Dr. Björn Maurer
- Beirat
Aktivitäten
Dozent für Medien und Informatik an der Pädagogischen Hochschule Thurgau
Schwerpunkte
- Interkulturelle Jugend-Medienarbeit
- Hochschuljournalismus, Schwerpunkt Video- und Radiojournalismus
- Filmbildung
- Sprachförderung mit Medien
- Mobiles Lernen
- Making an Schulen
Beiträge in merz
Eike Rösch und Björn Maurer: Apps in der Schule
Aktuell steht in der Auseinandersetzung um mobiles Lernen mit Tablets die Diskussion um die besten Apps für den Schulunterricht oft im Vordergrund. Wie ist das Umfeld dieser Diskussion beschaffen? Welche Potenziale und mögliche Fehlentwicklungen gibt es? Und worauf kommt es beim Einsatz von Apps in der Schule wirklich an?
Kathrin Demmler, Björn Maurer: Die Welt verstehen – geht das noch?
Gesichtserkennung am Smartphone und Sensoren im Smarthome, selbstlernende Algorithmen und selbstfahrende Autos, Blockchains und Uploadfilter... Die digitale Transformation der Gesellschaft ist in vollem Gange. Viele nutzen die niederschwelligen digitalen Annehmlichkeiten mit Begeisterung, andere beobachten sie mit Sorge. Aber ganz gleich, ob wir als digitale Nomaden, Sharing Economists oder Quantified Selfs in unseren medialen und/oder sozialen Echokammern unterwegs sind, ob wir als medienabstinente Skeptikerinnen und Skeptiker oder doch als kritische und engagierte digital Citizens agieren, stellt sich die Frage, auf welcher (Wissens-)Grundlage wir uns zur Digitalisierung positionieren. Was wissen und verstehen wir tatsächlich von den Funktionsweisen digitaler Systeme, der Struktur von Suchalgorithmen oder potenziellen Auswertungsmöglichkeiten von Big Data? Sind wir in der Lage, digitale Angebote bewusst, kritisch und verantwortungsvoll zu nutzen oder zu entwickeln? Angenommen, wir möchten einerseits in der digitalen Gesellschaft handlungsfähig und selbstwirksam bleiben und andererseits die digitale Transformation aktiv mitgestalten; wie können wir dies in einer Welt, in der smarte Geräte für uns mitdenken, sinnvoll leisten?
Sobald Algorithmen und Informatiksysteme unbemerkt in unseren Alltag eingreifen, sind die Möglichkeiten für autonomes Handeln und Selbstbestimmung eingeschränkt. Geolokalisierung, Social Bots und personalisierter Content sind nur wenige Beispiele. Überkomplexe Informationsverarbeitungs- und Nutzungsvereinbarungen digitaler Dienste erschweren die informationelle Selbstbestimmung und die Wahrung der Privatsphäre. Politische Meinungsbildung wird zur Herausforderung, wenn Algorithmen im den öffentlichen Diskurs verdeckt zur Meinungsmache und Propaganda eingesetzt werden. Grenzen verwischen nicht mehr nur zwischen Öffentlichem und Privatem, sondern auch zwischen medialer Oberfläche und digitaler Tiefenstruktur. Und die digitale Welt wirklich zu verstehen, ist voraussetzungsvoll.
Wie soll die Medienpädagogik auf Entwicklungen in informatisch-technischen Bereichen reagieren? Die intensive Auseinandersetzung mit Technik zählte bisher nicht zu den primären Zielen einer erziehungswissenschaftlich ausgerichteten Medienpädagogik in der Tradition der kommunikativen Kompetenz nach Dieter Baacke. Im Fokus standen eher die Menschen als Subjekte der Mediennutzung, medial repräsentierte Inhalte, gestalterische, systemische bzw. ethische Fragen. Die Technik war nötig, stand aber nicht im Zentrum. Hat die kommunikative Kompetenz angesichts der aktuellen technologischen Entwicklung als Referenzrahmen für die Erziehung Heranwachsender zu kritisch-emanzipierten Mediennutzenden ausgedient? Kann die Förderung von Medienkompetenz sich wie bisher trotz einer zunehmenden Verschmelzung von Inhalt und Technik vor allem auf die kritisch-reflektierte Auseinandersetzung mit Inhalten sowie die selbstbestimmte Nutzung und Produktion konzentrieren?
Inwieweit braucht die Medienpädagogik an dieser Stelle die Unterstützung der Informatik(didaktik)? Sollen informatische Kompetenzen im Sinne einer Grundbildung erworben werden oder ist zudem – wie in der bildungspolitischen Öffentlichkeit oft gefordert wird – eine systematische Alphabetisierung etwa im Programmieren erforderlich und muss diese bereits in der frühkindlichen Bildung beginnen?
Medienpädagogik hat eine lange erziehungswissenschaftliche Tradition, Informatik als Ingenieurswissenschaft einen anderen Fokus. Bisherige Bemühungen eines interdisziplinären Austauschs beruhten vor allem auf vorsichtiger gegenseitiger Betrachtung bis hin zur Abgrenzung. Die aktuellen Entwicklungen in Gesellschaft, Informatikdidaktik oder informatischer Bildung schaffen nun Gelegenheit für eine konstruktive gemeinsame Gesprächsbasis.
In welchem Verhältnis stehen die Disziplinen aktuell? Was würde eine stärkere Verzahnung von Informatik und Medienpädagogik für Ziele, Qualität und inhaltliche Ausrichtung medienpädagogischer Bildungsangebote bedeuten? Medienkritik und -ethik sind integraler Bestandteil dieser Disziplin. Gilt dasselbe auch für die Informatikbildung in ihren verschiedenen Facetten? Ist deren Integration in schulische Curricula eine Bereicherung oder führt sie zu einer Verwässerung zentraler medienpädagogischer Anliegen?
