Christine Plaß
Beiträge in merz
Christine Plaß: „Das Engagement für andere gibt mir eine innere Befriedigung“
Im Dezember 2011 luden Telefónica und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) Jugendliche, Abgeordnete des Bundestags sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ministerien, der Senatsverwaltung Berlin und Vereinen zum Think Big Partizipationsgespräch am Brandenburger Tor in Berlin ein. Jugendliche aus München, Bremen, Mannheim und Leipzig waren angereist, um mit Radiomoderator Sven Oswald und anderen Erwachsenen über gesellschaftliches Engagement zu diskutieren. Als Peer Scouts im Projekt Think Big unterstützen sie andere Jugendliche. Viele von ihnen sind ehrenamtlich im Tierschutz, an der Uni oder in ihrem Umfeld aktiv.Von 60 geladenen Bundestagsabgeordneten war leider nur einer erschienen: Thomas Jarzombek (CDU). Der gebürtige Düsseldorfer ist Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft vertreten. Doch bevor er den Jugendlichen seine Arbeit erklärt, berichtet ein Peer Scout aus Think Big über sein Engagement. Simal Bervari (19) gehört sozusagen zur ersten Generation des Programms, in dem sich Jugendliche in ihrem Kiez gemeinnützig engagieren und dafür finanzielle Unterstützung erhalten. Er hatte teilgenommen, als er die Chance bekam, zusammen mit 17 anderen Jugendlichen ein Festival zu organisieren.
In einem Camp stellten sie ein zweitägiges Programm mit Konzerten und Workshops auf die Beine, das es anderen Jugendlichen ermöglichte, sich in Fotografie, Rap, Tanzen oder Graffiti zu erproben. „Viele hatten noch nie die Möglichkeit dazu. Solche Workshops sind normalerweise zu teuer. Bei unserem Projekt konnten sie kostenlos teilnehmen und hatten auch die Möglichkeit, ihre Ergebnisse zu präsentieren. Sie fühlten sich in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, erklärt Simal Bervari auf die Frage, was sein Projekt anderen gebracht hat. Auch er selbst hat profitiert: „Ich habe meine Stärken kennen gelernt, mehr Selbstbewusstsein bekommen, traue mich mehr. Früher war ich schüchtern, habe kaum geredet. Jetzt weiß ich auch, was ich beruflich machen will.“Die Camps sind zentraler Bestandteil im Programm Think Big, das Telefónica gemeinsam mit der DKJS in Deutschland umsetzt und das insgesamt 50.000 Jugendliche erreichen soll. „Die Camps können die Wirkung extrem verstärken“, erklärt Carsten Nillies, Head of Corporate Responsibility von Telefónica Germany das Konzept. Fern von ihrem Alltag arbeiten die Jugendlichen dort unterstützt von Erwachsenen und Expertinnen und Experten an ihren Projekten. Das kann ein Film sein oder ein Musikvideo, eine Veranstaltung oder eine Initiative, die den Übergang in den Beruf erleichtert. Entscheidend ist, dass die Jugendlichen eigene Ideen entwickeln.
Lehrende werden zu Lernenden
Thomas Jarzombek interessiert, welche Erfahrungen die Jugendlichen mit der Vermittlung von Medienkompetenz durch die Schule gemacht haben. „Wir haben kein Internet in der Schule“, antwortet Mirac Ener (16). Das findet er umso schlimmer, als er in einem Brennpunkt lebt und Mitschüler kennt, die auch zu Hause keinen Computer haben. Angelo Wyszengrad (20) berichtet aus seinen Erfahrungen als Schülervertreter in Bayern: „Man lernt in der Schule, wie man ein Word Dokument erstellt, aber nicht, wie man einen Brief richtig formatiert. Dabei sollte das jeder wissen. Ich sollte auch wissen, wie ich Wikipedia oder Google verwende. In bayerischen Schulen findet das aber nicht statt. Lehrer müssten sich dafür öffnen und akzeptieren, dass sie von uns Schülern etwas lernen können“, fordert Wyszengrad. In einigen Bundesländern gibt es bereits Projekte, bei denen Schülerinnen und Schüler den Lehrkräften erklären, wie Computer und Internet funktionieren.
