Teresa Strebel
Beiträge in merz
Teresa Strebel: Die Kunst, Bilder zu lesen
Doelker, Christian (2015). Bild-Bildung. Grundzüge einer Semiotik des Visuellen. Elsau: alataverlag. 196 S., 24,95 €.
Bilder sind überall. In den meisten Medien – egal ob analog oder digital – sind entweder Inhalte visuell umgesetzt oder Bilder dienen als Eyecatcher. Ausdrucksstarke Bilder sind oft entscheidend, wenn es darum geht, das Interesse und die Aufmerksamkeit der Betrachtenden zu wecken. Die Bandbreite an Visualisierungen umfasst statische, bewegte oder animierte Bilder, die in einer Vielzahl von medialen Produkten wie Fotos, Videos, Grafiken, Animationen oder Ähnlichem realisiert werden. Bilder erscheinen oft selbsterklärend und ihr Verstehen wird auch heute noch als selbstverständliche Fähigkeit marginalisiert, die weit hinter das komplexe Textverstehen tritt. In der Erziehungswissenschaft sowie in der Kommunikations- bzw. Medienwissenschaft galt und gilt die Sprache lange Zeit als Instrument menschlicher Erkenntnis, ein integrierender Ansatz aller Modalitäten fand bzw. findet kaum statt. Auch die Schule definiert ihren Alphabetisierungsauftrag primär über die Förderung sprachlicher Fähigkeiten. In seiner Publikation Bild-Bildung fordert Christian Doelker, Bilderlesen als gleichwertige Kulturtechnik anzuerkennen bzw. die Ausweitung des Alphabetisierungsauftrags von Sprache auf Bilder zu unterstützen. Seine Bildsemiotik nimmt Bilder in ihrer Komplexität ernst: Um Bilder verstehen und sie in ihrer Vielschichtigkeit erfassen zu können, müssen sie bewusst wahrgenommen werden und ihre Betrachtung über einen flüchtigen Blick hinausgehen. Als Professor für Medienpädagogik und im Sinne der Förderung von visueller Kompetenz (visual literacy) geht es Doelker darum, dass Bildinformationen richtig verstanden und von Rezipierenden selbständig und kritisch beurteilt werden können.
Sein Band liefert demnach detaillierte Anregungen bzw. Anleitungen zur Bildanalyse, die er entlang von drei Dimensionen vornimmt – so gliedert sich auch seine Publikation in drei Teile: Bildbedeutung (die semantische Ebene), Bildverknüpfung (syntaktische Ebene) und Bildfunktion (pragmatische Ebene). Bei der Bildbedeutung geht es darum, alle Aspekte eines Bilds und dessen Bedeutungstiefe wahrzunehmen. Doelker geht hier zunächst auf den Begriff der visuellen Kompetenz ein und stellt grundlegende Bedeutungsmodelle zur Bildanalyse vor, die anhand verschiedener Bild- Beispiele angewendet werden. Im Zusammenhang mit der Förderung von visueller Kompetenz ist hier besonders die Methode des ‚Bilderlesens in drei Schritten‘ interessant, die eine Umsetzung der bildsemantischen Theorie in der Praxis zum Beispiel in Schulunterricht oder Ausbildung vornimmt. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Verbindung von Bildern mit anderen Bildern oder Zeichensystemen. Bilder sollen in der Analyse beispielsweise in Kombination mit Sprache und Tönen beleuchtet und der Präsentationskontext miteinbezogen werden. Unter anderem werden hier Pressebilder und deren zugehöriger Pressetext in ihrer Kombination und Beziehung zueinander untersucht – eine weitere Grundlage, die zur kritischen Betrachtung und Beurteilung von medialen Produktionen anregt. Im dritten Teil, der sich mit den Funktionen sowie der Wirkung von Zeichen in Bildern befasst, veranschaulicht Doelker, dass Bildfunktionen sowohl von Künstlerinnen und Künstlern, Fotografinnen und Fotografen, Redakteurinnen und Redakteuren, aber auch von Rezipierenden selbst bestimmt werden können. Anhand von Werbebildern werden Elemente der klassischen Rhetorik in eine visuelle übertragen und sprachliche Stilmittel in der Bildanalyse angewendet. Unter Einbezug zahlreicher Beispiele wird deutlich, wie die Wirkung von (Werbe-) Bildern aktiv beeinflusst und eingesetzt werden kann.
