Prof. Dr. Hartmut Warkus
Beiträge in merz
Hartmut Warkus: Kinder im sicheren Netz
Das Chatten scheint angesichts vieler Anfragen und oftmals geäußerter Wünsche von Kindern nach Chatmöglichkeiten - neben dem Spielen - eine der Lieblingsbeschäftigungen der Kinder im Netz zu sein.1 Auf einer Tagung von „Seitenstark“, der „Arbeitsgemeinschaft vernetzter Kinderseiten“ (www.seitenstark.de) im Mai 2003 in Hamburg, bei der es um den Jugendschutz im Netz ging, wurde dann der Wunsch laut, auch auf den vernetzten Kinderseiten von „Seitenstark“ Chats für Kinder anzubieten. Nur durch Moderieren und Betreuen lassen sich sichere Chats für Kinder realisieren. Entsprechend der Grundsätze und Ziele von Seitenstark war den Betreibern und Redakteuren von sicheren Seiten für Kinder klar, dass die Chats betreut bzw. moderiert werden mussten. Technische Lösungen galten als ungeeignet. Ein gemeinsames Projekt mit dem Lehrstuhl Medienpädagogik und Weiterbildung am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig war geplant. Per Aufruf fanden sich in Leipzig zwölf StudentInnen, die das Thema interessierte und die sich neben ihren Studienaufgaben mit dem Moderieren von Chats für Kinder beschäftigen wollten. Die ersten Besprechungen und Auswertungen von diversen existierenden Chaträumen führten schließlich zu praktischen Überlegungen für einen durchgängig betreuten Chat.Das KonzeptDas „Chatkonzept“ wurde von Anke Hildebrandt (vgl. www.kidsville.de) in Bielefeld entwickelt.
Ihren umfassenden und langjährigen Erfahrungen mit „Kindern im Netz“ und dem Engagement aller am Projekt beteiligten ist es zu danken, dass schon nach wenigen Wochen Arbeit ein praktisch umsetzbares Konzept vorlag. Neben der Beteiligung an der Entwicklung des Chatkonzepts und der Betreuung der zukünftigen Chats lagen die Erkenntnisinteressen der Leipziger StudentInnen darin zu erfahren, wie Kinder in virtuellen Räumen kommunizieren, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten sie dabei entwickeln bzw. schon entwickelt haben, welche Steuerungsmaßnahmen durch Erwachsene möglich und nötig sind. Als Beispiele für mögliche Fragestellungen wurden formuliert:n Wie bewusst wählen Kinder welche Nicknames?n Wie lange halten sie sich im Chatraum auf?n Kehren sie regelmäßig wieder?n Wie steigen sie in die Kommunikation ein?n Welche Sprache sprechen Kinder im Netz?n Welche Fragen werden gestellt, welche Themen interessieren?n Bilden sich „feste Gruppen“ von Chattern, die wiederkehren oder sich verabreden?n Was erwarten Kinder von den ModeratorInnen?n Was erwarten Kinder von den anderen Chat-TeilnehmerInnen?Entstehen sollte auch ein Leitfaden zur sinnvollen Moderation von Kinderchats. Großen Raum im Konzept nahmen die technischen Rahmenbedingungen ein.
