Danny Kringiel
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Danny Kringiel: Computerspiele ‚lesen’ lernen
Die öffentliche Debatte um digitale Spiele ist geprägt von Befürchtungen bezüglich schädlicher Erziehungseinflüsse auf Heranwachsende. Doch die daraus hervorgegangenen Verbote greifen zu kurz. Im Rahmen der hier vorgestellten Dissertation wurde ein Instrumentarium erarbeitet, das Kindern und Jugendlichen helfen soll, einen kritisch-hinterfragenden Blick auf die Darstellungsmittel von Computerspielen zu entwickeln und zu durchschauen, wie diese Spiele bei ihnen bestimmte Erlebnisse anstoßen.LiteraturBaacke, Dieter (2004). Medienkompetenz als zentrales Operationsfeld von Projekten. In: Bergmann, Susanne/Lauffer, Jürgen/Mikos, Lothar/Thiele, Günther/Wiedemann, Dieter (Hrsg.), Medienkompetenz. Modelle und Projekte. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.Gunzenhäuser, Randi (2002). Raum, Zeit und Körper in Actionspielen. Max Payne. Online verfügbar unter: www.brown.edu/Research/dichtung-digital/2002/03-22-Gunzenhaeuser.htm [Zugriff: 01.02.2008].Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2008). JIM 2008. Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Online verfügbar unter: www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf08/JIM-Studie_2008.pdf [Zugriff: 01.02.2008].Salen, Katie/Zimmerman, Eric (2004). Rules of Play. Game Design Fundamentals. London: MIT Press.
Danny Kringiel: How to Read a Game
Jugendmedienschutz im Bereich digitaler Spiele stützt sich in Deutschland wesentlich auf zwei Institutionen: Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert als jugendgefährdend eingestufte Medien und verhängt damit ein Werbe- sowie ein Abgabeverbot an nicht Volljährige, während die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) Altersfreigaben für Games vergibt. Seit der Einführung des neuen Jugendmedienschutzgesetzes am 1. April 2003 gelten die einstigen Altersempfehlungen der USK verbindlich. Lehnt sie eine Kennzeichnung ab, kann ein Indizierungsverfahren durch die BPjM eingeleitet werden.
Danny Kringiel, der an der Universität Frankfurt an einer Dissertation über Computerspielanalyse und intermediale Beziehungen des digitalen Spiels arbeitet, sprach mit Klaus-Peter Gerstenberger, dem Leiter der USK, über Schlüsselkompetenzen Jugendlicher im Umgang mit Games.
Wenn es um fehlende Kompetenzen Heranwachsender im Umgang mit Computerspielen geht, wird vor allem die mangelnde Fähigkeit zum Umgang mit medialer Gewalt in der öffentlichen Debatte attestiert. Wie wichtig ist dieser Aspekt für die USK?
Gewalt kann kein isoliertes Thema sein. Zu fragen wäre etwa: Kann man die Gewaltdarstellung in der jeweiligen Altersgruppe eigentlich in einem bestimmten Kontext verstehen? Ein Kontext kann eine Spielverabredung sein, aber auch eine Stilistik – z.B. schwarzer Humor oder Horror. Welche Altersgruppe kann die Gestaltung als Stilelement erkennen und daraus auch auf die Inszeniertheit der Gewalt zurückschließen? Bei Tom & Jerry beispielsweise geht es ziemlich heftig zu. Aber das ist Teil einer spezifischen Inszenierung, die überspitzt gemeint ist und auch von jüngeren Spielern klar so gelesen wird. Um diese Kontextbezüge zu erkennen, muss der Spieler über eine gewisse mediale Lesefähigkeit verfügen.
Die USK unterstellt also weniger einen pauschalen Kompetenzmangel im Umgang Heranwachsender mit Spielgewalt, als dass sie auf die Rahmungsfähigkeiten bestimmter Altersgruppen und die Rahmungshilfen des Spieles blickt?