Christian Doelkers betrachtet Bilder jeder Erscheinungsform mit einem philologisch, kunsthistorisch geschultem analytischem Blick und eröffnet seinen Leserinnen und Lesern anhand einer Vielzahl von – visuell unterstützten – Beispielen interessante Perspektiven. Die Bildanalysen erfolgen innerhalb der einzelnen Dimensionen sehr detailliert und umfassend, Doelker integriert eine Fülle an Aspekten auf unterschiedlichen Ebenen. Schritt für Schritt ergeben sich neue Bedeutungszusammenhänge und der ‚Gesamttext‘ präsentiert sich – gerade für Novizen – in einem überraschend neuen Licht. Die Publikation vermittelt umfangreiches analytisches Fachwissen, das weit über Grundlagenwissen in diesem Bereich hinausgeht. Demnach richtet sich die Publikation in erster Linie an interessierte Fachkräfte mit kunsthistorischem oder medienwissenschaftlichem Hintergrund. Zudem können aber auch (medien-)pädagogische Fachkräfte ihre eigene visuelle Kompetenz erweitern und erhalten in einigen Teilen der Publikation Anregungen für Methoden zur Förderung eben dieser Kompetenzen in der Praxis. Beispielsweise finden sich hilfreiche Anregungen und eine Anleitung zum Einstieg in die Bildanalyse, die auch im Rahmen des Kunstunterrichts in der Oberstufe sowie in der Museumspädagogik eingesetzt werden können.
Teresa Strebel: Etwas mehr Respekt, bitte!
Stiftung Lesen (2015). Respekt, Respekt! Ideen für den Unterricht für die Klassenstufen 7–10. www.stiftunglesen. de/programmbereich/schule/sekundarstufe/respekt. 22 S., kostenfrei.
Wie möchte ich von meinen Mitmenschen behandelt werden? Wie gehe ich mit den Menschen in meinem Umfeld richtig um? Was genau steckt hinter Begriffen wie Toleranz, Fairness, Anerkennung, Mobbing oder Diskriminierung? Gerade in Pubertät geht es im Kontext von Orientierungs- und Identitätsbildungsprozessen Heranwachsender häufig um respektvolles oder respektloses Verhalten, da Grenzen, Autoritäten, eigenes Handeln und dessen Konsequenzen ausgetestet sowie neue Erfahrungen gesammelt werden (vgl. Albert et al. 2010; Geißler et al. 2013). Das Unterrichtsmaterial Respekt, Respekt! der Stiftung Lesen, die dieses mit Unterstützung der Kulturinitiative eXperimente der Aventis Foundation konzipiert hat, motiviert Lehrkräfte, diese Verhaltensweisen zum Thema zu machen. Arbeitsgrundlage sind Themenkarten für Schülerinnen und Schüler, mit deren Hilfe diese die aufeinander aufbauenden Schwerpunkte ‚Bedeutung von Respekt‘, ‚Kommunikation und Respekt‘ und ‚Respekt im Netz‘ erarbeiten. Auf jeder Karte finden sich zum einen Informationen zu einzelnen Aspekten des jeweiligen Schwerpunkts, zum anderen vielfältige Anschlussaufgaben, die selbständig – alleine oder im Team – bearbeitet werden sollen. Zum Einstieg geht es um den Begriff Respekt allgemein. Es werden erste Erläuterungen dargelegt, die verständlich und treffend beschreiben, was sich hinter dem Wort verbirgt. Auf Basis dessen machen sich die Jugendlichen Gedanken dazu, was sie selbst darunter verstehen. Auch wird auf den geschichtlichen und rechtlichen Hintergrund, also Respekt im Kontext von Menschenwürde eingegangen sowie respektvolles Verhalten in verschiedenen Situationen und gegenüber unterschiedlichen Personengruppen beleuchtet.
