Prof. Dr. Michael Wagner
Zur Person
Dr. Michael Wagner ist Universitätsprofessor für Technologieunterstütztes Lernen und Multimedia an der Donau-Universität Krems. Er beschäftigt sich derzeit insbesondere mit der Bedeutung hypermedialer Jugendkulturen in der gesellschaftlichen Entwicklung sowie deren Auswirkungen auf die pädagogische Praxis.Beiträge in merz
Michael Wagner: Neue Leseräume
Dieser Beitrag entwickelt ein theoretisches Modell, welches zum Einen eine Klassifikation Neuer Medien entsprechend ihrer Nutzungsmuster ermöglicht und zum Anderen die soziale Komponente des Lesens von partizipativen Medien beschreibt. Dazu werden Ansätze aus der kulturanthropologischen Spieltheorie und der Computerspieltheorie mit dem Konzept der Affinitätsgruppen in Zusammenhang gebracht.
This article develops a theoretical model which yields a classification of participatory media with respect to their usage patterns and furthermore describes the social component of our current understanding of new media reading literacy. For this purpose, approaches from cultural anthropological game theory and computer game theory are combined with the concept of affinity groups.
Literatur
Aarseth, Espen (1997). Cybertext: Perspectives on Ergodic Literature. John Hopkins University Press
Aarseth, Espen (2001). Computer Game Studies, Year One. Game Studies: the international journal of computer game research, 1, www.gamestudies.org
Gee, James P. (2004). What Video Games Have to Teach Us About Learning and Literacy. New York: Palgrave Macmillan
Huizinga, Johan (1955). Homo Ludens: A Study of the Play Element in Culture. Boston: Beacon Press
Jenkins, Henry (2006a). Convergence Culture: Where Old and New Media Collide. New York: NYU Press
Jenkins, Henry (2006b). Confronting the Challenges of Participatory Culture. Media Education for the 21st Century. The MacArthur Foundation, http://newmedialiteracies.org
Wagner, Michael G. (2006). Computer Games and the Three Dimensions of Reading Literacy. In: Proceedings of the 2006 ACM SIGGRAPH Symposium on Videogames. ACM Press, S. 139-142
Wagner, Michael G. (2007). Identitätsrückprojektion in Aktiven Medien. Wann können Computerspiele unser reales Verhalten beeinflussen? e-beratungsjournal.net, Fachzeitschrift für Online-Beratung und computervermittelte Kommunikation, 3, www.e-beratungsjournal.net
Wagner, Michael G. (2008). Interaktionstechnologie im gesellschaftlichen Spiel. Eine Grundsatzthese zur kulturellen Bedeutung von digitalen und hybriden Spielen. In: Mitgutsch, Konstantin/Rosenstingl, Herbert (Hg.). Faszination Computerspielen. Theorie – Kultur – Erleben. Wien: Braumüller, S. 47-56
(merz 2008-06, S. 76-85)
Veronika Wagner: Onlinespiel gegen rechtsextreme Propaganda
Christlicher Jugendring Deutschland (CJD). Wo ist Romi?(2023). Onlinespiel, kostenlos, verfügbar im Internet.
Stimmen für rechte Parteien wurden in den letzten Jahren lauter, besonders auch unter jungen Menschen. Daher ist es von großer Bedeutung, über die Szene der Neuen Rechten aufzuklären und sich gegen rechtsextreme Propaganda zu rüsten. Das frei zugängliche Onlinespiel des Christlichen Jugendrings Deutschland (CJD) mit dem Titel Wo ist Romi? hat sich dieser Aufgabe angenommen. Die Erstellung wurde gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie von der Sozialbehörde Hamburg. Außerdem ist das Spiel Teil des Bundesprogramms Demokratie leben!. Es wurde für die Arbeit mit Jugendlichen ab der 8. Klasse konzipiert.
Für ein aufmerksames Bearbeiten der Aufgaben des Online-Spiels werden ungefähr 45 Minuten benötigt. Zusätzlich wird auf der Website kostenloses Begleitmaterial für medienpädagogische Fachkräfte zum Download zur Verfügung gestellt, welches sich aus tiefer gehenden Informationen, Entwürfen für Hausaufgaben und einem Glossar zusammensetzt.
Das Spiel basiert auf Erkenntnissen aus der Wissenschaft, dem Journalismus und von Beratungs- und Bildungsstellen. Die Charaktere und Handlungen sind frei erfunden. Besonders gefährlich macht die Neue Rechte, dass ihre Mitglieder gut digital vernetzt sind und menschenverachtende Inhalte und Ziele häufig nicht auf den ersten Blick erkennbar sind, sondern viel mit Codes gearbeitet wird. Das Spiel gibt unter anderem Aufschluss darüber, warum Menschen sich der Szene anschließen. Spieler*innen lernen durch praktische Tipps, was sie tun können, wenn jemand in die rechte Szene gerät.
