Herbert Riehl-Heyse
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Herbert Riehl-Heyse: Mensch – Medien – Zukunft
Wenn Sie mich etwas befangen hier stehen sehen, so hat das mehrere Gründe: Einer ist, dass ich ja dem Programm habe entnehmen und soeben bei der Podiumsdiskussion habe sehen können, wie viel bedeutende und respekteinflößende Persönlichkeiten bei dieser Tagung schon aufgetreten sind, eine Reihe von Wissenschaftlern darunter, die sowieso sehr viel mehr von den hier zu diskutierenden Fragen verstehen, und dann auch noch den Vorteil haben, dass sie vor mir dran waren. Die Gefahr ist also groß, dass ich Ihnen nichts Neues sagen werde – und das auch noch auf unwissenschaftliche Weise. Aber da müssen wir jetzt alle durch – ich mehr noch als Sie. Sie können ja die Augen schließen und vielleicht einen inneren Film an sich vorbeiziehen lassen.
Haben Sie bitte alle den eleganten Übergang zur Kenntnis genommen? Ich bin jetzt also auf dem Umweg über den Film doch endlich bei den Medien, über deren Zukunft in meiner Eigenschaft als Mensch – wenn ich das Programmheft richtig gelesen habe – ich heute reden soll. Ich soll das ausdrücklich nicht als Medienpädagoge, der ich auch nicht bin, weil meine jüngste Tochter 16 ist und nur noch müde lächelt, wenn ich sie mal vorsichtig frage, warum sie auch die Wiederholung der Wiederholung der alten Folgen von „Beverly Hills, 90210“ noch mal sehen muss, statt eine gute Kultursendung bei 3sat: Als Medienpädagoge bin ich also an meinen Grenzen, als Futurologe bin ich das aber auch, genau genommen gehört es sogar zu den vielen Fähigkeiten, die ich nicht habe, dass ich so richtig zielsicher in die Zukunft schauen könnte. Ich weiß also, das wird Sie jetzt enttäuschen, nicht genau, wie alles kommen wird. Ich kann es mir höchstens denken, genauer: zu denken versuchen. Jedenfalls habe ich mir gedacht, ich teile meine jetzt folgende fünfstündige Rede in zwei Hauptteile: der erste Teil wird davon handeln, wie es kommen könnte im Zusammenhang mit den Medien, wenn man die heutige Entwicklung hochrechnet. Und die zweite davon, wie es kommen müsste.
*Wie die Lage der Medien heute ist, wissen Sie selber: Sie ist überwältigend, um eine neutrale Formulierung zu gebrauchen. Wären wir von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion – übrigens mit drei „f“ – dann würden wir von einer Medienflut reden, davon, dass die Pegelstände überall steigen auf dem Murdoch-Strom, in den Bertelsmann-Gewässern, in dem Ozean, der nach Bill Gates benannt ist. Wenn die Fluten noch weiter steigen, dann steht uns – sagt die Erfahrung – irgendwann das Wasser bis zum Hals, und später ersaufen wir dann darin.
Nein, das war jetzt ganz blöd – man kann Bilder auch zu Tode strapazieren, und in Wahrheit ist es ja genau umgekehrt. Je höher die Fluten steigen, je mehr Medien wir haben, desto mehr sollen wir uns freuen. Wären wir jetzt bei den Münchner Medientagen oder bei den Konkurrenzveranstaltungen in Hamburg oder in Köln, dann träte mit Sicherheit irgendwann ein Bürgermeister ans Mikrophon oder gar ein leibhaftiger Ministerpräsident und rechnete uns vor, dass – beispielsweise – im Großraum München, das habe ich kürzlich einem solchen Grußwort entnommen, jetzt schon mehr als 100.000 Leute irgendwie im Medienbusiness tätig sind, und von Medien leben, als Regisseur oder Kabelträger, als Lohnschreiber, Intendant oder Intendantensekretärin. An dieser Stelle würde sich dann jede weitere Debatte ohnehin erübrigen: Wo so viele Arbeitsplätze entstanden sind und immer noch entstehen, wo so viele schöne Umsatzrenditen erzielt werden - oder wenigstens erzielt werden sollen – verbietet sich jede kulturkritische Bemerkung über die Produkte, die in diesem Business hergestellt und vertrieben werden, über die Inhalte, die gesendet oder gedruckt werden, über den „Content“, wie wir Fachleute das nennen. Weil das so ist, denke ich mir, reden ja auch immer weniger Leute über Inhalte, redet niemand mehr über ein Programmwie RTL2 zum Beispiel, nicht einmal über dessen Programmhöhepunkt. Wie, den kennen Sie gar nicht? Wenn Sie sich ein bisschen beeilen heute Abend, können Sie leicht dabei sein, um 22.30 Uhr bei „Strip“, der Erotik-Show mit Jürgen Drews. Der Content der Sendung ist, dass sich alle fünf Minuten, jeweils nach einem Jubelschrei des Moderators, eine immer wieder andere Frau – gerne auch eine Hobbykünstlerin aus dem Publikum - , um eine Art Kletterstange windet, sich dabei auszieht, sich ans Geschlecht greift und ein bisschen stöhnt. Über so etwas, denkt jetzt vielleicht der eine oder andere, redet man nicht in einem solchen Festvortrag.
