Tobias Moorstedt
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Tobias Moorstedt: Genuss an der Gewalt
In Manhunt, seit einiger Zeit für die Konsole Playstation auf dem Markt, spielt man den verurteilten Mörder James Earl Cash. Um der Giftspritze zu entkommen, muss er für einen Snuff-Film-Produzenten namens Starkweather Menschen töten. Eine Videokamera folgt der Blutspur des Spielers, die Levels heißen Szenen und Starkweather gibt über Kopfhörer Regieanweisungen. „Ich werde es dir noch einmal erklären“, sagt die böse Stimme im Ohr dann etwa, „geh los und bring jemand um.“ Töten oder getötet werden, das ist nichts Neues im Videospielkosmos. Wie man töten muss, ist neu. James Earl Cashs Waffen sind Plastiktüte, Glasscherbe und ein Stück Draht. In Manhunt wird das offene Gefecht vermieden, der Spieler schleicht sich auf Zehenspitzen an. Mit einem Brecheisen, Hammer oder einer Kettensäge in den Händen. Nach dem „Mord“, wie das Erfolgserlebnis im Spiel heißt, kann man dann den Kopf des Opfers mitnehmen Die Fachpresse ist sich einig: Manhunt ist das brutalste Spiel aller Zeiten. Zeit also, sich mal wieder um die Blackbox Computerspieler zu sorgen. In Neuseeland wurde das Spiel verboten. In Deutschland kommt es in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Indizierungsstelle und Elternräten erst gar nicht auf den Markt. Eine deutsche Version gibt es trotzdem. Schließlich haben Bestellmöglichkeiten im Internet nationale Regelungen beinahe wirkungslos gemacht. Konsequenterweise taucht das Spiel Manhunt dann auch auf vielen Import-Seiten in der Top-5 der meistimportierten Spiele auf. Ende April kam das Spiel auch für Xbox und PC auf den Markt. In den USA werben Plakate auf den Straßen für den interaktiven Gewalt-Porno.
Die verantwortliche Firma Rockstar North ist keine Shareware-Klitsche, sondern hat in Videospielkreisen seit dem legendären „Grand Theft Auto“, in dem man zum Mafiaboss aufsteigen konnte, einen besonderen Ruf. GTA war ironisch und medienkompetent. Pop eben. Und niemand widersprach Rockstar-Chef Dan Houser, als er in einem Interview meinte: „Unsere Spiele sind eher Kommentare zur Filmgewalt als Gewaltspiele.“ Auf Manhunt trifft das nicht zu. Zwar wird das Spiel als „Mediensatire“ verkauft und verhandelt, ist aber kein Kommentar auf die Medienwirklichkeit und die Super-Nachrichtenwerte Splatter und Porno, sondern selbst das jüngste Produkt für einen Markt, der nach immer stärkeren Reizen giert. Das Internetmagazin Telepolis schreibt: „Was dem Porno der Cum-Shot, das ist MANHUNT der Augenblick des Todes.“ Das Interessante an Manhunt ist deshalb nicht das Spiel selbst, sondern der Diskurs darüber. Das Popmagazin SPEX nannte die Diskussion „einen Eiertanz, wie man ihn noch nicht gesehen hat“. Die deutschen Videospielmagazine berichteten auf Doppelseiten über ein Spiel, das es offiziell gar nicht gibt.
