Christina Oberst-Hundt
Beiträge in merz
Christina Oberst-Hundt: Vom Fernsehen zum Denken!
„Vom Telekolleg zum PISAtest“: Unter diesem Titel wurde bei den diesjährigen Tutzinger Medientagen am 2. und 3. März über das Thema „Wissen und Bildung im Fernsehen“ referiert und diskutiert. Mit dem Telekolleg haben seit Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts über 60.000 Menschen die Fachhochschulreife erlangt und weiterhin melden sich rund 2.000 Menschen pro Kurs an. Das ist durchaus eine Erfolgsgeschichte! Von den PISAtest-Ergebnissen in deutschen Schulen kann dies keineswegs gesagt werden. Hat das Fernsehen möglicherweise das schlechte Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler beeinflusst? Oder anders gefragt: Können TV-Programme dazu beitragen, dass Wissen (nicht nur) für die Schulgeneration an Wert gewinnt, ‚in’ ist, dass Bildung nicht mit verstaubten Lerninhalten sondern als interessant, wichtig und erstrebenswert angesehen wird? Die in Tutzing anwesenden Macher, ob Produzent, Redakteur oder Moderator (die beiden einzigen eingeladenen Frauen waren leider verhindert) vermittelten nicht den Eindruck, dass es ihnen darum geht, den Erwerb von abfragbarem Wissen, wie bei PISA getestet, zu fördern, sehr wohl aber Menschen: junge wie alte, zu der Einsicht zu bringen, dass Wissenssendungen Informationen und Erkenntnisse über Dinge und Sachverhalte vermitteln können, von denen sie vorher nichts wussten und ahnten, dass Aha-Erlebnisse einen Mehrwert bringen und außerdem auch noch Spaß machen können.
Pioniere des Wissensfernsehens
Schon die ‚Steinzeit’ des Fernsehens, als es noch allein das Öffentlich-Rechtliche gab, leistete dies, wenn auch anders als heute. Ein durchaus unterhaltsamer Rückblick der Journalistin Klaudia Wick auf die Wissenssendungen von gestern bestätigte das. Namen wie Bernhard Grzimek, Heinz Sielmann, Jaques Cousteau oder Horst Stern erinnern daran, dass ihre Tiersendungen, deutlicher wohl als viele der aktuellen Zoo-Sendungen, ein Bewusstsein zu vermitteln suchten, das die heutigen Vorstellungen von Ökologie, Umwelt und Nachhaltigkeit mit beeinflusst hat. Ein Highlight dieser Zeit war die Übertragung der ersten Mondlandung am 21. Juli 1969. Astronaut Neil Armstrong macht den ersten Schritt eines Menschen auf den Nachbarplaneten und weltweit 530 Millionen Menschen sehen zu. Mit den Weltraum-Sendungen ist der Name Ernst von Khuon eng verbunden. Auch Heinz Haber gehört mit Was sucht der Mensch im Weltraum? und Unser blauer Planet zu den Pionieren der Wissenssendungen. Und Hoimar von Ditfurth schrieb mit der Reihe Querschnitte Fernsehgeschichte. Schon damals befasste er sich unter dem Sendetitel Hatte Darwin Recht? mit den Vorurteilen gegenüber der Evolutionstheorie.Die von Wick gezeigten Ausschnitte vermittelten mitunter Bilder reger Diskussionsrunden älterer weißhaariger Männer. Die Zuschauer und Zuschauerinnen durften beim wissenschaftlichen Diskutieren zusehen! Auffällig war allerdings, dass geisteswissenschaftliche Themen, wie Soziologie oder Psychologie kaum vorkamen. Eine Ausnahme, so Wick, sei die Unterhaltungsshow Wünsch Dir was gewesen, die Themen wie zum Beispiel „Schlangenphobie“ oder „Autosuggestion“ in der ZDF-Unterhaltungsredaktion zu Wettkampfspielen verarbeitete.
Mit „Edutainment“ ein Leben in Extremen?
Gerade Wünsch Dir was mit teilweise bizarren und manchmal auch nicht ganz ungefährlich scheinenden Spielen relativiert den Blick auf die mitunter nahezu beschaulich wirkende TV-Vergangenheit. Ulrich Reinhardt von der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen hatte ihr unter dem Titel „Edutainment – Bildung macht Spaß“ mögliche Szenarien gesellschaftlicher Entwicklungen in der näheren Zukunft gegenübergestellt, die jedoch nicht durchweg Optimismus auszulösen vermochten.Freizeit, so der Trend, werde gegenüber der Arbeitszeit weiter zunehmen. Alte Menschen, zur Hälfte pflegebedürftig, würden immer mehr und Jugendliche zur Minderheit der Gesellschaft werden, vor allem deshalb, weil Frauen mit akademischem Abschluss ihren durchaus vorhandenen Kinderwunsch (86 Prozent) wegen des eklatanten Mangels an Betreuungseinrichtungen immer weniger realisieren (23 Prozent) könnten. Die Auseinandersetzungen der Zukunft würden sich also zwischen Menschen mit und ohne Kindern abspielen und Bildung sei dann vorrangig etwas für die ältere Generation.Jugendliche dagegen würden, verunsichert durch Sparmaßnahmen und steigende öffentliche Ausgaben, ihr Freizeit- und Konsum-Verhalten auf ein „Leben in Extremen“ oder auch „Luxese“: mal Luxus, mal Askese, erst Genuss, dann sparen, orientieren nach der Devise: „Stil ist, nicht viel Geld zu haben, aber es auszugeben!“ In Themenparks und Science-Centern, oder mittels Videospielen würden sie „erlebnisorientiertes Lernen“, das selbstgesteuerte interaktive Auseinandersetzung erfordert und alle Sinne einbezieht, pflegen. Dieser Trend beeinflusse schon jetzt auch das Fernsehen durch zunehmende Komplexität. Serien zum Beispiel haben schon heute deutlich mehr Handlungsstränge als früher. Vernachlässigt dagegen das Buch, das lediglich lineares isoliertes, passives Tun ermögliche!Bedenklich stimmt hierbei zudem die tiefgreifende gesellschaftliche Spaltung: Gymnasiasten nutzen drei mal so häufig neue Medien wie Jugendliche, die eine Hauptschule besuchen! Die Generation @ entpuppt sich hier also eher als Mittel- und Oberschicht-Phänomen.
Alltagswissen, das Spaß macht
Was setzen die in Tutzing vorgestellten Wissensformate der privaten Sender dieser Entwicklung entgegen oder wie entsprechen sie ihr? „Das Neue“, so Christoph Steinkamp, bei PRO SIEBEN für die Sendung Galileo zuständig, sei, „dass der Zuschauer mitgenommen wird. Man lässt ihn etwas erleben“. Es gebe „viele Experimente, richtiges Jungsfernsehen, das Spaß macht!“ Dass man natürlich auch die weiblichen Zuschauer ansprechen wolle, fügt er – etwas später – hinzu. Aber insgesamt erreichten sie schon eher junge Männer um die 34 Jahre und keineswegs nur aus der Oberschicht. Galileo will Leute ansprechen, „die unterhalten werden und dabei auch noch was mitbekommen wollen.“ Ob das unbedingt auch für die Frage gilt, wie stabil eine PET-Flasche ist und was alles gemacht werden muss, um sie endlich kaputt zu kriegen, sei dahingestellt.Sein Kollege Hendrik Hey von RTL 2 (Welt der Wunder) betont, dass die Vermittlung von „Alltagwissen besonders erfolgreich“ sei. Dabei geht es dann zum Beispiel auch um Fragen wie “Wie kann man seinem Kater im Fasching am besten entgegenwirken, was ist sinnvoll, was falsch und genau das wird dann vorgeführt“. Er nennt das „angewandte Wissenschaft im freien Feld“. Fernsehen soll ein „Tor zur Welt“ sein: Es geht ihm um „Infos, die seine Zuschauer gebrauchen können, über die sie am nächsten Tag sagen können ‚Ich weiß das!’“. Er betont, dass Welt der Wunder auch sehr viele Acht- bis 13-Jährige erreicht, darunter auch Kinder aus sozial schwächeren Familien.“Sendungen wie diese sollen auf unterhaltsame Art Informationen und Wissen mit Alltagsgebrauchswert vermitteln und Spaß machen. Und das ist schon eine ganze Menge!
Trendsetter Maus
Viele Kindersendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gelten als Highlights des Wissens- und Bildungsfernsehens. Die Sendung mit der Maus, so alt wie die Weltraumforschung seit der 1. Mondlandung mit Neil Armstrong 1969, war schon immer Trendsetter und hat bis heute nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt und eine Reihe von ‚Nachkommen’ durchaus eigenständiger Art, wie zum Beispiel Wissen macht Ah! gezeugt. Sie ist in allen ARD-Sendern zu Hause. Für den direkten Kontakt mit ihrem Publikum gibt es die Maus-Initiative Frag doch mal und das Maus-Post-Büro, das innerhalb weniger Wochen über 78.000 Fragen erreicht. Es gibt Maus-Seiten im Internet und Podcast-Angebote von Maus und Wissen macht Ah! belegen nicht nur bei Kindern Spitzenpositionen. Während die Maus ihre Beiträge anfänglich streng nach der Devise „Nur keine Pädagogik!“ ausrichtete und sich so von Frontalunterricht und trockener Wissensvermittlung distanzieren wollte, ist ihr heute allerdings der Begriff ‚Pädagogik’ kein Tabu mehr, sondern wird, wie Siegmund Grewenig, Programmgruppenleiter Kinder und Familie beim WDR, in Tutzing betonte, „als dringende Notwendigkeit“ gesehen, um „neben der inzwischen unkontrollierbaren Unterhaltungsflut auch pädagogisch wertvolle Programme für Kinder anzubieten.“ Als öffentlich-rechtlicher Anbieter, sagt er, „müssen wir dafür Sorge tragen, das Programm zu bieten, das Kinder woanders nicht bekommen.“ In der Sendung mit dem Elefanten wird Pädagogik sogar Programm. Es gibt Medienpakete und Veranstaltungen, wie den Tag der Medienpädagogik oder das Multimedia-Lernpaket Die Welt ist elefantastisch – Sprachförderung mit dem Elefanten, die sich insbesondere an Erzieherinnen und Erzieher wenden. Maus und Elefant gehen direkt in die Gesellschaft, dorthin, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Zugleich versteht sich, wie Grewenig betonte, öffentlich-rechtliches Kinderfernsehen nach wie vor der Tradition verpflichtet, sein vor allem junges Publikum gut unterhalten zu wollen.
Bildung nicht allein dem Internet überlassen!
Seit elf Jahren schon gibt es den einzigen und mittlerweile Grimme-Preis-gekrönten deutschen TV-Bildungskanal BR alpha. Dass Werner Reuß von „seinem“ Sender begeistert ist, vermittelt sich bereits nach den ersten Sätzen seiner Rede in Tutzing. Am Beispiel des Dokumentarspiels Hitler vor Gericht betont er den umfassenden Bildungsauftrag, dem sich der Sender verpflichtet fühlt. Der Film, so Reuß, „ist Bildung. Bildung in Geschichte, Bildung in Politik und Bildung in Demokratie“. Gerade diesem gesellschaftspolitischen Aspekt könne das Fernsehen wie kein anderes Medium Geltung verschaffen, da es über eine von keinem anderen erreichte Suggestivkraft verfüge und damit die Fähigkeit habe, „das Denken, Fühlen, Wollen und Handeln der Zuschauer suggestiv zu beeinflussen.“ Bildung hat, so Reuß, „mit Verstehen zu tun – und mit Emotion, Faszination und Euphorie“. „Bildung bedeutet innere Veränderung ... neue Sichtweisen“ und „Erkenntnis, die handlungswirksam werden kann“.Bildung dürfe deshalb keineswegs allein dem Internet überlassen werden. Dass trotz des Internet-Wachstums die TV-Nutzung auf täglich 221 Minuten gestiegen sei, zeige, dass der Anstieg des Internets nicht zulasten des Fernsehens gehe, sondern eher zulasten anderer Freizeitaktivitäten. Und natürlich sei auch BR alpha im Internet umfangreich vertreten. Fernsehen und Internet sollten nicht als Gegensätze gesehen werden. „Wir sprechen nicht vom Entweder-oder, sondern vom Sowohl-als-auch.“ Und er ist überzeugt, dass BR alpha als einziges Bildungsvollprogramm „auch bundesweit eine immer größere Rolle spielen wird“. Gerade im Verbund von Fernsehen und Internet könnten sich die medialen Möglichkeiten für Bildung voll entfalten. Allerdings scheint die Politik, wie er „am Rande“ kritisch anmerkte, die „Qualität der Online-Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks offenbar so sehr zu fürchten“, dass sie im Internet, „diesem demokratischen Weltall von Angeboten“ mit dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag nun „Schranken und Restriktionen“ aufgebaut hat.
