Dr. Claus Rieder
Beiträge in merz
Claus Rieder: Neues Handbuch zur Medienwissenschaft
Leonhard, Joachim-Felix/Ludwig, Hans-Werner/Schwarze, Dietrich/Straßner, Erich (Hg.) (2002). Medienwissenschaft. Ein Handbuch zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen. 3. Teilband. Berlin, New York: Walter de Gruyter, S.1789–2971, 368 €
Der hier vorgestellte dritte Teilband zur Mediengegenwart und Mediengesellschaft komplettiert das Handbuch „Medienwissenschaft“. Die „Mediengegenwart“ definieren Beiträge zu Film, Hörfunk, Fernsehen und neuen Diensten. Sie haben Technik, Organisations-, Programm- und Konsumentenstrukturen und die kommunikativen sowie ästhetischen Funktionen zum Thema. An dieser Stelle von Interesse ist der Beitrag zum Film. In Deutschland wird nach der Umbruchphase der 68er Generation der moderne Autorenfilm (Kluge, Herzog, Schlöndorff, Wenders, Fassbinder) „zu einem Leitmedium in der Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und Gegenwart“ (S.1795). Mitte der 1980er Jahre beginnt die Ära der „neuen deutschen Beziehungskomödien“ (S.1795), die in den 1990er Jahren ergänzt werden mit Produktionen, die den „Lifestyle einer Post-68er-Generation“ reflektieren. Worauf um die Jahrtausendwende eine so genannte „Zweite Moderne“ mit einer realistischen Darstellungsform und neuen Körperästhetik folgt (S.1798).
Besondere Bedeutung ist dem Beitrag von Zimmermann (S.2298-2308) beizumessen, der den Warencharakter der Kommunikate des Mediums Fernsehen reflektiert. TV-Anbieter verkaufen „nicht Kulturwaren an Zuschauer, sondern Zuschauer als Konsumenten von Werbespots“ (S. 2301). Die Durchsetzung des „Markt-Prinzips“ führt bei der Produktgestaltung zu einer „Angleichung der Programmangebote“ (S.2303) der öffentlich-rechtlichen und der privaten Anbieter. Die Beiträge zu den neuen Diensten fokussieren technische, rechtliche und ökonomische Aspekte. Schmidts medientheoretisch motivierter Artikel sieht im Internet eine neue Kommunikationsbasis mit folgenden Merkmalen: Interaktivität, Entlinearisierung, Multi-, Hypermedialität, visuelle Begrenzung, Sychronität / Asynchronität, Globalität (S.2566). Die „Mediengesellschaft“ konstituieren Beiträge zum Medienmarkt, zur Medienpolitik, zum Medienrecht, zur Medienethik, zur Medienpädagogik und -didaktik sowie zu Forschungsschwerpunkten und -einrichtungen. Pädagogische Aufgaben und Fragen des sozialen Wandels als Begleiterscheinung der neuen Medien nimmt der Beitrag zur Medienpädagogik von Dieter Baacke in den Blick (S.2800-2807).Mit lernrelevanten Merkmalen von Medien und den Möglichkeiten der Medienverwendung in der Schule beschäftigt sich der Artikel zur Mediendidaktik von Gerhard Tulodziecki (S.2807-2819).
Der Schlussbeitrag widmet sich den Medienarchiven und der Frage, was aus der „Vielfalt des Zufälligen“ (S.2856) von heute für ein Gedächtnis von morgen bewahrt werden soll.Das umfangreiche Namen-, Institutionen- und Sachregister erleichtert dem Benutzer das Nachschlagen. Der Nutzer erhält einen Überblick zur Entwicklung der Medien und Kommunikationsformen in Theorie und Praxis.
Claus Rieder: Fernseh-Volkstheater. Theaterware im Fernsehsystem
Ohne wieder die Frage nach der Legitimität von Unterhaltung aufzuwerfen, sollte angesichts der vielen Formate dieses Genres der TV-Markt schon durchleuchtet werden. Aber wenn es stimmt, dass die Beliebtheit seichter Sendungen mit anwachsendem Intelligenzquotienten zunimmt, möchte man doch in existenzielles Jammern ausbrechen. Gott sei Dank gibt es dann die gescheiten Analysen und Untersuchungen, die die Vorliebe der Intelligenzija ausgleichen. Aber Trash als bad taste ist eben camp. Wenden wir uns der seriösen Analyse der akademischen Betrachtungen zu, die meist weniger insiderverdächtig sind.Diese Arbeit wurde bei der Neuphilologischen Fakultät der Universität Tübignen als Dissertation eingereicht. Rieder hat wirklich die TV-Aufzeichnungen von Theater im Blickfeld (Theaterware ist als Begriff ungewöhnlich) und untersucht das Produktionsumfeld der 90er Jahre auf der Basis von Experteninterviews, Produktionsbeobachtungen und Quellenmaterial.
Um dieses Volkstheater in den analytischen Griff zu bekommen, bezieht er auch die Sitcom und das seriöseTheater (E-Theater nennt er es) in seine Untersuchung mit ein. Wer also Fakten zum populären Theater in seiner Wiedergabe sowohl bei den öffentlich-rechtlichen wie auch den privaten Sendern sucht - wobei Rieder sowohl ästhetische Fragen wie auch Vermarktungsstrategien diskutiert -, ist mit dieser Arbeit gut bedient, wenn auch die Einsicht des abschließenden Satzes der Studie mit einfacheren Mitteln gewonnen werden könnte: „Fernseh-Volkstheater und Sitcom arbeiten nicht mit Erschwernis- und Verrätselungsstrategien wie das E-Theater, die den Automatismus der Wahrnehmung durch Verfremdungseffekte entautomatisieren, sondern mit Vereinfachungsverfahren, um die bestmögliche Anschlussfähigkeit an das Wahrnehmungsinstrumentarium herzustellen.“