Thorolf Lipp
Beiträge in merz
Thorolf Lipp: Le Cameroun sur scène
Wenn hierzulande von Theater die Rede ist, denkt man häufig entweder an volkstümelnden Wohfühlstoff oder aber an ein eher klinisches Sezieren der gesellschaftlichen Verhältnisse. Anders als etwa im 18. Jahrhundert traut man dem Theater eine Breitenwirkung heute offenbar kaum noch zu – was sicher auch mit seiner nur selten über das Feuilleton hinaus sichtbaren Medienpräsenz zu tun hat. Dabei sprechen die Zahlen eine ganz andere Sprache. Allein die Theater in öffentlicher Trägerschaft konnten in der Saison 2008/09 mit 19,3 Millionen mehr Zuschauerinnen und Zuschauer verbuchen als die Erste und Zweite Fußball Bundesliga zusammengenommen mit 17,9 Millionen Menschen.Um wieviel größer muss das Potenzial für dieses Mensch-zu-Mensch Medium erst im Afrika südlich der Sahara sein, wo Print- und audiovisuelle Medien aufgrund einer hohen Analphabetenrate und des ‚Digital Divide‘ weit weniger verbreitet sind. Dort sehen nicht nur die Theatermacher, sondern auch Entwicklungsexperten und Nichtregierungsorganisationen im Theater eine gute Möglichkeit, mit Menschen direkt zu kommunizieren, sie zu mobilisieren, um ihre Lebenssituation konkret zu verbessern: Theater für Entwicklung ist das Stichwort. Genau dafür hat sich die junge Filmemacherin Natalie Patterer interessiert. Sie ist dem einen Medium mit Hilfe eines anderen nachgegangen und herausgekommen ist ein 52-minütiger Film über Entwicklungstheater in Kamerun. Dass eine derartige Interessenskonstellation überhaupt entstehen konnte, ist nicht zuletzt dem BA Studiengang „Theater und Medien“ an der Universität Bayreuth geschuldet, in dem die vielfältigen Interdependenzen zwischen Theater und anderen Formen der medialen Kommunikation ausgelotet werden.Man würde dem Film nicht gerecht werden, wenn man ihn nur als „studentische Produktion“ lobte.
Tatsächlich entsprechen die inhaltlichen, narrativen und produktionellen Qualitäten fast durchweg den derzeitigen Ansprüchen der Bewegtbildindustrie. Wenn er auf arte gesendet würde, kaum jemand würde sehen, dass hier vier junge Studierende am Werk waren, die in erster Linie Fachstudierende sind.Es gelingt Natalie Patterer überzeugend darzustellen, welches Potenzial Entwicklungstheater für ein Land wie Kamerun haben kann. Dazu wechselt sie mehrfach die Schauplätze, um eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie verbreitet dieses Medium tatsächlich ist und welch große Bandbreite an gesellschaftlichen Diskursen es berührt. So zeigt das kleine und dennoch internationale Festival CICAK in Kiribi im Süden des Landes, wie lebendig, farbenfroh, vielfältig und gesellschaftskritisch Theater hier ist. Die drei jungen Männer des Dreier-Ensembles Art et Strategie, streiten sich mit einer genauso witzigen wie entlarvenden Rhetorik um eine kleine Sitzbank, die die Macht symbolisiert. Eine überzeugende Parabel über die Figur des afrikanischen Despoten, den diese junge Theatergeneration offenbar als afrikanisches Problem und nicht mehr so sehr als direkte Folge des Kolonialismus begreift.