Abenteuer Forschung
Dass Forschung das denkbar Spannendste ist und selbst vor Undenkbarem nicht Halt macht, das will der Physiker und Astronom Harald Lesch als Moderator der ZDF-Sendung Abenteuer Forschung rüberbringen. „Was uns interessiert“, so der Professor, „sind Fragen, die man sich möglicherweise noch nicht gestellt hat“ und Menschen auch mit Themen zusammen zu bringen, „von denen sie noch nie etwas gehört haben“. Er will sie „dazu veranlassen, ihr Hirn zu benutzen.“ „Wenn wir das beim Zuschauer schaffen, dass er seinen Kopf benutzt, dann haben wir meiner Ansicht nach genau die Funktion erfüllt, die wir erreichen können.“ Das kann die Beschäftigung mit dem Thema ‚Zeit’ sein, die Frage, was ist Schönheit? oder klarzumachen, dass die Evolutionstheorie viel tiefer greift, „als einfach nur die Entwicklung von Lebewesen auf einem Planeten zu erklären“. Es geht nicht so sehr um Wahrheiten, sondern vielmehr darum, herauszufinden, ob etwas falsch ist. Eine Wissenschaftssendung sollte seine Zuschauerinnen und Zuschauer dazu bringen, „dass eine grundsätzliche intellektuelle Haltung erworben wird und nicht nur Information alleine.“
Lebenslanges Lernen und soziale Gerechtigkeit
In Tutzing ging es um den Beitrag des Fernsehens, öffentlich-rechtlichem wie privatem, bei der Vermittlung von Wissen und Bildung und darum, ob Fernsehen seinem Bildungsauftrag nachkommt. Das schließt auch die Frage ein, wie ‚lebenslanges Lernen’ als gesellschaftlicher Anspruch durch die vielfältigen Möglichkeiten des Mediums Fernsehen unterstützt und gefördert werden kann. Lebenslanges Lernen, das umfasst auch die Wünsche der immer mehr werdenden Alten, die durch körperliche und eben auch geistige Fitness am gesellschaftlichen Leben so lange wie möglich teilhaben wollen, ebenso wie die sich in Politik und Gesellschaft inzwischen vermehrt durchsetzende Erkenntnis, dass Menschen von klein auf bildungsbedürftig und -fähig sind, Kindertagesstätten also nicht lediglich notgedrungene Betreuungs-, sondern vorrangig Bildungseinrichtungen sind, bzw. sein sollten und Erzieherinnen und Erzieher sowie Eltern Unterstützung brauchen und erhalten müssen, um Kinder angemessen zu fördern und hierbei niemand ausgegrenzt werden darf.Dieses ganzheitliche Bildungsverständnis, das Wissen, Bildung und Erziehung im Zusammenhang sieht, hatte der EKD-Medienbeauftragte Markus Bräuer in seinem Einführungsreferat betont. Bräuer wandte sich gegen eine bloße „Ökonomisierung der Bildungsziele und Bildungsinhalte“, die auf bloße Vermittlung von „vornehmlich Verfügungswissen“ ziele. Ebenso „breiten Raum“ müsse das Orientierungswissen, welches „die Grundfragen des menschlichen Lebens, nach Hoffnung und Halt, Orientierung und Vertrauen“ einschließt, einnehmen. Dabei geht es auch um soziale Gerechtigkeit: Bildungsferne dürfe nicht „dauerhaft über Generationen vererbt“ werden und Menschen, die Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben, müsse möglich sein, dass sie sich „chancengleich in die Gesellschaft integrieren können“.Dass Fernsehen ein „Bildungsmotor“ sein kann und sollte, dazu hatte die Tagung vielfältige Anregungen gegeben, aber auch kritische Fragen aufgeworfen: Warum zum Beispiel erreichen die vielfältigen qualitativ hochwertigen Wissenssendungen oft nur Miniquoten? Wie kann in der Bevölkerung der Wunsch gestärkt werden, sich selbst bilden zu wollen? Was kann der Staat für mehr Bildungsbereitschaft, was der Rundfunk selbst für mehr Medienkompetenz tun? Warum wird im Fernsehen Wissenschaft meist mehr auf naturwissenschaftliche und technische Themen beschränkt? Welchen Beitrag kann das Unterhaltungsfernsehen leisten? Wie können insbesondere mehr Jugendliche erreicht werden? „Es muss ‚cool’ werden, Bescheid zu wissen“, so der ARD-Vorsitzende Boudgoust in der Abschlussdiskussion. Ob Fernsehen klüger macht und dann auch die PISA-Ergebnisse besser werden? Zumindest schadet es nicht. Im Gegenteil!
Christina Oberst-Hundt: Fernsehen macht Geschichte – Vergangenheit als TV-Ereignis
Historische Themen, vor allem der jüngeren Geschichte, entwickeln sich zunehmend zu TV-Quoten-Highlights. Das gilt vor allem für sogenannte Eventfilme im öffentlich-rechtlichen wie kommerziellen Fernsehen. Zuletzt erreichte Die Jacht Gustloff (ZDF) über acht Millionen Zuschauer und Zuschauerinnen, im vergangenen Jahr waren es Die Flucht (ARD/Arte) und Die Frau vom Checkpoint Charlie (ARD), die sich 10,66 Millionen, bzw. zehn Millionen Menschen anschauten. Aber auch die Filme Contergan (ZDF) und Tarragona (RTL) brachten es auf über sieben und fünf Millionen Zuschauende. Der Flucht gelang sogar der Sprung in die ansonsten von sportlichen Großereignissen dominierte Quoten-Top Ten 2007. Dokumentationen, Dokudramen und living history erreichen ebenfalls ein großes Publikum. Guido Knopps Produktionen Hitlers Helfer (ZDF) sahen schon 1998 bis zu acht Millionen Menschen. „Historische Stoffe sind populär wie nie zuvor in der deutschen Fernsehgeschichte“, heißt es in der Einladung zu den letzten Tutzinger Medientagen mit dem beziehungsreichen Titel Fernsehen macht Geschichte. Wobei „macht“ durchaus auch groß geschrieben werden darf, denn wenn das Me-dium Geschichte „macht“, kann es auch Macht entfalten, zumal es in vielen dieser Filme und Sendungen nicht (nur) um Information und Bildung, sondern auch um Unterhaltung, Spannung, Emotion und letztlich auch Vergewisserung und Deutung von Vergangenem geht, die bei den Rezipientinnen und Rezipienten Wirkung erzielen (können). Zum Beispiel die Klippe umschiffen zu müssen, auch nur den Anschein von Revanchismus bei Stoffen wie Dresden (in der Bombennacht am 13. Februar 1943) oder Die Flucht (aus Ostpreußen vor der anrückenden Roten Armee) zu erwecken, war den anwesenden Verantwortlichen für diese Produktionen, wie Drehbuchautorin Gabriela Sperl betonte, sehr wohl bewusst. Aber ist diese Sensibilität durchweg gegeben? Worin liegt der Erfolg solcher Produktionen? Weil sie Anhaltspunkte im kollektiven Gedächtnis haben? Oder wirken sie auf das kollektive Gedächtnis ein, verändern sie es? Pflegen sie eine ‚Erinnerungskultur’ oder schaffen sie neue ‚Erinnerungen’? Können sie ein defizitäres Geschichtsbewusstsein aufbrechen? Oder schaffen sie überhaupt erst ein Bewusstsein für Vergangenes? Fragen, die nicht zuletzt für die Jüngeren, die bei zeitgeschichtlichen Themen weitgehend nicht oder kaum auf persönliches Erleben zurückblicken können, relevant sind. Gerade aber in diesen Generationen konnten die massenattraktiven Eventfilme punkten. Sie erreichen viele Unter-50-Jährige und auch die sonst eher die kommerziellen Angebote nutzenden ganz Jungen.
„Die ideale Geschichtssendung gibt es nicht!“ oder: Wie authentisch ist das Historische?
„Authentizität ist das Schlüsselwort für den erfolgreichen historischen Film der Gegenwart“, betonte Prof. Rainer Wirtz, Historiker und So-ziologe mit dem Schwerpunkt ‚Geschichte in Medien’ an der Universität Konstanz. Aber was ist ‚Authentizität’? Mit den neuen Produktionen vollzieht sich, so Wirtz, ein Bedeutungswandel des Begriffs. Nicht mehr das strikte Festhalten an dokumentarisch gesichertem, auf Zeitzeugenschaft basierendem Material ist ausschlaggebend, Authentizität werde „wie das Wetter zunehmend gefühlt“ und lässt sich heute sogar steigern. Der Untergang zum Beispiel wurde damit beworben, dass er „authentischer als alle vorherigen Filme zum Thema“ sei. „Superauthentisch“ oder „echt authentisch“ sind weitere Etappen dieser Begriffsdehnung, die kaum problematisiert wird. Der Rechtsstreit um den Conterganfilm im ZDF, den die Firma Grünenthal angestrengt hatte, machte, wie Wirtz darlegte, deutlich, dass der Film „seine eigene Wahrheit konstituiert mit der Konsequenz, dass in Bezug auf Authentizität zwischen innerer und äußerer unterschieden werden kann. Die innere fragt nach der Stimmigkeit eines historischen Films jenseits aller Beglaubigungsstrategien, während die äußere alle Anstrengungen unternimmt, dass ein Film faktengerecht produziert wird.“ Mitunter gehe es allerdings lediglich „um die Aufrechterhaltung der Illusion von Authentizität, damit die Zuschauer in ihren Erwartungen von Antike“ – so im SAT.1-Schliemann-Film – „nicht enttäuscht werden“. Ebenso musste, vorrangig aus Quotengründen, ein hoher Wiedererkennungs- und Sympathiewert des Hauptdarstellers Heino Ferch, bekannt aus weiteren insbeson-dere SAT.1-Event-Filmen, erreicht werden zulasten von Authentizitätskriterien.Anders die Authentizitätserwartungen des Pulikums beim Zweiteiler Die Flucht: Der Zug von 600 Statisten über das vereiste Haff lasse „Bilder wieder auferstehen, die im Fundus kollektiver Erinnerung ohnehin vorhanden sind“. Der historische Event-Film könne so als „Augen- und Türöffner für das kollektive Gedächtnis“ fungieren, die filmischen Erinnerungstopoi – oder auch „Bild-Ikonen“ – könnten, so Wirtz, die realen aber auch überlagern, „weil sie sich doch so ähneln, um nicht zu sagen, sogar authentischer erscheinen.“ „Die ideale Geschichtssendung gibt es nicht!“ resümierte Wirtz in der anschließenden Diskussion. „Bildikonen, die wir in uns tragen, wie das vor Napalm wegrennende vietnamesische Mädchen, werden ersetzt“, durch Superauthentisches? Er plädiert für mehr qualitative Studien zur Rezeption von Geschichtssendungen und im Umgang mit historischen Stoffen, dafür, „Multiperspektivität“ einzufordern, „weil sie wichtig ist, um sich Wahrheit anzueignen!“„Nichts ist so groß wie Geschichte, die das Leben schreibt!“
Trailer nur für Einschaltimpuls, Verkauf und Quote?
In seiner „Zeitreise“ zum historischen Eventfilm weitgehend anhand ihrer Werbetrailer, sparte der Medienfachjournalist Tilman P. Gangloff nicht mit kritischen Anmerkungen: „Wenn das Fernsehen viel Geld ausgibt, um große Geschichte zu verfilmen, ist ihm jedes Mittel recht, um ein angemessen großes Publikum zu erzielen“. Oder: „Puristen“ gehe es „um Werte wie Wahrhaftigkeit, Authentizität, Seriosität. Sender aber denken anders. Produzenten erst recht.“ Bei diesen Kampagnen für Einschaltimpulse gehe es nicht „um hehre Ansprüche, sondern um knallharte kaufmänische Aspekte“. Erfunden habe „diese Art von Fernsehen“ die Firma teamWorx, durch deren Produktionen „sich die „Emotionalisierung der Stoffe wie ein Ariadne-Faden“ ziehe. Garantinnen für Erfolg seien „mittlerweile fast immer starke, moderne weibliche Figuren“, die aus kommerzieller Sicht ein weibliches Publikum ansprechen (sollen), da sie es in der Regel seien, die den Haushalt führten und „für die Einkäufe zuständig sind“. Beleg dafür: die relativ niedrigen Quoten der Pamir (ARD). Dort gab es nur männliche Hauptrollen. Filme wie Die Gustloff schafften es, „einen eminent politischen Stoff so lange zu verwässern, bis er völlig unpolitisch geworden ist.“Die Kritik der Angesprochenen blieb nicht aus. Wie andere wandte sich Hans Janke (ZDF) dagegen, die Kritik an „Verkaufstrailern“ festzumachen und kritisierte den „Gestus einer maliziösen Herablassung, die im Interesse eines kritischen Umgangs mit den Filmen nicht gerechtfertigt ist.“ Michael André (WDR) vermisste einen „analytischen Ansatz“ und die Produzentin Ariane Krampe wies auf die „Chance zur Schaffung von Geschichtsbewusstsein“ hin, die solche Filme böten. Warum aber müssen Trailer – auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (dessen Programmleistungen ja schon durch das grassierende Sponsoring negiert werden) – als derartige Aufreißer daherkommen, wird in ihnen doch eher das, worum es den Macherinnen und Machern der Filme eigentlich geht, konterkariert, nämlich vergangene Wirklichkeit nachzuzeichnen, um für historische Wahrheit den Blick zu öffnen.
Dennoch: Auf die Frage aus dem Publikum, ob es einen Unterschied mache, für Öffentlich-Rechtliche oder Private zu produzieren, kam die Antwort, dass dies „diametral anders“ sei. Bei den Öffentlich-Rechtlichen gehe es „sehr viel angstfreier und akademischer im positiven Sinne“ zu, bei den Privaten mache sich sofort der Quotendruck bemerkbar, der einen „ganz anderen Auftrag“ zur Folge habe. Aus Schliemann zum Beispiel werde dann eben lediglich „eine spannende, die Leute unterhaltende Geschichte, in der ein Schatz gesucht wird“.
Großereignisse im Dokumentarfilm.Neue Wege der Aufarbeitung von Vergangenem
Einen anderen, sehr unterschiedlichen Umgang mit historischen Großereignissen pflegen Dokumentarformate, wie Claudia Wick in einem Überblick nachwies. Die Beschäftigung mit dem Holocaust bestimmte die Dokumentationen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens von Beginn an. Hier gehöre für sie Eberhard Fechners Der Prozess zu den wichtigsten Dokumentationen des Deutschen Fernsehens überhaupt. Für Dokumentationen über die NS-Zeit war das Medium Fernsehen aber weitgehend nur auf Propagandamaterial, Zeitzeugen oder abgefilmte Aktennotizen angewiesen, während später, beim Deutschen Herbst zum Beispiel, das Nachrichtenfernsehen immer vor Ort sein konnte. Material in Sendequalität also heute reichhaltig vorliegt. Breloers Todesspiel (1997) schaffte Neues durch Verbindung von Rekonstruktionen der politischen Ereignisse, Täter- und Opfer-Befragungen mit Reenactments, die erstmals Eindrücke aus der entführten Landshut, dem Hochsicherheitstrakt in Stammheim und dem Krisenstab in Bonn vermittelten. Heute gibt es neue Ansätze, den Deutschen Herbst aufzuarbeiten und zwar durch aussöhnende Fernsehgespräche zwischen ehemaligen Terroristen und Angehörigen ihrer Opfer. Die „schwierige Doppelrolle der Medien „als Zeitzeuge und Akteur“ während des Deutschen Herbstes wurde lange Zeit nicht thematisiert. Allerdings konnte Wick eine „Dokumentation entdecken“, die „schonungslos die eigene Verstrickung“ vermittelt: einen unkommentierten Zusammenschnitt aller Tagesschau-Ausgaben zwischen dem 5. September und dem 8. Oktober 1977.Die mediale Aufarbeitung der Deutschen Einheit dient, so Wick, vor allem dazu, „die emotionale Erinnerung an das vermeintliche ‚Wunder von Berlin’ in den Köpfen der Zuschauer wachzuhalten – bzw. sie überhaupt erst zum dramatischen Ereignis zu formen“. Denn in der Spiegel-TV- Dokumentation Der Fall der Mauer sahen die Ereignisse „sehr viel weniger erhaben“ aus, zumal hier auch deutlich wird, dass die Massen sich auffällig anders – lauter, aktiver – verhalten, wenn sie die Scheinwerfer von Fernsehkameras auf sich gerichtet spüren.