Man redet aber überhaupt nirgends darüber, weil hier wirklich die Unsäglichkeit zum Programm gemacht worden ist; darüber ließe sich höchstens in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen berichten, wo einmal im Jahr ja auch darüber berichtet wird, dass sich der Jahresumsatz bei Beate Uhse um 10,2 Prozent gesteigert hat, weil die Nachfrage nach Dildos angezogen hat.
Man könnte natürlich auch umgekehrt argumentieren, könnte sagen, dass gerade die Unsäglichkeit mancher Programme eine gewisse Diskussion herausfordert. Man könnte fragen, was es über den kollektiven Geisteszustand einer Gesellschaft aussagt, wenn der Exhibitionismus Programmbestandteil geworden ist, könnte darüber nachdenken, was es für den Geschmacks- und Gefühlshaushalt junger Leute bedeutet, mit solchen Programmen ganz selbstverständlich groß zu werden, könnte sich sogar fragen, wozu es eigentlich all die gesellschaftlich relevanten Persönlichkeiten gibt, die als Medienminister in den Staatskanzleien sitzen, oder als Repräsentanten von irgendwas, zum Beispiel der Kirchen, in den Medienräten, wenn sie alle zusammen ein Phänomen wie den ständig kreischenden Herrn Drews sang- und klang- und kommentarlos zur Kenntnis nehmen. Aber andererseits – mit solchen Fragen machte man sich irgendwie lächerlich, schließlich sind wir alle aufgeklärte Menschen und manche von uns – ich zum Beispiel - haben die Verklemmtheiten der 50er Jahre zu schrecklich in Erinnerung, als dass sie auch nur eine Sekunde in den Verdacht geraten wollten, sie wünschten sich die „Aktion saubere Leinwand“ zurück. Deshalb stelle ich die oben aufgeführten Fragen auch nicht.
Ich erwähne das alles sowieso nur, weil man vielleicht davon ausgehen muss, dass die Perfektionierung des Fernsehschaffens auch auf dieser Ebene in den nächsten Jahren noch viele weitere Höhepunkte erwarten lässt. Der kleine Mathematiker in uns Zukunftsforschern braucht sich nur die Kurve der Entwicklung anzusehen, braucht sich nur zu erinnern, was sich getan hat, seit den vor zehn Jahren noch viel diskutierten Tutti-Frutti-Ratespielen, die man heute ohne weiteres im Kinderfernsehen zeigen könnte. Wir sind einfach ein ganzes Stück weiter, da brauchen Sie sich nur anzuschauen, wie der schrottigste Schrott, den das Fernsehen produziert, dann wieder in kleine Stückchen zerlegt und in witzigen Sendungen neu gesendet wird, woraufhin der Moderator von „TV Total“ natürlich sofort einen Medienpreis erhält - ich finde „TV Total“ natürlich auch ganz witzig, auf Wunsch kann ich Ihnen auch „Maschendrahtzaun“ vorsingen, und wer nicht weiß, was ich damit meine, hat im Prinzip auf einer Veranstaltung des JFF gar nichts verloren. Trotzdem: Wenn Sie sich das alles vor Augen halten, und es dann mit Tausend multiplizieren – weil zwar das digitale Fernsehen in Premiere World bis jetzt erst 69 Kanäle hat, aber demnächst gewiss tausend –, und wenn Sie das Ergebnis endlich mit einer Million Websites im Internet zur Potenz rechnen, – dann, ja dann muss uns nicht Bang werden um eine Vision von der Zukunft des Menschen in der Medienwelt: Die eine Hälfte der Menschheit wird davon leben, die Fluten zu erzeugen, in denen die andere Hälfte ersäuft.
