Bettina Licht
Beiträge in merz
Bettina Licht: Die Dr. Sommers sind jetzt online
Erwartungen und KriterienJugendliche nutzen das Internet immer mehr als Möglichkeit der Informationsbeschaffung oder als Kontaktbörse. Diese Tatsache müssen auch Anbieter von sexualpädagogischer jugendberatung bedenken. Das wirft allerdings die Frage auf, ob sinnvolle Beratung über das Medium Internet überhaupt möglich ist, weil die BeraterInnen und Ratsuchenden sich gegenseitig nicht shen können, die Beratung schwerlich in einem kontinuierlichen Dialog stettfindet und die beziehung zwischen BeraterInnern und Ratsuchenden eine flüchtige ist.Bevor man die Analyse ausgewählter Infoseiten zu Theman rund um Liebe, Partnerschaft, Sexualität geht, muss zunächst nach den erwartungen und Kriterien gefragt werden, die an eine gelungene sexualpädagogische Internet seite gestellt werden müssen.Hier die mir formulierten Ziele einer Sexualpädagogik, die eine Aufklärungsseite für Jugendliche meiner Auffassung nach anstreben soll:- Eine umfassende und altersgerechte Information über die menschliche Sexualität.- Geschlechtsspezifische Differenzen in den Vorstellungen über Sexualität müssen berücksichtigt werden.- Die sexuelle Selbstbestimmung, -verwirklichung und -verantwortung müssen gefördert werden.- Eine Aufklärung über Schwangerschaft und Empfängnisverhütung muss stattfinden.- Informationen über AIDS und andere sexuell übertragbare Krankheiten sind zu vermitteln.- Über Homosexualität / Transsexualität ist aufzuklären.- Sexuelle Gewalt und deren Prävention müssen thematisiert werden.
Sicherlich spielt auch die Erreichbarkeit der Internetseite für Jugendliche eine wichtige Rolle. Das Angebot kann noch so gut sein, wenn die Seite nicht in Suchmaschinen geschicktplatziert ist, geht es ins Leere.Dr.Sommer und Dr.AmorÜber Suchbegriffe stieß ich auf die Seite der Jugendzeitschrift BRAVO (www.bravo.de), deren Aufklärungsrubrik "Fragen an Dr.Sommer" auf eine lange Tradition zurückblickt. Seit 1969 werden unter dem Pseudonym Dr.Sommer LeserInnen in dem Magazin beantwortet. Heute ist ein zehnköpfiges Beratungsteam, bestehend aus Psychotherapeuten/innen, Sozialpädagogen/innen, Psychologen/innen tätig. Auch ein Sexualtherapeut, der 13 Jahre bei Pro Familia tätig war, gehört nun zum Team.Die Pluspunkte der Seite sind:- Kompetente, erfahrene Beratung- Prfessionelle, übersichtliche, jugendgerechte Aufmachung- Gespür für Jugendthemen und gute Aufbereitung der Informationen.Die Minuspunkte der Seite:- Vrmarktungsinteressen stehen im Vordergrund. Die allgemeinen BRAVO-Themen sind konsumorientiert: Mode, Kosmetik, Lifestyle, Handys, Stars, Partys, Musik.Ähnlich gut erreichbar wie BRAVO und Dr.Sommer ist das Dortmunder online-Jugendmagazine "amorLINE" (www.amorline.de) mit Kultberater Dr.Amor. Getragen wird amorLINE von den Dortmunder Stadtwerken und dem GEsundheitsamt der Stadt Dortmund. Ziele der Zusammenarbeit sind die AIDS.Prävention sowie eine umfassende Partnerschafts- und Sexualberatung für Jugendliche durch neue Wege der Aufklärung und Information. Von den ca. 75 Fragen und antworten an und von Dr. Amor zu den merkwürdigsten Themen fällt es schwer, sich loszureißen.
Die Menschen, die bei Dr.Amor Rat suchen, sind nicht nur Jugendliche, doch die erklärtte Zielgruppe dürfte in der Überzahl sein. Viele Probleme kreisen um das Thema "Selbstannahme". Penisse, Schamlippen, Brüste erscheinen den Fragenden zu groß, zu klein, zu unvollkommen. Dr. Amor gibt dazu medizinischen und/oder psychologischen Rat.Aber auch Themen wie "Mit 20 noch Jungfrau", "Darf man mit dem Vetter schlafen?" oder "Der neue Freund will sich mit mir zusammen einen Pornofilm anschauen" kommen zur Sprache. Die meisten Fragen kreisen aber um eher sexualmedizinische Themen, weil ja ein Arzt Auskunft gibt. Toll an der Beratungsecke von Herrn Amor ist, dass er wirklich auf jede Frage eingeht, auch wenn sie noch so ausgefallen und verrückt ist.Als Pluspunkte der Seite wären zu nennen: - Dr.Amor nimmt tabulos jedes Thema an und berät kompetent.- Die Seite ist frech und witzig gestaltet.- Jugendliche können sich mit Texten und Ideen beteiligen.Die Minuspunkte der Seite sind:- Obwohl man sich der AIDS-Prävention und Sexualaufklärung Jugendlicher verschrieben hat, gibt es keine weiteren Infos zu diesen Themen bzw. auch keine Linkliste. DieBZgA und Pro Familiawww.loveline.de der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist nach Aussagen der Anbieter ganz speziell für Jugendliche gemacht, die mehr über die Themen Liebe, Prtnerschaft, Sexualität und verhütung wissen möchten. Die "loveline" ist eine der bekanntesten Aufklärungsseiten i deutschen Netz und über alle Suchmaschinen fix zu finden. Die Seite steht vor allem für Informationen, z.B. können wir in einem sehr umfangreichen Liebeslexikon über 350 Begriffe abfragen. Fragen und Antworten gibt es auf der FAQ - Seite (Frequently Asked Questions).