Die 68er-Bewegung, kein Großereignis?
Auffällig war, dass es in Tutzing keinerlei Berücksichtigung der 68er-Bewegung gab. Möglicherweise deshalb, weil es deren bildmediale Aufarbeitung bisher kaum gibt. Dabei gehören solche Bilder, wie die sich über den durch einen Polizeischuss todwunden Benno Ohnesorg beugende Friederike Hausmann vom 2. Juni 1967 oder der am 10. April 1968 vom Fahrrad geschossene Rudi Dutschke ebenfalls zu den Bild-Ikonen, „die wir in uns tragen“ und nicht verdrängen lassen dürfen. Im literarischen Bereich gibt es bereits wichtige Initiativen zur Erinnerung und Nacharbeitung, zum Beispiel die Suhrkamp-Reihe 1968 mit Textdokumenten und dazugehörigen DVDs, oder Uwe Timms Rekonstruktion seiner Freundschaft mit Benno Ohnesorg: Der Freund und der Fremde, dazu auch eine TV-Dokumentation (rbb), ausgestrahlt im April 2008. Es gab eben nicht nur die sexuelle Revolution, wie die derzeitige umfangreiche mediale Beschäftigung mit Uschi Obermaier und der Berliner Kommune 1 anlässlich des 40. Jubiläums suggeriert, sondern alle gesellschaftlichen Bereiche, einschließlich sämtlicher Fachrichtungen, die es an Universitäten gibt, wurden in den Blick genommen und der Kritik, die in vielfältigen Aktionen ihren Ausdruck fand, unterzogen. Auch die Medien! „Enteignet Springer!“ war eine der Großkampagnen der 68er und 68erinnen und nicht zuletzt das Bayerische Volksbegehren Rundfunkfreiheit von 1972 hat seine Wurzeln in der 68er-Bewegung. Zeit also, eine Lücke zu schließen.
3 Anmerkungen
1 Zum Beispiel erreichte Dresden (ZDF) über zwölf Millionen Zuschauende, davon über vier Millionen 14-49-Jährige. Die Flucht Teil 1 (ARD) erreichte in dieser Altersgruppe 3,03 Millionen Zuschauende, trotz des jugendaffinen Konkurrenzangebots auf ProSieben Findet Nemo mit 3,68 Millionen Zuschauenden bis 49 Jahren
2 ZDF-Trailer für den Gustloff-Zweiteiler
3 Eine Dokumentation der in Tutzing gehaltenen Referate in epd medien 26 v. 02.04.2008
Christina Oberst-Hundt: Brüssel - rundfunkpolitisch gesehen
Wer sich aufmacht, die EU-Metropole rundfunkpolitisch zu erforschen, kommt nicht umhin, diese vielseitige, pulsierende, weltoffene und zuweilen verquere Stadt hautnah zu erleben, denn mit Rundfunkpolitik befassen sich in Brüssel viele Institutionen. Weite Wege erfordert es, vom Zentrum aus dorthin zu kommen. Kurze Wege allerdings, gemessen an jenen, welche die politischen Protagonisten zurücklegen mussten, um sich zur Ausgestaltung jener EU-Richtlinie, die einst „Fernsehen ohne Grenzen“ hieß, in einem langwierigen Prozess zusammenzufinden. So jedenfalls konnten es die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer von ver.di und der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten Journalistenreise empfinden, die sich Ende des letztjährigen sonnigen Novembers per U-Bahn und zu Fuß aufgemacht hatten, etwas über europäische Medienpoltik „aus erster Hand“, wie es im Besuchsprogramm hieß, zu erfahren. Dass es hierbei nur um Momentaufnahmen eines fließenden, sich fortwährend regenerierenden Prozesses gehen kann, zeigen die für die Ausgestaltung einer europäischen Rundfunkpolitik so wichtigen Ereignisse, wie die am 13. Dezember erfolgte erste Lesung des EU-Parlaments (EP) zur Fernsehrichtlinie, die jetzt ‚Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste’ heißt (vgl. dazu unten), und die Einigung der deutschen Bundesländer mit der EU-Kommission im Streit um das sogenannte Beihilfeverfahren gegen die Gebühren für die öffentlich-rechtlichen Rundfunksysteme ARD und ZDF vom 15. Dezember (vgl. Übersicht unten). Bereits jetzt, Anfang des neuen Jahres 2007, werden die Umsetzungen problematisiert, so beispielsweise die weitgehende Zulassung von product placement, die Frontlinien erneuert, etwa wenn der Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) die Einigung im Beihilfestreit zwar begrüßt, aber zugleich den Gang zum Europäischen Gerichtshof für „unumgänglich“ erklärt, „falls sich der Maßnahmenkatalog in wichtigen Kernpunkten als bloße Worthülse entpuppen sollte“.
Ende November war noch nichts klar, ein Ende des Streits zwischen EU-Kommission und den Ländern noch nicht absehbar und die Entscheidung des Europäischen Parlaments stand noch aus, wenn es auch hieß, die Erneuerung der Fernsehrichtlinie sei „auf gutem Weg“. Wenn dann schließlich Vereinbarungen und Beschlüsse zustande kommen, ist dies das Werk eines umfassenden, vielseitigen und aktiven ‚Netzwerks’ aus Institutionen, Organisationen, Parlamentsmitgliedern und Interessenvertretungen, die in die konkrete EU-Politik eingebunden sind, aktive, vielfältige Lobby-Arbeit betreiben und/oder kritische Auseinandersetzung suchen.
Offene Zusammenarbeit oder Umsetzung des politischen Willens?Rheinland-Pfalz zum Beispiel, das derzeit den Vorsitz der Rundfunkkommission der deutschen Bundesländer inne hat, obliegt über seine Vertretung in Brüssel auch bei der EU die Verhandlungsführerschaft in Sachen Rundfunkpolitik.
Der Jurist Tim Schönborn ist medienpolitischer Referent der Vertretung und betreibt aktive Lobbyarbeit, trifft sich mit Abgeordneten und hat sich intensiv an der inhaltlichen Arbeit bei der Revision der Fernsehrichtlinie beteiligt. Diese sieht er als „positives Beispiel für die Zusammenarbeit“ in Brüssel. Die lobt auch der Vorsitzende der SPD-Gruppe im Europäischen Parlament, Bernhard Rapkay. Allerdings vollziehe sich die inhaltliche Willensbildung dort „weniger über die Fraktionen sondern eher länderübergreifend“. Es werde eine „sehr viel offenere Zusammenarbeit als in den nationalen Parlamenten praktiziert“, meint er. Harald Trettenbrein, in der von EU-Kommissarin Viviane Reding geleiteten Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien zuständig für Audiovisuelle Politik, Mitautor des Revisionsentwurfs zur Fernsehrichtlinie, hält bei der Entscheidung im Parlament Änderungen im Bereich ‚Werbung’, für möglich. Die Zulassung von product placement hatte ein Teilnehmer zuvor als „nachträgliche Legitimierung eines unerlaubten Zustands, nämlich die Vermittlung von Leitbildern unter Mitwirkung von Marken-Unternehmen“ kritisiert. Laut Trettenbrein geht es um eine „Mindestharmonisierung im Spannungsverhältnis zwischen staatlichem Kernbereich und europäischem Binnenmarkt“. Ziel sei eine „hinreichend inhaltliche Konkretisierung, ohne die Mitgliedsstaaten völlig einzuschränken“. Weniger differenziert scheint dagegen der Kabinettschef von Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, Rudolf Strohmeier, seine Aufgabe zu sehen, die er als „Umsetzung des politischen Willens der Kommissarin“ definiert. Er wirke hier als „Transmissionsriemen“ und „Puffer“. Der kritischen Position Deutschlands zu product placement begegnet er mit dem Hinweis, „dann hätten dort die Bond-Filme jede Menge Verfahren auslösen müssen“.
Lobbyarbeit für den öffentlich-rechtlichen RundfunkPascal Albrechtskirchinger vom ZDF-Europabüro, vertritt in enger Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der ARD die Interessen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Brüssel. „Die Lobbys“, betont er, „werden oft und transparent in die Entscheidungsprozesse der EU-Kommission einbezogen“. Es gibt online-Befragungen und Anhörungen. Er definiert seine Tätigkeit als „Unternehmens- und ordnungspolitische Lobbyarbeit“. Hierbei sei auch die Abstimmung mit den public service-Anstalten der anderen EU-Länder wichtig, die angesichts oft erheblicher Unterschiede, nicht einfach sei. Auch mit der privaten Konkurrenz gibt es Absprachen zwecks Durchsetzung gemeinsamer Interessen. „Wir sind irgendwie ‘ne große family“, meint er. In Sachen ‚Fernsehrichtlinie’ sei „ziemlich viel erreicht“ worden. Insgesamt werde „ein europäisches audiovisuelles Regulierungssystem auf den Weg gebracht, das die Position der Öffentlich-Rechtlichen berücksichtigt“. Beim product placement habe sich die ablehnende Position der deutschen Länder nicht durchsetzen können. Der zu erwartende Kompromiss: Product placement darf die redaktionelle Unabhängigkeit nicht berühren, nur in bestimmten Sendungen (Fiktion, Sport) auftreten und muss durch ein Logo (alle 20 Minuten) kenntlich gemacht werden. Der Kommission gehe es um Wettbewerbsgleichheit mit den USA. Die Werbeindustrie brauche neue Wege, mit denen die Zuschauerinnen und Zuschauer auch tatsächlich erreicht werden. Werbebotschaften können nun nicht mehr weggeblendet werden, weil sie bereits ins Drehbuch integriert sind. Außerdem, so die Rechtfertigung der Kommission, finde product placement ohnehin statt, mit dem Logo sei es jetzt aber identifizierbar. ARD und ZDF haben erklärt, dass sie in ihren Eigen- und Auftragsproduktionen diese Werbeform nicht anwenden werden.
Zur Stellung des öffentlichen Rundfunks in der Union betont Albrechtskirchinger, dass das Vorhandensein eines dualen Rundfunksystems Bedingung für die Aufnahme ist. Die Sender in vielen neuen Ländern seien aber „völlig unterfinanziert“, so dass die Kommission hier inzwischen „sehr streng vorgeht und den Beitrittsländern blaue Briefe schickt, wenn dort der öffentliche Rundfunk nicht lebensfähig ist“.
Auf das Beihilfe-Verfahren angesprochen, kritisiert er den VPRT, der „über die EU die deutsche Medienpolitik ändern möchte. Die Kommission weiß aber, wie weit sie gehen kann“, meint er. „Sie kann nicht über das Wettbewerbsrecht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland normieren, weil das dem Amsterdamer Vertrag (1) widersprechen würde“.
Verbraucherschutz gegen Kinder-Fettleibigkeit
Das Treffen mit zwei Vetreterinnen des Europäischen Verbraucherverbandes (beuc), Cornelia Kutterer und Ursula Pachel, zeigte wieder andere Facetten europäischer Medienpolitik. Als Mitarbeiterinnen eines Verbandes, dem 40 Mitgliedsstaaten angehören, setzen sie sich dafür ein, dass bei der Neufassung der Fernsehrichtlinie Werbung für Junk Food verboten wird, weil sie vor allem die Jüngsten und Schwächsten ihrer Klientel schädigen kann: die Kinder. Junk Food, Kinderkost mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt, macht sie dick. Und Werbung, inklusive product placement sorgt dafür, dass sie immer wieder zu Pommes Frites & Co. verführt werden. 2006 wurde die Zahl übergewichtiger Kinder in der EU auf 22 Mio. geschätzt, Tendenz steigend. Nachdem in Großbritannien die Regulierungsbehörde Ofcom Werbung für Junk Food ab 2007 verboten hat, hoffen die Verbraucherschützerinnnen auf Zustimmung des Europäischen Parlaments für ihre Initiative.
Neue Herausforderungen für den Jugendschutz
Einen anderen, angesichts der zunehmenden elektronischen Nutzungsmöglichkeiten per Internet und Handy immer wichtiger werdenden Aspekt des Kinder- und Jugendschutzes thematisierte das 7. Brüsseler Mediengespräch, zu dem die Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz auch die Journalisten und Journalistinnen eingeladen hatte. Mit der Überarbeitung der Fernsehrichtlinie zu einer Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste (2), die also neben herkömmlichen Fernsehprogrammen auch alle individuell abrufbaren Dienste erfasst, soll der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor jugendgefährdenden Inhalten, vor Gewalt und Pornografie mit Kindern gestärkt und ausgeweitet werden. Professor Johannes Kreile, Justitiar des Bundesverbandes Deutscher Fernsehproduzenten, betont, dass im Internet noch bis Ende der 90er Jahre Pornografie und andere jugendgefährdende Inhalte von einer „geschlossenen Benutzergruppe über 18-Jähriger“ abgerufen wurden. Heute sind Pornos und extreme Gewalt per Handy bereits auf Schulhöfen präsent. Das Sendestaatsprinzip, das bei rechtlichen Streitfällen an das Herkunftsland verweist, habe, so kritisiert Kreile, in der neuen Richtlinie „exemplarisch Vorrang vor inländischem Jugendschutz“. Während hier Jugendliche lediglich vor „ernsthafter Beeinträchtigung“ zu schützen seien, habe das Bundesverfassungsgericht den Schutz vor „erheblichen Schädigungen“ festgeschrieben, allerdings zugleich auch den „Schutz des Lernens von Kritikfähigkeit“.„Wir müssen uns beeilen, damit noch medienrechtlich gelöst wird, was sonst von der technologischen Dynamik überrollt wird“, meint Ruth Hieronymi, Berichterstatterin beim Europäischen Parlament für die Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste. „Für den nichtlinearen Bereich“, so Hieronymi, sei „eine neue Form der Kontrolle durch Co- und Selbstregulierung nötig. Jetzt haben sich alle Staaten darauf geeinigt, geeignete Instrumente hierfür zu finden. Gemeinsame Moralvorstellungen“ könne es nicht geben, „wohl aber gemeinsame Standards“. Allerdings: Nicht-Mediendienste, wie beispielsweise Computerspiele, seien mit der neuen Richtlinie nicht erfasst. Mit ihr, so Hieronymi, sei also „erst ein Teil der Aufgabe erledigt.“ Dass es zusätzlich präventiven Jugendschutzes durch mehr Medienpädagogik und Stärkung der Medienkompetenz bedarf, darin waren sich alle im Saal einig.Die neue Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste als Wegweiser für Europas digitale Zukunft ist inzwischen vom Europäischen Parlament auf den Weg gebracht worden. Ministerrat und Kommission müssen noch zustimmen und die zweite Lesung steht noch aus. Die deutsche Bundesregierung ist vom Bundestag aufgefordert worden, die Richtlinie zu einem Schwerpunktthema ihrer Ratspräsidentschaft zu machen. Die endgültige Fassung wird vielleicht erst Ende 2007 vorliegen. Ob es dann mehr Schranken oder mehr Lockerungen für die grenzenlose audiovisuelle Freiheit gibt? In Brüssel und anderswo wird das „Spannungsverhältnis“ gegensätzlicher Interessen andauern. Die „Mindestharmonisierung“ hat noch etwas Zeit.