Mit diesen Fragen rund um Synergien, Konkurrenzen und Gemeinsamkeiten von informatischer Bildung und Medienpädagogik befassen sich die folgenden Beiträge. Eingangs setzen sich Sven Kommer und Peter Hubwieser mit den Kompetenzbereichen ihrer Disziplinen auseinander und gehen der Frage nach, wo gemeinsame Aufgaben deutlich werden. Heidi Schelhowe formuliert in ihrem Beitrag gesellschaftspolitische Ansprüche einer ganzheitlichen informatischen Bildung. Diese macht Informatik in handlungsorientierten Lernsettings be-greifbar und zeigt durch Programmieren, dass Algorithmen gestaltbar und menschengemacht sind. Thomas Knaus betont in seinem Artikel die Synergien von Medienpädagogik und Informatik. Er zeigt, dass Medienkritik nicht auf die wahrnehmbare mediale Oberfläche beschränkt sein darf, sondern die technische Basis wie Software und Handlungsvorschriften berücksichtigen muss. Ab 2010 wurde in der Deutschschweiz an einem gemeinsamen Lehrplanprojekt (Lehrplan 21) für die Volksschule gearbeitet. Welche Chancen sich aus der Einführung von Medien und Informatik als Modul mit eigener Stundendotation ergeben, erläutert Thomas Merz. In einem Interview mit Leena Simon gehen wir den Bedingungen von Mündigkeit im digitalen Zeitalter nach, bevor sich Fabian Wörz dem Diskurs zum Programmieren mit Kindern widmet und sich mit praxisnahen Zugängen zur kindgerechten Informatik im Synergiefeld von Making und Coding auseinandersetzt.
Die hier angesprochenen Bildungsangebote im Bereich DIY/Making oder auch Hackathons beziehen sich auf Konzepte der aktiven Medienarbeit und greifen zunehmend konzeptionell-technische Fragen auf – meist eingebettet in einen konkreten Anwendungs- und Sinnbezug. An dieser Stelle möchten auch wir mit Bezug auf das Dagstuhl-Modell die Bedeutung des gemeinsamen interdisziplinären Diskurses unterstreichen und hoffen unsererseits, mit dieser Ausgabe von merz beizutragen, den Dialog fortzusetzen und Interesse an den jeweiligen Spezifika der Fachdisziplinen zu wecken. Denn, soweit möchten wir hier Stellung beziehen, die komplexen medialen Strukturen lassen sich sicher nicht in Abgrenzung und ohne Experimentierfreude erfassen. Individuen können die Welt nicht mitgestalten ohne sich Gedanken über digitale Transformationen zu machen. Medienpädagogik ist gerade deshalb so einzigartig, weil sie davon lebt, aufgeschlossen zu sein, integrativ zu wirken und im besten Fall dazu beiträgt, die Welt zu verstehen und mitzugestalten.
Kathrin Demmler ist Direktorin des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis sowie Mit-Herausgeberin der Zeitschrift merz. Ihre Schwerpunkte sind Medienarbeit mit Kindern, Modelle und Konzepte für die Bildungsarbeit sowie Vernetzung.
Dr. Björn Maurer ist Dozent für Medien und Informatik an der Pädagogischen Hochschule Thurgau. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören unter anderem Interkulturelle Jugend-Medienarbeit, Hochschuljournalismus und Mobiles Lernen.
Kathrin Demmler, Björn Maurer: Digitale Mündigkeit heißt nicht nur den Hebel drücken
Entscheidungen werden im Alltag zunehmend automatisiert getroffen. Filter, Empfehlungen, Klicks und Likes steuern die Handlungen im Netz und wirken auf das (künftige) Dasein im Hier und Jetzt. Als frei erlebte Entscheidungen müssen sie nicht unbedingt einer echten Freiheit entsprechen. Wo aber beginnt digitale Mündigkeit und was befähigt zu (Problem-)Bewusstsein und differenziertem Umgang mit Technik? Kathrin Demmler, Direktorin des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, und Björn Maurer, Dozent für Medien und Informatik an der Pädagogischen Hochschule Thurgau, im Gespräch mit Leena Simon von Digitalcourage e. V., einem gemeinnützigen Verein, der sich für Grundrechte, Datenschutz und Lebensqualität im digitalen Zeitalter engagiert
<I>Leena Simon ist graduierte (Netz-)Philosophin und arbeitet als IT-Beraterin im Anti-Stalking- Projekt im Frieda Frauenzentrum. Außerdem ist sie freiberuflich mit Vorträgen und Schulungen unterwegs und aktiv bei Digitalcourage e. V. Zu ihren Schwerpunkten gehören Netzphilosophie, digitale Selbstverteidigung, digitale Mündigkeit, Rahmenbau, Datenschutz, Freiheitsrechte, Technikphilosophie, Frauenpolitik, Urheberrecht, Linguistik und freie Software.</I>
Das Interview führten Kathrin Demmler und Björn Maurer.
Björn Maurer und Horst Niesyto: Jugendkulturelle Symbolproduktion in Videofilmen
Die Abteilung Medienpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg führt kontinuierlich Studien zur medienpädagogischen Praxisforschung durch, die unter unterschiedlichen Frageperspektiven die Eigenproduktionen Jugendlicher und den Prozess ihres Erstellens zum Forschungsgegenstand haben (Überblick: Niesyto 2006). Einen wichtigen Stellenwert hat dabei der Aspekt der präsentativen Symbolik für jugendkulturelle Symbolproduktion.
