Judith Königer
Beiträge in merz
Judith Königer: "Allen Gewalten zum Trotz"
Leisner, Barbara (2010). Sophie Scholl und der Widerstand der Weißen Rose. Lebendige Biographien. Hörbuch. Arena. 12,95 €„Warum gerade Sophie?“ fragt der Erzähler zu Beginn des Hörbuchs von Barbara Leisner Sophie Scholl und der Widerstand der Weißen Rose. Schon diese Eröffnungsfrage lässt Sophie Scholl wie eine Bekannte, eine Vertraute erscheinen – von Anfang an wird die Nähe aufgebaut, die das Hörbuch herstellen möchte. Wer war Sophie Scholl und warum wurde sie so berühmt? Die Hörerinnen und Hörer kennen den Namen von Straßen, Schulen und Plätzen, womöglich sogar von Büchern und Filmen. Vielleicht finden die Geschwister Scholl einmal Erwähnung im Geschichtsunterricht. Barbara Leisners Hörbuch möchte nicht unterrichten oder belehren oder gar erziehen. Es möchte von einem Mädchen erzählen, das eine fröhliche und gut behütete Kindheit verleben durfte, das sein Land liebte und sich dafür einsetzte. Das im Alter von 22 Jahren von seinem Land hingerichtet wurde. Einfühlsam und unpathetisch lesen Katja Amberger und Christoph Jablonka die Geschichte der jungen Frau und zeichnen parallel dazu die politische Geschichte Deutschlands in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nach, von der Weimarer Republik, über die Machtergreifung Hitlers bis hin zum Zweiten Weltkrieg, ohne mit zu vielen Hintergrundinformationen zu überfrachten.
An der Familie Scholl wird gezeigt, was es bedeutete, in den 1930er Jahren zu leben, sich mitreißen zu lassen vom durch Hitler ausgelösten Wechsel von Katastrophen- in Aufbruchsstimmung, vom Gemeinschaftsgefühl in Jugendorganisationen wie der HJ und von einem Nationalgefühl, das nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Börsencrash von 1929 das Volk elektrisierte. Und was es bedeutete, die Schattenseiten zu erkennen, mit wachsender Skepsis die Situation der Juden zu beobachten, die Härte der abzuleistenden Reichsarbeits- und Kriegshilfsdienste sowie das Verbot zu erleben, die Bücher zu lesen und Lieder zu singen, die man mochte und somit die von den Nationalsozialisten propagierte Freiheit in Frage zu stellen. Sophie Scholl, die zusammen mit ihrem Bruder in verschiedenen Jugendbünden ihr Führungspotenzial unter Beweis gestellt hatte, öffneten sich die Augen über ein Regime, dem sie sich beugen musste, wollte sie zum Beispiel auf eine höhere Schule gehen. Die Familie spürte am eigenen Leib, wie die Nazis mit ihren Gegnern umgingen und rückte in ihrer Desillusionierung und Abscheu vor den Gräueltaten eng zusammen. „Allen Gewalten zum Trotz“ war der Leitspruch des Vaters, ein Zitat aus dem Goethegedicht "Feiger Gedanken“ und für Sophie sollte das zum Lebensmotto werden. Robert Scholl, ein Pazifist, scherte sich nicht um das Verbot fremde Radiosender zu hören und wurde wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz verhaftet. Sophie zog mit der Flöte vors Gefängnis und spielte für ihren Vater das Lied Die Gedanken sind frei. Doch dem Mädchen reichte dieses Zeichen, dieses bisschen Widerstand nicht. In ihr keimten Schuldgefühle, da sie nichts gegen Hitler tat, da sie selbst zu denen gehörte, die das Regime aufbauen geholfen hatten. Immer wieder wird in Momentaufnahmen der Lebensalltag der Familie dargestellt, werden Briefe zitiert, die Sophie an ihre Liebe Fritz Hartnagel schrieb. Die Hörerinnen und Hörer nehmen die Gedanken einer jungen Frau um Familie, Freundschaft und Liebe wahr, die ihre eigenen sein könnten. Und werden gleichzeitig mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die fremder nicht sein könnte: Nürnberger Gesetze, Reichskristallnacht und Deportation. Als Sophie 1942 schließlich zum studieren nach München ging, fand sie mit ihrem Bruder Hans und seinen Freunden einen Weg, zwischen Ostfront, Fabrikarbeit und Studium Widerstand zu leisten. Fritz Hartnagel erfuhr in einem Brief, dass Sophie auf der Suche nach einem Vervielfältigungsapparat war und stellte ihr die prophetische Frage: „Weißt du denn nicht, dass dich das den Kopf kosten kann?“ Und Sophie antwortete: „Darüber bin ich mir im Klaren.“