Anmerkungen
1 Das Amsterdamer Protokoll (1997) zum EG-Vertrag betont unter anderem die Bedeutung des öffentlich rechtlichen Rundfunks für kulturelle Vielfalt und Medienpluralismus
2 Die Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste unterscheidet zwischen linearen (herkömmliches Fernsehen) und nicht-linearen Diensten (Programme ‚auf Abruf’).
Die Audiovisuelle Mediendienste-Richtlinie der EU Wichtige Ergebnisse der 1. Lesung des EP am 13.12.2006:product placement: in Kino- und Fernsehfilmen, Serien, sowie Sportsendungen erlaubt, in Nachrichten, aktuellen Sendungen zum Zeitgeschehen, Kinderprogrammen, Dokumentarfilmen und Ratgebersendungen verboten.
Sendungen mit product placement: müssen zu Beginn, Ende und mindestens alle 20 Minuten durch ein darauf hinweisendes Logo gekennzeichnet werden.
Themenplacement: grundsätzlich verboten
Junk Food-Werbung: lediglich Beschluss zur Einführung eines Code of Conducts (Selbstverpflichtung), kein Verbot
Recht auf Kurzberichterstattung beschlossen: Sender können europaweit über Ereignisse von großem öffentlichen Interesse auch dann berichten, wenn sie keine Übertragungsrechte haben.Herkunftslandprinzip beibehalten: Medienunternehmen mit grenzüberschreitenden Programmen unterliegen dem an ihrem Standort geltenden Recht. Beihilfeverfahren gegen ARD/ZDFWettbewerbskommissarin Neelie Kroes und die Ministerpräsidenten Beck und Stoiber haben sich am 15.12.2006 im Beihilfeverfahren gegen ARD und ZDF (Rundfunkgebühren als unzulässige staatliche Beihilfe) dahingehend verständigt, dass der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konkreter gefasst und die Finanzkontrolle transparenter werden soll. Bei Sendevorhaben ab einer bestimmten Größe sind Genehmigungsverfahren durch die Aufsichtsgremien vorgesehen, bei denen auch Stellungnahmen Dritter, zum Beispiel der privatkommerziellen Sender, einzuholen sind. Danach erfolgt eine formale Prüfung durch die Länder als Rechtsaufsicht. Mit dem Genehmigungsverfahren entfällt die bisherige Begrenzung der öffentlich-rechtlichen Online-Aufwendungen von 0,75 Prozent der Gebühreneinnahmen. Die Vereinbarungen werden staatsvertraglich festgeschrieben. Wettbewerbskommissarin Kroes wird der Kommission die Einstellung des Beihilfeverfahrens empfehlen.
Christina Oberst-Hundt: Blockade vor der Schlossallee
Das war diesmal nichts mit der Schlossallee! Dank KEK und Kartellamt war sie nun doch nicht zustande gekommen, die Megafusion aus „BILD, BamS und Glotze“. Im „großen Monopoly“ auf dem „Medienmarkt Deutschland“ mussten die beiden Player, Springer und ProSiebenSat.1, nach langem Tauziehen um die absolute Medienmacht in Deutschland schließlich doch ihr Vorhaben aufgeben. Angesichts der klaren Beweisführung des Bundeskartellamts und der Kommission zur Ermittlung der Konzentration (KEK) gegen die sich abzeichnende marktbeherrschende Meinungsmacht hatten der Großverlag und der von US-Investor Saban sanierte frühere Kirch-Konzern keine Chance, den geplanten Zusammenschluss ohne Aufgabe marktrelevanter Unternehmensteile, etwa den Verkauf des TV-Senders ProSieben, zu realisieren. Auch der Präsident der Bayerischen Landesmedienanstalt (BLM) Prof. Ring konnte sich mit der Forderung, die Fusion wegen des vermuteten Wettbewerbsvorteils im globalisierten Markt zu genehmigen, nicht durchsetzen. Und die von Unions-Standortapologeten aus Bayern und Hessen propagierte Ministererlaubnis durch den CSU-Wirtschaftsminister Glos war den Fusionären schließlich selbst nicht mehr genehm, hätte dies doch die politische Stoßrichtung des gesamten Unternehmens allzu deutlich hervortreten lassen.
Ein Vierteljahrhundert Medientage in der Evangelischen Akademie TutzingAm Abend des 20. März, gewissermaßen als übergreifender medienpolitischer Einschub zum aktuellen Thema, wurde das Jubiläum begangen, prominent gewürdigt vom ARD-Vorsitzenden, BR-Intendant Gruber, und – als „Gegenpol“ - BLM-Präsident Ring. Die Evangelische Akademie Tutzing, so Gruber, biete alljährlich im Frühjahr „die Chance zum intensiven Dialog, zur kritischen Erörterung und eingehenden Analyse von Entwicklungen auf dem Medienmarkt“. Und der BLM-Präsident lobte das „Gespür für das Brandaktuelle und zugleich Zukunftsträchtige“ und, mit Bezug auf die Fusionsdebatte wünschte er, „die richtige Balance“ zu finden „zwischen einer Begrenzung von Meinungsmacht und der Wettbewerbsfähigkeit und den berechtigten ökonomischen Interessen der Unternehmen.“ Was aber ist die ‚richtige Balance’? Dazu gab es in Tutzing verschiedene Antworten.„Medienfusion – Gefahr für die Meinungsvielfalt?“Dieser ursprünglich für die Tagung vorgesehene Titel fand sich wieder im Einführungsreferat Prof. Siegfried Weischenbergs (Universität Hamburg). Er hatte darauf eine klare Antwort und ließ Fakten sprechen. Fünf Konzerne, allen voran Springer mit seiner BILD-Zeitung, dominieren den Print-Markt. In über 60% der Städte und Kreise gibt es nur noch eine Zeitung. Das privat-kommerzielle Fernsehen besteht weitgehend aus dem Duopol RTL-Group und ProSiebenSat.1. Der noch vorhandene Rest an Medienpluralismus wird derzeit durch „diagonale Konzentration zwischen Print- und Funkmedien in bisher nicht gekanntem Ausmaß bedroht.“ Die Übernahme von ProSieben.Sat1 durch Springer „hätte hier die Dämme brechen lassen. Deshalb war das Verbot geboten.“Inzwischen haben sich neue Medien zu einem zusätzlichen und vor allem finanzstarken Markt entwickelt. Internet-Portale wie Google oder Kabelbetreiber wie Unity-Media, deren Tochter Arena die Pay-TV-Rechte für die Fußball-Bundesliga gekauft hat, treten nun in Konkurrenz zu den ‚alten’ Playern. Frankreich macht vor, welche Entwicklungen auf dem Medienmarkt noch möglich sind. Dort gibt der Rüstungskonzern Lagardere Zeitschriften wie zum Beispiel ‚Paris Match’ heraus, betreibt Radiostationen und ist an Pay-TV beteiligt. „Medien und Waffen“, so Weischenberg, das „worst case szenario für die Finanzierung von Pressefreiheit“. Hierzulande wird derweil vor allem im Zeitungsbereich das Modell ‚Outsourcing’ praktiziert. Ganze Redaktionen werden in neue Gesellschaften ohne Tarifbindung überführt. Monopoly im neuen Format zulasten eines unabhängigen Journalismus und derjenigen, die ihn produzieren (sollten).Weblogs, diese mehr oder weniger professionellen Inseln im worldwideweb, so fürchtet Weischenberg, könnten „angesichts der Megafusionen auf den Medienmärkten zum letzten Hort der Meinungsvielfalt werden.“„Heuschrecken“ grasen in beide RichtungenDie weiland von Müntefering, als er noch SPD-Vorsitzender war, ins Leben gerufene „Heuschrecken“-Debatte erlebte in Tutzing eine Renaissance. Ausgelöst hatte sie vor allem die Übernahme des Berliner Verlags durch den britischen Investor Montgomery. „Heuschrecken“ bei uns zu attackieren, während deutsche Unternehmen wie Bertelsmann, Springer, Burda oder die WAZ-Gruppe „seit Jahren jenseits der Grenzen dicke Gewinne einfahren“ (Weischenberg), diese Sichtweise verkenne, dass „Heuschrecken auf den Wegstrecken der Globalisierung in beiden Richtungen unterwegs sind“. Prof. Miriam Meckel (Universität St. Gallen), widmete weite Teile ihres Referats diesem Thema, allerdings ohne die Bedingungen für die Beschäftigten solch globaler Unternehmen, etwa Murdoch in Großbritannien, Irland Italien, Bulgarien und den USA oder auch deutscher Verlage, die nach dem Fall der Mauer das Terrain in Mittel- und Osteuropa sondierten, zu hinterfragen und wie es dort um die Pressefreiheit steht.
Die deutschen Regulationsinstanzen: ungeeignet für den globalen Wettbewerb?Von „Regulierungswut“, die vor allem der KEK angelastet wurde, war in Tutzing viel die Rede. Mitunter lag der Verdacht nahe, dass vor einer „übertriebenen“ Regulierung auch deshalb gewarnt wurde, um künftig Untersagungen, wie der gerade verfügten, wirksamer entgegentreten zu können. CSU-Generalsekretär Markus Söder nahm kein Blatt vor den Mund: „Die KEK blockiert den Medienstandort Deutschland. Brauchen wir die überhaupt noch?“
Meckel ging ausführlich auf das „chaotische Zusammenspiel der Regulationsinstanzen“ ein, das bewirkt habe, dass „die geplante Übernahme in einer Verfahrenssackgasse stecken bleiben musste“. Das deutsche Regulationsmodell könne im „internationalen Wettbewerbsgeschehen nicht mehr mithalten“. Die nach Tutzing geladenen Vertreter der Kontrollorgane, der Vizepräsident des Bundeskartellamtes, Peter Klocker, und der Leiter der KEK-Geschäftsstelle, Bernd Malzanini, sahen das anders. Mit der Untersagung des geplanten Machtzuwachses von Springer haben, so Malzanini, die Prüfkommissionen „nur das getan, wofür sie eingesetzt sind, nämlich Missbrauch von Meinungsmacht entgegenzuwirken.“„Vorherrschender Meinungsmacht vorbeugend entgegenwirken!“
Das ist der staatsvertraglich gesicherte Auftrag der KEK. Um ihm im Fall Springer/ProSiebenSat.1 gerecht zu werden, hatte die sechsköpfige Kommission eine Reihe umfangreicher Berechnungen durchzuführen, da es hier eine crossmediale Verbindung von medienrelevanten verwandten Märkten zu untersuchen galt, die mit dem für den Rundfunkbereich festgelegten Zuschaueranteilsmodell, bei dem ab 25% „vorherrschende Meinungsmacht vermutet“ werden kann, allein nicht zu ermitteln gewesen sei. Kein „Hexeneinmaleins“, wie von der Kritik behauptet, sondern, so Malzanini, „gerichtlich überprüfbar“.
Auch der – in Tutzing vor allem von Meckel – heftig kritisierte Vorschlag, einen ‚Fernsehbeirat’ zur Binnenkontrolle des fusionierten Unternehmens zu installieren, war keineswegs von der KEK, sondern von Springer selbst gekommen. Die KEK, so Malzanini, habe deshalb einen Entwurf vorlegen müssen, wohl wissend, dass er „nie akzeptiert würde“. Ob allerdings ein ‚Beirat’ sogleich als späte Realisierung der 68er-Forderung ‚Enteignet Springer!’, laut Meckel „schon aktienrechtlich unmöglich“, abgetan werden sollte?Die Übernahme von ProSiebenSat.1 durch Springer hätte, wie Klocker ausführte, nach dem Kartellrecht eindeutig „zu einer nicht genehmigungsfähigen Marktmacht geführt“ und zwar auf dem Fernsehwerbemarkt, auf dem Lesermarkt für Straßenverkaufszeitungen und auf dem bundesweiten Anzeigenmarkt. Das derzeitige im Fernsehbereich marktbeherrschende Duopol von Bertelsmanns RTL-Group und der ProSiebenSat1.Media wäre mit dem Hinzutreten Springers durch Angleichung der markt- und unternehmensbezogenen Strukturmerkmale noch stärker geworden mit der Folge „wettbewerbsbeschränkenden Parallelverhaltens“. Was wäre gewesen, wenn ….… die Untersagung nicht zustande gekommen wäre? Eine von Jens Hagen im Auftrag des NDR erstellte Untersuchung über die Medienberichterstattung in verschiedenen Tageszeitungen ließ ahnen, welche Art von Berichterstattung sich dann auch im Fernsehen hätte etablieren können. Just bis vor Bekanntgabe des Scheiterns der Fusion wird, folgt man BILD-Schlagzeilen, dem „Saustall ARD“ die Schleichwerbeaffäre vorgehalten (während der gleiche Vorgang in Sat.1 – allerdings mit Wissen der Unternehmensleitung – kaum ein Thema war), ihr unterstellt, „über Gebühr gierig“ zu sein und deshalb gefordert: „Jetzt müssen die Gebühren runter“. Erschwerend kommt dann noch hinzu: „Und die Bosse machen Urlaub!“ Kampagnen-Journalismus wie gehabt, wenn BILD bestimmte Sichtweisen seinen zwölf Millionen Leserinnen und Lesern nahe legen will. Dasselbe in den Sat.1- oder ProSieben-Nachrichten?„Aufklärender Journalismus“, so Martin Dieckmann von ver.di in der Abschlussdiskussion, ist „ohne innere Medienfreiheit, ohne Kontrolle ökonomischer Macht“ nicht gewährleistet. Der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Helmut Heinen, war da ganz anderer Meinung: „Das wäre die Abkoppelung von der wirtschaftlichen Verantwortung des Journalisten. Für uns ist der Markt das Wichtigste!“Mit der ,richtigen Balance’ zwischen Begrenzung von Meinungsmacht und ökonomischen Interessen ist es also noch nicht so weit her. Aber die Schlossallee im Medien-Monopoly ist erst einmal wirksam gesperrt. Zum Glück!
