Maximilien Van Aertryck
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Nicole Lohfink/Axel Danielson/Maximilien Van Aertryck: Humor-Ein machtvolles Instrument, um Ernstes zu thematisieren. Ein Gespräch mit Maximilien Van Aertryck und Axel Danielson, Plattform Produktion
In ihrem neuesten Film ‚And the king said what a fantastic machine‘ setzen sich Axel Danielson und Maximilien Van Aertryck mit unserer von Medien durchdrungenen Welt auseinander. Was passiert, wenn die Selbstverliebtheit der Menschheit und ein ungezügelter Markt auf 45 Milliarden Kameras treffen? Es ist eine Chronik darüber, wie in nur 200 Jahren über das erste Einfangen des Bildes eines Hinterhofs eine Multi-Millionen Content Industrie entstanden ist, sowie ein humorvolles medienpädagogisches Lehrstück.
MERZ Wie seid ihr auf die Idee gekommen, ein Projekt über die Medienwirksamkeit von Bildern zu verwirklichen?
DANIELSON Wir alle in Plattform Produktion arbeiten eng zusammen, wie in einer Art Filmkollektiv, unser Produzent, Ruben Östlund, ist auch Regisseur (Triangle of sadness, 2022). Wir waren alle zu unterschiedlichen Zeiten auf der gleichen kleinen Filmschule in Gotheburg. Und als ich als Lehrer dort war und Max als Student, haben wir gleich entdeckt, wie ähnlich wir die Kamera nutzen. Die Kamera hat die fantastische Eigenschaft, soziale Interaktion einzufangen – wie wir uns zueinander verhalten, wie wir uns gegenüber der Kamera verhalten, und unser jeweiliger Weg, Wirklichkeit zu transportieren.
VAN AERTRYCK Wir glauben, dass die Bilder, die wir konsumieren, beeinflussen, wie wir die Welt sehen und dementsprechend auch unser Verhalten.
MERZ Die Kamera als soziale Funktion also?
VAN AERTRYCK Ja, das ist eine Passion von uns allen in der Firma, der Einfluss des fotografischen Bildes und des bewegten Bildes auf die Gesellschaft als Ganzes. MERZ And the king said what a fantastic machine besteht fast zu 95 Prozent aus Archivmaterial, seit wann sammelt ihr das?
MERZ And the king said what a fantastic machine besteht fast zu 95 Prozent aus Archivmaterial, seit wann sammelt ihr das?
VAN AERTRYCK Mindestens seit zehn Jahren – es war ein Stück weit an den Aufstieg von YouTube geknüpft: Plötzlich war es möglich, kurze Filmclips herunterzuladen und wir wollten zusammen darüber diskutieren, sie unseren Freund*innen und Familien zeigen, Vorlesungen darüber halten. Uns fiel dabei auf, dass zuerst die Clips kamen, wie Menschen imitieren, was sie gesehen haben, im TV zum Beispiel.
MERZ Spätestens seit der Nutzung von Social Media für politischen Einfluss, sowie dem Anstieg von autokratischen Tendenzen ist der mediale Einfluss mehr ins Rampenlicht gerückt. War das der auschlaggebende Moment, diesen Film zu realisieren?
VAN AERTRYCK Das war mehr oder weniger vor fünf Jahren: unsere Wahrnehmung, dass die Welt mehr und mehr polarisiert ist, dass die Demokratie in der Welt tatsächlich auf dem Rückzug ist. Was in uns ein Gefühl der Dringlichkeit ausgelöst hat, war die Analyse, dass diese Tendenzen durch bestimmte Faktoren noch zugespitzt werden: Und zwar die Art und Weise, wie wir das bewegte Bild in der Gesellschaft nutzen in Verbindung mit dem fehlenden Wissen darüber, wie wir gut informiert bleiben und nicht in diese individualistischen Blasen rutschen; Blasen, die von den Algorithmen noch gefördert werden. Also sagten wir: Lass uns einen Film zu Medienkompetenz machen – aber es soll wirklich lustig und unterhaltsam sein.
MERZ Der Wunsch, Medienkompetenz zu stärken war also besonders im Fokus des Films?
DANIELSON Ja, Medienkompetenz wird zunehmend wichtiger. Zum Beispiel die Fragen, was sollte Basis-Wissen in einer Demokratie sein oder was sollten alle wissen, wenn wir nach demokratischen Prinzipien leben wollen. Wie wir dieses gemeinsame Wissen vermitteln, ist eng verwoben mit dem demokratischen System, das wir haben. Aus unserer Sicht werden dieses Bedürfnis und daraus entstehende Konsequenzen selten mitgedacht, sobald Bilder entstehen. Wir als Filmemacher haben das Interesse und praktisches Wissen darüber, daher wollten wir gewisse Konzepte auf den Tisch bringen. Zum Beispiel die Perspektive – es gibt immer eine Perspektive – und, dass man wahrscheinlich mehrere Perspektiven braucht, um umfängliches Verständnis für eine Sache zu bewirken. Es gibt immer einen Bildausschnitt – und es gibt immer etwas außerhalb eines Ausschnitts. Zum Beispiel der Clip, in dem der ISIS-Krieger ein Propaganda-Video drehen will und dabei über seinen Text stolpert – dieses Material haben wir in einem 10-Sekunden-Clip in den Nachrichten gefunden. Es war sehr kurz geschnitten, damit Zuschauer*innen darüber lachen können, wie über einen Patzer. Bei solchem Material wollten wir sofort die Quelle finden und nach sehr langer Recherche ist uns das gelungen und wir haben den 25-minütigen Original Clip gefunden.