Literatur
Cassirer, Ernst (1931). Philosophie der symbolischen Formen. Berlin: Verlag
Holzwarth, Peter (2001). Möglichkeiten und Grenzen interkultureller Kommunikation mit Video. Diplomarbeit Erziehungswissenschaft Universität Tübingen/Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
Holzwarth, Peter/Maurer, Björn (2003). Kreative Bedeutungskonstruktion im Spannungsfeld von Symbolproduktion und Symbolverstehen. In: Niesyto, Horst (2003), S. 139-168
Langer, Susanne (1987/1942). Philosophie auf neuem Wege. Frankfurt/Main: Fischer
Maurer, Björn (2004). Medienarbeit mit Kindern aus Migrationskontexten. München: kopaed
Münch, Thomas/Bommersheim, Ute (2003). Jugendliche Produktionen aus musikkultureller Perspektive. In. Niesyto, Horst (2003), S. 317-343
Niesyto, Horst (2006). Medienpädagogische Forschung auf der Grundlage handlungsorientierter Medienarbeit. In: merz, 50, Nr. 5, S. 29-37
Niesyto, Horst (Hg.) (2003). VideoCulture – Video und interkulturelle Kommunikation. Grundlagen, Methoden und Ergebnisse eines internationalen Forschungsprojekts. München: kopaed
Röll, Franz Josef (1998). Mythen und Symbole in populären Medien. Der wahrnehmungsorientierte Ansatz in der Medienpädagogik. Frankfurt/Main: Evang. Gemeinschaftswerk für Publizistik
Witzke, Margrit (2004). Identität, Selbstausdruck und Jugendkultur. Eigenproduzierte Videos Jugendlicher im Vergleich mit ihren Selbstaussagen. Ein Beitrag zur Jugend(kultur)forschung. München: kopaed
(merz 2008-05, S. 10-18)
Björn Maurer, Kristin Narr: Making aus medienpädagogischer Perspektive
Making gilt als Graswurzelbewegung kreativer Tüftlerinnen und Tüftler, die analoge und digitale Techniken und Materialien nutzen, um gemeinsam Probleme zu lösen, eigene Produkte zu entwickeln oder die Haltbarkeit kommerzieller Produkte zu verlängern. Als Community of Practice organisiert, arbeiten Makerinnen und Maker miteinander, lernen voneinander. Sie teilen ihr Knowhow, ihre Ideen und Lösungsansätze. Sie nehmen Dinge auseinander, ergründen deren Funktionsweise, machen Code bzw. Algorithmen transparent und schaffen gemeinsam Neues. Im Zuge der digitalen Transformation hat die Maker-Bewegung neue Impulse bekommen. Niederschwellige Zugänge zur digitalen Fabrikation (z. B. 3D-Druck, CNC-Fräsmaschinen, Laser Cutter, Plotter) erlauben die Herstellung eigener, alternativer Produkte und damit eine gewisse Autonomie von der industriellen kommerziellen Produktion. Statt auf Profit und Wachstum setzen viele Makerinnen und Maker auf Nachhaltigkeit und lokale Produktion, soziale Verantwortung, Transparenz und Algorithmuskritik. Making bedeutet damit auch, Funktions- und Gestaltungsprinzipien technischer Produkte zu ergründen, Strukturen des Digitalen zu verstehen, unter Berücksichtigung ethischer Prinzipien aktiv anzuwenden und selbst zu ändern.
Ob in Bibliotheken, soziokulturellen Zentren, Quartierwerkstätten, Schulen oder Hochschulen – Orte mit Infrastruktur und Unterstützung für Making haben sich in unterschiedlichen Praxisfeldern etabliert. Entsprechend ihrer inhaltlichen Ausrichtung nennen sie sich Makerspaces, FabLabs (Schwerpunkt digitale Fabrikation) oder Hackerspaces (Hard- und Softwareentwicklung). Aus pädagogischer Sicht kann Making als erfahrungs- und produktorientierte Form der Selbstbildung verstanden werden. Selbstbestimmtes Tüfteln und Erfinden bietet Chancen für das Erleben von Selbstwirksamkeit und für das Entdecken und Weiterentwickeln eigener Stärken und Talente. Pädagogisches Making (vgl. Boy/Sieben 2017; Schön et al. 2016) kann dazu führen, dass Userinnen und User zu kreativen Prod-Userinnen und -Usern von Produkten werden, die eigene Ausdrucksabsichten realisieren und dabei Funktionsweisen industrieller Produktion und Entwicklungsprozesse im Produktdesign nachvollziehen. Making-Aktivitäten werden insbesondere mit der Förderung zukunftsrelevanter Fähigkeiten und Fertigkeiten (21st Century Skills, vgl. Beetham/ Sharpe 2013) wie Kreativität, Kollaboration oder kritisches Denken in Verbindung gebracht. Ebenso liegen Berührungspunkte mit Fragestellungen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) auf der Hand (wie Up- und Downcycling, Repair-Cafés, Klimaschutz und Energie-Effizienz). Es gibt aber auch kritische Stimmen, die eine Funktionalisierung und Effizienzoptimierung von Human Ressources im Sinne wirtschaftlicher Interessen durch Making befürchten.
Ein Großteil der pädagogisch ausgerichteten Making-Angebote ist auf den außerschulischen Bereich zugeschnitten. Die Maker-Idee wird aber auch von Schulen aufgegriffen und den strukturellen Gegebenheiten (Bildungspläne, Fach- und Lektionenstruktur) angepasst. Dadurch ergeben sich interdisziplinäre Synergien zwischen Werken, den MINT-Fächern (insbesondere Informatik), Kunst und Gestaltung sowie Ethik. Making-Aktivitäten haben in den letzten Jahren zunehmend Einzug in die Medienpädagogik gehalten. Die Publikation Making-Aktivitäten mit Kindern und Jugendlichen (Schön/Ebner/Narr 2016) zeigt eine Reihe von Projektideen, die sowohl aus Sicht der Medienpädagogik wie auch aus der Maker-Perspektive sinnvoll sein können. Auf der theoretisch-konzeptionellen Ebene teilt der Making-Ansatz mit dem methodischen Konzept der aktiven Medienarbeit (vgl. Schell 2003) das Anliegen, durch Eigenproduktion Erfahrungen zu sammeln und dabei Funktion und Wirkungsweise von Produkten auf den Grund zu gehen. Das Streben nach Autonomie von industriell hergestellten Produkten beim Making findet sich in der Auseinandersetzung mit Datensicherheit, Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung sowie digitalen Mündigkeit in der Medienpädagogik wieder. Die Möglichkeit, das technische Innenleben von Produkten mithilfe digitaler Werkstoffe wie Microcontrollern (z. B. Calliope, Microbits, Arduino), Minicomputern (z. B. Raspberry Pi), Aktoren und Sensoren zu gestalten, bietet Anknüpfungspunkte für eine Medienpädagogik, die sich am Frankfurt-Dreieck (vgl. Brinda et al. 2019 in dieser Ausgabe, S. 69–75) orientiert, und neben medienpädagogischen Fragen von Wirkung, Funktion, Nutzung und Gestaltung auch Bildungsprozesse auf informatisch-technischer Ebene anstoßen möchte. Mittelfristig ergibt sich die Chance, medienpädagogische Theoriebildung und die Weiterentwicklung innovativer Angebote durch Perspektiven von Natur- und Ingenieurwissenschaften interdisziplinär anzureichern.