Dort können Jugendliche nachsehen, ob ihr Problem schon einmal behandelt wurde. Amüsant zu lesen sind die Ergebnisse verschiedener Umfragen, die "loveline" zweimonatlich unter den Besucherinnen und besuchern der Seite durchführt, zu Fragen wie "Das erste Mal - worauf achtest du?", "Verhütung...oder weshalb benutzt du Kondome?".Die Pluspunkte der Seite:- Die FAQ-Seite gibt viele interessante Hinweise.- Fachleute gehen angemessen auf die Fragen der Jugendlichen ein.- Das umfangreiche Lexikon und die umfassende Adressenliste.Als Minuspunkt muss registriert werden:- Eine Linkliste zu anderen Internetseiten fehlt.Eine weitere Internetseite, die sich der Sexualberatung verschrieben hat, ist die Jugendseite des Trägers Pro Familia mit dem Namen "Sextra" (www.profa.de/sextra.htm). Die Seite wird zusammen mit der "loveline" der BZgA in den Suchmaschinen unter den entsprechenden Stichwörtern geführt und ist daher für Jugendliche gut erreichbar. Das schlägt sich in den Benutzerzahlen von ca. 250 pro Woche nieder.Jugendliche können anonym Fragen an Expertinnen und Experten richten; die Fragen und Antworten werden aber auch für alle Besucher der Seite offen gezeigt, denn andere könnten ja dasselbe Problem haben. Wenn die jugendlichen mit den Antworten nicht einverstanden sind, können sie sich im Forum um Rat auch an andere Jugendliche wenden.Die Beratung durch Fachleute und durch beleibige TeilnehmerInnen am Gesprächsforum scheint in vielen Fällen eine Bereicherung darzustellen. Doch das Konzept birgt m.E. auch die Gefahr, dass sich zu viele Leute in Probleme einmischen und die Ratsuchenden dadurch möglicherweise verwirrt werden.
Es ist sicher tröstlich zu hören, dass man mit einem Problem nicht allein dasteht. Doch ob dies für die Ratsuchenden letzlich eine Hilfe ist, bleibt fraglich.Die Pluspunkte der Seite:- Die Mischung aus Informationen, Expertenberatung und dem Austausch unter Jugendlichen ist geglückt.- Die Seite ist gut gegliedert.- In jedem Antwortfeld finden die Besucher einen Hinweis, welche Unterrubriken und Seiten andere User sich von diesem Thema ausgehend noch angeschaut haben. Vielleicht ist daovn ja auch etwas für sie oder ihn interessant?- Eine Vielfalt von Informationen, Umfrageergebnissen, Studien sowie eine gute Linkliste zu anderen Internetseiten.Lovespace und CPSwww.lovespace.de wird von Sozialpädagogen, Studenten, Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern des sexualpädagogischen Zentrums des Fachbereichs Sozialwesen der FH Merseburg angeboten.Nach Selbstdarstellung des Lovespace-Projekts sollen Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren und Interessierte die Möglichkeit erhalten, via Internet mit anderen Jugendlichen zu kommunizieren, Meinungen über Themen in Bezug auf Liebe, Prtnerschaft, Sexualität und körperliche Entwicklung auszutauschen. Zudem stellt das Lovespace-Projekt kompetente Beratung zur Verfügung, wenn man denn Lovespace überhaupt findet, denn das ist gar nicht so einfach! Ich fand die Seite nicht über gängige Suchmaschinen, sondern kannte das Projekt bereits.Was bei Lovespace sowohl Vorteil als auch Nachteil sein kann: Es werden nur die Fragen aufgegriffen, die jugendliche selbst äußern, d.h. das Lovespace-Team gibt keine Themen vor. Der Vorteil besteht darin, dass Lovespace-BeraterInnen Jugendliche nicht belehren wollen, sondern ihnen etwas zutrauen.
