Angelika Stark
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Angelika Stark: Die Nanny und der deutsche Fernsehpreis
Von Liebling, wir bringen die Kinder um über Besser essen – leben leicht gemacht zu Der Schuldenberater, den Supermamas und Do-it-yourself SOS: Beratungssendungen wie diese gibt es unzählige und fast jeder kennt sie, denn sie sprießen aus der deutschen Fernsehlandschaft wie Pilze aus dem Waldboden. Wer Probleme mit Übergewicht, Ernährung, Kindererziehung oder auch nur dem Innendesign seiner Wohnung hat, braucht nur schnell auf den Knopf seiner Fernbedienung zu drücken und zu beinahe jedem Thema gibt es das passende Format. Der Boom von Lebensberatungssendungen im Fernsehen ist ungebrochen. Sogar der deutsche Fernsehpreis, verliehen von ARD, SAT.1, RTL und ZDF trug dieser Entwicklung nun Rechnung: In der eigens dafür eingeführten Kategorie Bester TV-Berater waren in diesem Jahr gleich drei Formate nominiert. Im Gegensatz zu Christian Rach (Rach, der Restauranttester; RTL/Eyeworks Deutschland GmbH) und Peter Zwegat (Raus aus den Schulden; RTL/probono Fernsehproduktion GmbH) konnte sich Preisträgerin Katharina Saalfrank alias Die Super Nanny (RTL/Tresor TV Produktions GmbH) bereits vor einiger Zeit auf dem Markt der Fernsehberater etablieren. Seit inzwischen mehr als drei Jahren greift sie medienwirksam überforderten Eltern bei der Erziehung ihrer schwierigen Kinder unter die Arme. Vor allem Privatsender haben eine Vielzahl unterschiedlicher Formate im Programm. Doch wie fachlich sind die im Fernsehen dargestellten Beratungsangebote tatsächlich? Und kann das Fernsehpublikum von der Rezeption solch einer Sendung profitieren? Geht es nur um Einschaltquoten oder auch um diejenigen die teilnehmen und diejenigen, die zuschauen?
Beispiel Super Nanny
Bleiben wir bei der Super Nanny. Ein Großteil der Deutschen kennt die junge, schlanke Pädagogin mit den langen dunklen Haaren und deren Sendung, doch die Bewertung ihrer Arbeit und Erziehungsmethoden fällt – auch in Fachkreisen – unterschiedlich aus. Besonders zu Beginn der ersten Staffel im September 2004 hagelte es harsche Kritik von allen Seiten. Da war im Hinblick auf die teilnehmenden Kinder zum Beispiel die Rede davon, dass die Sendung grundlegende ethische Forderungen und Maßstäbe verletze und mit ihrem autoritären Erziehungsstil schwarze Gehorsamspädagogik in die Wohnzimmer von Millionen von Menschen transportiere, die das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung dramatisch verletze. Darüber hinaus sei der Blick der Super Nanny auf ihr Klientel ausschließlich defizitorientiert, die Beratung nicht kontextorientiert und die Erschließung von Ressourcen aus dem sozialen Umfeld fehle gänzlich. Kurz: Die Arbeit der Super Nanny richte sich nicht nach modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen und sei damit nicht nur unprofessionell, sondern auch gefährlich.Doch wie kann es dann sein, dass so eine Sendung den deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Bester TV-Coach“ gewinnt? Zunächst einmal lassen sich seit Ausstrahlung der ersten Staffel der Super Nanny zahlreiche Änderungen sowohl im Sendungskonzept als auch in den Arbeitsmethoden der Expertin verzeichnen. In den neueren Folgen wohnt Frau Saalfrank nicht mehr bei der Familie (nur in den ersten Staffeln sah man sie mit Trolley anreisen), sondern in einem Hotel in der Nähe und die Altersspanne der ‚Problemkinder’ reicht vom Kleinkind bis zum Teenager. Somit muss die Super Nanny flexibler auf die Probleme ihrer Klienten eingehen, so dass das anfangs typische Aufstellen von Verhaltensregeln und die Auszeit auf dem „Stillen Stuhl“ nicht mehr als Allheilmittel fungieren. Auch andere Kritikpunkte konnten durch wissenschaftliche Untersuchungen größtenteils widerlegt werden. Eine Forschergruppe um Jürgen Grimm fand beispielsweise heraus, dass der in der Sendung propagierte Erziehungsstil am ehesten als demokratisch zu bezeichnen ist und die Super Nanny den Eltern durchgehend einen liebevollen Umgang mit ihren Kindern ans Herz legt. Viele der anfänglichen Beschwerden, insbesondere bezüglich der Methoden und starren Regeln der Super Nanny, sind daher heute weniger relevant oder sogar als hinfällig zu bezeichnen. Aber auch wenn Frau Saalfrank heute moderater erscheint als noch zu Beginn der Serie, bleibt die Frage, inwieweit diese Formate für das Fernsehpublikum tatsächlich als seriöse Ratgeber relevant sind und welchen Nutzen es ihnen bietet.
