Dorothee Klemm
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Dorothee Klemm: Wenn Träume fliegen lernen ...
Manch Kindertraum beginnt mit einem Vorbild auf der großen Kinoleinwand. Auch der kleine Carl Fredericksen schaut fasziniert die Wochenschau im Kino und folgt gebannt den abenteuerlichen Reisen des Forschers Charles Muntz (gesprochen von Karlheinz Böhm), der in den Regenwäldern Südamerikas nach einem Riesenvogel forscht. Das Publikum von OBEN wird mitgenommen, als Carls Lebenstraum geboren wird, es dem großen Abenteurer gleichzutun und einmal im Leben die gigantischen „Paradise Falls“ – Wasserfälle inmitten eines Bergplateaus – in Südamerika zu sehen. Was in den nächsten Minuten des Films folgt, ist ein kurzes, emotionsgeladenes Filmchen im Film. Im Zeitraffer folgt das Leben Carls vom kleinen, schüchternen Jungen bis zum betagten, grantelnden Rentner mit 78 Jahren. An seiner Seite von klein auf: Ellie – das freche Mädchen aus der Nachbarschaft, das denselben Forscher- und Abenteuerdrang wie Carl in sich trägt und mit ihrer taffen Art schnell das Herz von Carl und allen Kinobesucherinnen und -besuchern erobert. Sie lernen sich kennen und mit den Jahren lieben und der gemeinsame Lebenstraum, ein buntes Haus an den Paradise Falls zu haben, wächst in ihrer bescheidenen aber glücklichen Ehe. Ohne Dialoge kommen die farben-frohen, glückseligen und gefühlvollen Bilder vom Leben des alternden Ehepaars aus und können dennoch die Zuschauerinnen und Zuschauer in den wenigen Minuten schon so sehr fesseln, dass bereits kurz nach Filmstart eine heimliche Träne oder zumindest Gänsehaut bei Jung und Alt nicht verwunderlich wäre, wenn Ellie und Carl der zweite sehnlichste Wunsch der Fredericksens, Kinder zu bekommen, verwehrt bleibt oder Jahre später letztendlich Carl als 78-Jähriger alleine und deprimiert mit einem Luftballon in der Hand nach Krankheit und Tod von Ellie Abschied nehmen muss. Mit Ellies Leben verblasst nicht nur die Lebensfreude des Rentners, auch die Farben im Film nehmen kurzzeitig die tristen Töne seiner Seele an. Aus dem ehemals fröhlichen Luftballon-Verkäufer ist ein grummelnder, einsamer Witwer geworden, der sich vehement dagegen weigert, in ein Altersheim „abgeschoben“ zu werden, schließlich helfen ihm Treppenlift und Gehhilfe ja über die Gebrechlichkeiten des Alters hinweg – letztere wird sich im weiteren Verlauf des Films noch auf manche witzige Art und Weise als Lebensretter erweisen. Doch der gemeinsame Abenteuertraum lebt auch nach Ellies Tod im Witwer weiter. Das „Abenteuer-Buch“ von Ellie mit dem unerfüllten Versprechen, auf große Reise zu gehen, erinnert ihn stetig daran. Aber Versprechen sind dafür gemacht – das weiß auch jedes Kind, das mit seinen Eltern in den Kinosesseln den Grantler schon lieb gewonnen hat – gehalten zu werden. Deshalb packt Carl die Abenteuerlust und er nutzt die letzte Chance, vor der „Residenz für Alte“ zu fliehen und startet sein großes Projekt „Paradise Falls“: Mit Tausenden kunterbunten Luftballons am Kamin befestigt hebt Carl mitsamt seinem Haus ab und fliegt, die irritierten Pfleger und die Welt unter sich zurücklassend, fröhlich und befreit Richtung Südamerika. Im Gepäck nur seinen Hausrat, Ellie in seinem Herzen („Wir sind unterwegs, Ellie!