Christina Oberst-Hundt: Ein 30-jähriges Netzwerk
Sie nennen sich Gleichstellungsbeauftragte, Frauenvertreterin oder Beauftragte für Chancengleichheit. In allen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und Funkhäusern wirken sie für das, was ihr Name besagt: Sie setzen sich dafür ein, dass die immer noch vorhandene Benachteiligung von Frauen in den Sendern irgendwann der Geschichte angehört, denn immer noch arbeiten in den unteren Gehaltsgruppen in der Regel mehrheitlich Frauen, während oben Männer deutlich dominieren.1 Zu ihren Aufgaben gehört es, Frauen zu beraten, Qualifizierungsmaßnahmen anzustoßen, sie zu motivieren, Positionen anzupeilen, die ihnen, wenn das Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes ernst genommen wird, ebenso zustehen wie Männern. Bei Bewerbungsgesprächen sind sie zugegen, um entsprechend qualifizierte Frauen zu unterstützen. Darüber hinaus engagieren sie sich für Maßnahmen zur Vereinbarkeit beruflicher und familiärer Verpflichtungen von Frauen und Männern, zum Beispiel durch Initiierung von Kindergärten und anderen Einrichtungen.Dass solche Beauftragten, die sich qua Funktion für Chancengleichheit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk einsetzen, heute institutionalisiert sind, ist keineswegs zufällig, sondern Ergebnis eines langen, von Mitarbeiterinnen der öffentlich-rechtlichen Anstalten initiierten und erkämpften Prozesses.
Vom „kollektiven Betroffensein“ zum „Ende der Bescheidenheit“
Bereits in den 70er Jahren hatten einige Frauen aus verschiedenen Sendern genug davon, trotz guter Qualifikation immer zusehen zu müssen, wie der Aufstieg in Gestalt ihrer männlichen Kollegen an ihnen vorbeizog und die zweite und dritte Reihe für sie zur Dauereinrichtung zu werden drohte. Kolleginnen aus WDR, NDR, SFB, HR und dem ZDF begannen, sich auszutauschen, zu kooperieren und ihr „kollektives Betroffensein“, so die ZDF-Frauen, öffentlich zu machen. 1978 fand in Frankfurt das erste Treffen der Frauen in den Medien ARD und ZDF, kurz Herbsttreffen der Medienfrauen, damals noch in einer Jugendherberge, statt. Die Rundfunkmitarbeiterinnen gehörten damit zur Avantgarde der neuen Frauenbewegung, die das Thema „Frauenförderung“2 in den Folgejahren zu einem ihrer politischen Schwerpunkte machte und das „Ende der Bescheidenheit“ proklamierte.Die 1978 veröffentlichte Studie über Die Situation der Mitarbeiterinnen im WDR belegte erstmals das Ausmaß der Frauenbenachteiligung in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt anhand eindeutiger Daten und Fakten. In der Folge ging es, unterstützt von der Mediengewerkschaft RFFU3, in allen Sendern um die Durchsetzung von „Frauenförderplänen“. Die inzwischen institutionalisierten alljährlich stattfindenden Medienfrauentreffen waren in den 80er Jahren wichtige Foren zur Durchsetzung dieses Ziels. Titel der Treffen wie Gemeinsam bleiben wir lästig (1984 beim WDR in Köln) oder Ohne uns wird Euch Hören und Sehen vergehen (1986 beim SDR in Stuttgart) belegen die Hartnäckigkeit der Rundfunkfrauen, die schließlich, am 1. Dezember 1989, Erfolg hatte. An diesem Tag unterzeichnet WDR-Intendant Friedrich Novottny die erste „Dienstanweisung des Intendanten über den Frauenförderplan des Westdeutschen Rundfunks“ und beruft mit Rita Zimmermann die erste Gleichstellungsbeauftragte einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt. Der Sender hat sich nun „zum Ziel gesetzt, den grundgesetzlich verankerten Gleichberechtigungsgrundsatz und das Antidiskriminierungsverbot zu verwirklichen“ und darauf hinzuwirken, „dass gleich viele Frauen und Männer in allen beruflichen Bereichen, Vergütungsgruppen und in allen hierarchischen Ebenen vertreten sein sollen.“ Von nun an gibt es geschlechtsneutral formulierte Stellenausschreibungen. Bei Besetzungen sind Frauen zu bevorzugen, wenn sie über gleiche Qualifikationen wie ihre männlichen Mitbewerber verfügen. Babypause und andere familiäre Verpflichtungen dürfen Frauen nicht zum Nachteil gereichen. Die Gleichstellungsbeauftragte hat „die Umsetzung des Frauenförderplans zu gewährleisten“ und muss bei Stellenausschreibungen einbezogen werden. Ähnliche Regelungen, durch Landesgleichstellungsgesetze rechtlich gestützt, gibt es inzwischen in allen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
„Welchen Rundfunk wollen wir?“
Die Gleichstellungsbeauftragten sind heute Teil des Netzwerkes der Medienfrauen ARD, ZDF und ORF (seit 1980). In der Regel sind sie maßgeblich an der Organisation der jährlichen Treffen beteiligt. Auch sind meist sie es, die dort über die Situation der Frauen in den Sendern berichten und ihre Erfahrungen einbringen. Die Herbsttreffen sind von Beginn an die wichtigsten Kommunikationsforen der Frauengruppen und Netzwerke der einzelnen Sender. Über die senderbezogene Problematik hinaus definiert hier Gleichstellungspolitik ein Themenfeld, das Rolle und Aufgaben von Medienfrauen (rundfunk)politisch, gesellschaftlich und international umfasst. „Welchen Rundfunk haben wir? Welchen Rundfunk wollen wir?“ wird 1980 gefragt. Ein Jahr später werden Resolutionen gegen die „Verharmlosung von Aufrüstung und Atomtod“ verabschiedet. In der Folge wird es kein Treffen mehr geben, das nicht zu aktuellen (außen)politischen Themen Stellung bezieht. „Frauen – M(m)acht – Karriere“ ist das Motto zum zehnten Treffen in Bremen. 1989 in Berlin erleben die Medienfrauen hautnah die Maueröffnung. Der Deutsche Fernsehfunk der DDR wird ‚abgewickelt’ und mit ihm seine 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Kontakte zu Kolleginnen in Ost und West werden ausgebaut. „Chancen für Europa“ loten die Medienfrauen 1993 in München aus. Dass „Frauen im Netz“ sind, wird 1998 in Saarbrücken vertieft. Ein Jahr später taucht erstmals der Begriff Gender Mainstreaming auf. Auf den folgenden Treffen wird frau sich häufiger mit diesem Instrument zur Schaffung von Geschlechtergerechtigkeit auseinandersetzen und Möglichkeiten ausloten, diese neue Denkweise auch in den Sendern zu verankern. Wie wirken sich Maßnahmen auf Frauen und Männer aus? Wird das soziale Geschlecht (gender) bei allen politischen Entscheidungen mitberücksichtigt, können üblicherweise nicht wahrgenommene unterschiedliche Problemlagen, Benachteiligungen aber auch Qualitäten in den Blick genommen, ungerechte Geschlechterverhältnisse und die sie produzierenden Strukturen erkannt und verändert werden (vgl. Stiegler 2000, Oberst 2003).
„Saure Gurken“ gegen frauenfeindliches Fernsehen
Der kritische Blick auf die Fernsehprogramme der Anstalten war von Anfang an ein wichtiges Anliegen der Rundfunkfrauen. Die Küchenhoff-Studie hatte bereits 1975 die Benachteiligung von Frauen im damals noch ausschließlich öffentlich-rechtlichen Fernsehen untersucht und ihre Befunde in dem prägnanten Satz „Männer handeln, Frauen kommen vor!“ zusammengefasst. 1980 wurde die Saure Gurke als Negativpreis für ein prägnantes Beispiel frauenfeindlichen Fernsehens im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kreiert, der seither alljährlich verliehen wird. Preisträger und manchmal auch Preisträgerinnen gibt es in allen Sparten und Sendeformaten. Die Auszeichnung trifft (fast) immer, ärgert die Getroffenen nicht selten und macht prägnant auf einen signifikanten programmlichen Missstand aufmerksam, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Presse den Negativpreis gern zum Anlass nimmt, ein paar Zeilen über die jährlichen Treffen, an denen inzwischen bis zu 300 Rundfunkfrauen teilnehmen, zu veröffentlichen.4Die Herbsttreffen bieten auch Fortbildung und empowerment kompakt. In meist zweitägigen Workshops werden aktuelle (rundfunk)politische Themen diskutiert, Internet-Fragen vertieft, Durchsetzungsfähigkeit und Selbstvertrauen trainiert, um frau fit zu machen für die scheinbar unvermeidlichen Auseinandersetzungen im Betrieb, sei es mit Chefs und Kollegen, aber auch Kolleginnen. Gerade Konkurrenz und Solidarität unter Frauen, sind Themen, die hier auch hinterfragt werden.
Mit Selbstbewusstsein gegen „Macht und Vorurteil“
Was wird die Zukunft bringen? Dass sich (nicht nur) Rundfunkfrauen weiterhin mit „Macht und Vorurteil“ auseinandersetzen müssen, thematisierte das Münchner Treffen 2007. Aber, so das Signal prominenter Festredner, es gibt auch Männer, die hier Flagge zeigen und Frauenbelange unterstützen.30 Jahre besteht jetzt dieses Frauennetzwerk. Die Herbsttreffen sind inzwischen etabliert. Die Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister der Städte, in denen getagt wird, lassen es sich nicht nehmen, die Teilnehmerinnen zu begrüßen. Die Intendanz unterstützt die Treffen und lädt zum opulenten Buffet. Das Jubiläum wurde am Ursprungsort in Frankfurt beim Hessischen Rundfunk begangen.5 Das Motto „Junge Talente oder aus Erfahrung gut“, ganz ohne Fragezeichen. Die Medienfrauen, ob alt oder jung, wissen, was sie geleistet haben und leisten können und zeigen Selbstbewusstsein. Und genau das werden sie auch in Zukunft brauchen.6 Anmerkungen1 „Im Bayerischen Rundfunk z. B. arbeiten die meisten festangestellten Frauen in den Gehaltsgruppen 6 und 7, die meisten Männer in der Gehaltsgruppe 14, Führungskräfte sind zu 75,8 Prozent männlich. In der Geschäftsleitung arbeitet nach wie vor keine Frau“. Vgl. Edith Fuchs-Leier, BR-Gleichstellungsbericht 2006 S.8 u.132 Der Begriff „Frauenförderung“ wird heute kaum mehr benutzt, da er Frauen als „defizitär“ ausweist.3 Rundfunk-Fernseh-Film-Union, später IG Medien, seit Juli 2001 in ver.di4 Weiteres unter www.saure-gurke.info5 Ausführlich zum Frankfurter und früheren Treffen s. www.medienfrauentreffen.de. Dort ist auch die Festrede von Ute Mies-Weber zum 30. Jubiläum abrufbar.6 zum Thema s. a. Oberst-Hundt 2005 LiteraturBundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (Hg.) (1995). Die Darstellung der Frau und die Behandlung von Frauenfragen im Fernsehen. Eine empirische Untersuchung der Universität Münster unter Leitung von Prof. Dr. Erich Küchenhoff. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz: Kohlhammer VerlagOberst, Karen (2003). Von der Geschlechterungleichheit zur Geschlechterdemokratie. Norderstedt: BoDOberst-Hundt, Christina (2005). Geschlechterdemokratie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seinen Programmen: notwendig – machbar – zukunftsorientiert. In: Werneke, Frank (Hg.), Die bedrohte Instanz – Positionen für einen zukunftsfähigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Berlin: ver.di, S. 220-240Stiegler, Barbara (2000). Wie gender in den Mainstream kommt: Konzepte, Argumente und Praxisbeispiele zur EU-Strategie des Gener Mainstreaming. Bonn: FES
Christina Oberst-Hundt: Alte sind anders
Am Anfang stand, wie bei Veranstaltungen über ‚Ältere Menschen’ heute üblich, die demographische Entwicklung. Prof. Schmid von der Universität Bamberg verzichtete auf die Attitüde des Bedrohlichen, die das Thema in der Regel herauf beschwört, und würdigte ein langes Leben durchaus als soziale Errungenschaft. Innovationen im Gesundheitswesen und gesellschaftliche Entwicklungen, vor allem das Streben der weiblichen Bevölkerung nach gleichberechtigter Teilhabe an Bildung und Erwerbsarbeit, seien wesentliche Ursachen. Mehrheitlich geht es um Frauen, wenn das Thema ‚Alter’ verhandelt wird. Sie haben heute eine Lebenserwartung von 81 Jahren, während das männliche – laut Schmid – „schwächere Geschlecht“ mit 76 Jahren durchschnittlich rechnen kann. „Die vergreiste Republik“ wird laut Süddeutscher Zeitung „2011, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestrand drängen“ konkreter werden und 2040, wenn ein Drittel der Gesellschaft über 60 Jahre alt ist, „vollendet sein“
1.Mediennutzung 50 plus: anders, länger, vielfältig
Medien werden diese Entwicklung berücksichtigen und den unterschiedlichen Bedürfnissen alter Menschen entsprechen müssen. Wie Maria Gerhards von der SWR-Medienforschung betonte, nutzen die älter werdenden Generationen das vorhandene Medienangebot anders als jüngere und auf jeden Fall länger. Allerdings ist ihr Mediennutzungsverhalten keineswegs homogen und verändert sich mit zunehmendem Alter. Viele jüngere Alte zwischen 50 und 59 Jahren haben mehr mit 40-Jährigen als mit den älteren Jahrgängen gemein. Sie wollen vor insbesondere durch das Fernsehen Information, Entspannung, Unterhaltung, Denkanstöße bekommen und mitreden können. Erst in höherem Alter verändert sich der Fernsehkonsum deutlich. Über-70-Jährige sehen täglich im Durchschnitt mehr als viereinhalb Stunden fern, etwa eine Stunde länger als jüngere Alte. Während im vergangenen Jahr die meistgesehene Sendung der Ab-50-Jährigen Wetten, dass… war, favorisierten die Ab-70-Jährigen Mainz bleibt Mainz und den Musikantenstadl. Allerdings modifizieren sich diese Vorlieben deutlich, je höher der Bildungsstand ist. Mit steigendem Alter wächst zudem das Bedürfnis nach mehr Information, während die Fiktion-Angebote immer weniger interessieren.
