Sarah Kerenkewitz
Beiträge in merz
Sarah Kerenkewitz und Klaus Martin Schulte: Die rätselhaft-vertraute Welt der Hörspielserie Die drei ???
„und dann hört man seine alten Kassetten wieder und merkt: Man liebt sie eigentlich immer noch“Andreas Fröhlich, Sprecher von Bob Andrews von den drei ??? (Bastian 2003)
Die Abenteuer der drei ??? Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews aus Rocky Beach faszinieren Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland seit den späten 70er Jahren. Mit über 27 Millionen verkauften Exemplaren sind Die drei ??? die erfolgreichste Kinderhörspielserie in Deutschland, wobei sich die Zielgruppe in den letzten Dekaden stark gewandelt hat: Richtete sich die Reihe ursprünglich an Neun- bis 14-Jährige, so sind es mittlerweile vor allem die 20- bis 35-Jährigen, die den größten Anteil der Hörerschaft bestreiten.
1 Dieser Umstand deutet darauf hin, dass es viele Hörerinnen und Hörer gibt, die ihre ‚kindliche Leidenschaft’ als junge Erwachsene weiter pflegen bzw. wiederentdecken, und es kommt die Frage auf, was denn die Faszination des Hörspiels gerade bei der Zielgruppe der jungen Erwachsenen ausmacht.Sarah Kerenkewitz ist dieser Frage in einer qualitativ-empirischen Studie nachgegangen, in der sie Probanden im Alter von Mitte 20 bis Anfang 30, die „Generation der Kassettenkinder“ (Bastian 2003), in Tiefeninterviews zu ihrem Erleben befragte (vgl. Schmid-Gönner 2006). Es ging dabei nicht um Einstellungen oder Meinungen, sondern vielmehr um die Frage: Was geht wirklich in der Hörerin oder dem Hörer vor? Welche dramatischen Entwicklungen kommen beim Hören in Gang? Denn die persönlichen Erlebensgeschichten sind nicht deckungsgleich mit den ‚objektiven’ Geschichten des Hörspiels. So wird bei den Erzählungen auch die eigene Kindheit zum Thema, inklusive zum Beispiel des alten Kassettenrekorders, den man damals besessen hat, und ebenfalls Tätigkeiten, die man beim Hören ausführt: Aufräumen, Spülen, oder aber ein gemütliches ‚Verkriechen’ vor der Außenwelt. Solche scheinbaren ‚Nebensächlichkeiten’ wurden bei der Untersuchung ebenso berücksichtigt wie spontane ‚Nacherzählungen’ der Hörspiele. Auch diese sind keineswegs deckungsgleich mit den ‚objektiven’ Geschichten – vielmehr werden bestimmte Höhepunkte herausgegriffen, spezielle Atmosphären beschrieben und ausgemalt et cetera.
Erfragt wurden daher die persönlichen Erlebensgeschichten in offen geführten Tiefeninterviews, ein Ansatz, der von Wilhelm Salber entwickelt wurde
2. Diese Geschichten folgen einer Dramatik, die dem Hörpublikum höchstens teilweise bewusst ist und die sich bei aller Individualität der Geschichten als roter Faden durch alle Interviews zieht. Es zeigte sich, dass beim Hören der drei ??? ein seelisches Grundproblem bearbeitet wird, das jeder Mensch aus dem eigenen Alltag kennt. Um die Ergebnisse der Studie darzustellen, werden zunächst zur Veranschaulichung die durchgängigen Züge der Erlebensgeschichten – unter Vernachlässigung der individuellen Ausprägungen – in einer vereinheitlichenden prototypischen Form geschildert.
3. Im Vordergrund des Erlebens steht ein Eintauchen in eine rätselhaft vertraute Welt, das sich in mehreren Schritten entfaltet. In den Interviews zum Erleben zeigt sich zunächst übergreifend die Beschreibung einer vertrauten, gemütlichen Welt: Ein ‚akustisches Kuscheln’, ein Gefühl des Schönen, Angenehmen, Vertrauten eröffnet den Weg in die ???-Welt. Da ist man also wieder, in Rocky Beach, hört wieder die altbekannten Stimmen der drei Detektive, die mit Sicherheit jeden Fall lösen werden. Das hat etwas Nostalgisches, geradezu Beruhigendes. Wenn man diese Beschreibungen hört, fällt es beinahe schwer sich vorzustellen, dass es hier um so ernste Dinge wie Verbrechen und deren Aufklärung gehen soll. Man ist unter Umständen „total gestresst [...] und genervt vom Alltag, dann leg ich mir halt so eine CD in die Anlage, und das lenkt mich einfach ab, das bringt mich auf andere Gedanken“, da kann man „mal so ein bisschen abschalten“, kann sich „dieses Gefühl zurückholen, irgendwie nichts machen zu müssen“. Die angestrebte seelische Verfassung wird beschrieben als „eine ganz bewusst fabrizierte Gemütlichkeit“. Entsprechend stellt man sich auch Rocky Beach und speziell die Zentrale der Detektive als gemütlichen Ort vor, wo man sich „vor der Welt versteckt“. Das Hören bringt „Kindheitserinnerungen“ zurück, es lässt sich eine seelische Qualität von „ach ja, schön“ ausmachen.
