Marc-Oliver Maier
Beiträge in merz
Marc Oliver Maier: Adjektiv Frau
Am letzten Maiwochenende fand das Filmfestival Adjektiv Frau der Kinothek Asta Nielsen in Frankfurt statt. In dem von Heide Schlüpmann und Karola Gramann in Zusammenarbeit mit Filmwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern der Frankfurter Goethe-Universität kuratierten Programm wurden im Mal Seh’n Kino sowie im Historischen Museum Frankfurt während der viertägigen Veranstaltung Filme mit Bezugspunkt zu ‘68 und zur Neuen Frauenbewegung gezeigt. Anliegen des Festivals war es nicht, die Klassiker zu diesem Themenkomplex zu zeigen, sondern sich dem weiten Spektrum alternativer Filmkultur zu öffnen.1968 bildet im Jahr seines vierzigsten Jubiläums den Ausgangspunkt zahlreicher Rückblicke und Kontroversen, die wohl auch getragen sind von dem Bemühen, die Revolte und ihre Zeitzeugen einzuordnen in den Lauf einer Geschichte, die sich endlich abschließend erklären lassen kann. Dagegen lässt sich einiges Gelehrtes einwenden oder Filme ansehen, die beispielsweise eine Zeitzeugenschaft mit den Fragen der Neuen Frauenbewegung auszeichnen. Die Unterschiedlichkeit und auch die Widersprüche der Filme und ihrer Themen im Programm dieser Veranstaltung springen ins Auge: Privates und Politisches, Pop und Polemiken, Ernstes und Unterhaltsames. Das Spektrum erstreckt sich von dem Sehgewohnheiten unterlaufenden US-Kurzfilm Near the Big Chakra von 1972, der Großaufnahmen weiblicher Genitalien zeigt, über mann&frau&animal der österreichischen Avantegardekünstlerin Valie Export von 1973, der einen selbstbewussten Blick auf weibliche Sexualität unternimmt bis hin zu unterhaltsamen Publikumsschlagern, wie Zur Sache Schätzchen von May Spils. Die Filmkomödie von 1967 mit Uschi Glas in der Hauptrolle porträtiert aufs Köstlichste die zwielichtigen Gestalten und gammeligen Nichtstuer des Münchner Stadtteils Schwabing am Vorabend der 68er Unruhen. So gewinnt das Filmfestival und das Symposium dem Thema Frauenbewegung und ‘68 mehrere Facetten ab, die sich ergänzen, in Widerspruch zueinander geraten und alles in allem ein überaus lebendiges Bild dieser Zeit zeichnen.Zum Auftakt wurde Georgy Girl von 1966 gezeigt.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Georgy, gespielt von Lynn Redgrave die mit ihrer ungleichen Freundin Meredith (Charlotte Rampling) eine Wohnung teilt. Georgy, die sich selbst für unansehnlich hält, leidet unter den Liebeseskapaden ihrer Mitbewohnerin Meredith, die die Männer reihenweise um den Finger wickelt. Zu schüchtern zum Flirten widersteht sie dennoch den Annäherungen des älteren Geschäftsmanns James Learnington, in dessen Haus sie als Tochter eines Bediensteten aufgewachsen ist. Als ihre Freundin Meredith sich weigert ihr Neugeborenes aufzuziehen und obendrein den Vater des Kindes, Möchtegern-Macho Jos Jones (Alan Bates) abserviert, beginnt Georgy eine Beziehung mit Jos und kümmert sich wie eine Mutter um das Baby ihrer Freundin. Jos verlässt die unglückliche Georgy kurz darauf, um sich dem ungewollten Familienleben zu entziehen. Für ein Ende ganz nach dem Geschmack der Zeit vor der zweiten Frauenbewegung sorgt dann der Schluss des Films: Georgy heiratet schließlich doch den reichen James Learnington und verabschiedet sich mit ihrem 30 Jahre älteren wohlhabenden Bräutigam samt Adoptivkind von der Leinwand. Der Film erzählt die Geschichte der Emanzipation zweier Freundinnen vor dem Hintergrund einer bürgerlichen Gesellschaft in den Sechzigern.