“) und den sehnlichsten Wunsch, den gemeinsamen Lebenstraum zu verwirklichen. Doch mit der Vorfreude ist es schnell vorbei. Denn Russell, ein achtjähriger, pausbäckiger Pfadfinder, den Carl bereits auf Erden vergeblich versucht hat, abzuwimmeln, ist als blinder Passagier und selbsternannter Wildnis-Forscher mit an Bord. Die Abenteuer- und Entdeckerlust des quasselnden Scheidungskindes stößt beim grimmigen Alten schon schnell auf taube Ohren: Ist der Kleine ihm zu nervig, schaltet er einfach sein Hörgerät aus. Eine unterhaltsame und amüsante Reise kann beginnen... Die erste Bewährprobe für die Beiden lässt nicht lange auf sich warten und so gibt ein schweres Gewitter einen Vorgeschmack auf all die Gefahren und Probleme, die das ungleiche Duo noch gemeinsam durchstehen muss. Zumindest haben sie ihr Ziel, Paradise Falls, vor Augen, nachdem sie der Sturm unsanft auf dem nahe gelegenen Bergplateau absetzt. Doch das Berg-massiv muss erst mal überwunden werden – zu Fuß, das Haus im Schlepptau. Was da nur hilft, ist Zusammenhalt. Für den Rentner ist das nicht immer einfach, denn der tollpatschige Pfadfinder raubt ihm mit seinen Einfällen zusehends den letzten Nerv. Verstärkung im Geduldsspiel gegen Carl bekommt Russell vom kunterbunten Riesenvogel Kevin, der eigentlich ein Weibchen ist und Schokolade ebenso liebt wie Russell. Komplettiert wird das kuriose Trio noch durch den liebenswerten Golden Retriever Dug, der dank eines High-Tech-Halsbands sprechen kann (Dirk Bach). Russell schließt, im Gegensatz zu Carl, die beiden lustigen Tiere sofort in sein Herz, ohne zu wissen, dass dadurch, neben all dem kommenden Spaß so manche Gefahr für die Vier lauert. Ärger ist quasi vorprogrammiert: Mitten im Regenwald, umringt von einem Rudel mehr oder weniger böser Hunde, stößt das Quartett auf das Herrchen der sprechenden Meute, Carls Vorbild aus frühen Kindertagen, den skrupellosen Charles Muntz, der immer noch den Riesenvogel (Kevin) sucht und mittlerweile gar nicht mehr so freundlich ist, wie noch in Carls Kindheitserinnerungen. Es folgen spannende Szenen und witzige Aben-teuer im Regenwald, an denen die „ungewöhnlichste Zweckgemeinschaft des Dschungels“ immer wieder an ihre Grenzen gerät und die Erfüllung Carls Traums zeitweise in unerreichbare Ferne rückt. Harte Entscheidungen gegen eigentliche Pläne und festgefahrene Charakterzüge müssen getroffen werden. Der Held der kuriosen „Patchwork-Familie“ erkennt in stillen Momenten, dass die glückliche Ehe mit seiner Ellie mehr wert war als jede verpasste Abenteuerchance und erfährt dadurch mit jeder weiteren Herausforderung neue Lebenslust. „Man ist so alt, wie man sich fühlt“ könnte sein Motto lauten und so mutiert Carl im Showdown gegen Muntz schon fast wieder zum früheren Jungspund mit ungeahnten Kräften und später einem ungeahnt weichen Herz. Wer beim zehnten Film aus dem Hause Pixar und Walt Disney eine kitschige Disney Welt oder besser -Himmel erwartet, wird enttäuscht sein. Denn den Machern ist es gelungen, einen herrlich unterhaltsamen Familienfilm zu produzieren, der von Situationskomik, Abenteuerlust und Spannung gespickt ist, aber dennoch eine bewundernswerte Tiefe aufweist und Themen anschneidet, die bisher in Kinderfilmen eher tabuisiert wurden: Kinderlosigkeit, Tod, Trauer und Scheidung. Dies aber mit einer gekonnten Leichtigkeit, dass für Schwermut und Trübsal in den Zuschauerreihen kein Platz bleibt. Himmel