Diese ‚Wohlfühlatmosphäre’ wird durch feste Strukturen gestützt, die in ihrer scheinbar ewigen Wiederkehr ein Gefühl der Verlässlichkeit vermitteln. Vor dem ‚geistigen Auge’ baut sich immer wieder die gleiche vertraute Szenerie in Rocky Beach auf, wo offenbar immer „Sonnenschein und gute[s] Wetter“ herrschen: „immer Ferien, wir sind immer jung, das ist schon sehr beruhigend“. Die Protagonisten kommen einem dabei beinahe wie „alte Freunde“ vor, auf deren immer gleich bleibende Charakterzüge man sich felsenfest verlassen kann. So wisse man immer gleich: „»ha, in dieser Situation ist Peter gefragt«, oder »hier brauchen wir Bob!« oder »jetzt Justus, du bist an der Reihe«“. Dieses Trio bildet für die Hörerin bzw. den Hörer eine Einheit, in der jeder seine feste Rolle und Funktion hat; die Freundschaft der drei scheint durch „nichts“ zu „erschüttern“ zu sein: „Also, die drei halten zusammen wie Pech und Schwefel. Und das ist ja auch so etwas, was sich im Grunde genommen jeder Mensch wünscht. Einfach gute Freunde zu haben.“ Auch der Rest des Hörspiels ist vom Erleben her gekennzeichnet durch feste, verlässliche Formen wie zum Beispiel Rituale (Überreichen der Visitenkarte), Stereotype (typische Verbrecher) und altbekannte Stimmen. Zudem könne man sich stets eines guten Ausgangs der Geschichte gewiss sein.In dieser abgesicherten Atmosphäre kommen nun brisante Entwicklungen in Gang. Detektive und Hörerinnen und Hörer werden mit mysteriösen Vorkommnissen konfrontiert, die einen regelrechten Sog entwickeln. Rätselhaftes bricht aus dem Alltag hervor, öfters sogar durch einen Anruf von Hitchcock, den die Hörerin bzw. der Hörer per se mit Suspense verbindet. Nun geht es auf in andere, spannende, rätselhafte, gefährliche Welten, heraus aus der Atmosphäre des Gemütlichen und Abgesicherten:„Also in Rocky Beach, da wo sie wohnen, ist es heimelig und nett, wenn es jetzt meinetwegen, ach was weiß ich, zu dem Gespensterschloss hingeht oder irgendwo in eine Geisterstadt, oder all so was, das stell ich mir dann irgendwie total gruselig vor. Dann sehe ich echt so eine ausgestorbene Stadt, und alles klappert, und man weiß jetzt nicht: »Ist da wer, ist da keiner?« und auch immer gleich sehr abgeschottet, dass ich auch immer gleich denke: »Egal, wo die dann sind, da wird die keiner hören, und die sind auf eigene Faust da irgendwo, im Wald oder der Geisterstadt oder im Schloss.«
“Das wird als unheimlich empfunden, und man erinnert sich, dass man ‚damals’ als Kind sogar manche Passagen richtig gruselig fand. Doch auch ‚heute’ steigert sich das Erleben immer wieder zu schaurigen Momenten, wo auch die Detektive „panisch werden“, weil zum Beispiel plötzlich „so ein Knall, oder das Knarren einer Tür“ ertönt und schließlich noch „irgendwelche Geistermusik“ einsetzt: „[...] wenn die dann plötzlich die Tür aufmachen, dann wird die Musik ganz laut.“ Da verspüre man fast körperlich „diesen leisen Windhauch, dieses Orgelspiel“. Das sei ausgesprochen „dramatisch“.