MERZ Es gibt sehr viel Material in dem Film, das nicht einfach zu finden gewesen sein kann. Wie seid ihr vorgegangen, wie habt ihr zum Beispiel dieses Material recherchiert?
VAN AERTRYCK Das ist ähnlich wie beim Filmdreh. Wir fühlen uns wie Jäger, die nach dem perfekten Moment suchen, den wir einfangen oder der schon eingefangen wurde. Daher suchen wir immer nach dem Rohmaterial, meistens über sehr viele Netzwerke und über Gespräche mit vielen Menschen. In diesem Beispiel fanden wir einen amerikanischen Forscher, der eine ganze Datenbank mit Terroristen-Videos hatte. Hintergrund des ISIS-Videos ist, dass der Clip im Jemen gedreht wurde. Im Jemen sind ISIS und Al Quaida stark verfeindet. Al Quaida hat ein ISIS-Camp überfallen, einen ganzen Haufen Festplatten von den geflohenen ISIS-Soldaten gefunden und da war dieses Rohmaterial drauf. Dann hat Al Quaida das Material ins Internet hochgeladen, um die ISIS-Soldaten zu diskreditieren. Das alles ist geradezu absurd, aber es fängt auch die gesamte Schönheit und die tragisch-komischen Aspekte des Lebens ein. Wenn du etwas in einem anderen Rhythmus ansiehst, als in Schlagzeilen oder in einem TikTok-Rhythmus, in das so vieles heutzutage gepresst wird, dann erhältst du eine ganz andere Deutung davon, was sich vor der Kamera abspielt. Das ist das Schöne, das Publikum tatsächlich über die Komplexität des Lebens und der menschlichen Natur nachdenken zu lassen. Indem wir gegen die Art und Weise angehen, in der so vieles in den Massenmedien dargestellt wird, fördern wir Medienkompetenz.
MERZ Wie war eure Perspektive auf den Gestaltungsprozess für so viel unterschiedlichen Inhalt?
DANIELSON Natürlich ist es ein Ziel, ein Projekt künstlerisch auf hohem Niveau zu gestalten – es wird eine Komposition, erhält eine Dramaturgie. Dabei wollten wir unbedingt Humor als wichtiges Stilmittel einsetzen. Wenn man ernste Dinge thematisiert, ist Humor ein machtvolles Instrument. Der humanistische Blickwinkel war ebenso wichtig: Wir wollten die Menschen nicht vom gezeigten Verhalten entfremden und sagen „diese Leute verhalten sich falsch“, sondern realistischer sein. Wir sind alle Teil eines stark wirtschaftlich ausgerichteten Systems, indem unser Verhalten sehr intensiv von Algorithmen getrieben wird – sowohl, wie wir sie gestalten, als auch wie wir sie konsumieren. Und natürlich wollten wir auf lange Sicht mit dem Film darauf aufmerksam machen, dass dieses Instrument Kamera so mächtig ist, dass wir nicht glauben, die Ethik im Umgang damit kann nur von fünf großen Konzernen entschieden werden. Es ist mehr eine Frage für die Bürger*innen.
MERZ Ihr habt euch dafür entschieden, diesen Film für den Kinosaal zu kreieren. Warum dieses Format?
DANIELSON Der Kinosaal ist ein großartiger Platz für uns Bürger*innen, um fotografische Bilder und die Reaktionen darauf gemeinsam zu erleben. Diese Bilder werden produziert und verbreitet mit der Absicht, dass sie individuell konsumiert werden. Von Anfang an wollten wir diese Bilder auf eine große Leinwand in einem Raum bringen, um eine gemeinsame Sprache dafür zu entwickeln, was wir sehen. Was bedeuten diese Bilder? Darauf haben wir keine Antwort, aber wir wollen sie nutzen, um eine Diskussion über die Antworten anzuregen.
VAN AERTRYCK Es gibt einen Unterschied, ob du Bilder auf deinem Smartphone oder im Kino konsumierst, und das hat nicht nur mit großer Leinwand und gutem Sound zu tun. Es geht um die gemeinsame Erfahrung. Der Raum und der große Bildschirm sind Teil der Erfahrung. Es ist zusätzlich auch unsere Wertschätzung gegenüber diesem Raum, den wir lieben, und ein Vorschlag dazu, was wir denken, das dort gezeigt werden sollte.
MERZ Was wollt ihr bei euren Zuschauer*innen bewirken?
DANIELSON Reflexion – wir wollen kritisches Denken inspirieren; nicht das kritische Denken, das zu Dogmen führt oder zur Verbannung von Medien. Wir glauben an Bildung, Erziehung und an Inspiration. Wenn wir diese polarisierte Welt ändern wollen, diese Welt von richtig oder falsch, wahr oder unwahr, dann benötigen wir mehr Wissen darüber, wie jedes Bild entsteht. Wir wissen aus Erfahrung, dass jeder Mensch Anteile von Gut und Böse in sich trägt, aber bei Bildern tendieren wir zu einer radikalen Idee von Wahrheit über die Welt. Wir wollen auf humorvolle Weise das Bewusstsein darüber erweitern.