und Erde, Trauer und Glück, Lachen und Weinen wechseln und erschaffen eine herzerwärmende, melancholische und bunte Geschichte über ein unterschiedliches Duo bzw. Quartett, das mit jeder Herausforderung stärker zusammenwächst. Der Film ist ein Plädoyer für wahre Freundschaften zwischen Generationen und zeigt außerdem, dass es sich lohnt, an eigenen Träumen solange festzuhalten, bis man irgendwann die Chance hat, ihnen doch noch Leben einzuhauchen – egal wie alt man ist. OBEN (Up)USA 2009, 96 MinutenRegie: Pete Docter, Bob PetersonDarsteller: Karlheinz Böhm (Charles Muntz), Dirk Bach (Dug), Fred Maire (Carl Fredricksen), Maximilian Belle (Russell)Produktion: Pixar Animation Studios/Walt Disney PictuesVerleih: Walt Disney Studios
Dorothee Klemm: HOME
Rauchende Vulkane, glitzernde Eisberge in tiefblauem Polarmeer, türkisfarbene Korallenriffe, goldgelbe Felder und sattgrüne Wiesen, wandernde Tierfamilien und gigantische Wasserfälle – beeindruckende Bilder circa 90 Minuten lang aneinander gereiht, untermalt von rührseliger Musik. Der Flug über die Erde im Dokumentarfilm HOME zeigt Mutter Natur in ihrer ganzen Vielfalt und Einzigartigkeit, in einem Gleichgewicht, in dem sie sich vier Milliarden Jahre befunden hat – bevor der Mensch auf die Erde kam. Die Aufnahmen sind durchwegs aus der Vogelperspektive gefilmt, das Charakteristikum des eigentlichen Fotografen Yann Arthus-Bertrand, um die Schönheit unseres ‚Zuhauses’ noch bewusster hervorzuheben. Im Kontrast zu den ergreifenden Naturbildern stehen Aufnahmen, die die Verletzlichkeit des Planeten offenbaren, so wie ihn der Homo Sapiens, der „weise, vernunftbehaftete“ Mensch in den letzten 200.000 Jahren seines Daseins verändert und aus der Balance gebracht hat: brennende Wälder, smogverhangene Megacitys, verstopfte Straßen, überdimensionale Müllberge, Erdölraffinerien, schmelzende Eisberge. Jedoch mitunter aus der Luft so in Szene gesetzt, dass sich manch schillerndes Farbenspiel erst bei längerem Hinsehen und gezoomt als abstoßender Ölfilm oder anderweitige Umweltverschmutzung entpuppt. Erschreckend-schön ...
Kalt lässt es wohl auch niemanden, wenn man hinter den dunklen Schwaden einer Luftaufnahme nach ein paar Sekunden Hungernde erkennt, die in dampfenden Mülldeponien Essbares oder anderes Verwertbares suchen. Arthus-Bertrand spielt fast 80 Minuten lang mit diesen Gegensätzen. Die bestechende Schönheit und die Zerbrechlichkeit unseres Planeten auf der einen Seite und andererseits das, was der Mensch seinem Zuhause durch sein unüberlegtes Handeln, seiner Gier nach Luxus und Wohlstand bisher angetan hat. Der Fotograf lässt atemberaubende Bilder in seinem Flug über die Erde sprechen, um das Publikum in seinen Bann zu ziehen und aufzurütteln. Des Öfteren mag man fast an der Echtheit der Aufnahmen zweifeln, so unnatürlich schön sind sie. Doch manchmal wäre es sicherlich besser gewesen, die Aufnahmen kommentarlos für sich stehen und wirken zu lassen. Aber dies ist den Zuschauerinnen und Zuschauern nicht vergönnt. Der eindringliche Tonfall der englischen Kommentatorin (Glenn Close) in der Internetfassung mit dem Tenor, der ach so weise Homo Sapiens sei durch seine unvernünftige Lebensweise schuld an der ganzen Misere, erzeugt auf Dauer bei manchen Beobachterinnen und Beobachtern vermutlich den Eindruck einer 90-minütigen Moralpredigt.