Der Zusammenhang von Respekt und Gefühlen bzw. Empathie-Fähigkeit ist Teil des zweiten Schwerpunkts. Hier geht es vor allem um respektvolles Verhalten in der alltäglichen Kommunikationund die Macht von Worten. Die Schülerinnen und Schüler werden angeregt, sich mit der Kommunikation innerhalb ihrer Peergroup und der Schule auseinanderzusetzen sowie zu reflektieren, was ‚rausgerutschte‘ oder ‚reingedrückte‘ Äußerungen und Sprüche bei ihnen selbst oder dem Gegenüber auslösen können. In diesem Kontext spielen auch die Selbstwahrnehmung bzw. eigene Stärken und Schwächen eine zentrale Rolle. Abschließend werden gemeinsame Regeln für einen fairen Umgang innerhalb der Klasse entwickelt. Gerade mit Blick auf sogenannte Hate Speeches und Cybermobbing-Problemfelder, mit denen sich viele junge Internetnutzende konfrontiert sehen (vgl. mpfs 2014; Schnetzer 2014), wird Respekt auch im Netz – speziell in sozialen Netzwerken – relevant. In diesem Kontext geht es immer wieder um den Missbrauch persönlicher Daten. Anhand ihrer eigenen Online-Profile analysieren und bewerten die Projektteilnehmenden daher im dritten Teil des Materialpakets die Informationen, die sie über sich im Internet finden. Sie erhalten Hilfestellungen sowie Tipps zu ihren Rechten im Netz. Außerdem werden sie zur besseren Nachvollziehbarkeit bei der Analyse eines Songtextes in die Position eines Täters bzw. Opfers versetzt. Abgerundet wird das Material durch eine umfassende Sammlung an Zusatzmaterialien in Form von Medien-, Linkund Lesetipps – für Lehrkräfte wie auch für die Jugendlichen selbst. Das Unterrichtsmaterial Respekt, Respekt! – kostenfrei downloadbar – ist modern und flippig designt und erinnert von der Aufmachung her an eine Jugendzeitschrift oder -Webseite. Die Themenkarten sind abwechslungsreich aufbereitet: eine Kombination aus informativen, aber auch feinfühligen Texten, Visualisierungen, Zitaten, Ausschnitte aus Studien und Songtexten sowie Links zu Videos und Webseiten. Auch die Aufgaben und Anregungen sind vielseitig und reichen von kreativen Inszenierungen über Diskussionen und Spiele bis hin zur Reflexion des eigenen Handelns.
Im Projekt wird eine sehr offene Herangehensweise gewählt, so dass sich die Jugendlichen auf Basis ihrer Vorstellungen, Gedanken und Erfahrungen zu Respekt und respektvollem bzw. respektlosem Verhalten das Thema selbst erschließen können – angeregt durch das Material. Die Themenkarten, die von Lehrenden zuvor lediglich ausgedruckt werden müssen, dienen als Grundlage und motivieren zur Auseinandersetzung mit den einzelnen Facetten von Respekt bzw. geben Anregungen, das eigenen Verhalten und das anderer zu reflektieren – und letztendlich eventuell auch aktiv zu überdenken. So erhalten die Projektteilnehmenden die Chance, sich selbst, aber auch andere besser kennenzulernen. In den Inhalten wird weder vorgegeben wie ‚richtiges‘ Verhalten und Respekt auszusehen haben noch zu solchem Verhalten belehrt. Die Materialen selbst sind konkret als Unterrichtsmaterial ausgezeichnet, sie können aber sehr gut auch in andere pädagogische Settings integriert werden. Empfohlen wird es für Schülerinnen und Schülern der siebten bis zehnten Jahrgangsstufe. Im Schulkontext kann das Material beispielsweise im Rahmen des fächerübergreifenden Projektunterrichts in Fächern wie Gemeinschaftskunde, Gesellschaftslehre, Sozialkunde sowie dem Religions- und Ethikunterricht verwirklicht werden. Mit Blick auf die kommunikativen und sprachlichen Aspekte von Respekt ist es auch möglich, die Projektinhalte im Deutschunterricht zu thematisieren. Etwas unklar bleibt leider, welchen ungefähren zeitlichen Umfang die Projektbausteine in Anspruch nehmen, es besteht jedoch die Möglichkeit, einzelne Stationen zu kürzen oder auszulassen. So kann das Material an individuelle Gegebenheiten angepasst werden.