Genau. In vielen Games geht es wie beim guten alten Schach darum, eine Figur zu führen, sie zu retten und gegen andere Figuren zu verteidigen. Neu ist die digitale Inszenierung: Statt einem Spielbrett aus Pappe oder Holz nun digitale Konstruktionen von Räumen und Figuren. Spieler erkennen hier aber nicht nur Verweise auf die Realität, sondern auch auf bestimmte Computerspielgenres. Das ist unabdingbar: Hielten sie es für Realität, könnten sie schließlich gar nicht spielen. Die Frage ist: Welche Altersgruppe hat die Lesefähigkeit, sich in diesem Szenario zurechtzufinden? Wir betrachten also bestimmte Genremerkmale und beobachten, wie klar sie im jeweiligen Spiel erkennbar oder verschleiert werden. Eine weitere wichtige Kompetenz ist die historische Rahmungsfähigkeit. Nehmen wir etwa ein militärisches Strategiespiel, das im zweiten Weltkrieg angesiedelt ist. Ein Strategiespiel kann prinzipiell völlig ohne Altersbeschränkung ausfallen. Bei einem historischen, militärischen Strategiespiel aber wird die Rahmungsfähigkeit besonders gefordert. Bringt man in der angepeilten Altersgruppe das nötige Geschichtsbewusstsein mit? Und versteht man in diesem Alter, dass dies kein Bildungsprogramm ist, sondern ein Spiel, das seine Aufgabenstellung im Rahmen eines geschichtlichen Szenarios ansiedelt und gleichwohl Fiktion ist?
Hinzu kommen auch Rahmungskompetenzen durch tagespolitisches Hintergrundwissen. Command and Conquer: Generals, ein militärisches Strategiespiel, hat z.B. eine USK 16, da sein fiktives Irakkriegs-Szenario auch im Aktuellen angesiedelt ist. Wir unterstellen, dass hier Wissen um aktuelle Geschehnisse notwendig ist, um den Titel angemessen als Spiel würdigen zu können. Dennoch ist der Titel deutlich Fiktion. Er hat mit dem realen Irakkrieg herzlich wenig zu tun: Eine Kriegspartei sind beispielsweise die Chinesen. Ein gewisser aktueller Bezug gehört ja nicht nur beim Computerspiel dazu, um einen besonderen Aufmerksamkeitswert zu erzielen und die fiktive Handlung mit unserer Alltagserfahrung zu verknüpfen. Denken Sie nur an James Bond und den kalten Krieg. Diesen Anflug des Realen kann man bei C & C: Generals ohne Frage mit 16 als Fiktion verstehen. Dennoch wurde der Titel von der BPjM 2003 indiziert.1
Immer wieder haben Amokläufe die Debatte um gewaltfördernde Wirkungen von Computerspielen angeheizt. Sind Vorfälle wie in Littleton oder Erfurt Symptome einer medialen Herausforderung, der die Kompetenzen Jugendlicher nicht mehr gewachsen sind?
Wenn wir uns diese spektakulären Fälle ansehen, fallen Ähnlichkeiten auf: Junge Männer in extremen Leistungsstresssituationen, die keine Gelegenheiten haben, sich über ihre emotionalen Verletzungen im Freundeskreis oder der Familie auszutauschen. Sie inszenieren sich dann am Ort ihrer Verletzung – in der Leistungsinstitution Schule. Hier werden Medienerfahrungen – unter anderem mit Computerspielen – zu Mustern der Selbstinszenierung. Das ist etwas ganz anderes, als zu sagen, die Aggression sei Ausfluss des Medienkonsums und einer medialen Überforderung der Jugendlichen. Ursächlich scheinen vor allem die Biografien der Täter von Bedeutung zu sein.
Die USK erstellt ihre Freigaben in Altersgruppen, etwa von 0-6, von 6-12 usw. Entsprechen diese Grenzen Einschnitten in der Entwicklung der Medienkompetenz Heranwachsender?
Hier ist einfach historisch etwas gewachsen, das sich dann fortgeschrieben hat. Diese Einteilungen sind bekannt und daher akzeptiert. Dabei markiert das Alter zwischen sechs und zwölf einen Riesenunterschied – in der Entwicklung und der Medienbiografie findet da sehr viel statt. Beim Jahrhunderte alten Medium Buch gibt es ja überhaupt keine Freigaben nach Alterskohorten. Wahrscheinlich wird es eines fernen Tages auch beim Computerspiel keine gesetzlichen Freigaben mehr geben.
Welche zukünftigen Entwicklungen sehen Sie im Jugendmedienschutz? Müssen noch präzisere Kategorien zur Beurteilung von Computerspielen gefunden werden?