Den Großteil ihres aufrührerischen Gehalts bezieht die Komödie aus dem Handeln von Meredith, die sich rigoros der bürgerlich-männlichen Ordnung und auch der Zuschreibung einer Opferposition innerhalb dieser Gesellschaft entzieht. So nimmt der Film im Spiel von Charlotte Rampling vorweg, was später signifikant für die Frauenbewegung ab ‘68 sein wird, und zeichnet eher unfreiwillig den Spielraum von Filmproduktionen in Bezug auf das Geschlechterverhältnis zu dieser Zeit nach.Das Festival und das Symposium bei dem auch das Verhältnis der heutigen jungen Frauen und deren Auffassung von Emanzipation in der Diskussion zum Thema Töchter der 68er reflektiert wurde, wurde in mehrfacher Hinsicht in ein Spannungsverhältnis zum regionalen und historischen Kontext gesetzt – zu Frankfurt und zu 1968. So ist zum Beispiel Filmemacherin Helke Sander anwesend, die 1968 als Vertreterin im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) unter dem Gejohle ihrer männlichen Kollegen eine Aufsehen erregende Rede bei der Delegiertenkonferenz hielt. Darauf folgte ihr berühmter Tomatenwurf, der als Auftakt der Frauenbewegung in der BRD gilt. Ihr Film Der subjektive Faktor verbindet Spielszenen mit Dokumentaraufnahmen aus den Jahren 1968 bis 1971. Aus der Perspektive der jungen Studentin Anni, die in einer WG in Frankfurt wohnt, in der die Männer den politischen Ton angeben, wird eine subjektive Entwicklung geschildert, die stellvertretend für viele Frauen der 68er-Bewegung ist. Kommt die Frauenfrage aus der Sicht ihrer männlichen Mitbewohner nur als Nebenwiderspruch im Klassenkampf vor, nimmt Anni mit aller Lust zur Veränderung das Heft selbst in die Hand. Die Selbstorganisation steht dabei an erster Stelle: Kinderläden werden gegründet, regelmäßige Treffen bereiten unabhängige Strukturen vor. Filme, die mit eigenen Produktionsmitteln entstehen, werden gedreht. So markiert der Film auch den Aufbruch feministischer Film- und Kinoarbeit, die den Wahrnehmungsweisen männlicher Blicke eine eigene Subjektivität entgegenstellt.Genau um diese geht es im italienischen Film Adjektiv Frau – L’aggettivo donna von 1971, der der Filmreihe den Titel gab. Gegen die Zurichtung zur „Adjektiv-Frau“, als Anhängsel des Mannes richtet sich der Kollektivfilm, der alle wesentlichen Frauenfragen der Zeit gleich einem Manifest mit der Montage dokumentarischen Materials behandelt. Es sind vornehmlich Arbeiterinnen, die hierbei zu Wort kommen und teilweise auch Erfahrungen im Kampf gegen Ausbeutung an der Seite ihrer männlichen Kollegen haben. Die Forderung ist deshalb auch keine nach Gleichstellung mit ihren männlichen Kollegen, schließlich seien diese ebenso unfrei: „Wir wollen die Gesellschaft revolutionieren, nicht in ihr eine bessere Stellung erreichen.“. Und die Etablierung eines „Wir“, als eine gemeinsame Sprechsituation von Frauen, ist dabei der Schlüssel zur Veränderung der Produktionsbedingungen. Ein Film lief über die gesamte Dauer des Filmfestivals im Foyer des Kinos: Sei schön und halt den Mund aus dem Jahre 1976 von Delphine Seyrig, die Interviews mit 22 Kolleginnen wie Shirley McLaine, Jane Fonda, Juliet Berto und Barbara Steel über ihre Erfahrungen im Filmbusiness zeigt. Dieser Beitrag stellte auch die thematische Klammer des Festivals dar, ging es doch um die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen von Frauen in der Selbstbehauptung. So versteht auch Kuratorin Heide Schlüpmann ihr Filmprogramm: „Das was an Befreiungswünschen und Sehnsüchten in den Filmen vorkommt, kann man heute dort wieder wahrnehmen und ich glaube, es weckt vielleicht auch schlafende Träume und Sehnsüchte in den Zuschauerinnen heute, auch in den jungen Zuschauerinnen.“ So können die beiden Kuratorinnen Gramann und Schlüpmann auf ein gelungenes Filmfestival zurückblicken, das verdientermaßen seine Zuschauerinnen und Zuschauer allen Altersgruppen gefunden hat. Die Anstöße und Impulse der damaligen Frauenbewegung entfalten in den gezeigten Filmen ihre ganz aktuelle Wirkung, die Geschichte der 68er stellt sich nicht abgeschlossen dar, sie bietet weiterhin Reizpunkte, die sicher auch künftig ihr interessiertes Publikum finden wird.
(merz 2008-4, S. 77-79)