Bianca Keinath
Beiträge in merz
Bianca Keinath: Spongebob & Co. – so gar nicht mehr froh
Die Berliner Ausstellung Broken Heroes zeigt von Kindern geliebte Ikonen der Popkultur. Bei den von der Künstlerin Patricia Waller in mühsamer Häkelarbeit angefertigten Figuren handelt es sich jedoch allesamt um „abgestürzte Helden“, die in ihrem Scheitern gezeigt werden: Supermans Kräfte haben versagt und er fliegt in eine Wand; Ernie ist alkoholkrank und obdachlos, bettelnd auf der Straße; das Sandmännchen begeht Selbstmord; Spiderman ist in seinem eigenen Netz gefangen; Hello Kitty rammt sich ein Messer in den Bauch; Minnie Maus liegt vergewaltigt am Boden und SpongeBob wird zum Sprengstoff-Attentäter …Moderner Slapstick oder einfach taktlos? Für merz hat Bianca Keinath mit der Künstlerin Patricia Waller über ihre Werke gesprochen. Während es in den Medien und der Bevölkerung einen Aufschrei gibt, scheint die Botschaft dahinter ganz einfach: Jeder kann scheitern, doch wahre Helden stehen wieder auf und der in der Gesellschaft vorherrschende Starkult kann zu Identitätskrisen und überhöhten Lebensvorstellungen führen, die verzweifeln lassen.merz Frau Waller, als „schrecklichste Ausstellung der Stadt“ (BILD) wird viel und kontrovers über Ihre Kunst diskutiert. Was hat Sie dazu inspiriert, diese Kindheitshelden so darzustellen?Waller Ich arbeite immer in Serien und überlege mir hierzu Themen, die eine gesellschaftliche Relevanz haben.
Wenn Sie auf die Homepage gucken (www.patricia waller.com), sehen Sie, dass ich mich auch schon mit Alter und Gebrechen auseinandergesetzt und Gehwagen und Toilettensitze und so was gehäkelt habe. Und in dem Fall hat mich das Thema Prominenz interessiert. Die Helden, um die es geht, sind ja auch Prominente unserer Kindheit gewesen oder sind es teilweise heute noch. Mich hat einfach interessiert: Was ist ein Held? Was ist ein Fan? Was ist prominent? Was ist ein Antiheld? Um diese Thematik kreist die Ausstellung.merz Was viele Betrachterinnen und Betrachter erschreckt, ist die Grausamkeit der Darstellungen. In den Medien und auch in der Realität werden wir regelmäßig mit Gewalt konfrontiert; das gilt auch für Kinder. Warum, denken Sie, gibt es gerade bei Ihren Werken so einen Aufschrei?Waller Ich bin eigentlich eher erstaunt, dass es überhaupt diesen Aufschrei gibt. Als Künstlerin gehe ich heute nicht mehr davon aus, dass ich heute irgendjemand mit irgendetwas provozieren kann, oder sehr emotional berühren kann und habe tatsächlich sehr, sehr viele Kommentare zur Minnie Maus bekommen. Mich wundert das sehr, weil – genau wie Sie sagen – diese ganze Hollywood-Maschinerie die Wahrnehmung von Gewalt verändert hat.
In Hollywood sterben die immer schön. Der Unterschied bei den Comichelden, was wahrscheinlich auch die Kinder sehen, ist ja, dass die in der Regel unsterblich sind. Wenn Bugs Bunny von der Dampfwalze überrollt wird, dann schüttelt er sich hinterher, steht auf und rennt weiter. Deswegen habe ich auch nicht das Gefühl, dass Kinder so erschreckt sind von der Ausstellung weil sie ja wissen, dass die Figuren immer überleben, egal was ihnen widerfährt. merz Sie bezeichnen Ihre Werke als „kritische Auseinandersetzung mit dem Starkult unserer Gesellschaft“. Was genau meinen Sie damit?Waller In jeder Gesellschaft und in der Geschichte gibt es Helden und das sind ja irgendwie auch Vorbilder und Hoffnungsträger … und wir haben ja auch eine Sehnsucht nach dem Besonderen – was heute ein Prominenter ist, ist was früher ein Held war. Beiden wird ein gewisses Maß an Beliebtheit, Bewunderung und Verehrung entgegen gebracht. Der Fan auf der anderen Seite ist jemand, der eine virtuelle Beziehung zu seinem Star eingeht, er kann nicht zurückgewiesen werden, also kann er auch nicht enttäuscht werden. Er muss sich so also vielleicht auch nicht mit seiner eigenen Minderwertigkeit auseinandersetzen. Es ist die Diskrepanz der Welt, die einem vorgespiegelt wird in den Medien, und die Realität. Bei mir kommt dann der Antiheld ins Spiel. Die Figuren, die ich gehäkelt habe, scheitern eigentlich alle.merz In Ihren Arbeiten haben Sie sich mit Heldinnen und Helden der Kinder von heute und gestern beschäftigt. Wer war Ihr Held oder Ihre Heldin?Waller Eindeutig Pippi Langstrumpf. Wir haben beide rote Haare (lacht) und meine Mutter musste mir immer solche Zöpfchen machen.Ja, das war die Größte für mich! merz Warum haben Sie sie nicht mit aufgenommen?