*Ich sehe schon, jetzt ist mir doch wieder der Gaul durchgegangen, den ich doch eigentlich am Zügel führen wollte. Wenn ich wollte, könnte ich gerne noch ein paar Stunden über meine Vermutungen philosophieren, wie es um die Kontakt- und Erlebnisfähigkeit von Menschen aussehen wird, die in ihrer Jugend zu viel Telefonsex-Werbung gesehen haben nachts um halb eins oder auch nur zu viele Tatorte mit von der Russenmafia hingemetzelten Prostituierten. Darauf verzichte ich, genauso wie auf längere Ausführungen über die Segnungen der immerwährenden Kommunikation, von denen ich endgültig überzeugt bin, seit ich kürzlich die Geschichte von einem Model gelesen habe. Die Frau habe, so erfuhr man später von der Polizei, im letzten Monat bevor sie nicht mehr leben wollte, eine Telefonrechnung in Höhe von 3.000 Mark gehabt und ist offenbar beim dauernden Telefonieren völlig vereinsamt. Würde ich diesen meinen Trieb zum Kulturpessimismus weiter ausleben, so würde ich an dieser Stelle auch noch auf das Interview verweisen, das kürzlich der amerikanische Internet-Pionier Clifford Stoll dem Spiegel gegeben hat, um vor den Gefahren des von ihm so vorangetriebenen Mediums zu warnen. „Das Wichtigste, was wir auf Erden haben“ – hat er gesagt – „ist die Zeit. Sie ist begrenzt und wir verschwenden sie mit dem Surfen im Internet, stundenlang. Nach fünf Stunden sitzt man da und fragt sich, was es einem gebracht hat. Bin ich ein besserer Mensch geworden, verstehe ich besser, was die Welt im Innersten zusammenhält. Nein, ich bin nur um fünf Stunden älter geworden.
“So, wie gesagt, würde ich nie reden, der Mann redet ja wie ein Pfarrer, und viel zu pessimistisch. Ich persönlich bin eher – wie Sie vielleicht schon gemerkt haben – ein Optimist, jedenfalls jetzt im zweiten Teil meiner Rede, den man immer optimistisch anlegen soll, um seine Zuhörer nicht in die Depression zu schicken. Sie werden, wenn Sie den zweiten Teil hören, vielleicht glauben, ich redete als der Agent des Bundesverbandes der deutschen Zeitungsverleger, aber das ist nicht wahr. Ich wollte Ihnen in diesem zweiten Teil nur sagen, wie es mit den Medien und dem Menschen in der Zukunft weiter gehen sollte. Und das geht nicht ohne ein Plädoyer für das gedruckte Wort, auch wenn dies in Gegenwart von lauter Fachleuten aus den konkurrierenden und für die konkurrierenden Medien vielleicht ein wenig unpassend wirken sollte. Man lädt aber nicht ungestraft einen Zeitungsredakteur zu einem solchen Vortrag ein, und sowieso war bisher von Zeitungen nicht die Rede.*Wozu also wird man künftig noch Zeitungen brauchen? Das ist nun wirklich leicht zu erklären. Oder haben Sie schon einmal versucht, Ihre Schuhe, wenn die im Regen nass geworden sind, mit Hilfe von Fernsehsendungen oder gar mit dem Internet auszustopfen? Na also! Die Beweisführung stammt übrigens von dem bekannten Kommunikationswissenschaftler Loriot und wird als unwiderlegbar in die Geschichte des Zeitungswesens eingehen.
Vielleicht sollte man sich aber noch nicht einmal mit dieser Loriotschen Rechtfertigungslehre des Zeitungsmachens zufrieden geben. Womöglich gibt es ja noch ein paar andere Argumente für die These, dass die Zeitungen, insbesondere die Tageszeitung, (für die ich hier vor allem sprechen möchte), ihre besten Zeiten erst noch vor sich haben. Anders gesagt: ich bin fest davon überzeugt, dass sie im nächsten Jahrhundert noch mehr gebraucht werden als je zuvor.
Obwohl es doch diese vielen anderen, neueren, schnelleren Medien gibt, über die ich im ersten Teil schon geredet habe. Das erste Argument für meine These hängt paradoxerweise genau mit dieser Entwicklung zusammen. Ich versuche sie noch einmal etwas deutlicher zu formulieren: Wenn auch nur annähernd stimmt, was etwa der amerikanische Medienexperte Nicolas Negroponte nicht müde wird zu prophezeien, dann haben wir es sehr bald mit einem völlig neuen Fernsehzeitalter zu tun, dem digitalen eben: Irgendwann werden weltweit 15.000 Fernsehprogramme auf dem Markt sein, die man sich mit Hilfe eines Zauberkastens namens Decoder ins Wohnzimmer wird holen können, lauter Programme, die uns zum Beispiel dabei helfen werden, die anstrengenden Politik-Sendungen der ARD – sofern es sie dann noch geben sollte – weiträumig zu umsurfen.