In der deutschen Fernsehfassung ist dies besser gelungen, da der Sprecher in einem weniger emotional überladenen Ton – wie es für Dokumentarfilme üblich ist – die Reise über 53 Länder der Erde neutraler kommentiert. Schuldbewusstsein ruft dennoch auch die deutsche Fassung hervor. Zusammen mit der bewusst eingesetzten schwülstigen Musik ergibt sich aber in beiden Versionen vor allem gegen Ende des Films ein starkes Abgleiten in die Pathetik, wenn beispielsweise zu den Klängen Vivaldis „Cum Dederit“ (Psalm 126) in weißen Lettern auf schwarzem Hintergrund die Fakten des momentanen Zustands der Erde aufgelistet werden. Mit erhobenem Zeigefinger wird dem Publikum immer wieder vor Augen geführt, dass es als Verursacher der Misere nur noch zehn Jahre Zeit hat, die von ihm angestiftete Apokalypse zu verhindern. Doch konstruktive Vorschläge, wie fortschreitender Klimawandel und Umweltzerstörung aufzuhalten sind, fehlen bis zu diesem Zeitpunkt des Films völlig. Der Mensch wird aufgefordert, sich zu ändern, aber wie er dies tun soll, bleibt ihm vorenthalten. Seinen theatralischen Höhepunkt erreicht der Film in den letzten zehn Minuten, wenn der Kommentator in die Rolle des Fotografen schlüpft. Er berichtet von Flüchtlingslagern und Mauern, die er gesehen hat, von der größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich. Aber noch gäbe es Hoffnung, das Schicksal abzuwenden, denn jeder Mensch könne einen Beitrag leisten. Der filmprägende Satz, „Es ist zu spät, um Pessimist zu sein!“ wird besonders in dem Teil des Filmes ermüdend oft erwähnt, in dem Arthus-Bertrand verheißungsvolle Maßnahmen aufzeigt, die Mensch und Natur in Einklang bringen sollen. Hier finden sich auch erstmals positive Beispiele: Die Verwendung erneuerbarer Energien, Nationalparks, Windräder, Seeschlangen und Solaranlagen geben ihm Anlass zur Hoffnung, zumindest in kleinen Schritten dem Untergang der Welt entgegenzutreten. „Wichtig ist nicht, was verloren ist, sondern was bleibt!“ Und so legt er das Schicksal der Zuschauerinnen und Zuschauer in deren eigene Hände und fordert sie auf, nicht länger tatenlos zuzusehen. Denn „wir schreiben die Fortsetzung unserer Geschichte – gemeinsam.“ So anmutig, ergreifend und beeindruckend die Bilder in der Dokumentation von Yann Arthus-Bertrand auch sind und so bedeutend die Thematik Umweltschutz ist, etwas weniger Pathos und gehobene Zeigefinger-Mentalität hätten dem Appell des Films „Rettet die Umwelt!“ und dessen Erfolg wohl keinen Abbruch getan. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, Home anzusehen. Schon alleine wegen der atemberaubenden Bilder, egal ob zu Hause im Fernsehen, im Internet oder im Kino, wo sie vermutlich am besten zur Geltung kommen.
Doch nicht nur für den privaten Gebrauch, gerade auch aus schulischer Sichtweise, zum Beispiel in den Fächern Erdkunde, Biologie oder Ethik, kann der Film – eventuell aufgrund der Länge gekürzt – einen wertvollen Beitrag zum Verantwortungsbewusstsein von Schülerinnen und Schülern gegenüber unserem Planeten leisten. Der Dokumentarfilm Home will aufrütteln, und zwar alle Menschen, egal ob alt oder jung. „Jeder Einzelne muss an dieser gemeinsamen Anstrengung teilnehmen; und um so viele Leute wie möglich darauf aufmerksam zu machen, habe ich den Film HOME gedreht.“, begründet Arthus-Bertrand den Film. Um dies zu erreichen ging er zusammen mit dem Regisseur Luc Besson (Das fünfte Element) einen Weg, der in der Mediengeschichte bisher einmalig ist. Der Film sollte in fast allen Medien weltweit zur gleichen Zeit erscheinen. Neben der normalen Ausstrahlung in einzelnen Kinos fand die Weltpremiere online auf dem Videoportal YouTube statt. Pünktlich um 0 Uhr am 05. Juni 2009, dem Welt-Umwelttag – ein passenderes Datum hätte man für die Veröffentlichung wohl nicht finden können – hatte „die Welt ein Date mit dem Planeten“: Da stand der Film in voller Länge für Millionen von Zuschauerinnen und Zuschauern in mehreren Sprachen, leider nur als Untertitel, zur Verfügung. Dieses Novum in der Filmgeschichte wurde nochmals dadurch verstärkt, dass am selben Tag zusätzlich die DVD erschien, eine eigene Internetpräsenz startete (www.home-2009.com), einige Fernsehsender den Dokumentarfilm in ihr Programm aufnahmen und in größeren Städten Public Viewing-Veranstaltungen Publikumsmassen anlockten. Hoffen wir, dass Arthus-Betrand mit seinen einzigartigen Bildern die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht zu sehr verzaubert, sondern wirklich aufrüttelt. Denn wie wir spätestens nach dem Film wissen, es ist zu spät, um Pessimist zu sein!
