Sabina Misoch
Beiträge in merz
Misoch, Sabina: Online-Kommunikation
Der Alltag wird immer mehr vom dem Versenden von E-Mails, dem Chatten oder dem Spielen im Netz geprägt. Nun sei es an der Zeit zu bilanzieren, wie die Online-Kommunikation wirkt. Sabina Misoch hat zu diesem Komplex ein gut lesbares, übersichtlich strukturiertes und auf dem Stand der aktuellen Forschung befindliches Lehrbuch vorgelegt, das sich nicht scheut, populäre Thesen gekonnt zu dekonstruieren. Sie versorgt in den ersten Kapiteln den Leser mit grundlegenden Essentials, angefangen mit dem Kommunikations- und Medienbegriff bis hin zu den basalen Kennzeichen computervermittelter Kommunikation. Diese gewinnt sie aus einem direkten Vergleich mit der unvermittelten Face-to-Face-Kommunikation: a) EntkörperlichungSoziale Austauschbeziehungen unter Kopräsenz sind durch eine Reichhaltigkeit der Sinnesbeteiligung gekennzeichnet. Kommunikativ wirksam sind bei Face-to-Face-Kommunikation nicht nur die inhaltlichen, das heißt dezidiert sprachlichen Elemente des Austausches, sondern auch die nonverbalen Zeichen: Gestik, Mimik, Körperhaltung. Studien belegen, dass die Eindrucksbildung in Face-to-Face-Situationen weniger von den Kommunikationsinhalten als von den Körperzeichen abhängten. Das verdeutliche, dass der Körper und die von ihm gesendeten Zeichen (bewusst oder unbewusst) zentrale Bedeutung haben, und jede soziale Interaktion mit personaler Anwesenheit wird demnach durch die Körper der Akteure maßgeblich vorstrukturiert.
Es liegt auf der Hand, dass sich dies grundlegend ändert, sobald Kommunikation per Computervermittlung stattfindet, denn der Körper verschwindet als Zeichenträger zugunsten der Sprache. b) TextualitätDa es bisher noch keine Systeme gibt, die gesprochene Sprache zufriedenstellend zu digitalisieren, findet computervermittelte Kommunikation hauptsächlich in verschriftlichter Form statt, abgereichert durch Bilder et cetera. Aber die Kommunikation ist kanalreduziert, als Hauptsinnesorgang fingiert das Auge und es wird eine zumindest rudimentäre Beherrschung des Lesens und Schreibens vorausgesetzt. Um Gefühle und Körperzeichen zu verschriftlichen, wie beispielsweise ein Lächeln, benutzt man so genannte emoticons. c) Entzeitlichung und EnträumlichungDie Face-to-Face-Kommunikation ist sowohl räumlich als auch zeitlich gebunden. Ein Körper kann zu einem bestimmten Zeitpunkt nur an einem bestimmten Ort anwesend sein. Computervermittelte Kommunikation hingegen ist nicht räumlich gebunden, weil sich die Teilnehmer an unterschiedlichen geografischen Orten befinden, trotzdem im gleichen Raum im Hyperspace anwesend sein können. So lässt sich eine Pluralisierung der kommunikativen Räume denken. d) EntkontexualisierungFace-to-Face-Kommunikation ist wegen der Kopräsenz immer in einen umgebenden Zusammenhang eingebunden. Da Online-Kommunikation ortsunabhängig stattfindet, und Teilnehmer sich an unterschiedlichen geografischen Orten aufhalten können, zudem bei asynchronen Diensten des Internets zeitunabhängig kommuniziert werden kann, sind die Teilnehmer nicht physisch präsent und teilen keinen gemeinsamen Kontext, woraus sich Kommunikationsprobleme ergeben können. e) DigitalisierungDie gesamte Kommunikation im Netz beruht auf digitalisierten Prozessen.