Literatur:
Albert, Mathias/Hurrelmann, Klaus/Quenzel, Gudrun/TNS Infratest Sozialforschung (2010). Jugend 2010. 16. Shell Jugendstudie. Frankfurt: Fischer.
Geißler, Holger/Schöpe, Susanne/Klewes, Joachim/Rauh, Christina/von Alemann, Ulrich (2013). Wertestudie 2013: Wie groß ist die Kluft zwischen dem Volk und seinen Vertretern? Köln: YouGov.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2014). JIM-Studie 2014. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf14/ JIM-Studie_2014.pdf [Zugriff: 04.11.2015].
Schnetzer, Simon (2014). Toleranz Online 2014: Eine Jugendstudie über Respekt, Sicherheit und Freiheit im Internet. Hamburg: Diplomica.
Teresa Strebel: Das Leben ist unberechenbar − der Tod aber auch
McCloud, Scott (2015). Der Bildhauer. Hamburg: Carlsen. 490 S., 34,99 €.
Graphic Novels haben in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit von Feuilletons, Buchhandel und seitens der Wissenschaft erhalten (vgl. Dreier 2015). Giesa (2014) beschreibt Graphic Novels als „mediale Erscheinungsform“ (S. 67) und ordnet sie in das „Prinzip Bildergeschichte“ (S. 66) ein, welches auch Comics und Mangas umfasst. Der Begriff Graphic Novel wurde in seiner Entstehung vor allem durch den US-amerikanischen Comiczeichner Eisner geprägt, dessen ernsthafte und emotional aufgeladene Comics sich in den 1970er-Jahren an ein zunehmend erwachseneres Publikum richteten (vgl. Schikowski 2014). Damit unterschieden sich seine Erzählungen zwar von herkömmlichen, humoristisch- fantastischen Comics, die begriffliche Neuschöpfung Eisners war aber in erster Linie ein cleverer Marketingschachzug (vgl. ebd.) und kein Gattungsbegriff (vgl. Giesa 2014). Heute stellen Graphic Novels meist Comics in Buchform dar, die sich als abgeschlossene Geschichte mit einem größeren Umfang von seriellen Comics abgrenzen.
Eine Neuerscheinung auf dem Graphic Novel-Markt ist Scott McClouds Der Bildhauer. Der renommierte Comickünstler und -theoretiker veröffentlicht damit – nach mehr als 20 Schaffensjahren – seinen ersten langen Comic-Roman. Was ist Kunst? Was braucht es, damit ein Künstler seiner Kreativität Ausdruck verleihen kann? Und was, damit er Zugang zu seinem Innersten finden und es zum Leben erwecken kann? Diese Gedanken begleiten den jungen Bildhauer DavidSmith, der eine erfolgreiche Karriere in der modernen New Yorker Kunstszene anstrebt. Mitten in einer Schaffenskrise und verlassen von jeglicher Inspiration verbringt der Künstler seinen 26. Geburtstag allein in einer Kneipe in New York. Dort erscheint ihm plötzlich der Tod in Gestalt seines längst verstorbenen Großonkels Harry und erinnert ihn an seinen Lebenstraum: Als Bildhauer möchte David ein Werk für die Ewigkeit schaffen und sich einen Namen machen − ein Versprechen, dass er nicht nur sich selbst, sondern auch seinem Vater gegeben hat. Dieser war erfolgreicher Autor, kam jedoch − wie auch Davids Mutter und Schwester − tragisch ums Leben. Dem jungen Bildhauer bedeutet Kunst alles. Um sich als Künstler verwirklichen zu können, würde er alles geben − sogar sein Leben. Da schlägt der Tod ihm einen ungewöhnlichen Pakt vor: In 200 Tagen werde sein Leben zu Ende sein, in dieser Zeit erhalte er jedoch die Gabe, alles Künstlerische zu erschaffen, was er sich je erträumt habe. Zunächst ungläubig, dann übermannt durch die Entdeckung seiner neuen Kräfte willigt David ein. Und tatsächlich: Der Tod schenkt ihm die Gabe, jedes Material mit bloßen Händen formen zu können. Alles, was er berührt, wird zum Ausdruck seiner Selbst − seiner