Im Medienvergleich ist mit zunehmendem Alter die Hörfunknutzung gegenüber dem Fernsehen rückläufig. Aber die Tageszeitung wird täglich etwa eine halbe Stunde gelesen, während in Zeitschriften lediglich zehn Minuten geblättert wird. Das Interesse an Büchern schlägt sich in einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von täglich 70 Minuten nieder und Tonträger sind 36 Minuten eingeschaltet. Das Internet nutzen erst relativ wenige, nämlich unter 20 Prozent der Älteren, aber auch sie akzeptieren es zunehmend als eigenständiges Medium. Vor allem home-banking erfreut sich bei den Ab-50-Jährigen steigender Beliebtheit2. Bei den Fernsehsendern präferieren Ab-50-Jährige eindeutig die öffentlich-rechtlichen Angebote gegenüber privat-kommerziellen.Ausgegrenzt oder gesund und fit?
Wie reagieren die Sender auf das größer werdende ältere Publikum? Richten sie sich nach deren Vorlieben, Bedürfnissen, reflektieren sie deren gesellschaftliche Situation, deren Probleme? Helmut Lukesch bezweifelt dies. In seiner Untersuchung über das Weltbild des Fernsehens, auf die der Medienkritiker Tilmann P. Gangloff in Tutzing einging, resümiert er, dass Menschen über 65 im Fernsehen deutlich unterrepräsentiert, ausgegrenzt seien und die negativen Seiten des Alters kaum gezeigt würden. Das Fernsehen vermittle insgesamt ein überwiegend positives Bild des Alt-Seins. Diesem Befund, von Lukesch kritisch beurteilt, hat Gangloff „die eigene gefühlte Statistik“ entgegengesetzt, die in mancher Hinsicht realitätsnäher wirkte als des Wissenschaftlers Analyse. So habe z.B. der inzwischen 75-jährige „Prof. Brinkmann“ in einem Schwarzwaldklinik-Special seinen 12,5 Millionen keineswegs nur älteren Zuschauern so positive Werte wie „Routine, Gelassenheit und Erfahrung“ vermittelt. Tatorte und andere Krimis, in denen alte Frauen um ihr Erspartes gebracht werden, eine von ihnen über Monate unentdeckt tot im Sessel sitzt, kriminelle Machenschaften in Altenheimen aufgedeckt werden, zeigten nicht gerade Beispiele problemlosen Alterns, ebenso wenig wie Fernsehfilme über schwierige Mutter-Tochter-Beziehungen, boshafte Schwiegermütter und Omas oder das erschütternde Porträt eines Alzheimer-Kranken.
3 Anzumerken wäre noch, dass Lukeschs Befund, „der Großteil der Senioren im Fernsehen“ werde „als körperlich gesund und geistig fit dargestellt“, dem ‚richtigen Leben’ durchaus entspricht. Die heutigen Alten sind nämlich viel weniger durch Krankheit, Gebrechlichkeit und Siechtum beeinträchtigt als alle Vorgängergenerationen.Apropos Kommissarinnen und Co.
Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum in Tutzing die vielen fit aussehenden älteren Frauen aus der TV-Fiktion nur nebenbei erwähnt wurden. Gerade Figuren wie „Bella Block“ oder „Die Kommissarin“ waren es aber, die ab Mitte der 90er Jahre einen geradezu revolutionären Wandel im Fernsehen eingeleitet haben, indem sie dem bis dahin herrschenden Frauenleitbild: Jung, schön, mit Liebesdingen zwecks späterer Heirat befasst und dem Manne untertan4, die selbstbewusste, sich über ihren Beruf definierende, ältere Frau entgegenstellten. Zahlreiche Frauen, nicht nur Kommissarinnen, sondern auch Juristinnen wie Christiane Hörbigers ungewöhnliche „Julia“, „Tippsen“ wie Evelyn Hamanns „Adelheid“ oder Ruth Drexels resolute Mutter des „Bullen von Tölz“ belegen deren Publikumsakzeptanz mit höchsten Einschaltquoten. Und machen diese TV-Frauen nicht auch medial sichtbar, was der Bevölkerungsexperte eingangs ausgeführt hatte, dass nämlich Frauen ihren Anteil am gesellschaftlichen Leben einfordern auf Kosten von Kind und Küche?
Ab 50: nicht werberelevant?
Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Tagungszeit in Tutzing widmete sich der Frage, “warum die Zielgruppe 14 bis 49 wirklich wichtig ist“, bzw. warum auch ältere Zielgruppen werblich nicht uninteressant sind. Von „Kontaktherstellung zwischen Produkthersteller und Konsument“, „Markenerinnerung“, „Aussteuerung des Mediaplans“ und „Umsatzgenerierung der Zielgruppen“ war da die Rede. Während die kommerziellen Sender darauf bestehen, dass sie mit den 14- bis 49-Jährigen auch die Älteren erreichen, wollen die Öffentlich-Rechtlichen „die verschmähte Generation“ der Alten gezielt ansprechen, weil diese immer mehr werden, Alterstypen sich immer weiter ausdifferenzieren, viele Alte „wirklich reich sind“, häufiger als Junge einkaufen und ihre Markentreue sich in Grenzen hält, wenn neue Produkte ihren Vorstellungen entsprechen.
Zwischen Konkurrenz und Quote?
In der Abschlussdiskussion keimte ein bisschen aktuelle Rundfunkpolitik auf. Die Gebührendiskussion habe ein Konkurrenzgefühl auch zwischen ARD und ZDF aufgebaut, einen Keil zwischen beide Systeme getrieben, in der Hoffnung, „dass vielleicht eines schlapp macht“, meinte Bettina Reitz vom Bayerischen Fernsehen. Und Regisseur Uli Stein befällt ein „steigendes Gefühl der Mutlosigkeit angesichts des Quoten- und Zielgruppendenkens“. Auch bei den Tatort-Filmen spüre er „Tendenzen, weniger politisch zu sein“. Susanne Kaiser vom ZDF beklagte die Politikverdrossenheit gegenüber Sendungen wie Berlin Mitte und Max Schautzer sieht bei Christiansen nur noch Leute, die dort wegen ihrer Funktion auftreten, nicht weil sie etwas zu sagen hätten. Was hat das mit den Alten zu tun? Sehr viel, denn sie sind es, die mehr vom Fernsehen erwarten, nicht nur weil sie länger sehen und immer mehr werden, sondern weil sie angesprochen sein wollen, nicht als Quotenbringer und Zielgruppen für Kaufprodukte, sondern über Inhalte, die ihren unterschiedlichen und vielfältigen Bedürfnissen entsprechen.5
Anmerkungen
1Süddeutsche Zeitung vom 10.1.2005
2 Wie alte Menschen mit online-Medien umgehen, war Titelthema in merz Nr.4, August 2004
3 Tillmann P. Gangloffs Tutzinger Referat in erweiterter Form in epd medien Nr.18 v. 9.3.2005, S.5ff.
4 Vergl. Monika Weiderer (1993). Das Frauen- und Männerbild im Deutschen Fernsehen, S. Roderer Verlag, Regensburg
5 Vergl. Anne Rose Katz (1996). Wie man aus einem Grauen Panther ein Goldenes Kalb macht… in merz Nr.5, Oktober 1996. Titelthema: Die 50plus-Generation: Ohne Präsenz in den Medien?
Christina Oberst-Hundt: Rechtsextremismus und rechtsradikale Gewalt im Fernsehen
Menschen werden zu Tode getreten, weil sie eine dunkle Hautfarbe haben, misshandelt, weil sie behindert oder nicht sesshaft sind, in ihren Unterkünften verbrannt, weil sie Asyl suchen, jüdische Friedhöfe geschändet, Synagogen beschädigt - aus Hass auf alles vermeintlich Fremde. Rechtradikale Straftaten haben, so der jüngste Verfassungsschutz-Bericht, deutlich zugenommen. Mehr als 11 000 waren es im vergangenen Jahr.Dass das Fernsehen über all dies informieren muss, auch wenn die öffentliche Aufmerksamkeit Täter bestätigt, Nachahmer anregt, darüber waren sich die Medienfachleute, die zu den 20. Tutzinger Medientagen zum Thema „Rechtsextremismus – Wie reagiert das Fernsehen?“ geladen waren, bald einig. Schwieriger war es, Antworten auf die Frage nach dem angemessenen medialen Umgang zu finden. Ist das, was das Medium bisher leistet, ausreichend? Was fehlt, was muss anders gemacht werden?
Sebnitz – vom „Aufmacher der Anständigen“ zum „Medien-GAU“Der Hamburger Kommunikationswissenschaftler und DJV-Vorsitzende Siegfried Weischenberg stellte die Berichterstattung über den „Fall Joseph“ in den Mittelpunkt seines Referats über „Konstruktionen der Medien zum Thema ‘Rechte Gewalt’“. Nicht die Absicht, das Sommerloch mit spektakulärer Berichterstattung zu füllen, sei der Grund für den „Medien-GAU“ Sebnitz gewesen, sondern eine deutliche Sensibilisierung gegenüber rechter Gewalt, hervorgerufen durch „eine intensive öffentliche Diskussion“, die nach dem Düsseldorfer Bombenanschlag Ende Juli eingesetzt und Zeitungen wie SZ, FR, taz veranlasst hatte, „das Thema nicht von der Tagesordnung verschwinden zu lassen“. Als dann am 23. November BILD mit der Schlagzeile „Neonazis ertränken Kind – Und eine ganze Stadt hat es totgeschwiegen“ aufmachte, hatte das Blatt, so der „Spiegel“, den „Aufmacher der Anständigen“ geliefert und seriöse Zeitungen, die ebenfalls an dem Thema dran waren, ermutigt, mit eigenen Beiträgen nachzuziehen. Sebnitz bot „für die Berichterstattung über rechte Gewalt ein verführerisch perfektes Szenario“, das sich durch die Mithilfe von Josephs Eltern, Ermittlungsbehörden und Politik „in eine scheinbar unwiderlegbare Medienkonstruktion umsetzen ließ“.
Ein Journalismus, „der es gut meint“, dabei aber berufliche Regeln missachtet und Vermutungen zu Fakten macht, führt, so Weischenberg, „direkt zum ‘GAU Sebnitz’“.Hintergrund und Opferperspektive - FehlanzeigeUnd wie sieht die vertiefende Hintergrundinformation, wie sie längere Fernseh-Features, Reportagen und Dokumentationen vermitteln, aus? WDR-Redakteur Wolfgang Kapust hat die Programme von ARD, ZDF, RTL und SAT 1 nach Sendungen zum Thema Rechtsextremismus durchforstet. Das Ergebnis: elf Beiträge in der ARD, einer im ZDF, nichts bei den Privaten! Eine Fülle von Argumenten und Bildern, wichtigen Informationen, engagierten Positionen gab es, die Konfrontationen mit Neonazis und Skinheads, die Darstellung rechtsextremer Gewalttaten, zumeist unterlegt mit dramatisierender Musik, standen allerdings im Vordergrund. Fragen nach Hintergründen und Ursachen oder Versuche historischer Aufarbeitung waren selten. Informationen über die „Neue Rechte“ und deren Medien zum Beispiel, oder über das internationale Netzwerk des Rechtsextremismus waren nicht zu finden, ebenso wenig wie Aufklärung über Antisemitismus oder Begründungen für ein NPD-Verbot. Beiträge, die sich die Opferperspektive zu eigen machten, fehlten ganz. Insgesamt zwar eine „Fülle von Aspekten und Perspektiven zum Rechtsextremismus“, so Kapusts Fazit, ein „systematisches Konzept“ sei jedoch „nicht erkennbar“ gewesen.„Appellhaftes Unruhe-Verbreiten“ statt vertiefender Hintergrundinformation, das war die Kritik, die einer ARD-Schwerpunktsendung von BR und MDR zuteil wurde. Und dann immer wieder diese Aufmärsche glatzköpfiger junger Männer in Springerstiefeln und Bomberjacken! Gibt es, angesichts dieser martialischen Bildsprache so etwas wie eine „ästhetische Komplizenschaft“? Wird Rechtsradikalismus gar zum Jugendkult hochstilisiert?
Auf das grundsätzliche Problem, dass junge Leute, die in die rechte Szene abzudriften drohen, mit noch so qualifizierten Sendungen kaum erreicht werden, weil sie öffentlich-rechtliche Programme meiden, wies NDR-Chefredakteur Volker Herres hin. Mit Spots gegen Hass und Gewalt?
Wie aber Kinder und Jugendliche, so Wirkungsforscher Jürgen Grimm, „gegen Fremdenfeindlichkeit immunisieren“, wie sie „aktiv gegen Rechts“ machen? Können das pointierte Fernsehspots, wie sie von verschiedenen Sendern bereits ausgestrahlt werden, eher bewirken als die nur von Interessierten genutzten Hintergrundsendungen? Der ORB hat unter dem Motto „Ein Land für alle – Zuhause in Brandenburg“ „Leute von unten“ - ehrenamtliche Bürgermeister, Pfarrer oder Sportler – in landschaftlich schöner Kulisse vor die Kamera gestellt. Sie sollten, so Redakteur Bösenberg, „zum Thema authentisch etwas sagen“. Ob aber eine Mobilisierung gegen Fremdenfeindlichkeit erreicht wird, wenn die Vorteile multikulturellen Zusammenlebens nur verbal thematisiert, nicht aber auch in den Bildern sinnlich manifest vermittelt werden?SAT 1 veranstaltet einen Schülerwettbewerb, dessen beste Spots ausgestrahlt werden. 120 Gruppen haben sich bereits angemeldet. Motto: „Zeigt Mut!“Der Verband „eys&ears“ hat eine Reihe unterschiedlicher Spots produziert, die allen interessierten Sendern zur Verfügung gestellt werden. Am besten kam ein humoriger Spot an: Rechtsradikale als Randgruppe, die es schwer hat! Da standen dann zum Schluss zwei dieser bemitleidenswerten Figuren mit zum Hitlergruss erstarrten Armen - als Halterung für eine Wäscheleine! Aber ausgerechnet die von Jugendlichen genutzten Musiksender Viva und MTV haben es bisher abgelehnt, solche Spots auszustrahlen oder herzustellen.