Dies hat zur Folge, dass alle Infos dokumentiert, gespeichert und miteinander kombiniert werden können und relativ einfach weiterzuverarbeiten sind, was dann das Problem der Authentifizierung aufwirft. Durch die global vernetzten Systeme können digitale Daten an die entferntesten Orte transportiert werden, was eine erhebliche Beschleunigung der Kommunikation nach sich zieht.Nach diesem profund erarbeiteten Differenzprofil wendet sich die Autorin der mittlerweile erstaunlichen Vielfalt von Theorien der computervermittelten Kommunikation zu. Sie unterscheidet dazu zwischen Medien(kanalbezogenen) Modellen, Medienwahlmodellen sowie individuenbezogenen Ansätzen: Erstere konzentrieren sich auf die Eigenschaften des Mediums, die für den interpersonalen Austausch zur Verfügung stehenden Kanäle. Die zweite Familie von Modellen bezieht sich demgegenüber darauf, welche Kalküle, Überlegungen, Motivationen für die Medienwahlen entscheidend sind, das heißt konkret: Sind eher sachlich-rationale, individuelle, kollektiv-soziale, emotionale oder normative Gründe ausschlaggebend dafür, dass bei einem bestimmten Kommunikationsanlass ein bestimmtes Medium präferiert wurde und andere nicht eingesetzt wurden? Die individuenbezogenen Ansätze konzentrieren sich schließlich auf die Wirkungen, auf das Verhalten, die Kommunikation und die Identitäten. Sehr prominent geworden sind dabei die Thesen Sherry Turkles (1995). Sie postulierte, dass aus den oben entwickelten Besonderheiten der computervermittelten Kommunikation hergeleiteten Darstellungsnotwendigkeiten im Internet gleichzeitig neue Möglichkeiten der Selbstdarstellung entstehen.
Das Netz wird als Raum gedacht, indem jeder nach Gutdünken sein virtuelles Selbst entwerfen könne. Diesen Thesen Turkles geht die Autorin näher nach. Trotz der augenscheinlichen Evidenz und ihrer Verbreitung in der Populärliteratur zeigt Sabina Misoch, dass dieser Ansatz empirisch nicht weit trägt. Zwar liegen bislang wenig empirische Studien vor, aber sie weisen allesamt in die gleiche Richtung. „Die These der Virtualisierung von Identitäten im Netz kann somit im Großen und Ganzen verworfen werden. Es handelt sich um eine überschätzte These, die ihren Diskurswert weniger ihrer empirischen Relevanz als ihrer Plakativität und polarisierenden Wirkung zu verdanken hat. Der zeichenreduzierte Raum des Internets wird nicht für das Verschleiern von Identitäten oder deren Andersdarstellung genutzt (Identitätssimulationen), sondern scheint eher als Raum der Selbstoffenbarungen (self-disclosure) zu fungieren. (Misoch 2006: 123). Angesichts der raschen Entwicklung in diesem Feld wünscht man sich weitere systematisch konzipierte und gleichwohl immer anregend zu lesende Überblicksdarstellungen wie die vorliegende – nicht zuletzt, weil der praktische Mehrwert auch noch durch einen Index und eine Sammlung der Kommunikationsnormen im Internet gesteigert wird.
Sabina Misoch: Selbstdarstellungen Jugendlicher auf privaten Homepages
Das Darstellen der eigenen Identität gehört zum Alltagshandeln. Vor allem für Jugendliche erweisen sich Selbstpräsentationen als wichtige Verhaltensweisen, da diese im Kontext der adoleszenten Identitätssuche und -absicherung stehen. Durch die gesellschaftliche Etablierung des Internet, das inzwischen von ca. 92 Prozent der Jugendlichen genutzt wird, haben sich für Selbstdarstellungen neue Bühnen herausgebildet. So wird im nachfolgenden Beitrag der Frage nachgegangen, wie sich Jugendliche mittels privater Homepages im Netz präsentieren.
(merz 2004.5, S. 43-47)