Quotenbringer oder Lebenshilfe
Aufgabe professioneller Lebensberatung ist es, Rat suchenden Klienten durch die Vermittlung von neuem Wissen zu Einstellungs- und Verhaltensneuerungen zu verhelfen, damit sie ihre Probleme besser lösen können. Da sich Privatsender jedoch ausschließlich durch Werbeeinnahmen finanzieren, kann man davon ausgehen, dass es beim Entwurf eines Programmformats hauptsächlich auf den Unterhaltungswert einer Sendung ankommt. Trotzdem lässt sich nicht leugnen, dass in den Lebenshilfe-Formaten von RTL und Co. neben dem Unterhaltungswert auch Aspekte der Beratung vorhanden sind. Diese Anteile sind sicherlich bei einzelnen Formaten unterschiedlich ausgeprägt. Eine Analyse sämtlicher Lebensberatungs- und Coaching-Formate würde hier zu weit führen, bleiben wir also bei der Super Nanny:Aller Kritik über die Methoden der Super Nanny und der Darstellung der Familie im Fernsehen zum Trotz wird die betreffende Familie kompetent beraten. Die Protagonistin verfügt über eine professionelle Ausbildung, arbeitet, eigenen Angaben zufolge, nach einem systemischen Konzept und vermittelt Eltern und Erziehungsberechtigten neue Methoden und Techniken im Umgang mit ihren Kindern. Darüber hinaus ist Fernsehen grundsätzlich ein Medium, das von allen Bildungsschichten genutzt wird. Personen aus weniger gebildeten Bevölkerungsgruppen neigen sogar dazu, ihre Informationen hauptsächlich aus dem Fernsehen zu beziehen (vgl. Jäckel 2002, S. 281).
Grimms Ausführungen zufolge sind das Sendungskonzept und die Botschaften oder Lösungsvorschläge der Super Nannys leicht verständlich, so dass sie auch von Personen mit geringem Bildungsniveau rasch aufgefasst und gut verstanden werden können. Anzunehmen ist demnach, dass eine Nutzungsmöglichkeit des Fernsehens als Medium zur Informationsgewinnung und Wissenserweiterung durchaus besteht. Zudem wirkt die Super Nanny sympathisch und fachlich kompetent, so dass sie auch persönlich als Coach und Lehrerin akzeptiert wird. Dies stellt eine gute Ausgangsbasis dar, um aus der Rezeption der Sendung persönlich zu profitieren (vgl. Grimm 2006, S. 127-137). Außerdem hält das Super Nanny-Format eine hohe Orientierungsleistung für die Zuschauerin bzw. den Zuschauer bereit. Diese zeigt sich in einem inhaltlich gut nachvollziehbaren Zusammenhang der geschilderten Problemsituation mit der folgenden Beratungssequenz und dem daraus resultierenden Lösungsansatz (vgl. Grimm 2006, S. 33 f.).
Eine weitere wichtige Voraussetzung für Lernprozesse ist damit gegeben: Das Fernsehpublikum sieht beispielsweise, wie eine Situation in der gezeigten Familie eskaliert und kann die darauf folgende Konsequenz oder den Interventionsansatz der Super Nanny zuordnen. Dadurch wird das Beratungsverhalten für zu einem logischen Prozess, der im besten Fall der Situation angemessen erscheint. So haben die Zuschauerin bzw. der Zuschauer die Möglichkeit, sich an diese Intervention zu erinnern, wenn in ihrem eigenen Lebensumfeld ein ähnliches Problem aktuell wird.Dennoch sind sich auch Expertinnen und Experten bei der Frage, ob Beratung im Fernsehen tatsächlich eine ernstzunehmende Hilfe für den Alltag der Rezipienten ist, nicht einig. Grimm attestiert dem Format Die Super Nanny – wie oben bereits angesprochen – durchaus eine Orientierungsfunktion für die Zuschauenden, wohingegen Jäckel sich auf amerikanische Untersuchungen bezieht, die eine Wissenserweiterung durch das Fernsehen eher nicht bestätigen.
