembke setzt den ‚Menschenrechtliche[n] Schutzrahmen für Betroffene von digitaler Gewalt‘ und seine Anwendung im Recht. Bauer und Hartmann befassen sich mit verschiedenen ‚Formen digitaler geschlechtsspezifischer Gewalt‘ und gehen detailliert auf Stalking, Belästigung, Diffamierung, Bedrohung, bildbasierte sexualisierte Gewalt und Hatespeech und deren Methoden bzw. Strategien ein.
‚Spezifika geschlechtsspezifischer Gewalt im digitalen Raum‘ werden im zweiten Teil näher beleuchtet. Bauer geht hier auf die ‚Funktionsprinzipien des Internets und ihre Risiken im Kontext digitaler geschlechtsspezifischer Gewalt‘ ein, wobei beispielhaft das „Fehlen von Hoheitsinstanzen, die Anonymität der Nutzer*innen, das Fehlen [… von] Zutrittsbarrieren sowie die Verbreitungsgeschwindigkeit von Informationen“ zu nennen wären, anhand derer Bauer „die Intensivierung von geschlechtsspezifischer digitaler Gewalt“ aufzeigt (S. 104). Strick und Wizorek befassen sich näher mit ‚Intersektionale[n] Machtverhältnisse[n] im Internet‘; dabei wird der Fokus auf die Potenziale sowie Gefahren und Eindimensionalitäten politischen Aktivismus‘ im Netz gelegt.
‚Rechtliche Handlungsoptionen bei digitaler Gewalt‘ werden im dritten Teil aufgezeigt. Ein großes Hindernis bei der Strafverfolgung ist die Anonymität. Dinig erläutert ‚Zivilrechtliche Interventionen bei digitaler Gewalt‘ als ergänzende Möglichkeiten im Umgang mit digitaler Gewalt, da diese derzeit immer häufiger eine Rolle spielten.
Der vierte Teil des Buches ist sehr praxisnah gestaltet. Von den Möglichkeiten des Missbrauchs von Software und vernetzter Geräte im sozialen Nahraum bis hin zum Internet der Dinge im Kontext digitaler Gewalt und ‚Stalkerware‘ werden dabei ganz unterschiedliche Felder beleuchtet sowie Strategien im Umgang mit Online-Hate Speech erläutert.
Der letzte Teil des Buches widmet sich mit praktisch anwendbaren Tipps der präventiven und interventiven digitalen Ersten Hilfe. Es wird zum Beispiel gezeigt, wie Datensicherheit und Privatsphäre smarter Alltagsgeräte mit oftmals einfachen Mitteln erhöht werden können.
SCHWERPUNKTE
Ein Schwerpunkt des Sammelbandes ist die rechtliche Aufarbeitung des Phänomens der digitalen Gewalt gegen Frauen. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf Aspekten der praktischen Arbeit mit (potenziell) Betroffenen digitaler Gewalt. Herausforderungen, die sich aus dem digitalen Wandel für die pädagogische Arbeit ergeben, sind längst nicht mehr nur für Medienpädagog*innen relevant. Die Lektüre des Bandes verdeutlicht, wie so oft bei neuen, medialen Phänomenen – es sind alte Themen im neuen Gewand. Deutlich wird das im Buch am Beispiel der feministischen Beratungsmethode, welche sich auch bei digitaler Gewalt anwenden lässt. In der Essenz geht es um bekannte Phänomene wie Stalking, Bedrohung, Kontrolle et cetera, welche oftmals dieselben Dynamiken aufweisen wie im nicht-digitalen Raum.
FAZIT
Der Sammelband gibt einen umfassenden Überblick zum Themenkomplex digitaler Gewalt im sozialen Nahraum, fokussiert in seinen Beispielen jedoch auf Frauen* und nicht auf andere geschlechtsspezifische Formen digitaler Gewalt. Im abschließenden Ausblick des Buches von Bauer, Hartmann und Prasad wird klar, dass mit fortschreitender Digitalisierung die Grenzen zwischen digitaler und nicht-digitaler Gewalt weiter verschwimmen werden und beides immer zusammen gedacht werden muss. Das Buch ist für alle Pädagog*innen relevant, die beratend tätig sind und/oder sich für feministische und digitale Themen interessieren.
Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, Nivedita Prasad (Hrsg.) (2021). Geschlechtsspezifische Gewalt in Zeiten der Digitalisierung. Formen und Interventionsstragien. Bielefeld: transcript Gender Studies. 332 S., 35,00 €.
Katharina Jäntschi/Steff Brosz: Reflexionen zu Gendersensibler Medienarbeit mit Kindern und Jugendlichen
Grundlage des Artikels ist ein Praxis- und Forschungsprojekt, in dem Geschlechterbilder in Social Media untersucht und Methoden für die Arbeit mit Schüler*innen erarbeitet wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass Soziale Medien eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung bei jungen Menschen spielen, diese Plattformen aber meist Geschlechterstereotypen präsentieren. Eine gendersensible Medienerziehung ist notwendig, um das Problem anzugehen. Zu ihren Zielen gehören die Förderung der individuellen Vielfalt, der Abbau struktureller Ungleichheiten und die Entwicklung eines stimmigen Ich-Konzepts.