In der vorliegenden Ausgabe kommen Autorinnen und Autoren zu Wort, die sich im Schnittfeld von Making und Medienpädagogik bewegen und auf verschiedenen Ebenen – praktisch, theoretisch-konzeptionell und forschungsbezogen – Synergien zwischen beiden Perspektiven ausloten.
Zu dieser Ausgabe
Sandra Schön und Martin Ebner geben in ihrem einführenden Beitrag einen Überblick über die historische Entwicklung der Maker-Bewegung. Sie ordnen den Maker-Ansatz lerntheoretisch ein, zeigen Verbindungen zu reformpädagogischen Ideen auf und heben dessen Bedeutung als soziale Bewegung heraus. Offenheit, Produktorientierung, Interdisziplinarität, der Einsatz digitaler Werkzeuge sowie die Orientierung an Nachhaltigkeit und sozialer Teilhabe gelten als wesentliche Merkmale der Maker Education.Henrike Boy und Kristin Narr arbeiten theoretische und methodische Bezüge zwischen Medienpädagogik und Making heraus und betonen dabei unter anderem Gemeinsamkeiten wie Handlungsorientierung, Produkt- und Prozessorientierung sowie Selbstwirksamkeit. Gewissermaßen als Synthese beider Perspektiven skizzieren sie den Ansatz des medienpädagogischen Making und machen deutlich, welche Chancen mit der Verzahnung von Medienpädagogik und Making verbunden sind.
Niels Brüggen spricht im Interview mit Kristin Narr und Björn Maurer über Zielsetzungen, Potenziale und Herausforderungen von Making aus medienpädagogischer Perspektive sowie über weiteren Reflexions- und Forschungsbedarf.
Mathias Wunderlich, der einen Makerspace an der Freien Aktiven Schule Wülfrath betreibt, geht auf Entwicklungen der internationalen Maker Education ein und zeigt die wachsende Bedeutung im deutschsprachigen Raum auf. Der Autor beleuchtet neben aktuellen Trends im Bereich digitaler Fabrikation auch die veränderte Ausprägung von Maker-Vorbildern im Medienzeitalter und plädiert für eine erweiterte Technikbildung, die kreative und künstlerische Aspekte einschließt.
Thomas Hermann setzt sich in seinem Beitrag mit der Gefahr auseinander, dass Maker Education einseitig für wirtschaftliche Zwecke instrumentalisiert wird, was er als Nützlichkeitsfalle bezeichnet. Hierfür zeichnet er die Linien und Schnittmengen zwischen Maker Education, Entrepreneurship Education und Enterprise Education im internationalen Raum nach.
Selina Ingold und Björn Maurer haben in einem Design-Based Research-Projekt unter anderem untersucht, welches Potenzial Making in der Schule für die Förderung von digitaler Mündigkeit hat. Sie stellen erste qualitative Befunde vor und leiten Konsequenzen für das Re-Design eines schulischen Makerspace als Lernumgebung und als didaktisches Konzept ab.
Zwischen den Artikeln und in strukturierter Form werden konkrete Making-Aktivitäten mit medienpädagogischem Bezug verschiedener Initiativen, Organisationen und gemeinnütziger Unternehmen vorgestellt. Dieser Showroom mit insgesamt sechs ausgewählten Projekten und dazugehörigen Produkten zeigt die Bandbreite und Vielseitigkeit von Making in unterschiedlichen Lernsettings und Zusammenhängen.
Die Auseinandersetzung mit (medien-)pädagogischen Fragestellungen in Bezug auf Making zeigt interessante und vielversprechende Entwicklungen. Es eröffnen sich Räume für Aus- und Neugestaltungen sowie die Möglichkeit, den gestaltenden Umgang mit Technik in der medienpädagogischen Arbeit zu vertiefen. Für die weitere, erfolgreiche Adaption der Maker-Idee in der Medienpädagogik braucht es noch weitere Forschung sowie konzeptionelle Entwicklung, Erfahrungen in der Praxis und weiteren Austausch darüber.
Literatur:
Beetham, Helen/Sharpe, Rhone (2013). Rethinking Pedagogy for a Digital Age: Designing for 21st Century Learning. New York: Routledge.Brinda, Torsten/Brüggen, Niels/Diethelm, Ira/Knaus, Thomas/Kommer, Sven/Kopf, Christine/Missomelius,Petra/ Leschke, Rainer/Tilemann, Friederike/Weich, Andreas (2019). Frankfurt-Dreieck zur Bildung in der digital vernetzten Welt. In: merz | medien + erziehung, 63 (4), S. 69–75.
Schell, Fred (2003). Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen: Theorie und Praxis. München: kopaed.
Schön, Sandra/Ebner, Martin/Narr, Kristin (2016) (Hrsg.). Making-Aktivitäten mit Kindern und Jugendlichen: Handbuch zum kreativen digitalen Gestalten. www.bimsev. de/n/userfiles/downloads/making_handbuch_online_ final.pdf [Zugriff: 02.07.2019]
Kristin Narr, Björn Maurer: Wann ist Making medienpädagogisch? Ein Interview mit Niels Brüggen
Zahlreiche unterschiedliche Formen von Making-Projekten erweitern nicht nur Partizipationsmöglichkeiten für Jugendliche, sondern bedeuten auch für medienpädagogische Fachkräfte neue Handlungsfelder. Wo ist der Begriff Making dabei in der Medienpädagogik konzeptionell zu verorten? Kristin Narr und Björn Maurer haben dazu mit Niels Brüggen über Zielsetzungen, Potenziale und Herausforderungen von Making aus medienpädagogischer Perspektive sowie über weitere Reflexions- und Forschungsbedarfe gesprochen.
Björn Maurer, Selina Ingold: Mit Making zu mehr digitaler Mündigkeit?