Resümee
TV-Coaching-Formate sind sicher kein Ersatz für professionelle, fachlich qualifizierte und auf den Einzelfall abgestimmte Hilfe. Was diese Sendungen jedoch leisten können ist, eine breite Öffentlichkeit auf bestimmte, zum Teil auch gesellschaftlich relevante Themen aufmerksam zu machen. Dabei kann der Zuschauerin bzw. dem Zuschauer signalisiert werden: „Nicht nur du hast solche Schwierigkeiten – und es gibt einen Weg, sie aus der Welt zu schaffen.“ Zum anderen tragen die Formate dazu bei, das Mysterium ‚Beratung und Therapie’ ein wenig zu entzaubern. Dadurch werden Hemmschwellen abgebaut und Menschen möglicherweise ermutigt, ihre Probleme in die Hand zu nehmen, statt sie vor sich her zu schieben oder gar den Kopf in den Sand zu stecken. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Formate fließt meiner Meinung nach, jedenfalls im Fall der Sendung Die Super Nanny, echte Hilfe zu, denn sie werden von Katharina Saalfrank professionell beraten und in ihrem Erziehungsprozess unterstützt. Zudem kann allein das Modell einer funktionierenden Kindererziehung bereits einen ‚Aha-Effekt’ auf Familien mit gravierenden Problemen haben.
Im Fernsehen, einem für alle Menschen leicht zugänglichem Medium, wird gezeigt, wie man ‚es’ besser machen kann. Früher übliche Beratungs- und auch ‚Einmischungs’-Instanzen falle heute oft weg, weil die Oma weit entfernt wohnt und sich Nachbarn nicht mehr füreinander interessieren, so dass Sicherheit in Erziehungsfragen häufig aus anderen Quellen gewonnen werden muss. Dafür bietet sich – auch im Hinblick auf viele allein erziehende Elternteile, die nach einem Neun-Stunden-Arbeitstag und einem sich anschließenden, etwa fünfstündigen Erziehungsmarathon sicher keine große Lust mehr haben, sich mit Fachliteratur zu beschäftigen – das Fernsehen als Beratungsinstanz geradezu an. Auch wenn weder gesichert noch belegt ist, dass Beratung via Bildschirm einen problemlösenden Effekt auf die Zuschauerinnen und Zuschauer hat, wäre denkbar, dass Eltern sich nach Rezeption der Sendung kompetenter im Umgang mit ihren Kindern fühlen. Da Kinder Klarheit in der Erziehung brauchen, wäre dies durchaus eine positive Komponente.Ich halte die Arbeit, die die Super Nanny in den Familien leistet, weder für unprofessionell oder gefährlich, noch trägt sie die Grundsätze der schwarzen Pädagogik in deutsche Wohnzimmer. Dennoch können sich durch bloßes Abschauen und Ausprobieren mancher Erziehungsmaßnahmen wie zum Beispiel dem ‚Stillen Stuhl’ große Schwierigkeiten ergeben. Um solche Techniken richtig einsetzen zu können, ist eine umfassende Information und Unterstützung durch eine reale Fachkraft zwingend nötig. Hier besteht die Gefahr, dass Eltern aus Unwissenheit die Situation verschlimmern, was zu noch größeren Entzweiungen in der Eltern-Kind-Beziehung führen kann. Diese Hintergrundinformationen kann die TV-Sendung mit 45 Minuten Sendezeit nicht bieten.Ob es ethisch und moralisch in Ordnung ist, Eltern und Kinder in solchen Ausnahmesituationen zu filmen und später im Fernsehen zu zeigen, ist schwer zu entscheiden. Ich bin der Meinung, dass es Aufgabe der Eltern ist, für sich und ihre Kinder gut Sorge zu tragen. Natürlich stellt sich die Frage, ob die teilnehmenden Eltern, durch familiäre Probleme gebeutelt und häufig aus weniger gebildeten sozialen Schichten kommend, in der Lage sind, eine solche Entscheidung verantwortungsvoll zu treffen. Leider muss diese Frage hier unberücksichtigt und unbeantwortet bleiben. Unberücksichtigt aller Vor- und Nachteile bleibt es jedoch dabei, dass Ratgebersendungen, Real-Life-Formate, Reality TV Genres des Affektfernsehens sind, in denen es vor allem bei privaten Anbietern hauptsächlich darum geht, das Fernsehpublikum zu unterhalten.
Literatur
Grimm, Jürgen (2006). Super Nannys. Ein TV-Format und sein Publikum. Konstanz: UVK Verlags GmbH
Jäckel, Michael (2002). Medienwirkungen. Opladen: Westdeutscher Verlag
(merz 2008-4, S. 71-74)