Literatur
Debus, K. (2012). Dramatisierung, Entdramatisierung und Nicht-Dramatisierung in der geschlechterreflektierten Bildung. Oder: (Wie) Kann ich geschlechterreflektiert arbeiten, ohne geschlechtsbezogene Stereotype zu verstärken? In Dissens e. V., K. Debus, B. Könnecke, K. Schwerma & O. Stuve (Hrsg.), Geschlechterreflektierte Arbeit mit Jungen an der Schule. Texte zu Pädagogik und Fortbildung rund um Jungenarbeit, Geschlecht und Bildung (S. 149–158). Dissens e. V.
Ertl, B. & Helling, K. (2015). Gender-Re-Skripting. Eine Methode zur Reduktion stereotyper Verhaltensweisen im Unterricht. In J. Wedl & A. Bartsch (Hrsg.), Teaching Gender? Zum reflektierten Umgang mit Geschlecht im Schulunterricht und in der Lehramtsausbildung (S. 353–373). transcript.
Jochim, V. & Gebel, C. (2022). „Der will das nicht zeigen, ob er jetzt ganz weiblich oder ganz männlich ist.“ In JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (Hrsg.), GenderONline – Geschlechterbilder und Social Media zum Thema machen: Online-Forschungswerkstätten mit 10- bis 16-Jährigen. https://doi.org/10.25656/01:25774
Owens, J. & Massey, D. (2011). Stereotype Threat and College Academic Performance. A Latent Variables Approach. Social Science Research, 40(1), 150/166.
Katharina Jäntschi/Folke Brodersen: Queersensible Medienpädagogische Praxis
Wie gelingt eine queersensible medienpädagogische Praxis? In diesem Artikel entwerfen wir Ausgangspunkte und Zielsetzungen einer queersensiblen Jugendarbeit in der Medienpädagogik. Basierend auf Analysen der Lebenswelten Jugendlicher und gesellschaftlicher Strukturen betonen wir die Bedeutung von Handlungspraxen und einer adäquaten Zielgruppenansprache. Dabei werden Aufgaben und Umsetzungsperspektiven medienpädagogischer Angebote vorgestellt, die zeigen, wie queere Perspektiven ernstgenommen und integriert werden können.
Literatur
Boger, M.-A. (2019). Theorien der Inklusion. Die Theorie der trilemmatischen Inklusion zum Mitdenken. Edition Assemblage.
Brodersen, F. (2018). Gestalt(ung) des Coming-out. Lesbische und schwule Jugendliche und junge Erwachsene in der Ökonomie der Sichtbarkeit. Gender, 10(3), 85–100.
Groß, M. (2022). Jugendarbeit queer gedacht. Leitprinzipien und rechtlicher Auftrag. Familien- und Sozialverein des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) e.V. www.lsvd.de/ media/doc/8503/queer-papier-3-jugendarbeit-faltblatt.pdf
Henningsen, A. (2023, Oktober 13). Drei Handlungsanregungen für eine queersensible Kinder- und Jugendhilfe. Fachtag: Auf dem Weg zu einer diversen Kinder- und Jugendhilfe. Unterstützung und Begleitung queerer junger Menschen. Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren e. V.
Jäntschi, K. (2023). Wie gestalte ich Medienprojekte und was kann ich beachten? Fokus: gendersensible Zielgruppenansprache bei Medienprojekten. JFF-Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. www.bjr.de/fileadmin/redaktion/5._ Handlungsfelder/Medien/2023_Tool_Wie_gestalte_ich_ Medienprojekte_und_was_kann_ich_beachten.pdf
JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (2023). Queere Jugendmedienarbeit. Anregungen für die pädagogische Praxis. JFF-Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. www.jff.de/fileadmin/user_upload/jff/ projekte/Meko_Neukoelln/20230927_Handreichung_Queere_ Jugendmedienarbeit.pdf
Jugendnetzwerk Lambda e.V. (2022, November 10). Einfach nur Sam [Video]. YouTube. www.youtube.com/ watch?v=1r1bTWmqaYw
Krell, C., & Oldemeier, K. (2015). Coming-out – und dann...?! Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Deutsches Jugendinstitut e.V. (DJI). www.dji.de/fileadmin/user_upload/ bibs2015/DJI_ Broschuere_ComingOut.pdf
Landesfachstelle Hessen „Queere Jugendarbeit (Hrsg.). (2023). Queere Serien und Filme – Representation matters! 13 queere Serien und Filme für die Jugend(verbands)arbeit. www.queere-jugendarbeit.de/wp-content/uploads/2023/12/ Broschuere_QueereFilme_DINA5_10.pdf
Roth, R., Draheim, S., Tillmann, A., Binder, R., & Bettinger, P. (2023). Handlungskonzept zu Social Media und Gender in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. TH Köln, Universität zu Köln, PH Heidelberg. https://doi.org/10.57683/EPUB-2257
Schirmer, U. (2017). Zwischen Ausblendung und Sozialpädagogisierung? Dilemmata bei der Konstruktion von LSBT*-Jugendlichen als Zielgruppe Sozialer Arbeit. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, 12(2), 177–189. doi. org/10.3224/diskurs.v12i2.04
Winter, E. (i.E.). Safe(r) Spaces – Über die (Un)Möglichkeit und Notwendigkeit. In F. Brodersen & S. Merz (Hrsg.), Queere Jugendarbeit. Handbuch.