Wo der Ton der ersten Flugblätter zunächst noch in gehobener Sprache und gespickt von Zitaten die Weitsicht und den Mut der Widerständler deutlich machte, wurde er später härter und deutlicher: „Hitler kann den Krieg nicht gewinnen, nur verlängern.“ 330.000 deutsche Soldaten hat Hitler in den Krieg und in den Tod geführt. Sie starben für ihr Land. Für ihr Land starben auch die, die das Regime hinrichten ließ, darunter Mitglieder anderer Jugendgruppen und Untergrundverbände wie die Weiße Rose. Als es beim 470. Jubiläum der Universität zu Unruhen und Zusammenschlüssen der Studierenden kam, nahmen die Geschwister Scholl die Stimmung zum Anlass, ihre Flugblätter nicht nur in Städten und auf dem Postweg zu versenden, sondern die Ansichten und Appelle der Weißen Rose auch in die Uni zu tragen. Am 18. Februar 1943 verteilten sie nicht nur das sechste Flugblatt „Kommilitoninnen! Kommilitonen!“, sondern Sophie stieß auch einen Stapel in den Lichthof – mit fatalen Folgen. Der Hausmeister sah die fliegenden Blätter und die Geschwister wurden verhaftet. Sophie Scholl war sich immer über die möglichen Folgen ihres Handelns im Klaren. Mutig und mit hoch erhobenem Haupt nahm sie die Konsequenzen in Kauf, versuchte ihre Freunde zu schützen und strahlte den Sieg aus, den sie errungen hatte: Ihr Tod würde Wellen schlagen. Sie hätte ein milderes Urteil bekommen können. Die Rezipientinnen und Rezipienten des Erzählten hören und sehen das Unvermeidliche kommen, mit trockenem Mund und klopfendem Herzen, berührt und erschüttert vom Mut und Willen dieser jungen Frau. Am Ende des Hörbuchs weiß man ein bisschen besser, wer die Geschwister Scholl waren. Warum sie auch international zum Sinnbild des Widerstandes gegen das NS-Regime wurden. Warum es so wichtig ist, sie nie zu vergessen, weil man nie vergessen darf, warum sie gegen Hitler gekämpft haben.
Allen Gewalten zum Trotz. Dem im Mai 2010 beim Arena Verlag erschienenen Hörbuch für 12,95 Euro liegt ein Booklet bei, in dessen Glossar Zuhörerinnen und Zuhörer Begriffserklärungen finden, zum Beispiel zu „Nürnberger Gesetze“ oder „Gestapo“. So wird ein erster Anhaltspunkt für das Publikum ab elf Jahren geschaffen, sich über das Gehörte hinaus zu informieren und womöglich das Interesse geweckt, ein wenig darüber hinaus zu gehen. Barbara Leisner bringt ihren jungen (oder auch älteren) Hörerinnen und Hörern in der etwa zweistündigen Erzählung ein wichtiges Stück deutscher Geschichte näher, ohne sie durch grausame Details, die auch zum Holocaust gehören, zu verstören. Anhand eines bemerkenswerten Einzelschicksals wird feinfühlig ein Bewusstsein dafür geschaffen, was Nationalsozialismus einmal bedeutet hat. Auf den belehrend erhobenen Zeigefinger wird verzichtet, dem Publikum bleibt selbst überlassen, eigene Schlüsse für die eigene Zeit und ihre Defizite zu ziehen und sich zu fragen, ob die eigenen Gedanken tatsächlich frei sind.
Hauptrolle: <I>Facebook</I>
„Eine Million Dollar ist nicht cool. Weißt du, was cool ist? Eine Milliarde!“ sagt Sean Parker im Film „The Social Network“ zu Mark Zuckerberg, dem Erfinder von Facebook. Diese Coolness hat Zuckerberg inzwischen mehrfach kassiert und nun scheint seine Website ebenfalls diese Marke anzustreben: Inzwischen verzeichnet Facebook mehr als eine halbe Milliarde Mitglieder. Eine Erfolgsgeschichte, die man schon mal erzählen kann, dachte sich Regisseur David Fincher und so lief am 07. Oktober 2010 in Deutschland der Film über nicht irgendeines der vielen sozialen Netzwerke an, sondern über „The Social Network“ Facebook. Filmbiografien (im Amerikanischen auch Biopic genannt) sind ein sehr beliebtes Genre, in dem meistens der Lebensabschnitt einer berühmten Persönlichkeit (ob aus Kunst, Politik oder Forschung) dargestellt wird, in dem sie ihren größten Erfolg erlebt. Vorwiegend sind die biografierten Personen schon tot, schließlich will ein Leben ein wenig gelebt sein, bevor davon erzählt werden kann. Insofern ist es schon bemerkenswert, dass der biografierte Mark Zuckerberg noch nicht einmal 30 Jahre alt ist. Stärker als eine literarische Biografie muss ein Biopic auch immer dem Unterhaltungsanspruch des Publikums gerecht werden, sonst bleibt das Klingeln an der Kinokasse aus. Das abgeschnittene Ohr eines Vincent Van Gogh, die schwierige Kindheit eines Michael Jackson, das tragische Ende einer Romy Schneider oder die unfassbare Schaffenskraft eines Wolfgang Amadeus Mozart sind Biographeme, die Rezipientinnen und Rezipienten anziehen, die den Mythos stiften. Facebook ist zwar kein Mythos, aber ein Phänomen, wie es derzeit kaum ein aktuelleres gibt. Fincher will Zuckerberg, dem jüngsten Milliardär der Welt, weder ein Denkmal setzen, wie es viele Biopics tun, noch Propaganda betreiben (wobei ein gewisser Publicityeffekt natürlich nicht ausbleibt). Was also will „The Social Network“?