Home Frankreich 2009, ca. 90 Minuten (Internet-, DVD-, TV-Fassung)
Regie: Luc Besson, Yann Arthus-Bertrand
Verleih: Universal Pictures Germany
Dorothee Klemm: Lagerfeuerromantik und Bauhausgezanke von Mitte bis Ende August
Ein Sommermorgen in der Großstadt. Thomas (Milan Peschel) wacht auf, dreht die Anlage auf und tanzt ausgelassen durch die Wohnung, während seine Freundin Hanna (Marie Bäumer) wohl eher zum Typ ‚Morgenmuffel‘ gehört und ihm stumm, aber liebevoll die Zahnbürste reicht. Kleine Gesten und Rituale, die die Liebe und Zärtlichkeit des glücklichen Pärchens wortlos aber deutlich zeigen. Ihr Glück scheint perfekt: Mitte Ende August scheint die Geschichte zweier junger Menschen, die sich trotz oder wegen ihrer Gegensätze lieben und deren Romantik nichts stören kann. Um der sommerlichen Großstadthitze zu entfliehen und das gemeinsame Glück noch zu steigern und ungestört zu genießen, kaufen die Mittdreißiger ein Landhaus in aller Abgeschiedenheit. Das Haus stellt sich als heruntergekommen und renovierungsbedürftig heraus. Doch Hanna und Thomas freuen sich auf die Aufgabe, auch wenn sie bald feststellen müssen, dass neben Lagerfeuerromantik, Harmonie im Kerzenschein und Federball spielen in der Natur ihre Fähigkeiten in Sachen Renovierung stark begrenzt sind. Manch ein Besuch im kilometerweit entfernten Baumarkt stellt auch eine Bewährungsprobe für die Beziehung dar. Die anfänglich nur zu erahnenden Gegensätze formieren sich in mancher Baumarkt-Szene zu deutlichen Meinungsverschiedenheiten, in denen Hanna meist schweigend nachgibt („Schön, dass du (!) glücklich bist!“). So auch bei Thomas‘ Vorhaben, eine tragende Wand einzureißen, ohne sich über mögliche Konsequenzen Gedanken zu machen. Mit einem Vorschlaghammer macht er sich an die Arbeit, die Wand – und damit vielleicht auch seine Beziehung – zum Einsturz zu bringen. Die Zweisamkeit der Verliebten wird immens gestört, als Friedrich (André Hennicke), Thomas‘ älterer Bruder telefonisch um Asyl bittet und Thomas ihn ohne zu zögern einlädt, nachdem dieser von Frau, Kind und Architektenjob verlassen wurde. Nach einer handfesten Diskussion – schließlich hatte sich das Paar einsame Tage versprochen – besinnt sich die wütende Hanna jedoch auf das architektonische Können ihres Schwagers und lässt sich umstimmen, nicht ohne dann selbst für einen weiteren Gast zu sorgen.