Doch nur Themen aufzugreifen, die von Jugendlichen vorgebracht werden, kann auch zu einer Verschiebung bei wichtigen Fragestellungen führen: Körperveränderungen während der Pubertät, Empfängnisverhütung, AIDS, Homosexualität, Schwangerschaftsabbruch, sexuelle Gewalt und andere Problembereiche kommen dann nur am Rande vor. Die an sich ganz gut gemachte Seite Könnte gewinnen, wenn die BetreuerInnen über zentrale Themen der Sexualpädagogik einen Informations-Input liefern bzw. Links auf andere Seiten setzen würden, die diese Themen bearbeiten.Die Pluspunkte der Seite:- Die Themen der Jugendlichen stehen im Mittelpunkt- Die Seite ist ideenreich und originell gestaltet.Die Minuspunkte:- Die Anbieter der Seite sind zu wenig selbstbewusst, eigene, wichtige Themen einzubringen- Die Seite ist über Suchmaschinen nicht zu finden- Es gibt keine weiterführenden Infos und keine Linkliste- Eigenschaften wie gute navigation, gute Lesbarkeit, technische Funktionabilität stehen hinter graphischen Schnick-Schnack zurück.Die letzte Internetseite, die ich vorstellen möchte, hat den Hintergrund von eingen Jahren Erfahrung. Die in Chicago beheimatete "Coalition for Positive Sexuality" (CPS) versteht sich als gesellschaftspolitsche Organisation (www.positive.org/). "Positive2 im Namen deutet darauf hin, dass sie sich in erster Linie der Aufgabe verschrieben hat, mehr Wissen über die Immunschwächekrankheit AIDS zu verbereiten. Auch Gruppen benachteiligter Jugendlicher nimmt sich CPS an: Junge Homosexuelle oder Mädchen, die durch ungewollte Schwangerschaft in Armut abzurutschen drohen.
Die selbstbestimmte Sexualität von Mädchen und Frauen ist der CPS ein besonderes Anliegen.Selbstverständlich bietet CPS eine erstklassige Beratung in allen Fragen an, die Sexualität und Beziehungen betreffen. Bestechen ist die einfache, klare, unkomplizierte Sprache, in der die Antworten verfasst sind. In der Selbstdarstellung von CPS steht zu lesen, dass die BeraterInnen keine Ärzte sind und auch nicht vorgeben, welche zu sein. Sie benutzen die Sprache, die sie genauso gut mit ihren Freunden benutzen würden, wenn sie mit ihnen über Sex sprächen.Neben den Fragen und Antworten im Austausch mit den professionellen BeraterInnen von CPS gibt es - wie auf anderen Seiten auch - ein Chat-Forum für Jugendliche untereinander, welches jedoch nicht öffentlich ist.Viele zusätzliche Informationen über die Sexualität betreffen Themen und der Service einer umfangreichen Linkliste nach Themen geordnet (leider nur auf amerikanischen Seiten) runden das Angeobt ab. Alle Infos sinf zusätzlich noch in spanischer Sprache zu erhalten.Pluspunkte:- Hohes sozialpolitisches Engagement der MacherInnen; Orientierung an Randgruppen der Gesellschaft, ohne Jugendliche für irgendeine Ideologie missionieren zu wollen.- Geschickt fürs Internet aufbereiteter Informationsteil (z.B. Bildinstuktionen über die Handhabung von Präservativen).- Erstklassige Jugendberatung zu allen Themen.- Umfangreiche Information durch gut strukturierte Adressen- und Linksammlung.
Als ich 1997 das erste Mal die Seite CPS besuchte, war in Deutschland an ein vergleichbares Angebot noch nicht zu denken. So ist es zu begrüßen, dass sich mittlerweile so viele kompetente Vereinigungen dieses Themas angenommen haben und versuchen, andere Wege in der Aufklärung und Beratung zu gehen.Nachdenklich machten mich die vielfältigen Probleme der Ratsuchenden: Sehr häufig klingtaus den Fragen grosse Unsicherheit gegenüber dem eigenen Körper heraus. Viele Junge Leute halten ihren Körper für unzugänglich. Dementsprechend ist das "erste Mal" mit starken Ängsten belastet und wird von vielen Jugendlichen negativ bewertet.Positiv an den Beratungsangeboten im Internet ist mit Sicherheit, dass Schwellenängste keine Rolle spielen: Es ist möglich, von zu Hause aus und anonym jede noch so vermeintlich peinlcihe Frage zu stellen und darauf nach kurzer Zeit eine Antwort zu erhalten.Die Sexualaufklärung in Schulen wird jedoch durch die Internetangebote in Zukunft nicht überflüssig werden.Wer sich für Kinder-Aufklärungsseiten interessiert - zwei toll gemachte Seitenwww.wdr5.de/lilipuz/interaktiv/herzfunk.htmwww.eduvinet.de/mallig/bio/geslech5/geschl5.htm