Im Rahmen eines Design-Based Research-Projekts wird mit dem Team einer Schweizer Primarschule ein Makerspace als Teil des obligatorischen Unterrichts etabliert und in den Schulalltag integriert. Ziel ist die Konzeption, Implementierung, Überprüfung und schrittweise Optimierung einer schulischen Maker-Umgebung zur Entwicklung der 21st Century Skills Kreativität, Kollaborationsfähigkeit, kritisches Denken und digitale Mündigkeit als wesentliche Komponenten einer zukunftsorientierten Bildung. In diesem Beitrag werden erste Befunde zum Forschungsbereich digitale Mündigkeit vorgestellt und Konsequenzen für das Re-Design des Makerspace abgeleitet.
Literatur:
Beck, Roman/Greger, Vanessa/Hoffmann, Christian/König, Wolfgang/Krcmar, Helmut/Weber, Jasmin/Wunderlich, Nico/Zepic, Robert (2018). Digitale Mündigkeit. Eine Analyse der Fähigkeiten der Bürger in Deutschland zum konstruktiven und souveränen Umgang mit digitalen Räumen. Abschlussbericht. Nationales E-Government. Kompetenzzentrum e.V. University of Copenhagen, Goethe Universität Frankfurt a. Main, Universität Leipzig, Technische Universität München. https://negz.org/wp-content/uploads/2018/06/NEGZ-ISPRAT-Studie-Dig-M%C3%BCnd-Abschlussbericht.pdf [Zugriff: 15.05.2019].
Blikstein, Paulo/Kabayadondo, Zaza/Martin, Andrew/Fields, Deborah (2017). An Assessment Instrument of Technological Literacies in Makerspaces and FabLabs. In: Journal of Engineering Education, 01/2017, Vol. 106, pp. 149-175.
Boy, Henrike/Sieben, Gerda (2017). Kunst & Kabel: Konstruieren. Programmieren. Selbermachen. Bausteine für pädagogisches Making in der Jugendmedienarbeit und Ergebnisse aus dem Praxisforschungsprojekt «Fablab mobil». München: kopaed Verlag.
Collins, Allen/Kapur, Manu (2015). Cognitive Apprenticeship. In: Sawyer, Keith R. (Ed.), Cambridge Handbook of the Learning Sciences (Second Edition). Cambridge: Cambridge University Press, pp. 109-127.
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Crichton, Susan/Childs, Elizabeth (2016). Taking Making into Schools. Through Immersive Professional Learning. In: Novotna, Jarmila/Jancarik, Antonin (Eds.), Proceedings of the 15th European. Conference on e- Learning. Academic Conferences and Publishing International Limited, pp. 144-150.
Dougherty, Dale (2013). The Maker Mindset. In: M. Honey and D.E. Kanter (Eds.), Design, Make, Play: Growing the next generation of STEM innovators. London: Routledge, pp.7–16.
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Hatch, Mark (2013). The Maker Movement Manifesto: Rules for Innovation in the New World of Crafters, Hackers, and Tinkerers. New York: McGraw-Hill Education.
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Ingold, Selina/Maurer, Björn (2019b). Making in der Schule. Reibungspunkte und Synergieeffekte. In: Ingold, Selina/Maurer, Björn/Trüby Daniel (Hrsg.), Chance MakerSpace. Making trifft auf Schule. München: kopaed 2019.
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Kim, Soo Hyeon/Zimmermann, Heather Toomey (2017). Towards a Stronger Conceptualization of the Maker Mindset: A Case Study of an Afterschool Program with Squishy Circuits. In: FabLearn '17, October 21–22, 2017, Stanford, CA, USA.
Knaus, Thomas (2018). Gegeneinander – Nebeneinander – Miteinander? In: merz (medien+erziehung), Zeitschrift für Medienpädagogik, 2018/4. S. 34-42.
Litts, Breanne K. (2015). Making learning: Makerspaces as learning environments. Dissertation at University of Wisconsin-Madison. www.informalscience.org/sites/default/files/Litts_2015_Dissertation_Published.pdf [Zugriff: 15.05.2019].
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Mertz, Marcel/Jannes, Marc/Schlomann, Anna/Manderscheid, Enza/Rietz, Christian/Woopen, Christiane (2016). Digitale Selbstbestimmung. Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health (ceres). Köln. https://kups.ub.uni-koeln.de/6891/1/ceres_Digitale_Selbstbestimmung.pdf [Zugriff: 15.05.2019].
Peppler, Kyle/Halverson, Erica/Kafai, Yasmin B. (2016). Makeology. Makerspaces as Learning Environments. London: Routledge.
Petko, Dominik (2011). Praxisorientierte medienpädagogische Forschung: Ansätze für einen empirischen Perspektivenwechsel und eine stärkere Konvergenz von Medienpädagogik und Mediendidaktik. In: Moser, Heinz/Niesyto, Horst/Grell, Petra. (Hrsg.), Medienbildung und Medienkompetenz. Beiträge zu Schlüsselbegriffen der Medienpädagogik. München: kopaed.
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Romeike, Ralf (2017). Wie informatische Bildung hilft, die digitale Gesellschaft zu verstehen und mitzugestalten. In: Eder, Sabine/Mikat, Claudia/ Tillmann, Angela (Hrsg.), Software takes command. Herausforderungen der Datafizierung für die Medienpädagogik in Theorie und Praxis, München: kopaed, S. 105-118.
Schelhowe, Heidi (2018). Vom Digitalen Medium und vom Eigen-Sinn der Dinge. In: merz, (medien+erziehung), Zeitschrift für Medienpädagogik, 2018/4.
Schön, Sandra/Ebner, Martin/Narr, Kristin/Peissl, Markus (2016a). Projekte und Kooperationen im Bereich des Making mit Kindern im Rahmen der Jahrestagung 2016 der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft (GMW). Online verfügbar unter http://2016.gmw-online.de/097/ [Zugriff: 15.05.2019].
Schön, Sandra/Ebner, Martin/Narr, Kristin (Hrsg.) (2016b). Making-Aktivitäten mit Kindern und Jugendlichen. Handbuch zum kreativen digitalen Gestalten. Norderstedt: Books on Demand GmbH.