Der Film erzählt seine Geschichte in zwei parallelen Handlungssträngen. Den Rahmen bilden zwei disziplinarische Anhörungen, in denen sich Mark Zuckerberg frech und kaltschnäuzig rechtfertigt, und in Rückblenden wird geschildert, wie er im Jahr 2003 die Idee zu Facebook hatte und wie es zu diesem ungeheuren Erfolg der Website kommen konnte. Der Film, der das Klischee des Badelatschen tragenden, sozial völlig inkompetenten Computerfreaks voll und ganz ausschöpft, unterstellt Zuckerberg, dass Rache an seiner Ex-Freundin die ursprüngliche Motivation war, ein soziales Netzwerk zu schaffen, in dem sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer austauschen können. Darüber hinaus lässt der Film die Frage offen, ob Zuckerberg die Idee zu Facebook geklaut hat und zwar von den Winklevosszwillingen Cameron und Tyler und Divya Narendra. Doch Mark Zuckerberg hat nicht nur keinen Erfolg bei Frauen (außer er kann sie mit seinem Ruhm anziehen) und haut seine Mitmenschen übers Ohr, er drängt auch, auf Betreiben des „bad guy“ Sean Parker, den Mitbegründer Eduardo Saverin aus dem Unternehmen und verliert so im Zuge des Durchbruchs von Facebook seinen einzigen und besten Freund. Im Gegensatz zu Zuckerberg ist Saverin Sympathieträger, deshalb empfinden die Zuschauerinnern und Zuschauer kaum Mitleid mit dem Protagonisten und folglich auch keinen Neid auf seinen Erfolg. Denn während Facebook einen durchschlagenden Erfolg erlebt, scheitert der Mensch Mark Zuckerberg. Insofern ist „The Social Network“ die Erfolgsgeschichte einer Website, aber nicht die ihres Erfinders. Facebook erscheint so als der zweite (und eigentliche?) Protagonist des handlungsarmen Films, der, wenn überhaupt, vor allem von seinen Dialogen lebt. Da wirkt es auch ein wenig bemüht, dass große Namen als Zugpferde auftreten: neben Sean Parker, dem Erfinder der Musiktauschbörse Napster, taucht Bill Gates in einem kurzen Gastauftritt auf, einer der reichsten und berühmtesten Männer der Welt, über den es aber noch kein eigenes Biopic gibt. Womöglich verlaufen seine Lebens- und die Erfolgsgeschichte von Microsoft einfach zu glatt? So bleibt ihm nur eine winzige Nebenrolle in einer (Computer-)Welt, in der er eigentlich eine Hauptrolle spielt und zu Marc Zuckerbergs Erfolg wird eine aussagekräftige Analogie geschaffen.
Die in Deutschland derzeit viel diskutierten Themen um die Fragen nach Datenklau und Privatsphäre in sozialen Netzwerken finden in „The Social Network“ nur marginalen Anklang und schon gar keinen kritischen Umgang. Wenn überhaupt, dann kann man dem Film die Moral unterschieben, dass Geld alleine nicht glücklich macht. Am Ende sitzt der furchtbar reiche und gleichzeitig furchtbar einsame Mark Zuckerberg vor seinem Bildschirm und hofft auf Antwort seiner Ex-Freundin Erica, die seine Freundschaftsanfrage über Facebook beharrlich ignoriert. Was auch immer den „Nerd“ Zuckerberg interessiert und antreibt, Geld ist es nicht. Doch am Ende bleibt ihm nichts anderes, als unfassbar viel Geld.Ob „The Social Network“ einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt, ist fraglich, schließlich spiegelt sich in diesem Film auch die Schnelllebigkeit des Mediums wider, von dem er erzählt. David Fincher geht es um ein Phänomen unserer Zeit, ein Erfolg an den Kinokassen scheint garantiert. Auf die Zuschauerzahl darf man gespannt sein, schließlich werden sich nicht nur Facebook-Mitglieder die (vermeintliche) Entstehungsgeschichte ihrer Plattform ansehen wollen. Sowohl die Einspielergebnisse als auch die Zuschauerzahl betreffend ist die Marke eine Million keine Frage. Aber eine Milliarde ist ja bekanntlich ohnehin viel cooler.