Es war beabsichtigt, mehrere Internetangebote für Kinder für den Chat zu vereinigen, den Chat in Leipzig am Zentrum für Medien und Kommunikation der Universität Leipzig (vgl. www.uni-leipzig.de/~zmk) zu moderieren und durch Guido Adam (vgl. www.milkmoon.de) in Hamburg technisch zu betreuen. Inhaltlich bezieht sich das Konzept auf die zu schaffenden Rubriken und Texte für Kinder (Anleitung, Tipps, „Chatikette“ usw.), auf die Texte für Erwachsene (Eltern, Lehrer, Interessierte), auf die bei Kindern so beliebten „Smileys“, auf die Visitenkarten der ModeratorInnen, auf Filterlisten (Bad Words), die unter bestimmten Bedingungen genutzt werden sollten und verschiedene mögliche Chats (Themen-Chat, Prominenten-Chat, Experten-Chat). Für die Moderation wird festgelegt, dass der Chat zu jeder Öffnungszeit moderiert wird und dass es grundsätzlich zwei Möglichkeiten für eine Moderation gibt. Variante eins sieht vor, dass jeder Beitrag vor der Veröffentlichung gegengelesen und erst dann freigeschaltet wird. In der zweiten Variante liest ein/e ModeratorIn im Chat mit und „überwacht“ die Unterhaltung. Sobald ein Chatteilnehmer gegen die Chatikette verstößt, greift der/die Moderator/in ein: In einem ersten Schritt ermahnt er/sie und bittet um Beachtung der Chatikette. Wenn dies keine Wirkung zeigt, kann er/sie den Störenfried sperren und aus dem Chat ausschließen.Die Probechats wurden nach dem zweiten Prinzip moderiert. Wir sind davon ausgegangen, dass wir auch zukünftige Chats nach diesem Prinzip moderieren werden, wir mussten jedoch diese Annahme später revidieren. Für die ModeratorInnen wurde eine eigene, den TeilnehmerInnen am Chat bekannt gegebene Email-Adresse eingerichtet (chat.ag@uni-leipzig.de). Die TestsEin erster Probechat fand am 10. Dezember 2003 von 15 bis 17 Uhr statt. Vier Internetseiten für Kinder waren vereint und hatten auf ihren Seiten den Chat angekündigt. Aus heutiger Sicht würde man sagen, er verlief problemlos.
Alle zwölf ModeratorInnen nahmen aktiv als ModeratorIn oder als Chat-TeilnehmerIn teil und tauschten anschließend ihre Erfahrungen und vor allem Empfindungen aus. Wir hielten nötige technische Verbesserungen fest und bemerkten, dass uns die Kinder weit voraus waren:n im Erfinden von Kürzeln, von denen wir nicht wissen, was sie bedeuten, n im Einsatz von Farben, bei denen wir nicht wissen, wie das geht, n im Einbringen von Smileys, von denen wir nicht wissen, wie sie gemacht werden undn im Austesten der Grenzen für Beschimpfungen und Verunglimpfungen, dem Testen der Filterliste für die „Bad Words“ und den nicht enden wollenden Versuchen zum Austausch von Adressen in immer neuen Formen. Nach zwei Stunden waren wir froh, es geschafft zu haben und wussten, dass wir noch viel lernen mussten. Wir erhielten ein 44-seitiges Protokoll (Excel-Tabellen) mit wenig auswertbaren Inhalten. Für den Chat am 17. Dezember hatten wir uns die „Blinde Kuh“ als „Teilnehmer“ gewünscht. Etwas gefasster haben wir unserem zweiten Termin (gewünschte technische Veränderungen waren abgeschlossen) entgegengefiebert. Wieder waren alle zwölf ModeratorInnen für zwei Stunden vollauf beschäftigt. Schon nach wenigen Minuten haben wir uns entschlossen, mit zwei ModeratorInnen zu chatten. Anders war der Andrang nicht zu bewältigen. Trotzdem wechselten die Anzeigen auf den Monitoren manchmal schneller, als wir antworten bzw. Rügen erteilen konnten. Das Protokoll dieses Chats umfasst 603 Seiten. Wir waren nicht enttäuscht, dass die „Blinde-Kuh“ an den nächsten Tests nicht mehr teilnehmen wollte.Zwei weitere Probechats fanden im Januar diesen Jahres statt. In einem versuchten wir, zu einem Thema zu chatten. Dies ist außerordentlich schwierig und ging trotz Vorankündigung nicht lange gut. Zu inhomogen ist die Gruppe der Teilnehmenden und zu unterschiedlich sind ihre Verweilzeiten und Interessen am Thema.