Schön, Sandra/Narr, Kristin/Grandl, Maria/ Ebner, Martin (2019). Making mit Kindern und Jugendlichen. Einführung und ausgewählte Perspektiven. In: Ingold, Selina/Maurer, Björn/Trüby Daniel (Hrsg.), Chance MakerSpace. Making trifft auf Schule. München: kopaed 2019.
Seifert, Anne/Zentner, Sandra (2012). Service-Learning – Lernen durch Engagement. Theorie, Wirkungen und praktische Herausforderungen. In: Sandfuchs, Uwe/Melzer, Wolfgang/Rausch, Adly/Dühlmeier, Bernd (Hrsg.), Handbuch Erziehung. Stuttgart: UTB GmbH. S. 283-288.
Simon, Leena (2011). Rückkehr zur Unmündigkeit? Technikpaternalismus im Zeitalter der Digitalisierung. Magisterarbeit an der Universität Potsdam. http://leena.de/wp-content/uploads/2017/05/Magisterarbeit_Leena_Simon_Digitale_Muendigkeit.pdf [Zugriff: 15.05.2019].
Tan, Michael (2018). When MakerSpaces Meet School: Negotiating Tensions Between Instruction and Construction. In: Journal of Science Education and Technology. https://doi.org/10.1007/s10956-018-9749-x [Zugriff: 15.05.2019].
Tulodziecki, Gerhard (2017). Praxis- und theorieorientierte Entwicklung und Evaluation von Konzepten für pädagogisches Handeln – dargestellt am Beispiel einer Untersuchung zum fall- und problemorientierten Lernen in hybriden Lernarrangements. In: Knaus, Thomas (Hrsg.), Projekt – Theorie – Methode. Spektrum medienpädagogischer Forschung. Band 1. München: kopaed. S. 155-180.
Ullrich, Stefan (2017). Informationstechnische Grundlagen, Werkzeuge und Praktiken des öffentlichen Vernunftsgebrauchs. Dissertation an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin.
Regionales Informationszentrum der Vereinten Nationen für Westeuropa (UNRIC) (2019). Ziele für nachhaltige Entwicklung. www.unric.org/de/wirtschaftliche-und-soziale-entwicklung/27848 [Zugriff: 24.06.2019]
Wallmüller, Ernest (2017). Praxiswissen Digitale Transformation. Den Wandel verstehen, Lösungen entwickeln, Wertschöpfung steigern. München: Hanser.
Westhoff, Dirk (2018). Gedanken zu Autonomieverschiebungen durch Informations- und Kommunikationstechnologie. In: Breyer-Mayländer, Thomas (Hrsg.), Das Streben nach Autonomie. Reflexionen zum digitalen Wandel. Nomos-Verlag. S. 67-80.
Jan-René Schluchter/Björn Maurer: Editorial: Medienbildung für nachhaltige Entwicklung
Kann Medienpädagogik nachhaltig sein? Ist eine Disziplin, die ihrem Selbstverständnis nach zum souveränen und mündigen Umgang mit medialen Welten befähigen will, mit der Idee von Nachhaltigkeit vereinbar? Unter welchen Umständen widersprechen medienpädagogische Angebote den Anliegen der Idee von Nachhaltigkeit? Tragen gerade solche Angebote durch die verwendete Medientechnik und die damit verbundene Produktion, Nutzung und Entsorgung von Geräten zu einem unnötigen Energie- und Ressourcenbedarf bei? Inwiefern lässt sich der Einsatz von Medien-(-technik) angesichts der teils menschenunwürdigen und ökologisch problematischen Formen des Ressourcenabbaus und der Energiegewinnung für deren Herstellung rechtfertigen? Wie berechtigt ist der Vorwurf, die Medienpädagogik werde zur Einflugschneise der IT-Wirtschaft, angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen des digitalen Kapitalismus?
Natürlich sind diese Fragen zugespitzt und lassen je nach Standpunkt und ethischem Wertehorizont unterschiedliche Antworten zu. Und mit dieser Ausgabe soll keinesfalls das Aussterben der Medienpädagogik eingeläutet werden. Stattdessen wird mit den Beiträgen ein Diskurs über die Bedeutung und Ausgestaltung von Nachhaltigkeitsfragen für die Medienpädagogik und deren Haltungen gegenüber der Idee Nachhaltigkeit angestrebt.
Spätestens nachdem das Leitbild Nachhaltigkeit im Jahr 2015 auf dem UN-Nachhaltigkeitsgipfel in der Agenda 2030 verabschiedet und in den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) konkretisiert wurde, fließt Bildung für nachhaltige Entwicklung verstärkt in unterschiedliche pädagogische Handlungsfelder ein, so nach und nach auch in die Medienpädagogik. Die Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Nachhaltigkeit für Gesellschaften ist nicht neu (vgl. unter anderem von Hauff 2014): den Ausgangspunkt aktueller Diskurse bildet im Besonderen der Bericht ‚Our Common Future‘ der UN (1987), auch bekannt als ‚Brundtland Bericht‘ (vgl. unter anderem Hauff 1987).
Hieran orientieren sich auch Überlegungen zu einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, ein Bildungskonzept, welches zur Verwirklichung der Idee Nachhaltigkeit auf globaler Ebene1 beitragen soll. Vor diesem Hintergrund steht die Medienpädagogik derzeit vor der Aufgabe sich mit der Idee Nachhaltigkeit sowie einer Bildung für nachhaltige Entwicklung zu befassen. Hierfür sind in einem ersten Schritt transdisziplinäre Verbindungslinien in Theorie und Praxis zu erschließen. Der Begriff Nachhaltigkeit beschreibt eine systemische Perspektive der Gestaltung von gesellchaftlichen Transformations- und Entwicklungsprozessen, die die Zukunftsfähigkeit des Verhältnisses von Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft reflektiert. Im Sinne eines Leitbilds für die Entwicklung von Gesellschaften zielt Nachhaltigkeit auf die Bewältigung aktueller wie zukünftiger Herausforderungen in den drei genannten Bereichen ab (vgl. von Hauff 2014; Pufé 2017). Damit sind derzeit normative Setzungen wie zum Beispiel die Bewahrung des ökologischen Systems als Lebensgrundlage, die Erhaltung des gesellschaftlichen Produktivpotenzials zur Steigerung beziehungsweise zur Gewährleistung der Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten heutiger und künftiger Generationen weltweit auf der Grundlage von Humanität, Freiheit und Gerechtigkeit verbunden (vgl. unter anderem Pufé 2017, S. 22; von Hauff 2014, S. 31–44).