- Das gelingt den Jüngeren jetzt schon perfekt: Erst gestern ist in den Zeitungen über diese Studie berichtet worden, aus der hervorgeht, dass innerhalb von sechs Jahren der Anteil der Jugendlichen, die noch ARD und ZDF sehen, von 40 Prozent der Gesamtbevölkerung auf 19 Prozent gesunken ist.Aber zurück in die Zukunft: Nichts wird es mehr geben, das nicht gesendet werden wird. Es wird Sendungen geben, aus denen wir alles über die Traditionen des türkischen Bauchtanzes erfahren werden oder auch das Neueste über die Feinheiten der kreolischen Kochkunst, nicht zu vergessen die schönsten indischen Seifenopern, auf die wir keineswegs verzichten müssen, wenn wir nur ein bisschen zu zappen gelernt haben. Ganz zu schweigen von den unzähligen Möglichkeiten, sich mit Hilfe des Video on Demand ein besonders schönes DFB-Pokal-Halbfinalspiel aus dem Jahre 1977 reinzuziehen oder auch einen überdurchschnittlich gelungenen Zigeunerbaron des Stadttheaters Luzern...
Mit anderen Worten, schon bald wird es kein Fernsehen im herkömmlichen Sinn mehr geben, weil es nämlich dann in seine 15.000 Bestandteile atomisiert (und marginalisiert) sein wird. Dann wird es vielleicht so sein, dass uns das immer größere Angebot immer gleichgültiger lässt, auch weil sich der Esel zwischen tausend Heuhaufen überhaupt nicht mehr entscheiden mag – vielleicht ist das ja, nebenbei gesagt, die Erklärung dafür, warum sich Premiere World so verdammt schwer tut, genug Zuschauer zu finden und Geld zu verdienen. Ich frage mich ohnehin, ob es beim Fernseh-Quoten-Geschäft nicht mal ein paar sehr böse Überraschungen gibt. Davon abgesehen ist eines jedenfalls sicher: Wenn diese Atomisierung, von der ich gesprochen habe, erst einmal passiert ist, sieht jeder von uns dauernd etwas anderes, und unsere altvertraute Frage an den Arbeitskollegen, ob er gestern vielleicht das aufrüttelnde Magazin „Panorama“ gesehen habe, wird endgültig absurd sein.*Wenn aber das Medium Fernsehen ausgefallen sein wird als Basis für die öffentliche Diskussion und wenn insoweit auch das Internet nicht weiterhelfen wird, das ja mit seinen Millionen Möglichkeiten der individuellen Kommunikation geradezu das Gegenteil von Öffentlichkeit herstellt, was bleibt da übrig? Genau – wir werden die Tageszeitungen, die Wochenblätter und die Magazine brauchen, aus gesellschaftspolitischen Gründen sozusagen.
Demokratie setzt nämlich die öffentliche Debatte voraus, die wiederum nicht möglich ist, wenn nicht eine größere Anzahl von Menschen die gleiche Wissensbasis für ihre Fragen, Gegenentwürfe und letztlich ihre Entscheidungen hat. Um die Qualitäten oder Mängel des vom Finanzminister geschnürten Sparpakets zu beurteilen, muss man es schließlicherst kennen – genauso wie man in der Kleinstadt nur mit Hilfe der Zeitung – und ein paar schönen Zeichnungen in derselben – sinnvoll darüber diskutieren kann, wo die Trassen der neuen Umgehungsstraße angelegt werden sollen und ob man überhaupt eine Umgehungsstraße braucht.
Ein zweites Argument hängt eng mit dem ersten zusammen: Der Mensch versteht die Geheimnisse der bundesdeutschen Innenpolitik ja nicht deshalb besser, weil inzwischen zwanzig deutsche Fernsehkanäle – und demnächst vielleicht 50 – eigene Nachrichtensendungen haben und deshalb schon bald 500 Kameraleute den Minister fast zu Tode quetschen, damit er auf dem Weg vom Sitzungssaal zum Klo einen Halbsatz darüber formulieren kann, dass noch nichts entschieden ist in der Frage der Erbschaftssteuer. Auch die ganze Welt versteht der Mensch nicht besser als früher, weil er heute tausendmal mehr erfährt als noch vor 50 oder gar 100 Jahren über Zugunglücke in Hinterindien und Regierungskrisen in Surinam. Das Gegenteil ist der Fall: Aus der amerikanischen Mediendiskussion stammt der Satz, wir alle seien „overnewsed and underinformed“ – und wenn das richtig ist, dann haben die Zeitungen heute eine ganz andere - zusätzliche - Funktion als jemals zuvor: Sie müssen Lebenshilfe bieten, sie haben so etwas zu sein wie die Leuchttürme im immer dichter werdenden Nebel.Je komplizierter und undurchschaubarer die Sachverhalte, desto mehr bedürfen sie der Erklärung durch Journalisten, die sich auf das eine oder andere Feld spezialisiert haben, von dem sie deshalb etwas mehr verstehen als der Nachrichten-Normalverbraucher. Niemand kann ja auch nur annähernd noch für sich beanspruchen, dass er alleine den Überblick behalten hätte – ganz gewiss können das auch Journalisten nicht. Stattdessen können wir aber eine Mittler-Rol