Sie lädt ihre junge, quirlige Patentochter Augustine (Anna Brüggemann) ein, die mittlerweile doch schon sehr erwachsen ist. So wird aus der trauten Zweisamkeit erst ein Trio, dann ein Quartett voller Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Die ersten Tage laufen harmonisch: Man lacht viel, scherzt, schwimmt im See, genießt die Abende weinselig im Kerzenschein und kocht gemeinsam. Auch die Renovierungsarbeiten gehen durch Friedrichs Pläne gut voran und es scheint möglich, das Haus an Hannas nahendem Geburtstag gebührend zu feiern. Trotz der Harmonie und Ausgelassenheit entgeht es aber wohl niemandem, dass sich die Beziehungen verschieben. So finden sich immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen Augustine und Thomas, der bei ihr endlich das Kind im Manne herauslassen und seiner Liebe zu McDonald’s nachgehen kann und wie ein Teenager, an manchen Stellen fast schon peinlich, um die Gunst der jungen, scheinbar Unschuldigen buhlt. Die reife Hanna dagegen fühlt sich bei Friedrich aufgehoben, der mit seiner ruhigen und ernsten Art ihren nachdenklichen und erwachsenen Zügen entspricht. Und so kommt es, wie es kommen muss und wie es wohl alle Kinobesucherinnen und -besucher schon geahnt haben. Die Spannungen zwischen Hanna und Thomas werden größer, man sucht die Nähe der anderen und flieht zu ihnen – zunächst in Gedanken, später im Rausch der Gefühle und Joints auch in Wirklichkeit. Es kommt zum Eklat und letztendlich stehen Thomas und Hanna wieder alleine vor ihrem Haus. Das Haus renoviert – ihre Beziehung in Trümmern. Doch vielleicht müssten auch sie in ihrer Beziehung nur wieder eingerissene Wände neu aufbauen?
Wer sich bei der einstigen Idylle auf dem Lande, der Viererkonstellation, den Renovierungsarbeiten und dem Beziehungswirrwarr von Mitte Ende August an Goethes Werk Die Wahlverwandtschaften erinnert, hat im Deutschunterricht gut aufgepasst. Denn der Regisseur des F ilmes, Sebastian Schipper, hat sich den Klassiker als Grundmauer seines Filmes hergenommen, um darauf seine eigene, leichte und lockere Adaption aufzubauen. Schippers Film, der am 30. Juli in die Kinos kommt, wirkt weniger durch gesprochene Worte, denn gerade die langen Dialoge wirken oft gestelzt und sperrig. Was den Film ausmacht, sind die kleinen Gesten und Mimiken der Darstellerinnen und Darsteller, Momentaufnahmen von Natur und Protagonisten. Man erfährt nicht viel über sie und kann manch unverständliches Verhalten nur aus bedeutungsvollen Blicken erklären. Auch die eigens für den Film komponierten Gitarrenklänge des US-amerikanischen Sängers und Komponisten Vic Chesnutt tragen einiges dazu bei, den schwelenden Konf likt zwischen den Akteuren ohne große Worte eindringlich anzukündigen. Wer sich ein tiefgehendes Drama von Mitte Ende August erwartet und hofft, pedantische Vergleiche zwischen dem Film und Goethes Wahlverwandtschaften ziehen zu können, wird wohl enttäuscht werden. Doch wer sich von der Einmannshow Peschels mitreißen lässt und sich einlässt auf ein leichtes Sommerdrama, das in den kleinen und stillen Momenten überzeugt, der wird sich in mancher Baumarktszene wiedererkennen, leise schmunzeln und bestätigen, dass es ganz schön kompliziert ist, eine Beziehung am Leben zu erhalten.
Mitte Ende August
Deutschland, 2009, 93 Minuten
Regie: Sebastian SchipperDarsteller: Marie Bäumer, Milan Peschel, Anna Brüggemann, André Hennicke, Gert Voss, Agnese Zeltina
Produktion: Film 1 GmbH + Co. Berlin
Dorothee Klemm: Wie Webman die Internetwelt Jugendlicher retten will
Die Sicherheit persönlicher Daten im Netz wird großgeschrieben. Vor allem wenn es um die Privatsphäre von Kindern und Jugendlichengeht, ist das Bemühen von Seiten des Jugendschutzesenorm. So hat jetzt eine neue Kampagne ihr Portal für mehr Sicherheit im Netz ins Leben gerufen. Initiiert vom Projekt Jugend online der Fachstelle für internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e. V. (IJAB) will die Plattform watchyourweb.de Jugendlichen die Gefahren und Risiken des Surfens im Web vermitteln.