Neonazis, Skins und alte Kameraden in unserer GesellschaftAuch die fiktionalen Programme nehmen sich verstärkt des Themas an. Seit 1992/93 wird Rechtsradikalismus, so der Hamburger Medienwissenschaftler Knut Hickethier, zunehmend in deutschen Fernsehfilmen und Serien, vor allem im Krimi, thematisiert. Gängige Stereotype sind der fanatische Einzelkämpfer, die Kameradschaft, der Verräter, der aus der Gruppe auszubrechen versucht, und der machtbesessene skrupellose Anführer und ideologische Drahtzieher (Beispiel: Günther Maria Halmer in „Tödliche Wahl“, ZDF 1995).
Ausländer, Asylsuchende oder Deutsche ausländischer Herkunft kommen dagegen „selten aus der Opferrolle heraus“. Gegenspieler sind die Aufklärer, im Krimi also vor allem die vielen Kommissare und Kommissarinnen. Das Thema Rechtsradikalismus wird oft benutzt, um „exzessive Bildspektakel herzustellen, die der Reizverstärkung dienen. Der Übergang zum Actionfilm und Thriller verschwimmt“. Eine Auseinandersetzung mit der rechten Ideologie kommt dabei in der Regel zu kurz. Auf der Strecke bleiben die Nähe zur Alltagsrealität und damit auch eine auf Veränderung zielende Wirkung. Rechtsradikalismus wird so entschärft und verharmlost.„Sensationalisierung“, so Hickethier, hebe die Darstellung „in den Bereich des Unwirklichen, Phantastischen“. „Normalisierung“ mache rechtsradikale Gewalttaten zum Bestandteil des alltäglichen „Lebens in der heutigen Risikogesellschaft“ wie in der SAT 1-Serie „Auf alle Fälle Stefanie“, wo ein brutaler Skin-Überfall lediglich Aufhänger ist, um die psychische Situation einer jungen Frau, die nach der ihr zugefügten lebensgefährlichen Verletzung ihre Karriere als Tänzerin beenden muss, auszumalen. Rechtsradikalismus als hinzunehmende Alltagsrealität unserer Gesellschaft!Antifaschismus und Antirassismus als KonzeptNie wieder Faschismus! Das war die Losung, die nach 1945 Pate Stand bei der Konstituierung eines demokratischen Rundfunks. Sie findet sich in modifizierter Form in allen Landesrundfunkgesetzen.
Es wird Zeit, dass der Rundfunk sich dieses Auftrags wieder stärker besinnt. Dafür sind Konzepte erforderlich, die Rechtsextremismus und seine vielfältigen Erscheinungsformen, seine Geschichte, seine Ideologie und seine Politik in den Blick nehmen, dokumentieren, analysieren und auch in Fiktionssendungen adäquat umsetzen. Beispiele gibt es. Das von der BR-Redakteurin Hildegard Hartmann vorgestellte Magazin „Frauensache“ zeigte, dass Skin-Girls und rechte Frauen in der Szene „auf dem Vormarsch“ sind, als politische Agitatorinnen, als „Drahtzieherinnen im Hintergrund“, als „Rädelsführerinen“ und auch als „Schlägerinnen“. Ergänzt wurde das durch ein kundiges Interview mit Franziska Hundseder, die schlüssig aufzeigte, dass Rechtsextremismus nicht am unteren sozialen Rand unserer Gesellschaft angesiedelt ist, sondern aus ihrer Mitte heraus agiert.Die immer wieder spektakulär ins Bild gesetzten Skin-Aufmärsche dokumentieren nicht nur eine reduzierte Wahrheit, sie suggerieren auch, Rechtradikalismus sei vorrangig ein Problem des Ostens. Sebnitz konnte wohl auch deshalb zum Medien-GAU werden. Es fragt sich, ob so unkritisch berichtet worden wäre, wenn Sebnitz irgendwo im Westen läge.Medien sind keine Reparaturbetriebe!
Es sind nicht allein die Medien, deren Aufgabe die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus wäre. Sie können nicht „die Reparaturbetriebe einer Gesellschaft sein“ (Weischenberg). Wenn „Äußerungen im Parlament eine dumpfe Ausländerfeindlichkeit bedienen“, wenn ausländischen Menschen die „Anerkennung als gleichberechtigte Mitbürgerinnen und Mitbürger“ versagt wird, wenn Nationalstolz-Debatten die politische Diskussion beherrschen, wenn Gerichte Prozesse hinauszögern und rechtsradikale Straftaten nicht als solche zu erkennen vermögen, wenn Finanzämter rechtsradikalen Organisationen steuerbegünstigte Förderung zuteil werden lassen, dann sind Politik, Justiz und Verwaltung gefordert. Das Medium Fernsehen kann solche Prozesse begleiten und eigene Schwerpunkte setzen. Es kann und muss über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufklären und Gegenbilder entwerfen. Der WDR hat seit Januar eine „Beauftragte für multikulturelle Vielfalt im Programm“. Das Beispiel sollte Schule machen.Christia Oberst-Hundt, Walter Oberst: Politik – Wirtschaft – Medien
Die Entwicklung des Mediensystems in der Bundesrepublik Deutschland nach dem 2. Weltkrieg war mit unterschiedlichen Erwartungen verbunden.
Letztlich setzte sich die von wirtschaftlichen und politischen Interessen geleitete Richtung durch.(merz 2001-04, S. 223-229)
Christina Oberst-Hundt: Kultur in Fernsehen und Hörfunk
Die Initiative des parteiübergreifenden Ministerpräsidenten-Trios Stoiber (Bayern), Steinbrück (NRW) und Milbradt (Sachsen), mit strukturellen „Reformen“ eine Absenkung der Rundfunkgebühren, letztlich aber eine weitgehende Reduzierung der öffentlich-rechtlichen Kultur-Programmleistungen zu erzwingen (siehe Erläuterungen 1), wirkte wie eine implizite Botschaft an die Tutzinger Tagung. Schon deren doppelte Fragestellung „Glück in der Nische? Oder: TV-Quote für die Kultur?“ verwies auf eine mögliche Alternative zum Umgang mit Fernseh-Kultur.Dass die Kulturprogrammverantwortlichen gar nicht erpicht darauf sind, sich im Nischen-Abseits glücklich zu fühlen, machte die Tagung eindrucksvoll deutlich.Die Medienfachjournalistin Klaudia Brunst hat zwei Monate lang Kulturmagazine im Fernsehen angeschaut und eine „doch sehr große Nische“ ausgemacht. Vor allem die 3. Fernsehprogramme und eher kleinere ARD-Anstalten füllen sie mit zahlreichen, oft qualitativ hochwertigen Angeboten. Allerdings: viele Jubiläen, Geburts- und Todestage, viel Kurzformatiges, wenig Kritik und Nachdenken über das eigene Medium. Formexperimente leistet sich vor allem der Kulturkanal Arte.
Fehlanzeige im Privatfernsehen: Alexander Kluges unabhängige Programminseln in mehreren kommerziellen Sendern wurden diesen staatsvertraglich auferlegt. Verlust von Kultur Der ZDFtheaterkanal, so sein Leiter Wolfgang Bergmann mit Blick auf die Absichten der drei Ministerpräsidenten, auch dieses Kulturangebot abzuwickeln, „ist notwendig, weil er ein echtes spezial interest-Programm darstellt“, das die Wechselbeziehung zwischen Gesellschaft und Theater verdeutlicht, Anregungen für das eigene Theatererlebnis gibt, Theatergeschichte visuell dokumentiert, mit neuen Formen experimentiert und so den „Sauerstoff vom Fernsehen auch ins Theater bringt, damit was Neues entsteht“.Gottfried Langenstein, Direktor Europäische Satellitenprogramme beim ZDF, hält Sparen zulasten der Kultur für verhängnisvoll: „Alles, was heute vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgeschnitten wird, das wird unter den sich verändernden Bedingungen nie wieder installiert werden können.“ Ein starker Bestand an öffentlich-rechtlichem Rundfunk sei deshalb eine notwendige Investition in die Zukunft, nicht zuletzt um die Legitimation für Gebühren zu erhalten. „Anspruchsvolle Programme wie Arte und 3sat düren wir nicht aufgeben, weil sonst ein Stück Kultur verloren geht.“Die erforderlichen Daten vermittelte Michael Buß vom SWR, dort verantwortlich für „Strategische Analysen/ARD“. Seine Feststellung: „Je weniger Kulturinteresse, umso mehr wird ferngesehen“ mag bei der ministerpräsidialen Vorgabe, Kultur im Rundfunk drastisch zu reduzieren, Pate gestanden haben, verdeutlicht aber viel eher das dringende Erfordernis, Interesse für Kultur zu wecken und die Funktion von Rundfunk als Kulturmittler zu stärken. Immerhin: Schon jetzt werden täglich insgesamt 17 ½ Stunden Kulturinformationssendungen ausgestrahlt, davon 80% im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (ohne Arte).
Es gibt ein Kernpublikum aus Kulturinteressierten von 13 Prozent aller TV-Nutzenden. 19 Prozent haben regelmäßigen Kontakt mit Kulturprogrammen. Einzelne Sendungen, wie die sonntäglichen ARD-Kulturmagazine, erreichen 1,3 Millionen Zuschauende. Knapp 20 Millionen haben im letzten halben Jahr die 3sat-Kulturzeit gesehen. Jedes klassische Kulturmagazin erreicht in einem viertel Jahr viel mehr Menschen, als in einem halben Jahr ins Theater oder Museum gehen.Provokation als Auftakt Jochen Hörisch, Professor für Neuere Germanistik und Medienanalyse in Mannheim, sorgte für erhellende Provokation. „Extrem fernsehtauglich“ sei in erster Linie „Quatsch mit Soße“ wie diese „kultischen Hochereignisse der TV-Kultur, bei denen erwachsene Männer 90 Minuten einem Ball hinterher rennen“. Hochkultur, so sein Fazit, sei „nicht TV-kompatibel“, weil schlechte Sendungen die guten verdrängen. Gutes Programm müsse deshalb geschützt werden. Das gehe nur jenseits von Quotendiskussionen durch „undemokratische“ Maßnahmen. „Wir brauchen eine teure mäzenatische Kultur der Verschwendung“ bei „Gebühren von monatlich 25 E“. Dass die Realität im Rundfunkkulturbereich – so auch in den über 20 gehobenen öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogrammen mit 5 Mio. Zuhörenden! – derzeit weniger durch Diskussionen über Inhalte, sondern vielmehr über Kosten-Nutzen-Fragen bestimmt wird, kritisierte vor allem Christoph Lindenmeyer, Leiter der HA Kultur im BR-Hörfunk. Es gehe derzeit nicht darum, wie viel Kultur der Mensch braucht,sondern „um ökonomische Verteilungskämpfe um Ressourcen und Finanzen“. Auch Wolfgang Hagen, Kultur-HA-Leiter beim Deutschlandradio Berlin, betonte, es gehe heute vor allem darum, „wie wir die Kultur, die wir noch haben, erhalten können!“Kulturquote gegen KonvergenzBei der Abschlussrunde kam auch die Politik zu Wort, doch Neues war nicht zu vernehmen.
Hans Joachim Otto, FDP, bemühte die These von der Konvergenz, nach der sich öffentlich-rechtliche Programme den Privaten so sehr angenähert hätten, dass es kaum noch Unterschiede gebe. CSU-Generalsekretär Markus Söder will deshalb eine „Aktualisierung des Grundversorgungsauftrags“, die den Anstalten durch „Selbstverpflichtungen“ eine „Legitimation der Zwangsgebühren“ abverlangt. Otto wies auf das „Problem“ des Verfassungsrechts hin und plädierte für das Recht der Politik, den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag staastvertraglich neu festzulegen.Der einzige Politiker, der sich vehement für eine „Kulturquote“ einsetzte, war Christoph Stölzl, Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses (CDU) und vormaliger Kultursenator. „Die demokratische Nation als ‚Lerngemeinschaft’ hat viele lebensnotwendige ‚moralische Anstalten’“, wie Theater, Konzerthäuser, Museen, Schulen, Universitäten und eben auch Rundfunkanstalten. „Sie alle sind verantwortlich für die Kulturquote“, die nicht als Summe, „um die man feilscht“, zu definieren sei, sondern als „Formulierung eines Kanons des Unverzichtbaren“, als Akt der „Normsetzung, der Selbstbindung an ein sittliches Programm“.Gewiss, schöne, bedenkenswerte Worte, aber: Ist die Sicherung einer umfassenden Programm-Kultur, wie Stölzl sie zu Recht einfordert, nicht eher durch Ausschöpfung der vorhandenen, verfassungsrechtlich garantierten Möglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Systems zu leisten, als durch Programmeingriffe in Form einer gesetzlich festzulegenden TV-Kulturquote? Kein „steuerfinanziertes Staatsfernsehen“Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eben kein, wie Stölzl meint, durch eine der Kfz-Steuer vergleichbare „Apparate-Steuer“ finanziertes „Staatsfernsehen“. Und das Publikum leidet nicht unter der „spürbaren steuerlichen Belastung“ durch zu hohe Fernsehgebühren, weiß doch kaum jemand den monatlichen Betrag – weit unterhalb z.B. von Tageszeitungs-Abonnementsgebühren – korrekt zu benennen und sind sozial Schwächere von der Gebührenentrichtungspflicht ohnehin befreit.