In einer Freundesgruppe von fünf Personen rutscht Romi in die rechtsextreme Szene ab. Nachdem sie besorgniserregende Videos in den Gruppenchat schickt, beginnen Lisa, Mo, Kim und Fred herauszufinden, wie sie Romi helfen können. Als Spieler*in hat man die detektivische Mission, die vier Freund*innen auf der Suche nach Lösungswegen zu begleiten. Die Aufgaben teilen sich in vier Bereiche ein: den Chat mit Romi durchzugehen, Informationen über die Neue Rechte Szene zu sammeln, Romis Social-Media-Aktivitäten zu checken und mit Expert*innen zu sprechen.
Im Spiel wird klar abgegrenzt, welche Inhalte real und welche nur fiktiv sind. Danach wird man durch den Onlinechat der Gruppe in die aktuelle Situation eingeführt. Anschließend wird beim Durchgehen des Chats mit Romi vermittelt, welche Aussagen auf rechtes Gedankengut hinweisen. Danach folgt das Sammeln von Informationen über die Neue Rechte, was im Rahmen eines YouTube-Videos stattfindet. Daran schließt sich der Social Media Check an, bei welchem man aktiv werden darf und Romis Profil und das ihrer Freund*innen unter die Lupe nimmt. Ein besonderer Fokus liegt darauf, woran man rechte Inhalte auf Profilen, in Bildern, Captions oder Kommentaren erkennen kann. Im letzten Abschnitt wird ein Chat mit einer Expertin eröffnet, welcher man (vorgegebene) Fragen stellen darf. Nachdem eine Aufgabe erledigt wurde, folgt ein Fazit, welches die wichtigsten Informationen kurz und knapp zusammenfasst. Die Reihenfolge der Aufgaben ist frei wählbar, auch können sie beliebig oft durchgespielt werden.
Das Spiel hat Potenzial zur Aneignung von neuem Wissen, welches nicht nur im Kurzzeitgedächtnis bleibt. Das wird durch die hohe Interaktivität ermöglicht, indem man sich detektivisch Informationen erarbeitet. Außerdem umfasst jeder Abschnitt mehrere Aufgaben, wodurch eine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik ermöglicht wird. Die Vermittlung von Informationen in kleinen Happen trägt dazu bei, dass Spieler*innen nicht vom Input überfordert werden, sondern Wissen sukzessiv aufnehmen können. Zudem punktet das Spiel durch die Auswahl einer Frau als Protagonistin, denn im Stereotyp einer rechtsextremen Person sind häufig Männer verankert. Das trägt dazu bei, dass Stereotype aufgebrochen werden.
Auch die Sprache des Spiels passt zur anvisierten Zielgruppe, sie ist weder zu simpel noch zu komplex. Da es außerdem im Format eines Smartphones designt wurde, stimmt es mit der gewohnten Nutzeroberfläche von jungen Menschen überein, es ist also leicht und intuitiv zu bedienen.
Allerdings ist das Spiel an manchen Stellen unflexibel, denn es fehlen Wahlmöglichkeiten.
Zum Beispiel können nur vorgegebene Instagram-Profile untersucht oder lediglich eine bestimmte Auswahl an Fragen an die Expertin gestellt werden. Darüber hinaus gibt es aber mit Sicherheit weitere Anliegen, die Nutzer*innen bewegen. Trotz dessen verfügt das Spiel über einen inhaltlichen Tiefgang, welcher viele Fragen beantworten sollte. Auf redaktioneller Ebene wurde gute Arbeit geleistet, denn hinter den Inhalten scheint tiefgründige Recherche zu stecken. Zum Beispiel das YouTube-Video im Abschnitt zu Informationen über die Neue Rechte umfasst zentrale Informationen und wurde ansprechend für die Zielgruppe gestaltet: schneller Schnitt, fließende Übergänge und eine junge Moderatorin. Wünschenswert wäre jedoch, dass es eine Vorspul- sowie Rückspul-Funktion und Geschwindigkeitsanpassung gäbe, wodurch man das Video an das eigene Lerntempo anpassen könnte. Untertitel würden außerdem die Barrierefreiheit erhöhen.
Wo ist Romi? Ist ein gutes Beispiel dafür, wie die multimediale Aufbereitung von Inhalten zur Weiterbildung beitragen kann. An das Ziel des Spiels – Jugendliche gegen rechtsextreme Propaganda resilienter zu machen – wird sich bei aufmerksamem Spielen gut angenähert. Das weiterführende Begleitmaterial könnte zudem Grundlage für Schulstunden oder Workshops zu diesem Thema sein.