Im März hatten wir Gelegenheit zu einem Erfahrungsaustausch mit den MacherInnen von „Seitenstark“ in Berlin. Wir beschlossen, nach der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft vernetzter Kinderseiten im Mai mit Chats nach der ersten Version (Jeder Beitrag wird vor der Veröffentlichung gegengelesen) zu proben.Der RelaunchFür den Chat nach dieser Variante musste die Software komplett umgestellt werden. In einem Test mit den Betreibern und RedakteurInnen der Arbeitsgemeinschaft vernetzter Kinderseiten wurden dann alle neuen Funktionen gründlich getestet und überprüft. Alles verlief zur vollsten Zufriedenheit. Neuerdings wird den TeilnehmerInnen eine große Auswahl von Smileys zur besseren Identifizierung im Chat angeboten und von den Kindern gern genutzt. Schon im ersten Probechat mit Kindern hatten die ModeratorInnen stets damit zu tun zu erklären, wie man denn zu den Smileys kommt. Wir hatten gelernt! Die ModeratorInnen arbeiten bei dieser Variante zu zweit und zwar in Absprache miteinander. An einem Rechner werden die Beiträge kontrolliert und freigegeben und am anderen werden Kommentare abgegeben, Fragen beantwortet, der Chat begleitet. Nach zwei Tests mit Kindern unter Ankündigung auf allen beteiligten Seiten und der Startseite von „Blinde Kuh“, waren wir uns sicher, das System zu beherrschen und auch genügend Erfahrung zu besitzen, um dauerhaft Chats für Kinder moderieren zu können. Mit Beginn des Sommersemesters 2004 startete in Leipzig ein Seminar zur Moderation von Chats für Kinder.
Wir konnten die Zahl der ModeratorInnen auf 27 erhöhen und können nun auch den eingangs gestellten Fragen nachgehen.Der StartSeit dem 16. Juni bieten wir an drei Wochentagen, Montag und Freitag von 16 bis 18 Uhr und Mittwoch von 15 bis 17 Uhr, moderierte Chats für die Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft vernetzter Kinderseiten – Seitenstark“ an. Von Anfang an sind zwölf Kinderseiten beteiligt. Den Chat erreicht man über kidsville, sowieso, milkmoon, blinde-kuh, wasistwas, hanisauland, geolino, wolf-kinderclub, tk-logo, vuz-web, rossipotti, kidnetting und die Homepage von Seitenstark. Noch wissen wir nicht genau, ob wir mit unserem Angebot die für Kinder günstigen Chat-Zeiten treffen. Ein Voting zu den präferierten Zeiten der Kinder wird in den nächsten Tagen online gestellt. Daran wollen wir uns dann auch in den Schulferien halten. Eine Chat-Schicht wird von 4 ModeratorInnen betreut, jeweils zwei für eine Stunde. Der Aufwand ist hoch, aber nötig. Die ModeratorInnen sind von den regelmäßig 10 bis 40 teilnehmenden ChatterInnen sehr gefragt und haben „alle Hände voll zu tun“. Doch darüber sollte später an dieser Stelle zu berichten sein.Anmerkungen1 Der Text entstand unter Verwendung der Konzeption für das Projekt, die von Anke Hildebrandt erarbeitet wurde. Anke Hildebrandt ist Medienpädagogin und leitet gemeinsam mit Kristina Schrottka das Internetportal www.kidsville.de. Sie gehört zu den Gründerinnen der Arbeitsgemeinschaft „Seitenstark“.
