Hannah Landeck
Beiträge in merz
Hannah Landeck: Aufklärung, mal anders
Lust und Frust 1-3, 2007, 120 Min, freigegeben ab 12 Jahren, als DVD oder Video erhältlich. Kaufpreis jeweils 40 €, Ausleihe (Medienprojekt Wuppertal) 15 €
Das Medienprojekt Wuppertal, die größte Jugendvideoproduktion in Deutschland, hat eine umfassende Anzahl von sexualpädagogischen Kurzfilmen mit Jugendlichen produziert. Unter Anleitung von Medienpädagoginnen und Medienpädagogen sowie Filmemacherinnen und Filmemachern sind drei DVDs mit dem Titel Lust und Frust 1-3 erschienen. Rund um das Thema Sex drehen sich die zahlreichen Filme und es werden Tabus angesprochen, die sonst selten thematisiert werden. Im Kurzfilm Noch mal und noch mal reden gleichgeschlechtliche Kleingruppen offen über das Thema Selbstbefriedung: wann man es macht, wie, wo und wie häufig. Teilweise oder ganz wurde in geschlechtshomogenen Gruppen gearbeitet, um Raum für einen weiblichen bzw. männlichen Blick auf Sexualität zu ermöglichen.
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene reflektieren ihre Sexualität, erzählen von Problemen und Ängsten und beschreiben schöne Liebeserlebnisse. Das thematische Spektrum ist sehr vielseitig und facettenreich. So sprechen pubertierende Mädchen und Jungs über Unsicherheiten mit dem anderen Geschlecht, körperliche Entwicklungen, das erste Verliebt-Sein und übers ‚Rummachen’. Jugendliche schildern das ‚erste Mal’ und beschreiben diesbezüglich ihre Gefühle, Ängste und Erwartungen. Problematisiert werden auch Verhütung, ungewollte Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten. Das Verhältnis von Liebe und Sex wird kritisch hinterfragt. Unterschiedliche Vorstellungen von Liebesbeziehungen werden von Pärchen, aber auch in gleichgeschlechtlichen Gesprächsrunden diskutiert. Was ‚darf’ ich in einer Beziehung, was nicht? Welche Erwartungen habe ich an meinen Partner oder meine Partnerin? Authentisch werden der Alltag von Zweisamkeit, Höhen und Tiefen, Eifersucht, Kontrolle, Sehnsucht und Schlussmachen beschrieben. Im Kurzfilm Aus dem Nähkästchen. Zwei Generationen, ein Thema wird der Umgang mit Sexualität generationsspezifisch und sehr persönlich von Jana und ihrer Großmutter geschildert. Ähnlichkeiten und Unterschiede sind erkennbar.Pornografie, sexuelle Belästigung, Prostitution und Homosexualität werden in einigen Kurzfilmen behandelt. Auf der DVD Lust und Frust 3 kommen Jugendliche mit Migrationshintergund zu Wort. Sexualität wird aus dem Blickwinkel verschiedenster Kulturen betrachtet. Kulturelle Bräuche und Unterschiede, die Bedeutung von Religion und Ehre, Jungfräulichkeit sowie gesellschaftliche Frauen und Männerrollen sind Thema. Migrantinnen und Migranten schildern in den beiden Kurzfilmen Haram oder Hallal – Think different und Warum soll Liebe tabu sein? Zwei lesbische Migrantinnen erzählen ihre Erfahrungen mit Homosexualität.
Diese Sammlung von Kurzfilmen stellt persönliche und biografische Erzählungen von Jungen und Mädchen verschiedenen Alters und unterschiedlicher sozialer sowie kultureller Herkunft dar. Die Stärke von Lust und Frust 1-3 liegt in der Vielschichtigkeit, mit der das Thema Sex behandelt wird. Die Kurzfilme sind für thematisch unterschiedliche Aspekte und ebenso für verschiedenste Zielgruppen geeignet. Sexuelle Differenzen und Gemeinsamkeiten beider Geschlechter werden offensichtlich. Die DVDs tragen zur Aufklärung bei und geben zahlreiche Anstöße, über die ‚eigene’ und die ‚andere’ Sexualität nachzudenken. Die Jugendlichen erzählen sehr offen sowie selbstbewusst, was sie bewegt, aber es wird ebenso deutlich, wie verletzlich und sensibel sie dieses Thema machen kann. Durch die ehrliche Darstellung haben Zuschauende die Möglichkeit, sich mit Haltungen und Einstellungen zu identifizieren.
Die Filme wurden sehr abwechslungsreich produziert. Innerhalb der einzelnen realistischen Kurzfilme gibt es inszenierte Sequenzen, kurze Animationsfilme oder bei-spielsweise eine Traummannknete, die im Laufe des Films mehrere Gesichter erhält. Es wurde passende Filmmusik zur jeweiligen Thematik ausgewählt. Die DVD Lust und Frust 1 enthält unter anderem auch sehr amüsante Kurzfilme. In zwei Produktionen wird die herkömmliche, verklemmte Art und Weise der Aufklärung humorvoll reflektiert, vorgeführt und hinterfragt.Auch wenn einige Filme etwas konstruiert und sehr inszeniert wirken, ist diese Sammlung eine ansprechende Form der Aufklärung, eine, die ankommt.