Mithilfe kleiner Videoclips, den Protagonisten Webman und Data Devil (der ‚Superman’ des Webs kämpft gegen den bösen Datenteufel), Web-Tests, Tipps für mehr Sicherheit im Netz und verschiedenen Aktionen wird den Jugendlichen ein kompetenter Umgang mit Daten im Netz auf interaktive Weise ans Herz gelegt. Gefördert wird die Kampagne vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaftund Verbraucherschutz (BMELV) und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauenund Jugend (BMFSFJ). Die Liste der Partner ist lang. Darunter sind einschlägige Anbieter vonSozialen Netzwerken wie SchülerVZ zu finden sowie namhafte Vertreter des Jugendschutzes im Medienbereich (BPjM, FSM, klicksafe, jugendschutz.net).
Die Kampagne hat sich zum Ziel gesetzt, ihre vier wichtigsten Botschaften für einen sicheren Umgang mit Daten im Internet auf multimediale Weise zu verbreiten. Die Mottos „Das Internet vergisst nichts!“, „Was einmal im Internet steht, kann sich schnell verbreiten!“, „Virtuellesist real.“ und „Im Internet istman nicht immer ungestört.“ werden in verschiedenen Rubriken vermittelt. So gliedert sich das Portal in die fünf Bereiche „Über uns“, „Video-Clips“, „Web-Test“, „Aktionen“ und „Hilfe!“ Die wichtigste Rubrik ist wohl die der Videos. Die Macher selbst bezeichnen die drei Kampagnenfilme als „Herzstücke der Kampagne“. In den kurzen Clips werdendie Gefahren des Chattens und der Entblößung in sozialen Netzwerken aus dem alltäglichen Leben Jugendlicher aufgezeigt. Am Ende jedes Clips erscheinen die Comicfiguren Data Devil und Webman und arbeiten die jeweiligen Inhalte und Risiken nochmals kurz auf. Ob die animierten Zeichnungen bei der Zielgruppe Jugendliche so gut ankommen, bleibt abzuwarten. Sie wärenvermutlich auf einer Plattform für Kinder besser aufgehoben. Neben den drei F ilmen, die man übrigens in die eigene Homepage oder in einen Blog einbinden kann, gibt es die Möglichkeit, einen weiteren Film „Klasse“ (über die schnelle Verbreitung von Daten) auch an Freunde zu verschicken und mit einer persönlichen Nachrichtzu versehen. In der Rubrik „Web-Test – Welcher Webtyp bist du?“ können die Userinnen und User mithilfe von zehn mehr oder weniger sinnvollen Fragen rund um die Datensicherheit testen, ob sie ein „Web-Profi“ oder doch eher ein „Web-Kamikaze“ sind. „Wann hättest du Webman gebraucht?“ Diese Frage beantworten die Benutzerinnen und Benutzer im „Aktionen“-Bereich.
Sie gestalten aktiv Webman’s Pinnwand und berichten dort über ihre erlebten negativen Erfahrungen im Netz. Konkrete Tipps und Tricksrund um den Schutz von persönlichen Daten erhalten die Teenager im Bereich „Hilfe!“ In den jeweiligen Tutorials der Partner-Netzwerke erklären unter anderem Screenshots auf verständliche Weise, wie in den unterschiedlichen Communitys mit ein paar einfachen Klicks diePrivatsphäre der jungen Nutzerinnen und Nutzergesichert werden kann. Außerdem gibt es eine Linkliste mit nützlichen Hinweisen auf Seiten im Internet zum Thema sicheres Surfen im Netz – allerdings auch hier wiederum nur auf Partnerhomepages. Alles in allem bietet die neue Plattform watch your web für Jugendliche viele interaktive Möglichkeiten, sich mit den Gefahren des Internetsauf spannende Weise auseinanderzusetzen. Zufinden ist die Plattform unter www.watchyourweb.de.