Thomas Jarzombek hält dies für eie gute Sache. „Die blödeste Idee, die wir je hatten, war, dass Lehrer den Lehrern das Internet erklären“, räumt er freimütig ein. Stefan Heinig von der Senatsverwaltung für Bildung in Berlin schildert die Situation in der Hauptstadt. Der Senat bringe seit vielen Jahren Laptops an die Schulen. Auch Kitas werden jetzt mit Computern ausgestattet, anfängliche Vorbehalte von Erzieherinnen schwinden. Er hat gute Erfahrungen damit gemacht, dass Lehrkräfte zu Schülerinnen und Schülern werden, wenn es um die Neuen Medien geht. Jarzombek würde gern jede Schule mit Tablet-Computern ausstatten, wobei Bund, Länder und Eltern zu je einem Drittel die Kosten übernehmen könnten. Ein Jugendlicher gibt zu bedenken, dass er iPads viel interessanter fände. Deutlich wird, wie die digitale Spaltung zunimmt. Wenn sich Familien in Brennpunkt-Kiezen nicht einmal einen Drucker leisten können und Schulen auch keine entsprechenden Mittel bereitstellen, wie sollen Schulabgängerinnen und -abgänger dann eine ordentliche Bewerbung schreiben?
Jugendliche Meinungen sind gefragt
Claudia Erdmann von der DKJS erlebt häufig, dass viel über Jugendliche gesprochen wird, aber wenig mit ihnen. Sie möchte wissen, wie Thomas Jarzombek dazu steht. Jarzombek hat gute Erfahrungen mit einem Jugendrat auf Kommunalebene gemacht, der für einen regelmäßigen Austausch sorgte. Er wünscht sich Jugendliche, die sagen, was sie brauchen und lädt dazu ein, ihn auf Facebook, Twitter, über E-Mail oder seine Homepage zu kontaktieren: „Gute Vorschläge sind immer gut“, sagt er.Wie kann man Engagement fordern und fördern? Und wo fängt Engagement eigentlich an und wie lässt es sich mit dem Internet verbinden? Diese Fragen wurden anschließend diskutiert.Für Nina Neef von Spendino etwa sind es Leidenschaft und Überzeugung, die zu Engagement führen. Sebastian Hoffmann (21) versucht dort etwas zu ändern, wo er etwas schlecht findet. Simal Bervari erzählt, dass er erst einmal etwas für sich erleben wollte, als er bei Think Big mitmachte. „Und dann habe ich gedacht, warum sollen andere Jugendliche nicht davon profitieren, wovon ich profitiert habe? Das Engagement für andere gibt mir eine innere Befriedigung“, berichtet er. Einig sind sich alle darin, dass es Spaß macht, sich für etwas zu begeistern und andere damit anzustecken. Patrick Klinski Medina gefällt an Programmen wie Think Big, „dass ich da hingehen kann, wenn der Fußballplatz kaputt ist und ich Mittel brauche, um ihn wieder zu reparieren. Dabei engagiere ich mich gleich ganz anders.“ Mirac Ener ist davon überzeugt, dass man bei sich selbst anfangen muss: „Ich kann nur etwas verändern, wenn ich mich selbst verändern kann“. Er selbst hat es vorgemacht und ist nun Vorbild für die Jugendlichen in seinem Brennpunkt-Kiez, die sehen, dass er nach Berlin oder nach Mannheim fährt, dass er raus kommt und interessante Dinge erlebt.
Engagement motivieren
Spenden ist wichtig, finden die meisten. Aber fast noch wichtiger ist es, andere ebenfalls zu motivieren, zum Beispiel indem man das eigene Engagement auf Facebook teilt. Überhaupt hat Engagement etwas damit zu tun, Möglichkeiten aufzuzeigen. „Viele Jugendliche wissen gar nicht, dass sie die Chance haben, etwas zu verändern“, hat Kappel Chadha erfahren. Gefragt sind Vorbilder, die zeigen, wie man etwas bewirken kann. Dabei ist den Jugendlichen der reale Kontakt immer noch am wichtigsten. Sie wollen sich inspirieren lassen von anderen Menschen und brauchen Räume für den regelmäßigen Austausch. Philippe Gröschel bietet spontan sein Büro an. In der zweiten Gruppe geht es darum, wie Erwachsene das Engagement von Jugendlichen unterstützen können. Claudia Erdmann weist darauf hin, dass es Älteren oft an Vertrauen fehlt: „Wir wollen alles steuern und kontrollieren.