Theater soll hier, so die Festivaldirektorin France Ngo Mbock, vor allem die schmerzhafte Lücke füllen, die der Verlust des traditionellen Geschichtenerzählens in die sozialen Strukturen gerissen hat. Zweiter Schauplatz des Films ist die Hauptstadt Yaounde, wo alljährlich das internationale Theaterfestival RETIC stattfindet. Im Mittelpunkt des Festivals 2009 stand die „Frau als Künstlerin“, auch das ein Hinweis darauf, dass man an globalen Diskursen teilnimmt. Die Autorin begleitet die kamerunische Regisseurin Deneuve Djobong, die ein Stück von Joseph Pliya zum Thema weibliche Unfruchtbarkeit und die damit oft einhergehende soziale Ausgrenzung inszeniert hat. Schließlich führt uns der Film ins SOS Kinderdorf Mbalmayo wo die Relevanz eines ganz anderen Theaters deutlich wird: Hier führen Dozenten und Studierende der Universität Yaounde ein Projekt mit den Kindern und deren SOS-Müttern und -Tanten durch, um verborgene soziale Spannungen aufgreifen und verarbeiten zu können.Abgefilmtes Theater kann schnell langweilen. Insofern war es notwendig, eine narrative Strategie zu entwickeln, die zwar die typischen Interaktionen auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“ zeigt, darüber hinaus aber auch passende filmische Mittel einsetzt, um das Thema adäquat umzusetzen. Natalie Patterer hat sich für eine gute Mischung aus beobachtenden Bildern, On-Camera Interviews und kurzen Theatermitschnitten entschieden.
Es wäre leicht gewesen, eine mit Musik- und Zeitlupeneinsatz emotionalisierte Human-Touch Geschichte zu erzählen oder das Publikum mit einem allwissenden Kommentar in eine gesellschaftskritische Betroffenheitssoße zu tunken. Aber die Autorin widersteht diesen Versuchungen. Man merkt: Sie will wirklich selbst etwas über die Möglichkeiten des Entwicklungstheaters lernen und opfert dieses Erkenntnisinteresse nicht einer schicken, allzu emotionalisierenden dramaturgischen Form. Vor allem verzichtet sie auf einen Kommentar aus dem Off. Sie weiß, dass es für eine noch junge, europäische Filmemacherin unangemessen wäre, sich hier mit eigenen Worten oder Wertungen Deutungshoheit über ein fremdes kulturelles Phänomen anzumaßen. Statt dessen überlässt sie ausschließlich den Protagonisten das Wort. Natürlich ist trotzdem sie es, die in akribischer Kleinarbeit aus dem umfangreichen Rohmaterial diejenigen Szenen auswählt, die das Thema nach und nach in seiner Bandbreite auffächern. Aber sie tut dies bescheiden, neugierig und mit einem guten Sinn für das Gesamtphänomen, denn hier kommen alle zu Wort: Schauspieler, Regisseure, Festivaldirektor, Dozenten und die Kinder aus dem SOS Kinderdorf.
Le Cameroun sur scène widerlegt das häufig kolportierte Vorurteil, dass die Digital Natives nicht mehr in Ruhe zuhören oder -sehen können oder wollen. Er unterstreicht das Interesse dieser Generation an der Welt und macht Hoffnung, dass an den Universitäten nicht nur das Handwerk für filmisches Erzählen, sondern auch die Begeisterung für eine reflektierte Auseinandersetzung mit relevanten Inhalten vermittelt wird. Insofern ist mir persönlich dieser Film als Abschluss eines universitären Studienganges viel lieber als die vielen raffinierten Filmchen, die hier ebenfalls entstehen, aber vielleicht doch eher Domäne der Film- oder Kunsthochschulen sein sollten.
Natalie Patterers Film Le Cameroun sur scène steht bei der Online Film AG zum Download bereit:
www.kulturserver.de/-/kulturschaffende/detail/750461 www.buehnenverein.de/de/publikationen-und-statistiken/statistiken/theaterstatistik.html (Zugriff: Dezember 2010)2
www.weltfussball.de/zuschauer/bundesliga-2008-2009/1 (Zugriff: Dezember 2010)
Thorolf Lipp ist Kulturanthropologe und Inhaber der Arcadia Filmproduktion und produziert Dokumentarfilme, TV-Dokumentationen und Museumsmedien. Seine Schwerpunkte sind Medien, Kunst, Religion sowie das immaterielle Kulturerbe.