Hannah Landeck: Zeitreise in einen Glaubenskrieg
Boie, Kirsten (2007). Alhambra. Hamburg: Friedrich Oetinger Verlag, 432 S.,17,90 €
Boie, Kirsten (2007). Alhambra. Gesprochen von Dieter Wien. Hamburg: Jumbo, 8 CDs, 34,95 €
Alles beginnt mit einer Klassenfahrt nach Granada. Auf dem Programm steht auch der Besuch der Alhambra, dem maurischen Palast. Boston, Hauptfigur im Roman, ist ein schüchterner Junge und im Gegensatz zu seinen Mitschülerinnen und Mitschülern fasziniert von diesem geschichtsträchtigen Ort. Da er jedoch Angst vor mangelnder Anerkennung hat, traut er sich nicht, sein Interesse zu bekunden. Später, auf einem Touristenmarkt, ist Boston auf der Suche nach einem Souvenir für seine Mutter. Er stöbert im Laden des gedankenverlorenen Händlers Manuel Corazón, entdeckt eine alte maurische Fliese mit antiken Schriftzeichen und plötzlich ist alles anders: Ein Zeittor hat sich durch die Fliese geöffnet, Bosten befindet sich im Jahr 1492. Das Jahr, in dem Kolumbus Amerika entdeckt und in Spanien ein Krieg der Religionen herrscht. Das letzte maurische Königreich Granada ist eingenommen. Unter der Regentschaft des katholischen Königspaares Isabella und Ferdinand bestimmt die Härte der Inquisition das Leben. Die Juden- und Maurenverfolgung hat begonnen und viele Menschen sind auf der Flucht. Boston erlebt bei seiner Zeitreise nicht nur Geschichte, er wird auch Teil derselben. Durch seine ‚komische’ Kleidung erweckt er Misstrauen und nachdem der Inhalt seines Rucksackes – ein Handy, ein Reiseführer und ein Geldbeutel – entdeckt wird, gilt Boston als Verbündeter des Teufels. Das gesamte Land sucht nach ihm, seine Reise wird lebensgefährlich. Der Held der Geschichte muss fliehen. Zum Glück hat er Freunde gefunden, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Auch der Jude Salomon und der Moslem Tariq leben gefährlich im Jahr 1492. Es müssen spannende Abenteuer bewältigt und viele Fragen beantwortet werden. Wie kann Boston wieder zurück in die Gegenwart reisen? Die geheimnisvolle Fliese, die ihn hierher brachte, ist verschwunden.
Der Roman ist sehr komplex aufgebaut und die Erzählebenen Vergangenheit und Gegenwart werden den Leserinnen und Lesern im ständigen Wechsel präsentiert. Jedoch ist diese Komplexität beim Lesen nicht störend. Durch eine anschauliche, dichte Erzählweise wird trockener Geschichtsstoff lebendig. Die einzelnen Charaktere sind detailliert und facettenreich, so dass historisches Handeln nachvollziehbar wird. Ein Glossar am Ende des Buches trägt zudem zur Verständlichkeit bei. Neben historischen Geschehnissen erzählt Kirsten Boie jedoch auch eine Geschichte der Freundschaft, die sich zwischen Boston, Salomon und Tariq entwickelt. Aspekte wie Vertrauen, Hilfe und Unterstützung werden angesprochen. Durch diese Freundschaft wird ein Miteinander der Religionen dem vorherrschenden Glaubenskrieg entgegen gestellt. Immer wieder finden sich im Buch auch komische Situationen, die zum Schmunzeln verführen. Die fast philosophischen Gedankenspiele über den Zusammenhang von Vergangenheit und Zukunft regen zum Nachdenken an.
Auch wenn die Zeitreise phasenweise etwas konstruiert wirkt, ist Alhambra äußerst lesenswert und in keiner Weise ein trockener Geschichtsroman. Das Buch besitzt viele Höhepunkte, die jugendliche Leserinnen und Leser mit Spannung verfolgen können, und Kirsten Boie schafft es, sehr eindringlich die Atmosphäre der damaligen Zeit zu schildern.
Zum Buch Alhambra ist auch eine Hörbuchfassung mit acht CDs erschienen. Dieter Wien, dem Sprecher, gelingt es, den jeweiligen Personen sprachtypische Besonderheiten zu verleihen. Der Großinquisitor Torquemada wird als eine grausame Person, die alle fürchten und „hinter dessen Augen kein Lächeln ist“, charakterisiert. Diese Darstellung der Person findet sich auch in seiner Sprechweise, einer scharfen, harten Sprache und nachdrücklichen Äußerungen, wieder. Die personentypische Sprache verdeutlicht Charakteristika der einzelnen Personen. Begleitet wird das Hörerlebnis mit ansprechender Musik von Ulrich Maske. Diese fungiert als Trennung oder Überleitung zwischen einzelnen Passagen oder Kapiteln. Beim Hören lassen sich viele Kleinigkeiten entdecken, die durch die dichte Erzählweise im Roman vielleicht überlesen wurden. Besonders wenn die Zuhörenden die genauen, bildhaften und atmosphärischen Umgebungsbeschreibungen vorgelesen bekommen, wird die Stimmung des Jahres 1492 erlebbar. Ein paar Hintergrundgeräusche würden das Hörbuch noch bereichern, aber es gelingt auch so, die Geschichte und die damalige Zeit für die Hörenden fesselnd und teilweise zum Greifen nahe zu transportieren.
Insgesamt ein spannendes Buch wie auch Hörbuch für Jugendliche. Alhambra wird ab zwölf Jahren empfohlen. Zwar werden die historischen Zusammenhänge verständlich beschrieben, doch aufgrund der Komplexität der Handlungen und des raschen Wechsels der Geschehnisse ist der Roman tendenziell für ältere Kinder oder sehr gute Leserinnen und Leser geeignet.