Ideen, Gefühle, Erinnerungen −, seinem tiefen Wunsch, gesehen zu werden. Endlich meint er, sich aus der Abhängigkeit von Agentinnen und Agenten, Kritikerinnen und Kritikern sowie Käuferinnen und Käufern befreien zu können und Abstand vom ständigen Schaffensdruck und der Konkurrenz zu gewinnen. Langsam beginnt er, sein neues Talent zu ergründen und es sich zu Eigen zu machen. Wie im Rausch arbeitet er Tag und Nacht an seinen neuen Skulpturen, wird jedoch erneut enttäuscht und zurückgeworfen, als die Kritikerinnen und Kritiker sein Werk bei der Präsentation in der Luft zerreißen. Am Boden und von jeglichem Glauben an seine Kunst verlassen, wirft sich David gegen eine fahrende U-Bahn. Doch er stirbt nicht schon bevor sein Pakt endet, sondern wird in letzter Sekunde von der hilfsbereiten Amateurschauspielerin Meg gerettet. Sie lässt den jungen Künstler in ihrer Wohnung wieder zu Kräften kommen, versorgt ihn und lehrt ihm, Schritt für Schritt wieder an sein Talent zu glauben. Sie zeigt David eine Seite vom Leben, die er so noch nicht erfahren hat: Leichtigkeit, Unbeschwertheit − Leben und Lieben, ganz im Moment. Die beiden fühlen sich immer mehr verbunden, doch die Zeit tickt und David findet sich hin- und hergerissen zwischen dem Drang, sich in sein Schaffen zu stürzen und dem Verlangen, sein Leben gemeinsam mit Meg zu genießen.
In seiner Graphic Novel Der Bildhauer nimmt Scott McCloud seine Leserinnen und Leser mit auf ein rasantes Abenteuer, das emotional zwischen tiefer glückseliger Lebensfreude und kompletter Verzweiflung schwankt. Der Comickünstler schafft es, all seine ausdruckstarken Bilder für sich sprechen zu lassen und eine Geschichte vom Zu-Sich-Finden, vom Erwachsenwerden und der Liebe zu erzählen. Auf knapp 500 Buchseiten finden sich zeichnerische Nahaufnahmen von Gesichtern, Händen, Gegenständen und ganze Szenen − teilweise über eine gesamte Seite hinweg; das Geschehen wird Schritt für Schritt im Bild und Text dargestellt, Bewegungsabläufe werden im Detail abgebildet. Gleichzeitig sind auch schnappschuss-artige Bilderserien aneinandergereiht, von Zeitsprüngen durchzogen, mit unterbrochenen Textfetzen. Eine Flut an minimalistischen Zeichnungen übergießt die Seiten spiralförmig. „Vom Comic-Roman wird erwartet, dass er sich den Raum nimmt, den die Geschichte braucht, und nicht umgekehrt die Geschichte einem vorhandenen Raum anpasst. Befreiung ist das Stichwort, und zwar ohne Rücksicht auf formale Vorgaben oder Trends zu produzieren“ (Schikowski 2014, S. 173) – in Der Bildhauer wird dies sehr deutlich.
Scott McCloud verwendet eine unglaubliche Vielfalt an zeichnerischen Gestaltungsmöglichkeiten, zunehmend abseits vom figürlichen, um die Emotionen seiner Hauptfiguren mit all ihren sanften, liebevollen, traurigen und melancholischen Momenten auf der einen Seite und Wut, rauschhafter Begeisterung und Verzweiflung auf der anderen Seite darzustellen. Auch zeitliche und räumliche Komponenten sowie atmosphärische Gestaltung werden umgesetzt, vor allem durch die Anordnung der einzelnen Zeichnungen und deren Größenunterschiede zueinander. Dem Autor gelingt mit Der Bildhauer eine außergewöhnliche Darstellung von Gefühlen und Herausforderungen, mit denen sich ein junger Mensch auf der Suche nach sich selbst und dem Leben auseinandersetzen muss. Mit seinem manga-artigen Zeichenstil und der Verwendung von moderner Sprache, aufgelockert durch witzige und teils ironische Kommentare, ist McClouds Neuerscheinung vor allem für Leserinnen und Leser zwischen 14 und 30 Jahren geeignet.
