Prof. Dr. Manuela Pietraß
Beiträge in merz
Pietraß, Manuela: Mediale Erfahrungswelt und die Bildung Erwachsener.
Seit mittlerweile 40 Jahren werden von der Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschulverbandes begründeten Schriftenreihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung zentrale Fragen des Fachs mit dem Ziel diskutiert, erziehungswissenschaftliche Forschung und pädagogisches Handeln in der Erwachsenenbildung zusammenzuführen. Von Beginn an hat sich die Buchreihe immer wieder intensiv mit dem Verhältnis von Bildung und Medien auseinander gesetzt und beider Zusammenwirken in vielen Veröffentlichungen kritisch begleitet und gefördert. Mit Pietraß’ vorliegender Arbeit wird die Reihen-Tradition medienpädagogisch orientierter Grundlagendiskussion vor dem Hintergrund heutiger Medienexpansion fortgeführt und deren Folgen für das Kooperationsfeld von Erwachsenenbildung und Medienpädagogik analysiert.
Dabei kommt dem in der Literatur bisher meist unscharf umrissenen Begriff der Medienbildung eine zentrale Bedeutung zu, dem die Autorin in der vorliegenden Schrift klare Konturen gibt.Medienbildung erschöpft sich für sie nicht in der Vermittlung von Medienkompetenz als formale Fähig- und Fertigkeit zur instrumentellen und kognitiven Bewältigung der Medien, sondern sie ist umfassender auf Lebensbewältigung über-haupt in einer immer stärker durch Medien bestimmten Welt gerichtet, in der Medien selbst zunehmend zum Vehikel dieser Bewältigung werden, weil Originärerfahrung immer mehr durch mediale Erfahrung substituiert wird. Die Ausbildung von Kompetenzen für das selbständige Zurechtfinden in diesem Geflecht, in dem Medien zugleich Gegenstand und Mittel der Bildung und Medienbildung gleichzeitig Prozess und Produkt sind, macht im Verständnis der Autorin ein wesentliches Ziel heutiger Erwachsenenbildung aus.
Eine Bildung durch und für Medien zu erreichen, ist die doppelte Perspektive dieses Buches. Medienbildung konstituiert sich darin aus Rezeption und Verarbeitung von Medieninhalten gepaart mit der Befähigung, die Medienangebote zur Aktivierung eigener Denk- und Lernvorgänge und zur Initiierung von Handeln einzusetzen. Zu seinen hier nur plakativ formulierbaren Einsichten führt das Buch auf differenzierte Weise. Ausgehend von einer grundlegenden Darstellung der Interessen der Pädagogik an den Medien und dem Verhältnis von Medienpädagogik und Erwachsenenbildung in historischer Perspektive sowie der notwendigen Abgrenzung der ,Konkurrenzbegriffe‘ Medienbildung und Medienkompetenz analysiert Pietraß die Vielschichtigkeit der medialen Erfahrungswelt Erwachsener. In einem zentralen Kapitel werden dann die Dimensionen der Medienbildung, speziell ihre ästhetischen, kongnitiven und moralischen Aspekte behandelt, bevor abschließend Fragen nach der Förderung von Medienbildung durch die Erwachsenbildung beantwortet werden.
Es liegt hier ein aus medienpädagogischer Fragestellung heraus argumentierendes Buch vor, das sich nahtlos in die verdienstvolle Reihe zur Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung einfügt.
Manuela Pietraß: Digital Literacy als Ausdifferenzierung von Medienkompetenz
Medienkonjunkturen führen auch zu Konjunkturen von Medienkompetenz wie der Digital Literacy. Es wird eine systematische Basis von Medienkompetenz entwickelt, die in der Vielfalt von Medienkonjunkturen Orientierungshilfe geben soll, wobei ein Schwerpunkt auf die Praxis gelegt wird. Eine rasche Überalterung solcher Begriffe ist vermeidbar, wenn Medienkompetenz als Oberbegriff eine systematische Grundlage bietet, auf die Begriffe wie die Digital Literacy zurückgeführt werden können.Dr. Manuela Pietraß ist Professorin an der Universität der Bundeswehr München und lehrt dort Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienbildung.
Literatur:
Baacke, Dieter (1996). Medienkompetenz und sozialer Wandel. In: Rein, Antje von (Hrsg.), Medienkompetenz als Schlüsselbegriff. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 112-124.
Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.), Kompetenzen in einer digital geprägten Kultur. Medienbildung für die Persönlichkeitsentwicklung, für die gesellschaftliche Teilhabe und für die Entwicklung von Ausbildungs- und Erwerbsfähigkeit. Bonn: BMBF.
Fluid Interfaces Group (2012). Thirdeye. www.fluid.media.mit.edu/people/pranav/current/thirdeye.html [Zugriff: 08.08.2012].
Gumbrecht, Hans Ulrich (2012). Präsenz. Berlin: Suhrkamp.
Hepp, Andreas/Krotz, Friedrich (2012). Mediatisierte Welten: Forschungsfelder und Beschreibungsansätze – Zur Einleitung. In: Hepp, Andreas/Krotz, Friedrich/Vogelgesang, Waldemar (Hrsg.), Mediatisierte Welten. Forschungsfelder und Beschreibungsansätze. Wiesbaden: Springer. S. 7-26.
Hüther, Jürgen/Schorb, Bernd (Hrsg.) (2004). Medienpädagogik. Grundbegriffe Medienpädagogik. München: Kopaed. S. 68-82.