In diesem Sinne kann Nachhaltigkeit als regulative Idee, als „normativer Kompass” (Künzli David 2007), für die Transformation von Gesellschaft verstanden werden. Gleichzeitig wird Nachhaltigkeit in Form von Nachhaltigkeitsstrategien (zum Beispiel UN SDGs) konkretisiert. Eine Bildung für nachhaltige Entwicklung bewegt sich auf und zwischen regulativer Idee und deren Konkretisierung – insbesondere mit dem Blick auf die (partizipative) Gestaltung von pädagogisch-didaktischen Szenarien und Angeboten. In der BNE sollte es nicht primär darum gehen, konkrete Anweisungen und Empfehlungen zu nachhaltigem Handeln zu vermitteln. Darüberhinaus müssen Freiräume für Partizipation und Möglichkeiten der Entfaltung von Kindern und Jugendlichen eröffnet werden, um sich dem Zielhorizont eines mündigen Subjekts anzunähern, welches in der Lage ist, Gesellschaft mit dem Blick auf Nachhaltigkeit aktiv und verantwortungsvoll mitzugestalten (vgl. Scott/ Vare 2008; Künzli David 2007). Dies gilt unabhängig vom jeweiligen pädagogischen Handlungsfeld.
BNE kann als Bildungskonzept verstanden werden, welches die Befähigung zur selbstbestimmten Mitgestaltung der sozialen, ökologischen und ökonomischen Gegenwart und Zukunft in den Mittelpunkt stellt (vgl. Künzli David 2007). Demzufolge gehen mündige und emanzipierte Subjekte idealerweise kritisch und kreativ mit dynamischen Entwicklungen, Widersprüchen und Ungewissheiten einer globalisierten Welt um und entwickeln diese auf Grundlage demokratischer und humanistischer Werte im Sinne von Nachhaltigkeit weiter. Im deutschsprachigen Diskurs um BNE hat sich in diesem Zusammenhang das Konzept der Gestaltungskompetenz (de Haan 2000) etabliert. BNE verbindet diesem Verständnis folgend (Persönlichkeits-)Bildung mit der Fähigkeit zur sozialen, ökologischen und ökonomischen Verantwortungsübernahme und der hieraus resultierenden aktiven Gestaltung von Gesellschaft (vgl. unter anderem Künzli David 2007).
Blickt man auf die enge Verwobenheit gesellschaftlicher Transformationsprozesse mit Momenten der Mediatisierung beziehungsweise dem Mediatisierungsschub der Digitalisierung (vgl. unter anderem Hepp 2018, S. 35), so lassen sich verschiedene Berührungspunkte zu Nachhaltigkeit aufzeigen (vgl. unter anderem Santarius/Lange 2018; Sühlmann-Faul/Rammler 2018; Spraul 2019):
• Digital Divide / Soziale Ungleichheit
• Digitaler Kapitalismus
• ‚Smart Everything‘ (Smart City, Smart Mobility, Smart Home etc.)
• Big Data / Open Governmental Data
• Herstellung, Nutzung und Entsorgung von Medientechnik
• Nachhaltige Medientechnik
• Medienumgang, Lebensstil, Konsum
• Mediale Repräsentation von Nachhaltigkeit
• Nachhaltigkeitskommunikation
• Partizipation/ Vernetzung mit Medien
• Be- und Entschleunigung von Gesellschaft
• Digitale Fabrikation, ressourcenschonende Produktion, Ersatzteilproduktion etc.
• ...
All diese Berührungspunkte im Kontext gesellschaftlicher Transformation benötigen Gestaltung bzw. sind gestaltbar; die Frage hierbei ist, wer mit welchen Interessen, Intentionen und Überzeugungen gestaltet und welche Bedeutung der normative Kompass Nachhaltigkeit aus der Sicht verschiedener Akteur*innen (aus Politik, Wirtschaft, Bildung, Kultur etc.) jeweils hat (vgl. hierzu zum Beispiel auch Sühlmann-Faul 2020; Lange 2020). Anders als eine BNE, der eine pointierte Vorstellung davon zugrunde liegt, entlang welcher Werte Gesellschaften sich entwickeln sollen, findet sich ein vergleichbarer normativer Kompass in der Medienpädagogik weniger stark ausgeprägt. In der Medienpädagogik, in welcher sich die genannten Berührungspunkte in verschiedenen Diskursen wiederfinden, müssen sich die Akteur*innen fragen, wie sie sich in Forschung und Praxis zur Idee Nachhaltigkeit positionieren, welche Facetten sie davon in welcher Weise aufgreifen und welche Bedeutung diese für ihr Handeln haben (vgl. unter anderem Ring 2020). Mit Blick auf die pädagogische Ausrichtung der Medienpädagogik eröffnen sich hierbei im Besonderen Bezüge zum Konzept einer Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Die bisher existenten Bezugspunkte von Medienpädagogik und Nachhaltigkeit/BNE sind allerdings überschaubar: Diskurse aus der Perspektive Nachhaltigkeit/BNE greifen vermehrt Mediatisierung/Digitalisierung – als Katalysator gesellschaftlicher Transformation(s-Prozesse) – und deren Verbindungen zu Nachhaltigkeit auf (vgl. unter anderem Lange/ Santorius 2018; Sühlmann-Faul/ Rammler 2018), ohne jedoch Bezüge zur Medienpädagogik, angelegt in Begriffen wie Medienkompetenz oder Neologismen wie Digitale Mündigkeit, in interdisziplinärer Perspektive vertieft auszuarbeiten. Darüber hinaus werden Begriffe wie Digitale Suffizienz (Technik-, Daten- und Nutzungssuffizienz) als Orientierung von gesellschaftlichen Digitalisierungsprozessen beziehungsweise für medienpädagogisches Handeln begründet (vgl. unter anderem Lange/Santarius 2018, S. 151–154). Eine entsprechende, interdisziplinär angelegte, theoretisch-konzeptionelle Fundierung und ein Übertrag in die Praxis sind momentan erst in Entwicklung.