4. Beim Erleben solcher Spannungsmomente kommt nun einerseits der verständliche Wunsch nach rationaler Auflösung des Mysteriösen zum Ausdruck, gleichzeitig aber auch der Wunsch nach Erhaltung des Rätselhaften, denn so ganz möchte man sich von dem Kind, das man selber einmal gewesen ist und das zumindest teilweise noch so herrlich naiv und unbeschwert an Spukgeschichten geglaubt hat, für das die ganze Welt noch aufregend war, gar nicht trennen. Der ‚geheimnisvolle Touch’ der Kindheit soll nicht vollkommen verloren gehen, selbst wenn man es eigentlich ‚besser’ weiß: „Wer weiß, vielleicht gibt es dieses Tiefseemonster ja dann doch! Sie haben da ja irgend so einen Schatten gesehen.“Aus dieser ambivalenten Haltung heraus kommt ein Mitraten in Gang, das zu einer Lösung der Rätsel Schritt für Schritt führen soll. Wichtig ist dabei, dass die Auflösung für die Hörerinnen und Hörer nachvollziehbar bleibt. Man will weder mehr noch weniger wissen als die drei Detektive, weder ‚alles vorgesetzt’ noch wichtige Hinweise und ‚Denkanstöße’ vorenthalten bekommen. Dabei scheint es nicht einmal störend zu wirken, dass die meisten ???-Hörerinnen bzw. -Hörer zumindest ihre Lieblingsfolgen nahezu auswendig kennen. Es ist das Mitraten in Form einer entlanghangelnden Mitbewegung selber, die Vergnügen bereitet. Nicht die rational-logische Aufklärung als Information wirkt anziehend, sondern die schrittweise Verwandlung von Rätselhaftem in Rationales als eine Entwicklung, die man immer wieder aufs Neue durchleben kann.Im Hintergrund des Erlebens ist dabei stets eine gegenläufige Kraft wirksam, die auf den ersten Blick nicht offensichtlich ist. Neben dem im besten Sinne kindlich anmutenden Eintauchen in eine rätselhaft-vertraute Welt, das ein beinahe schon romantisch-verklärtes Licht auf das Erleben der Hörspielserie wirft, kommt immer wieder ein nüchterner, erwachsener Blick zum Vorschein, mit dessen Hilfe man sich von der Hörspielserie, aber auch von der eigenen Vorliebe für selbige zu distanzieren sucht.Schon der Umstand, als Erwachsener ein Kinderhörspiel zu hören, sorgt für ein Moment der peinlichen Berührtheit. Es ist einem unangenehm, mit dieser ‚Leidenschaft’ an die ‚Öffentlichkeit’ – und das kann schon der engere Freundeskreis sein – zu treten und genießt die Hörspiele daher lieber im Geheimen. Der ‚Hype’, der sich gerade in den letzten Jahren um die Serie gebildet hat, wirkt dabei geradezu als Entlastung, da man sieht, dass offenbar viele junge Erwachsene dieses eigentlich doch kindlich anmutende Hobby teilen. Trotzdem bleibt man vorsichtig und distanziert sich auch im Interview durchgehend von Details der Serie, die allzu kindlich erscheinen.
Diese Tendenz kann sich so zuspitzen, dass schon das Motto der Serie – ‚Kinder lösen Fälle für Erwachsene’ – streng rational beurteilt und so als völlig unrealistisch abqualifiziert wird. Es ist der bzw. die nüchterne, rational denkende Erwachsene in den Hörerinnen und Hörern, die oder der hier neben dem eigenen ‚inneren Kind’ steht – so wie man es vielleicht früher als Kind erlebt hat, dass die eigenen Vorlieben von den Eltern oder anderen Erwachsenen freundlich, aber nachsichtig belächelt wurden. Hörerinnen und Hörer der drei ??? sind nun – als junge Erwachsene – Erwachsene und Kind zugleich: Einerseits liebt man – als ‚großes Kind’ – diese kindliche Welt, in die man eintauchen und mitfiebern kann, wie drei jugendliche Detektive Kriminalfälle lösen, andererseits ist man erwachsen und fragt sich ernstlich, was man denn eigentlich noch daran findet und schämt sich gelegentlich sogar ein wenig für seine Vorliebe.Diese beiden hier beschriebenen Tendenzen des Erlebens stehen sich jedoch keineswegs so ‚unversöhnlich’ gegenüber, wie es vielleicht anmutet. Tritt der rationale, erwachsene Blick zunächst auch als Störung des Erlebens in Erscheinung, zeigt die nähere Betrachtung hingegen, dass sich gerade im Zusammenspiel beider Tendenzen überhaupt erst die Wirkung des Hörspiels entfaltet.Nur oberflächlich betrachtet geht es um ‚spannende Kriminalfälle’, die ja bekanntlich per se eine beliebte ‚Freizeitbeschäftigung’ darstellen. Oberflächlich betrachtet könnte man in der Tat sagen, hier gehe es um die Wirkung eines Krimis, wie man ihn auch im Fernsehen