Die faszinierende künstlerische Umsetzung und die Thematik der Geschichte sind nicht nur Comic- und Graphic Novel-Fans interessant, sondern auch für ein Publikum, das mit diesem Format bisher nicht in Berührung gekommen ist. Zudem ist es möglich, Der Bildhauer auch im Unterrichtskontext der Oberstufe oder der literarischen Bildung mit Jugendlichen einzusetzen. Anhand der Graphic Novel können beispielsweise narrative Strategien von grafischer Literatur analysiert oder Text-Bild- Analysen entlang von literarisch-künstlerischen Gestaltungsmitteln vorgenommen werden. So entsteht gleichzeitig ein interdisziplinärer Zugang, der im Unterrichtskontext die Fächer Kunsterziehung und Deutsch hervorragend miteinander verbinden kann.
Literatur:
Dreier, Ricarda (2015). Editorial. In: kjm&l, 67 (3), S. 2.
Giesa, Felix (2014). Comic, Graphic Novel & Co. als bildbasierte Erzählliteratur. In: Knopf, Julia/ Abraham, Ulf (Hrsg.), BilderBücher: Theorie. Deutschdidaktik für die Primarstufe, Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 66−77.
Schikowski, Klaus (2014). Der Comic. Geschichte, Stile, Künstler. Stuttgart: Reclam.
Teresa Strebel: Jugendliche – aktivste und gefährdetste Nutzergruppe im Netz
Jugendliche sind mit den meisten Sicherheitsvorfällen konfrontiert und damit die gefährdetste Altersgruppe im Netz. Das zeigt der DsiN-Sicherheitsindex 2015 der Initiative Deutschland sicher im Netz e. V. (DsiN) und des Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Bundesweit sind die Sicherheitsvorfälle im Netz gegenüber 2014 zwar zurückgegangen, jedoch besteht ein enormes Sicherheitsgefälle zwischen den Verbrauchergruppen. Insbesondere bei Internetnutzenden zwischen 16 und 19 Jahren besteht ein erhöhtes Sicherheitsrisiko. Etwa 83 Prozent waren in den letzten zwölf Monaten von mindestens einem Sicherheitsvorfall betroffen, vor allem von unerwünschten bzw. infizierten Emails, Anhängen und Links: 30 Prozent überprüfen weder Email-Links noch Anhänge vor dem Öffnen; 28,6 Prozent surfen ohne Firewall-Schutz. Ein besonderes Risiko stellen Identitäts- und Datenklau dar: Jeder fünfte Jugendliche berichtet von unerwünschten Emails, die im eigenen Namen versandt wurden. 17 Prozent haben im Jahr 2015 negative Erfahrungen mit dem Missbrauch persönlicher Daten in Blogs, Foren und sozialen Netzwerken gemacht.
Im Vergleich besitzt diese Nutzergruppe zwar das höchste Bewusstsein für Online-Risiken, jedoch mangelt es oft an der Umsetzung dieses Sicherheitswissens. Knapp die Hälfte verzichtet auf regelmäßige Passwort-Wechsel (47 %) bzw. die Verwendung von Logout-Funktionen (40 %). Der DsiN-Sicherheitsindex 2015 differenziert zwischen vier Nutzertypen. Neben den jungen Internetnutzenden stellen die sogenannten Außenstehenden, meist ältere Menschen zwischen 60 und 69 Jahren, einen Nutzertyp mit hohen Gefährdung und geringster digitaler Sicherheit dar; sie umfassen aber nur acht Prozent aller Internetnutzenden. Bereits zum zweiten Mal bildet der DsiN-Sicherheitsindex 2015 die digitale Sicherheitslage der Internetnutzenden in Deutschland ab. Grundlage ist eine repräsentative Befragung von 2.010 Internetnutzenden durch TNS Infratest in Deutschland zu ihrem Bewusstsein für Internetrisiken sowie Sicherheitsvorfällen im Netz.