Wenn Sie der modernen konstruktivistischen Konzeption folgen, die der Jugendschutz meiner Meinung nach zur Kenntnis nehmen muss, würden Sie eher fragen: Wie ist die subjektive Welt desjenigen, der das Spiel erlebt? Der Trend der Wirkungsforschung geht eindeutig dahin, die Biografien zu betrachten. Man darf allerdings auch nicht vergessen, dass die Fragestellungen des Jugendschutzes nicht rein wirkungstheoretischer Natur sind. Prof. Jürgen Fritz vom Forschungskreis „Wirkung virtueller Welten“ hat wiederholt erklärt, die Wirkungsforschung könne letztendlich zu Indizierungsentscheidungen wenig beitragen, weil diese Entscheidungen den Bereich der Wirkungen verlassen und in das Feld der Moral und der politischen Mehrheiten übergehen. Wir arbeiten also mit einer Mischung aus Medienverständnis und Beobachtung der öffentlichen Haltung zum Medium. Die digitale Kulturrevolution hat eine Menge Unsicherheit hervorgerufen. Die Popularität der Matrix-Filme etwa zeigt das große Interesse an der Frage, wie gut wir Realität und Fiktion noch auseinander halten können angesichts zunehmender technischer Möglichkeiten, diese Grenze zu verschleiern. Diese Unsicherheit muss die USK in ihrer Arbeit auch berücksichtigen.
Besteht angesichts dieser Verpflichtung der USK gegenüber den Ängsten der Nicht-Spielenden die Gefahr, dass Jugendmedienschutz auch zu einem Konservierungsmittel des Kulturpessimismus werden könnte?
Das wäre schlimm. In diesem Zusammenhang haben wir der neuen Gesetzgebung zum 1. April 2003 mit gemischten Gefühlen entgegengesehen, die unsere Altersempfehlungen zu verbindlichen Freigaben gemacht hat. Unsere Empfehlung war als Orientierungshilfe für mit dem Medium nicht vertraute Eltern gedacht. Anschließend sollten die Eltern sich immer noch unabhängig davon Gedanken machen, ob der Titel für ihr Kind geeignet ist. Das nicht festzuzurren ist wichtig, denn homogene Alterskohorten gibt es im wirklichen Leben schlicht nicht. Sollte die verbindliche Freigabe dazu führen, dass sich Eltern nicht mehr um das Medium und um das eigene Kind kümmern, dann wäre das sehr bedenklich. Lesekunde zum Medium Computerspiel ist für Eltern enorm wichtig. Da gibt es noch viele Missverständnisse. Eltern nehmen z.B. Spiele meist als Zuschauer wahr und unterstellen dabei oft fälschlicherweise Wirkungsmechanismen des Films. Sie sehen dann – anders als ihre spielenden Kinder – die Helden nicht als funktionale Spielfiguren, sondern empathisch als Charaktere. Aufklärung ermöglicht kompetentes Verhalten auch der Eltern. Restriktive oder rein regulierende Vorgehensweisen wie etwa verbindliche Altersfreigaben werden zudem auf Dauer beim Computerspiel gar nicht greifen. Ein erheblicher Anteil der Spiele verbreitet sich nicht über Läden, sondern auf Schulhöfen und zukünftig viel häufiger über das Internet in Form von Raubkopien. Und in Amerika oder Japan gelten die USK-Freigaben nun einmal nicht.
Anmerkungen
1 Aus der elfseitigen Begründung der BPjM für die Indizierung: „Der größte Schrecken moderner Kriegsführung liegt sicherlich im Einsatz von ABC-Kampfmitteln. Eben diese Schrecken verleugnet Command & Conquer – Generals. Stattdessen können großflächig Giftgaswolken und Milzbrandbomben eingesetzt werden, die neben der großen Wirkung gegen Infanterie in erster Linie durch ihre ‘hübsch anzusehenden’ bunten Nebelschwaden auffallen. Aus Gründen der besseren Unterscheidbarkeit, welches Kampfmittel gerade die Massen dahinrafft, setzt das Spiel für die verschiedenen Waffen unterschiedliche stark leuchtende Farben ein. Somit wird in Generals das wohl größtmögliche denkbare Kriegsgrauen zum Grafikspektakel verniedlicht. (...) Zusammenfassend hat das Gremium der Bundesprüfstelle festgestellt, dass das glorifizierende Darstellen von realitätsbezogenen, grausamen Kriegsszenarien, insbesondere mit spielerischem Einsatz von Massenvernichtungswaffen und einer beson-ders menschenverachtenden Haltung gegenüber Nicht-Kombattanten, ein hinreichendes Indiz für eine verrohende Wirkung ist, die von diesen Spielen ausgeht.“ (Quelle: BPjM, Entscheidung Nr. VA 1/03 vom 25.02.2003, bekannt gemacht im Bundesanzeiger Nr. 41 vom 28.02.2003)
Danny Kringiel