allenthalben sehen kann, aber eben ‚nur’ für Kinder. Tatsächlich zeigt sich jedoch, dass die eigene Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen bzw. der erreichte Entwicklungsstand das oben erwähnte Grundproblem ist, das im Erleben des Hörspiels ‚behandelt’ wird. Dies tritt auch in den Tätigkeiten hervor, die das ‚Drumherum’ des Hörens bilden: ‚kindliches’ Vor-dem-Kassettenrekorder-Sitzen versus ‚erwachsenes’ Bewältigen des Alltags (Spülen, Aufräumen et cetera) – die erwachsenen Hörerinnen und Hörer tun mal das eine, mal das andere, was entsprechend zu unterschiedlichen Formen des Erlebens führt: Eintauchen oder ‚Nebenbei-Hören’. Vor allem aber greift der typische Aufbau, der den Folgen in der Regel zugrunde liegt, das Grundproblem auf: In dem Muster ‚Kinder lösen Fälle für Erwachsene’ lassen sich beide Tendenzen unterbringen und in der oben beschriebenen Entwicklung vom Rätselhaften zum Rationalen einer Lösung zuführen – hier wird nicht nur der jeweilige Kriminalfall aufgelöst, sondern auch der Konflikt zwischen beiden Tendenzen. Die eigene Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen ist bekanntlich eine Entwicklung vom Erleben einer rätselhaften, spannenden, aber auch bedrohlichen Welt (alles ist zunächst unbekannt und alle anderen größer als man selbst) hin zu einer Welt, in der man einerseits zunehmend Überblick und Kontrolle gewinnt, in der aber auch viele Dinge zunehmend ihren geheimnisvollen Zauber verlieren. Im Mitraten bei den mysteriösen Fällen und dem schrittweisen Wandel von der anfänglichen Vertrautheit, dem Einbruch des Mysteriösen, der Steigerung zu unheimlichen Augenblicken, bis hin zu der stets sicheren Auflösung am Schluss kann man sozusagen noch einmal nachträglich ‚in Kurzform’ den Wandel in der eigenen Entwicklung durchleben. In dieser Verwandlung von Mysteriösem zu Vertrautem, von Rätselhaftem zu Rationalem, von Kindlichem zu Erwachsenem, das sich als Entwicklung über die ganze jeweilige Folge erstreckt, liegt offenbar das Anziehende des Hörspiels. Deswegen spielt es auch kaum eine Rolle, ob man die Auflösung schon kennt – wesentlich ist vielmehr die Gewissheit, dass es am Ende eine sichere, rationale Auflösung gibt.Die Hörspielserie bietet also einerseits ein Refugium, in dem man der erwachsenen Welt ein stückweit entfliehen und noch einmal ein bisschen ‚Kind’ sein kann, andererseits aber auch die Möglichkeit, in angenehmer Weise zu spüren, dass man die schwierige Entwicklung zum Erwachsenen ‚geschafft’ hat: Einerseits kann man mitfiebern, als ob man noch wirklich Angst hätte, andererseits kann man sich stets genüsslich sagen: ‚Ach ja, davor habe ich mich damals gegruselt.’
Es ist nur ein kurzer Rollenwechsel, der hier angestrebt wird, denn kaum ein Erwachsener will wohl ernstlich noch einmal ein Kind oder Jugendlicher mit allen Schwierigkeiten der Kindheit und Jugend sein, wie sicherlich auch kaum ein Kind ernstlich schon ein Erwachsener mit allen damit verbundenen Konsequenzen – insbesondere Pflichten – sein möchte. Beim Hören der Serie treten vielmehr der oder die Erwachsene und das Kind in den Hörerinnen und Hörern mit ihren gegensätzlichen Erlebens- und Sichtweisen in einen unterhaltsamen Dialog. So erlebt man einen ‚gemütlichen Schauer’, ein abgesichertes Risiko in einer rätselhaft-vertrauten Welt.
Anmerkungen
1 Quelle: www.natuerlichvoneuropa.de
2 zur morphologisch-psychologischen Wirkungsforschung siehe Salber 1995, 1989, zum Tiefeninterview siehe Herbert 1999
3 Doppelte Anführungszeichen kennzeichnen dabei Zitate aus den Interviews.
4 Die hier angeführten Beschreibungen beziehen sich inhaltlich auf die Folge Die drei ??? und das Gespensterschloss
Literatur
Bastian, Annette (2003). Das Erbe der Kassettenkinder. Brühl: EccomediaFitzek, Herbert (1999). Beschreibung und Interview. Entwicklungen von Selbstbeobachtung in der morphologischen Psychologie. Journal für Psychologie 7 (2), S. 19-26
Salber, Wilhelm (1989). Der Alltag ist nicht grau. Bonn: BouvierSalber, Wilhelm (1995). Wirkungsanalyse. Bonn: Bouvier
Schmidt-Gönner, Sarah (2006). Das Erleben der Hörspielserie „???“. Eine pädagogisch-psychologische qualitativ-empirische Untersuchung. Bonn: Unveröffentlichte Magisterarbeitwww.natuerlichvoneuropa.de [Zugriff: 10.12.2007]