Prof. Dr. Jürgen Oelkers
Beiträge in merz
Jürgen Oelkers: Bildung ist ein ständiges Abenteuer
Beschleunigung als Erfolg?
Statt von Bildung wird heute von Qualifikation gesprochen. Der Ausdruck "Bildung" ist gleichermassen unklar und unerreichbar, "Qualifikation" dagegen erscheint als die handfeste und erreichbare Grösse. Dieser semantische Austausch ist ein untrügliches Zeichen für eine Abwertung und so für eine Krise, die so recht niemand bemerkt, weil ständig Umbau betrieben wird. Dabei ist nicht die Arbeitsmarktorientierung entscheidend, auch humanistische Studien sind immer im Blick auf Berufe betrieben worden (Grafton / Jardine 1986 ) und die Humboldtsche Universität hat nie auf die Ausbildung für akademische Berufe verzichtet; es ist auch nicht einfach der Nierdergang der Bildung im Allgemeinen, da sich die Bildungsanstrengungen im Staat und Gesellschaft vervielfacht, sind Erwartungen der Kurzzeitigkeit und der didaktischen Erleichterung, die darauf ausgerichtet sind, Lernen zu beschleunigen und so erfolsfähig zu halten.
Die lange Anstrengung und der späte Effekt, das Unberechenbare der Bildung, sind in Misskredit geraten, ich könnte auch sagen, in einer Gesellschaft, die nach Zielgruppen aufgeteilt wird, sind diffuse allgemeine Anstrengungen kaum sehr lohnend. Nicht zufällig wird Leben nicht mehr mit Bildung, sondern mit "lebenslangem Lernen2 zusammengebracht, ohne dass es sich um einen Pleonasmus handeln würde. "Lebenslanges Lernen2 bezieht sich auf nützliche Qualifizierungsportionen, nicht auf Horizonte des Verstehens und so fortlaufende Anstrengungen, die Bildung letzlich ausmachen (Oelkers 1986). "leben" wird verstanden als ständige Qualifizierungsleistung, die sozusagen jede Lücke mit Lernen ausfüllt, während "Bildung" als relative überflüssige Ästhetisierung erscheinen kann, die sich dem Nutzenkalkül entzieht...
( merz 2001/06, S. 357 - 363 )