Waller Naja, es muss ja immer auch passen. Also wenn ich jetzt zum Beispiel die Minnie Maus nehme, warum wurde die vergewaltigt? Sie ist ja eigentlich der Inbegriff von Unschuld. Deswegen musste natürlich gerade sie „vergewaltigt“ werden. Es gibt zu jeder Figur eine kleine Geschichte, die muss mir dann auch einfallen. Dieser Bob Schwammkopf, der ist immer so nervös und aufgeregt und hektisch, das ist dann der, der zum Selbstmordattentäter wird. Ich hätte für Pippi Langstrumpf keine Geschichte gefunden.merz Ihre Puppen sind alle sehr aufwändig in Handarbeit gehäkelt. Wie kamen Sie auf die Idee, gerade dieses Material zu verwenden und wie lange brauchen Sie für die Herstellung einer Häkelpuppe?Waller Es ist schwierig, die Frage zu beantworten, wie lange ich an einer Figur sitze. Ich kann Ihnen aber sagen, dass ich für die aktuelle Ausstellung ungefähr zwei Jahre am Arbeiten war. Es ist ja nicht nur so, dass ich ein paar Stunden am Tag häkeln muss – was ja auch etwas Absurdes ist, in so einer Zeit der Massenfabrikation. Ich muss ja auch die Ideen haben, ich muss dieses Innenleben der Figuren gestalten – was nehme ich? Styropor? Wie setze ich das an, welche Größe bekommen die? Also es ist alles sehr zeitaufwändig.
Ich hinterfrage mit meinen Arbeiten auch die Wertigkeit von Handarbeit, weil wir rennen alle zu IKEA und es gibt sehr, sehr viele Menschen, die mir das gar nicht glauben, dass ich das selber herstelle. Mir ist aber auch nicht klar, was die für eine Vorstellung haben. Ob ich irgendwie eine Maschine im Keller habe, da ein paar Wollknäuel rein schmeiße und Bob Schwammkopf eintippe und dann kommt der da unten raus? Dem ist leider nicht so, ich sitze gut drei Monate an einer Figur.merz Es gibt für die Ausstellung Broken Heroes keine Alterbeschränkung. Hätten Sie sich eine Altersbegrenzung gewünscht?Waller Im Prinzip ist das zweischneidig. Ich denke, es ist auch eine Verantwortung der Eltern, ob sie sich das mit ihren Kindern zusammen anschauen. Viele kennen meine Arbeiten jetzt schon seit Jahren. Bei meiner letzten Ausstellung war es so, dass die Kinder das gar nicht so schrecklich fanden – und die war noch viel blutiger! Die Kinder kamen rein und stürzten sich auf die Arbeiten, für die war das ein großer Abenteuerspielplatz. Da hätte ich mir gewünscht, dass die Eltern ihre Kinder an der Hand nehmen. Viele Kinder werden auch im Alter von zwei bis drei Jahren vor den Fernseher gesetzt und gucken sich Tom und Jerry an.
Da würde ich generell lieber an die Aufmerksamkeit der Eltern appellieren. Ich mache meine Kunst in erster Linie für Erwachsene. Speziell für Kinder habe ich aber auch schon mal eine Ausstellung gemacht. Extrem süß! ist derzeit in Karlsruhe zu sehen und ich habe dafür Eisbecher und Süßigkeiten gehäkelt. Wenn ich meine Werke an Kinder richte, bin ich sehr vorsichtig.merz Herzlichen Dank für das Interview und noch viel Erfolg für Ihre Ausstellung!Die Ausstellung ist noch bis zum 30. Juni 2012 in der Galerie Deschler zu sehen.