Jenkins, Henry (2006). Convergence Culture. Where old and new media collide. New York: New York University Press. S. 251-269.
Johnson, Marie Genevieve (2008). Functional Internet Literacy: Required Cognitive Skills with Implications for Instruction. In: Lankshear, Colin/Knobel, Michele (Hrsg.), Digital Literacies. Concepts, Policies and Practices. New York: Peter Lang, S. 33-45.
Prensky, Marc (2001). Digital Game-Based Learning. McGraw-Hill, Chapter 2.Prensky, Marc (2001a). Digital Natives, Digital Immigrants. In: On the horizon 9, 5, S. 1-6.
Manuela Pietraß: Was heißt „Medialitätsbewusstsein“?
Der Bericht des BMBF fordert die Entwicklung eines Medialitätsbewusstseins als Bestandteil von Medienbildung. Im Beitrag wird unter Einbezug der Zeitlichkeit und Räumlichkeit des Internets näher untersucht, wodurch sich Medialitätsbewusstsein auszeichnet.
Literatur:
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2010). Kompetenzen in einer digital geprägten Kultur. Berlin. Online verfügbar unter www.bmbf.de/pub/kompetenzen_in_digitaler_kultur.pdf [Zugriff: 03.02.2014].
Foucault, Michel (1992). Andere Räume. In: Barck, Karlheinz/Gente, Peter/Paris, Heidi (Hrsg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig: Reclam. S. 34-46.
Goffman, Erving (1992). Rahmenanalyse. Frankfurt am Main: Suhrkamp.Großklaus, Götz (1995). Medien-Zeit Medien-Raum. Zum Wandel der raumzeitlichen Wahrnehmungen in der Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Münker, Stefan (1997). Was heißt eigentlich: ‚virtuelle Realität‘? Ein philosophischer Kommentar zum neuesten Versuch der Verdoppelung der Welt. In: Münker, Stefan/Roesler, Alexander (Hrsg.), Mythos Internet. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 108-127.
Pietraß, Manuela (2003). Bild und Wirklichkeit. Zur Untersuchung von Realität und Fiktion bei der Medienrezeption. Opladen: Leske + Budrich.
Pietraß, Manuela/Schachtner, Christina (2013). Entgrenzungen zwischen Realität und Virtualität. Grundlagen und Formen informeller Bildungsprozesse im Internet. In: Müller, Hans-Rüdiger/Bohne, Sabine/Thole, Werner (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Grenzgänge. Markierungen und Vermessungen. Beiträge zum 23. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Opladen: Barbara Budrich. S. 253-267.
Reißmann, Wolfgang (2013). Transparente Sichtbarkeitsfigurationen als Bedingung gegenwärtiger Mediensozialisation. Rekonstruktion und Impulse für die weitere Forschung. In: medien + erziehung, 57(6), S. 9-20.
Universität Münster, Technische Universität Hamburg Harburg, Universität Klagenfurt, Universität Bremen. Subjektkonstruktionen und digitale Kultur. Online verfügbar unter www.skudi.org [Zugriff: 03.02.2014].
Pietraß, Manuela (2017). Formen von Medialitätsbewusstsein – Relatio¬nen zwischen digitalem Spiel und Wirklichkeit am Beispiel moralischer Entscheidungen. München: Nomos. 195 S., 22 €.
Digitale Games sind eine weit verbreitete Form der Mediennutzung in der heutigen Gesellschaft. Sie eröffnen den Spielenden reale Optionen für Entscheidungen und zwingen dazu, Handlungen virtuell zu vollziehen oder zu beurteilen. Die Rezipierenden üben medial aktiv Einfluss aus. Entscheidungen, die dabei zu treffen sind, können sie allerdings in ein moralisches Dilemma treiben. Zudem verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zunehmend.
Die vorliegende Publikation von Pietraß entstand im Kontext der Diskussion zu Gewaltdarstellungen in digitalen Spielen. Auf der Grundlage zweier Expertisen findet darin eine empirische Erarbeitung von Formen des Medialitätsbewusstseins statt, welche sich einerseits auf das moralische Urteilen – andererseits auf das soziale Handeln aufgrund gewalttätiger Spiele beziehen. Sie bietet eine umfangreiche wissenschaftliche Darstellung des Forschungsstands in Bezug auf Vorgehensweise, Fallauswertung und Analyse. Moralische Urteilsfähigkeit und soziales Handeln werden maßgeblich durch Medialitätsbewusstsein beeinflusst – so die zentrale Erkenntnis. Die umfangreiche Falldarstellung und Reflexion von Forschungsergebnissen verdeutlicht die Relevanz eines Bewusstseins im Medienumgang. Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Medien als Sozialisationsfaktor muss dieser Erkenntnis besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Aufgrund der vorwiegend medienwissenschaftlichen Behandlung des Themas, bietet die Publikation allerdings kaum praxisnahe Umsetzungsmöglichkeiten, sondern liefert eine eher theoretische Auseinandersetzung. Die Lektüre schließt mit einer kontroversen Expertendiskussion ab. Der Band eignet sich insbesondere für wissenschaftliche und pädagogische Fachkräfte, die sich mit dem aktuellen Forschungsstand, der Medienerziehung und den daraus resultierenden Anforderungen auseinandersetzen. Für diese finden sich darin wertvolle Erkenntnisse im Zusammenhang mit Medienbildung und Kompetenzaneignung, die sich bei der Vermittlung des Umgangs mit digitalen und gewalthaltigen Medien als hilfreich erweisen.as