Es ist eine große Aufgabe, Jugendlichen Raum zu geben. Sie brauchen viel mehr Rechte, um mitzubestimmen“, ist sie überzeugt. Kappel Chadha (17) sieht es ähnlich und weist darauf hin, dass Eltern in sozialen Brennpunkten seiner Erfahrung nach ihren Kindern zu viele Grenzen setzen: „Manche tun es aus religiösen Gründen, manche aus Angst, dass das Kind auf die falsche Bahn kommt, und bei anderen ist es einfach nur dämlich. Man muss den Jugendlichen Freiraum geben, damit sie sich entfalten können und auch Scheiße erfahren können. Man muss auf die Schnauze fallen dürfen!“ Isabell Rausch-Jarolimek von der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e. V. (FSM) will bei Erwachsenen für Toleranz und Offenheit werben, denen es oft schwer fällt, die Jugendlichen zu akzeptieren wie sie sind. Angelo Wyszengrad wünscht sich Vorbilder: „Ich kenne kaum Erwachsene, die sich engagieren. Alle sagen, sie haben keine Zeit. Aber mein Leben ist auch stressig und ich engagiere mich trotzdem“. Daniel Bayer (21) beklagt: „Es ist traurig, dass die Erwachsenen gar nicht mehr das Gefühl haben, sie müssten etwas verändern“.Aufgeschlossen reagieren die Jugendlichen auf die Frage, ob sie auch mit Erwachsenen zusammenarbeiten würden? „Wir finden es cool, wenn Erwachsene uns zuhören und Interesse an dem haben, was wir tun.
Wenn sie sich nicht zu sehr einmischen, dürfen sie auch mitmachen“, erklärt Sophie Obermeier (19). In München hat sie bereits erlebt, wie Mitarbeiter von Telefónica sie bei einem Dance-Mob unterstützt haben. „Das hat wunderbar geklappt. Man hat gemerkt, dass sie engagiert sind. Sie sind gekommen und haben gefragt: Was machst du und wie kann ich dir helfen?“ Für Angelo Wyszengrad spielt Alter keine Rolle, wenn es darum geht, gemeinsam etwas zu erreichen: „Wenn es auf Augenhöhe abläuft, ist es egal, ob es Senioren, kleine Kinder oder Erwachsene sind“.Sven Oswald möchte wissen, was Politik tun kann, um Jugendlichen zu helfen? Als erstes werden niedrigere Hürden und weniger Bürokratie genannt. Daniel Bayer fordert, Politik solle verständlicher und transparenter werden. Am besten könne jemand die Ziele einer Partei vermitteln, der von außen kommt. Alle wünschen sich Politikerinnen und Politiker, die sich mit ihnen unterhalten. Obermeier weist auf die Politikverdrossenheit von Jugendlichen hin: „Es ist ein Riesenproblem, dass Politiker so viel versprechen und nach den Wahlen kommt die Ernüchterung. Das ist für Jugendliche nicht zu verstehen, warum das so ist. Ich kenne viele, die sagen: Die Politiker reden eh nur viel und machen nur etwas für sich selbst.“Moderator Sven Oswald hat zum Schluss nur noch einen Wunsch: „Es wäre gut, wenn ein paar von euch mal in die Firmen gehen würden und uns Versteinerte wachrütteln würden“, gibt er den Jugendlichen mit auf den Weg. Immerhin, Thomas Jarzombek hat den Jugendlichen einen positiven Eindruck von der Politik vermittelt. „Glaubt ihr, dass er antwortet, wenn ihr ihm eine Mail schreibt?“, will ein Erwachsener wissen. „Er hat mir schon auf Twitter geantwortet, es könnte aber auch sein Büro sein“, erklärt Angelo Wyszengrad mit Blick auf sein Smartphone.