Kritik oder Reflektion gab es dabei selten. Das Magazin GamePro immerhin schrieb: „Es gibt Rollen, die möchte ich nicht spielen. Diese gehört dazu.“ Ansonsten aber las man relativierende Worte über die exzessive Gewalt („Nichts für schwache Gemüter“) und Komplimente für das Gameplay. Nachgedacht wird nicht, stattdessen freut man sich über die Evolution des Equipements: „Schlagen wir uns zu Beginn noch mit Glasscherbe und Plastiktüte durch, stehen später schlagkräftigere Waffen wie Hackbeil und Sichel zur Verfügung.“ Die Wertung für das Spiel im Videospiel-Magazin Gamezone: 7,8 Punkte – also ziemlich gut. Doch in Manhunt geht es um mehr als das pure Überleben. „Du tötest, um zu unterhalten“, sagt Starkweather, „also lass dir ein bisschen Zeit und spiel für die Kamera.“ Manhunt bietet diese Ansichten wahlweise aus Behind- oder Ich-Perspektive. Die Subjektivierung des Blicks gab es auch im Filmklassiker „Halloween“, das Videospiel hat hardwarebedingt jedoch weit mehr Möglichkeiten: Selten zuvor wurde der Konsument so vollständig in die verseuchten Badlands des Horror-Genres integriert. Manhunt ist Videospiel und Audiospiel. Mit Headset-Zubehör hört man Regieanweisungen im Kopfhörer und Umgebungsgeräusche über die Dolby-Surround-Boxen. Über das Mikrophon kann man Gegner mit Pfiffen und Schreien ablenken – um dann zuzuschlagen. „Um dieses Spiel zu gewinnen, muss man die Gewalt genießen“, so lautete die Begründung für das Verbot in Neuseeland.
Eigentlich muss man die Gewalt nicht genießen, sondern kreativ und maximal grausam anwenden – das gibt mehr Punkte auf der Fetisch-Skala. Die Morde laufen als ultrablutige Animationssequenzen ab, im wechselnden Schnitt auf drei, vier Perspektiven. Das Magazin Telepolis schrieb über diesen Bildschirmmoment: „Wenn Cash einen Gegner umbringt, dann setzen für ein paar Sekunden alle Belange von Narration und Interaktivität völlig aus – das ist purer orgasmischer Exzess.“ Der Regisseur der fiktiven Snuff-Sequenz aber ist nicht Starkweather oder ein anonymer Programmierer. Es ist der Spieler selbst.. Auch wegen dieser Mentalität, und nicht nur durch die exzessive Visualisierung des Schädelbruchs, unterscheidet sich Manhunt von anderen killographischen Spielen, wie Ego-Shooter und Kampfspiele in den USA genannt werden. Der US-Medienpädagoge Gerard Jones schreibt in seinem Buch „Killing Monsters“: „Diese Spiele wären wohl nicht halb so erfolgreich, würden sie nicht zunehmend soziale Aktivität und Wettkampfcharakter entwickeln.“ Taktik und Strategie, virtuelles Räuber und Gendarm auf den bekannten LAN-Parties, eben nur ein Spiel. Im Wettkampf zählen Taktik und Mannschaftsaufstellung und nicht die blutigen Details.
Bei Manhunt aber, und das ist neu, sind die Details die Hauptsache. Der Mund unter der Plastiktüte, wie er nach Luft schnapp. Die Pixeltoten, die sich nicht sofort auflösen, sondern verbleiben, als Festmahl für die virtuellen Aasgeier und Ratten. Allen Puffern entkleidet richtet sich die Gewalt nicht gegen Aliens, Zombies oder Soldaten, sondern gegen Menschen, komplett mit Demutsgesten und Angst vor dem Tod. Gnade gibt keine Punkte. Der Daumen zeigt verkrampft nach unten. „Sagt mir nicht, wo meine Grenzen sind“, antwortet ein Spieler in einem Internetforum schon mal allen potenziellen Kritikern. Es ist ein freies – ein virtuelles Land. „Ich glaube nicht, dass es Ethik noch gibt, wenn man es mit Fiktion zu tun hat“, sagte William Friedkin, der Regisseur von „Der Exorzist“, vor Jahren mal in einem Interview. Eine Diskussion über eventuelle Grenzen, über Sinn und Zweck der Gewalt würde der Videospielszene trotzdem gut tun. Bis dahin überdeckt der Faktor Spielspaß alle aufkommenden Bedenken.