Die folgenden Beispiele zeigen auf, wie die Medienpädagogik bislang Nachhaltigkeitsfragen aufgreift und sich einer BNE annähert. Sie stammen hauptsächlich aus den Schwerpunktausgaben der Zeitschriften medienconcret (2020) und medienimpulse (03/2020) zum Thema Nachhaltigkeit.
Einzelne medienwissenschaftliche Analysen verfolgen die Fragestellung, auf welche Weise und in welcher Intensität Aspekte von Nachhaltigkeit in dokumentarischen, szenischen oder ludischen Medienformaten repräsentiert und kommuniziert werden (vgl. Tykwer 2020, Barg 2020; Kumher 2020). Neben massenmedialen Untersuchungsgegenständen werden verstärkt auch die Klimaprotest-Kultur (vgl. Drosdowski/Rohmann 2020, Brüggemann/Jörges 2020, Plewka 2020), Desinformation von Leugner*innen des menschengemachten Klimawandels in Sozialen Medien sowie die Rolle von Influencer*innen in der Nachhaltigkeitskommunikation (vgl. Lisakowski 2020, S. 50) in den Blick genommen.
Weitergehend wird die Auseinandersetzung von Kindern und Jugendlichen mit Nachhaltigkeit(s-Themen) über eigene Medienproduktionen angeregt (vgl. von Hören 2020; Kortny 2020).
Das medienpädagogische Ziel einer ‚nachhaltigen Mediennutzung‘ wird bislang hauptsächlich auf ökologische Herausforderungen bezogen und mit der Sensibilisierung für Energieverbrauch und CO2-Ausstoß von Streamingdiensten, für den Energie- und Ressourcenverbrauch bei Herstellung und Entsorgung von digitalen Endgeräte, verbunden (vgl. Barberi et al. 2020; Gräser/ Hagedorn 2020). Gräßler und Hagedorn (2020, S. 23) sehen in der nachhaltigen Mediennutzung eine zentrale Zieldimension der Medienpädagogik (vgl. auch Ring 2020; Grünberger 2021).
Die gesellschaftliche Perspektive von Nachhaltigkeit hat die Open Educational Ressources (OER) Bewegung stärker im Blick, die durch die Schaffung von Zugängen zu freien Bildungs- und Lernmaterialien einen Beitrag zur Nivellierung sozialer Ungleichheiten leisten und die Bildungschancen global betrachtet erhöhen möchte (vgl. Mitter/Schön 2020). Bezüge zu BNE stellt auch Boy (2020) mit Ansätzen des medienpädagogischen Makings her. Ebenso werden Perspektiven von Apps sowie digitalen Spielen im Kontext von Nachhaltigkeit, als Ausgangspunkt und Orientierung für nachhaltiges (Medien)Handeln aufgezeigt (vgl. Sleegers 2020; Kauer 2020).
Anhand der skizzierten Beispiele wird deutlich, dass eine Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit/BNE in der Medienpädagogik aktuell am Anfang steht (vgl. Schluchter 2020, S. 71–72). Folglich haben Ideen für entsprechende medienpädagogische Angebote bis dato eher Skizzencharakter (vgl. Sieben 2020, S. 66–67), wenngleich sich insbesondere in der Praxis zunehmend Aktivitäten diesbezüglich abzeichnen.
Mit Blick auf eine gemeinsame Betrachtung von Medienpädagogik und Nachhaltigkeit/Bildung für nachhaltige Entwicklung müssen weitere theoretisch-konzeptionelle und praxisbezogene Verbindungslinien von Medienpädagogik und Nachhaltigkeit/BNE erschlossen werden (vgl. auch Gräßer/Hagedorn 2013). Angesichts aktueller Herausforderungen (zum Beispiel Digitaler Kapitalismus) muss sich Medienpädagogik ebenso stärker auf politischer Ebene zu Nachhaltigkeitsfragen positionieren (vgl. unter anderem Böhnisch 2020). In diesem Zusammenhang sind Akteur*innen der Medienpädagogik gefordert, die eigenen Haltungen zur Idee Nachhaltigkeit zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Um sie dabei zu unterstützen, versucht die vorliegende Ausgabe einerseits weitere Desiderate aufzuzeigen sowie Denkanstöße zur inter- und transdisziplinären Weiterarbeit am Thema anzubieten – verbunden mit der Hoffnung, dass die Medienpädagogik dadurch letztendlich nicht zum Aussterben bestimmt ist....
Anmerkung
1 In diesem Zusammenhang kann kritisch angemerkt werden, dass Diskurse um Nachhaltigkeit/BNE eine stark eurozentristische Perspektive einnehmen (vgl. unter anderem Engelmann 2020) bzw. ein diverses, verschiedene kulturelle Sichtweisen einbeziehendes Verständnis vermissen lassen (vgl. unter anderem Grünberger 2021).
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Der Begriff ‚Kreativität‘ wird in der Informatikdidaktik häufig und in unterschiedlicher Weise verwendet. In diesem Artikel werden zunächst Berührungspunkte von Informatikdidaktik und Kreativität identifiziert. Die vier Perspektiven der Kreativitätsforschung nach Rhodes (1961) – Person, Produkt, Prozess und Press (Umfeld) – dienen als Grundlage für eine Einordnung. Die anschließende Diskussion deckt Desiderate auf und gibt Impulse, wie Kreativität in der Informatikdidaktik weitergedacht werden kann.
The term ‘creativity’ is used frequently and in different ways in computer science education. In this article, we first identify points of contact between computer science education and creativity. The four perspectives of creativity research according to Rhodes (1961) – person, product, process, and press – serve as a basis for classification. The following discussion reveals desiderata and gives impulses how creativity can be further thought in computer science education.
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