Ist es nicht gerade diese Sichtweise, die verhindert, zu erkennen, dass Gebühren nicht Zwang bedeuten, sondern Rundfunk unabhängiger machen von staatlichen und Gruppeninteressen und von den „schrankenlos waltenden Marktkräften“, die auch Stölzl kritisiert. Die Rundfunkgebühr ist ein notwendiger Anachronismus in einem Wirtschafts- und Politiksystem, das zunehmend neoliberalem Markt- und Machtdenken unterworfen ist. Und: Ist nicht eine Reanimierung gesellschaftlicher Kontrolle, z.B. durch eine weitgehende Politik-Ferne der Rundfunk-Aufsichtsgremien, anstelle von Politik-Eingriffen dringender denn je? Kritik an Programmverflachung ist notwendig. Aber sind es nicht auch und gerade politische Pressionsmaßnahmen, wie die von Stoiber und Kollegen vorgeschlagenen, die es Kulturschaffenden im öffentlich-rechtlichen Rundfunk so schwer machen, ein kulturvolles Programm zu erhalten oder gar auszubauen?Erläuerungen:1 Gegen diese Inititative regt sich breiter Protest: 1410 Künstlerinnen und Künstler, unter ihnen Fred Breinersdorfer (VS-Vorsitzender), Sir Peter Jonas (Intendant der Bayerischen Staatsoper) und Dieter Hildebrandt, haben einen Aufruf gegen die Absicht der Ministerpräsidenten Stoiber, Steinbrück und Milbradt, Kulturangebote von ARD und ZDF deutlich zu reduzieren oder ganz einzusparen, unterzeichnet. Mit diesen ‚Reformen’ soll, wie es in der Resolution heißt, die Rundfunkgebühr gesenkt, letztlich aber der öffentlich-rechtliche Rundfunk insgesamt eingeschränkt, abgebaut, marginalisiert werden. Inzwischen wollen die Länder, wie sich derzeit abzuzeichnen scheint, den Regeltermin für die anstehende Gebührenperiode von 2005 bis 2008 einhalten und einer Gebührenerhöhung, voraussichtlich jedoch unterhalb der bisherigen KEF-Berechnung von 1,09 g auf der Basis von zusätzlichen Einsparvorschlägen der Sender zustimmen. Allerdings gibt es auch Stimmen, die, sollte die Erhöhung ausbleiben oder zu gering sein, einen Gang nach Karlsruhe nicht ausschließen.
Christina Oberst-Hundt: Mainstream gegen den Krieg
Als die Sprechchöre und Reden der größten Antikriegsdemonstrationen der Nachkriegszeit am 15. Februar 2003, die möglicherweise bis zu 11 Millionen Menschen weltweit im Protest gegen den von der US-Regierung geplanten Krieg gegen den Irak vereinigt hatten, verklungen waren, brach über Deutschland die angeblich vom Irak ausgehende Pocken-Gefahr mit bis zu 25 Millionen möglichen Toten herein. Medien von BILD über FAZ bis ZDF wussten von geplanten Anschlägen mit Pocken-Viren zu berichten, entwickelt in irakischen B-Waffen-Laboren. In Großbritannien, wo sich im Londoner Hyde-Park eine Million Menschen versammelt hatten, um gegen die Kriegspolitik Blairs zu protestieren, versuchten einige Medien die kriegsunwillige Bevölkerung mit geplanten terroristischen Anschlägen auf Flugzeuge zu ängstigen. Die zeitliche Nähe solcher Horrorszenarien zu den unüberhörbaren Manifestationen gegen einen Irak-Krieg war auffällig und wirft die Frage auf, zu welchen Mitteln Medien – und sich ihrer bedienende Politiker – greifen, wenn die Mehrheitsmeinung nicht ihren Intentionen entspricht. Der Parole „Krieg ist keine Lösung“ steht die Absicht der Bush-Administration – und ihrer Apologeten in Europa – entgegen, diesen Krieg unter allen Umständen führen zu wollen. Ihre Ziele, globale Hegemonie und Öl, müssen aber verschleiert und Medien dazu gebracht werden, den ‚guten und gerechten Krieg’ gegen einen eindeutig ‚bösen Feind’ zu propagieren. Massendemonstrationen und ebenso Umfragen, die eine deutliche Anti-Kriegshaltung der Völker bestätigen, zeigen jedoch, dass Kriegsrhetorik, Desinformation und Propaganda heute, anders als bei voran gegangenen Kriegen, in ihrer Wirkung eingeschränkt sind. Einen Meinungsumschwung pro Krieg doch noch herbeizuführen, dürfte sich als sehr schwierig erweisen.Jugoslawien – Afghanistan – Irak: Was ist heute anders?Im Jugoslawien-Krieg hatten kritische Stimmen gegen die NATO-Intervention kaum eine Chance, sich medial Gehör zu verschaffen. Regierung und Opposition in Deutschland befürworteten nahezu einmütig Krieg und Kriegsbeteiligung als moralisches Gebot.
Selbst die Grünen reihten sich ‚schweren Herzens’, wie es schien, in die Kriegsfront ein. Antikriegspositionen wurden mittels eines nahezu undurchdringlichen medialen Geflechts aus Propaganda, Manipulation und Falschmeldungen fast automatisch als Befürwortung serbischer Menschenrechtsverletzungen desavouiert. Der Afghanistankrieg der USA wurde begonnen, als der Schock des 11. September die Menschen weltweit traumatisierte. Kriegsziel war, wie es hieß, ausschließlich die Ergreifung Bin Ladens als mutmaßlichem Kopf hinter den Terroranschlägen, aber die ‚Nebeneffekte’ dieses Krieges, die Ausschaltung des in der Tat menschenverachtenden Taliban-Regimes und die zunächst glaubwürdig erscheinende Befreiung der afghanischen Frauen aus Burka-Zwang und totaler Entrechtung verschleierten den Blick auf diesen völkerrechtswidrigen Krieg, der nicht Bin Laden, wohl aber die Zivilbevölkerung traf. Hinzu kam, dass er in den Medien als Krieg ohne Bilder erschien, weder Täter noch Opfer zeigte. Hier ergänzten sich das religiös begründete Bilderverbot der Taliban mit der Zensur der US-Militärs.Warum hat es die Kriegsbefürwortung hierzulande und weltweit gegenwärtig so schwer, sich meinungsbildend durchzusetzen? Dafür gibt es eine Reihe von Gründen (die hier nur unvollständig benannt werden können):In Deutschland drängt auch die Bundesregierung auf eine Lösung der Irak-Frage möglichst ohne Krieg. Einige Mitglieder dieser Regierung und Bundestagspräsident Thierse reihten sich sogar – als Privatpersonen, wie sie betonten - ein in die Berliner Großdemonstration gegen den Krieg. Der Papst persönlich führt die christliche Anti-Kriegs-Bewegung und hat damit ein weltweites Signal gesetzt.Kann es sein, dass es eine Kriegs-kritische und differenzierte Berichterstattung leichter hat, wenn sie Regierende und Kirche auf ihrer Seite weiß? Zumindest dürfte sich der Spielraum für Anti-Kriegspositionen und sachliche Berichterstattung in den Medien durch die Nähe zur offiziellen Politik – auch der kirchlichen - deutlich erweitert haben. Hinzu kommt, dass durch die ‚Krieg als letztes Mittel’-Politik der deutschen und einiger weiterer Regierungen und die aus ihr resultierende Ausschöpfung möglicher Friedensoptionen (v.a. Ausweitung der Inspektionen) immer mehr Zeit gewonnen wird, eine friedliche Lösung des Irak-Konflikts, auch in den Medien, argumentativ zu untermauern und mental zu festigen.
Zugleich macht aber dieser Zeitgewinn es der Bush-Administration immer schwerer, ihre Kriegspolitik logisch und plausibel zu begründen. Durch die Hinauszögerung des Krieges wird seine Unsinnigkeit immer deutlicher, die US-Kriegsrhetorik zusehends als unlogisch und unglaubwürdig entlarvt. Es wächst aber auch – und das ist die große Gefahr – die Aggressivität der Bush-Regierung und ihrer Militärs. Die Friedensbewegung ist stärker gewordenEin weiterer Aspekt, der nicht unterschätzt werden sollte, ist die intensive Arbeit und zunehmende Stärkung der integrierten Friedens- und Anti-Globalisierungsbewegung. Die Politik von Porto Alegre und Florenz, die Anprangerung der ungleichen Ressourcenverteilung, von Armut und Krieg und die Aufdeckung ihrer Ursachen stößt nicht mehr generell auf Unverständnis. Der Friedens- und Anti-Globalisierungsbewegung ist es durch intensive Vorarbeit, spektakuläre Aktionen, fundierte Kongresse, konsequente Bündnisarbeit mit Jugendorganisationen, Gewerkschaften, Wissenschaft, Kirchen und nicht zuletzt JournalistInnen und PublizistInnen gelungen, den Einsatz für eine gerechtere Welt ohne Kriege auf die politische Agenda zu setzen. Immer mehr Menschen, einschließlich der in den Medien Tätigen, begreifen, dass die Anschläge auf die Zwillingstürme des WTC nicht nur ein furchtbarer, menschenverachtender Anschlag waren, sondern dass die noch verbliebene Supermacht USA versucht, dieses Ereignis für ihre eigenen globalen Hegemonie-Ansprüche zu instrumentalisieren mittels Schaffung von Feindbildern wie „Achse des Bösen“, „Schurkenstaaten“ und jetzt sogar „Problemnationen“ des „alten Europa“ und einer religiös verbrämten Heilsrhetorik – Bush als Vollstrecker „göttlichen Willens“ -, die fundamentalistischen Dschihad-Parolen kaum nachsteht. Eine Welt-Regierung a la Bush und Rumsfeld lehnen aber die Menschen in allen Teilen der Welt zunehmend ab.
Es ist keineswegs verwunderlich, dass gerade in den Staaten, deren Führungen sich als US-Kriegspartner besonders ereifern, die größten Anti-Irak-Kriegsdemonstrationen stattfanden, nämlich in Großbritannien, Italien und Spanien.Nicht für Kriegspropaganda missbrauchen lassen!Die Rolle der Medien in Kriegszeiten wird, nicht zuletzt durch die Medien selbst, verstärkt thematisiert , mediales Fehlverhalten, einseitige, unvollständige und falsche Information zunehmend kritisiert. „Wir müssen nicht nur zugeben, dass wir als Propagandainstrument missbraucht wurden, sondern auch, dass wir uns haben missbrauchen lassen. Wir wussten, dass wir nur einen weitgehend zensierten Ausschnitt aus der Realität zeigen konnten und taten es trotzdem.“ So Klaus Bresser, ZDF, nach dem Golfkrieg von 1991. Solche Einsichten setzen sich zwar hierzulande nicht in allen Medien gleichermaßen durch. Es gibt weiterhin die publizistischen Lager im Printbereich: auf der einen Seite taz, FR und auch SZ, auf der anderen Seite Springer-Presse, Handelsblatt, FAZ u.a., und es gibt weiterhin deutliche Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Fernseh- und Hörfunksendern. Aber der Trend, gerade in Zeiten der Kriegsbedrohung wie diesen, sich auf journalistische Qualitätsstandards, auf medienethische Grundsätze zu besinnen und gesellschaftliche Medienkontrolle einzufordern, ist merkbar. Die Erfinder von Fakes müssen sich in Zukunft schon etwas mehr einfallen lassen als irakische Pockenviren.
Literatur:
Ulrich Albrecht/ Jörg Becker, Hrsg. (2002) Medien zwischen Krieg und Frieden, Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. Bd. XXIX, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden
Rainer Butenschön/ Eckart Spoo, Hrsg. (2003) Töten, Plündern, Herrschen – Wege zu neuen Kriegen (basierend auf dem Anti-Kriegskongress v. 30.8.-1.9.2002 in Hannover), VSA, Hamburg,
M - Menschen machen Medien, Zeitschrift der IG Medien, Nr.5 Mai 1999, Themenschwerpunkt „Medien, Menschenrechte, Krieg“Christina Oberst-Hundt: Andere Medien sind möglich – Eindrücke vom friedenspolitischen Kongress ‚Ein Jahr Krieg gegen den Terror’, in: M - Menschen machen Medien, Medienpolitische ver.di-Zeitschrift, Nr. 10/11 Oktober/November 2002
Christina Oberst-Hundt, Walter Oberst: Zum "Umgang Heranwachsender mit Konvergenz im Medienensemble"
Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, vor allem die Hardware- und Unterhaltungsindustrie und Medien, sowohl die privat-kommerziellen wie auch die öffentlich-rechtlichen, haben aus unterschiedlichen Gründen großes und dauerhaftes Interesse daran, aktuelle und umfassende Daten über alle Aspekte der Mediennutzung zu erhalten.
Private Forschungsinstitute, Universitäten und andere Einrichtungen beschäftigen sich in Permanenz mit den vielfältigen Konsequenzen, welche die dynamische Entwicklung im Mediensektor hervorbringt. Für alle Interessierten, einschließlich WissenschaftlerInnen, ist es in der Regel zweckmäßig und sinnvoll, die Forschungsergebnisse transparent zu machen, abzugleichen und auf ihre Relevanz hin zu überprüfen, neue Fragestellungen und Forschungsmethoden zur Diskussion zu stellen, bislang nicht involvierte Wissenschaftsdisziplinen zur Mitarbeit aufzufordern.
Eine Veranstaltung in diesem Sinne war die von der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und dem ZDF am 14. März 2002 veranstaltete und vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis organisierte ExpertInnendiskussion zum Thema „Umgang Heranwachsender mit Konvergenz im Medienensemble“. Ziel dieser Veranstaltung war es, „den Themenkomplex ‚Medienkonvergenz’ aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten, den interdisziplinären Kenntnisstand zu reflektieren und dies für forschungspraktische Untersuchungsansätze zu Konvergenz nutzbar zu machen.“
Im Rahmen der zur Verfügung stehenden knappen Zeit - zwölf Referentinnen und Referenten stellten in etwa fünf Stunden ihre Ergebnisse zur Diskussion - konnte dieser Anspruch kaum erschöpfend eingelöst werden. Der vorgegebene knappe Zeitrahmen erzwang jedoch einen pointierten Vortrag, ein Beschränken auf Signifikantes und ein Herausstellen der „Highlights“ der Forschungsergebnisse...
( merz 2002/03, S. 180 - 182 )
Christina Oberst-Hundt: "Neue Verführer"– medial inszeniert
‚Rechtspopulismus’ - das klingt fast harmlos, scheint der Begriff doch eine relativ neue Politikform zu benennen, die sich als ‚rechts’, wie andere etablierte Parteien auch, aber zugleich als populistisch, also besonders volksnah, dem ‚Volk aufs Maul schauend’, versteht.Rechtspopulisten sind in Europa sehr erfolgreich. Silvio Berlusconi ist in Italien bereits zum zweiten Mal Ministerpräsident. Jörg Haiders FPÖ wurde erneut Koalitionspartner in der österreichischen Regierung.
Dass Le Pen in Frankreich nicht Präsident wurde, verdankte er nur einem breiten politischen Bündnis, das seine Wahl im zweiten Wahlgang verhinderte. Pim Fortuyn schaffte es auf Anhieb, so populär wie kein anderer Politiker in den Niederlanden zu werden.
Möllemanns oder Schills politische Erfolge in Deutschland nehmen sich vergleichsweise bescheiden aus. Aber auch ihnen, vor allem Möllemann, gelang es, in den Medien Themen zu setzen und die politische Agenda zu beeinflussen...
( merz 2003/03, S. 172 - 174 )