(merz 2004-04, S. 72-74)
Thomas Jacob und Hartmut Warkus: Rätselhafte Geschichten
Die Monkey Island-Reihe ist die wohl bekannteste Reihe von Adventure-Spielen für den PC. Bereits der erste Teil, „The Secret of Monkey Island“, sorgte 1990 für Furore, wurde von Kritikern hoch gelobt und ein Verkaufserfolg. Die SpielerInnen verkörpern darin den dusseligen Möchtegern-Piraten Guybrush, der auf der Suche nach einem legendären Schatz von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpert. Mit einfachen Mausklicks steuert man Guybrush umher und spricht mit anderen Piraten, wobei man den Gesprächsverlauf mit Multiple-Choice-Antworten beeinflussen kann. Die Dialoge sprühen dabei geradezu vor Wortwitz.Das Wichtigste in einem Adventure sind aber die Rätsel, die es zu lösen gilt, um die Story voranzutreiben. Ein einfaches Beispiel: Guybrush muss zu einer Villa, die aber von einem Rudel bissiger Hunde bewacht wird. Was tun? Ein hingeworfenes Stück Fleisch lenkt die Hunde nur kurz ab.
Reibt man das Fleisch aber vorher mit einer bestimmten Pflanze ein, schlafen die Tiere ein. Den Hinweis auf die Wirkung dieser Pflanze wiederum bekommt die SpielerInnen in einem Gespräch – wenn sie die richtigen Fragen stellen …Präsentiert wurde das Ganze mit einer für die damalige Zeit sehr schönen Grafik und stimmungsvoller Karibik-Musik. Besondere Merkmale des Spiels waren der schräge Humor und völlige Gewaltlosigkeit: Duelle etwa werden nicht mit dem Säbel, sondern mit Schlagfertigkeit und Wortwitz gewonnen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Adventures kann die Hauptfigur auch nicht sterben oder in Sackgassen geraten.
Nach dem großen Erfolg war es nur eine Frage der Zeit bis zum Nachfolger. Monkey Island II (1991) setzte auf die Tugenden des Vorgängers mit verbesserter Technik, größerem Umfang und zwei Schwierigkeitsgraden. Erst sechs Jahre später erschien der dritte Teil auf CD-ROM mit zeitgemäßer Comic-Grafik und Sprachausgabe. Die vorerst letzte Fortsetzung, „Flucht von Monkey Island“, erschien Ende 2000 und erntete durchwachsene Kritiken: Story, Rätsel und Humor stimmten zwar wieder einmal, doch die detailarme 3D-Grafik und vor allem die umständliche Steuerung über die Tastatur (anstatt Maus) wurden eher als Rückschritt eingestuft. Ein fünfter Teil der Serie ist noch nicht offiziell angekündigt, aber gerüchteweise bereits in Planung.
Hartmut Warkus / Thomas Jacob: Rätselhafte Geschichten
Die deutsche Übersetzung von Adventure lautet „Abenteuer“. Und Abenteuer müssen die Protagonisten in diesem Spielegenre auch regelmäßig bestehen. Allerdings nicht durch Geschicklichkeit und Feuerkraft wie in Actionspielen, sondern durch logisches Kombinieren und das Lösen von Rätseln. Im Mittelpunkt stehen Gespräche mit anderen Spielfiguren und das Verbinden und richtige Einsetzen von gefundenen Gegenständen. Adventures sind mehr oder weniger eine Abfolge von Rätseln, die in eine Geschichte verpackt sind. Die Darstellung dieser Geschichten aber hat sich seit den Anfängen vor über zwanzig Jahren stark verändert. Die Entwicklung des Genres spiegelt auch die Evolution von Computerspielen im Allgemeinen wider. Spielspaß ohne GrafikDie ersten Abenteuerspiele, gleichzeitig auch einige der ersten Computerspiele überhaupt, waren Textadventures, auch als „Interactive Fiction“ bezeichnet. Eine äußerst treffende Bezeichnung, denn die Spiele gleichen Büchern, in denen der Leser den Fortgang der Handlung selbst bestimmt. Und zwar Bücher ohne Bilder, denn Textadventures kommen völlig ohne jede Grafik aus. Die Spielewelt wird mittels Text beschrieben, und der Spieler gibt seine Aktionen als Textbefehle ein. Mittels mehrerer einfacher Befehle untersucht der Spieler hier das Fenster, öffnet es, steigt hinein, nimmt eine Flasche Wasser und versucht, daraus zu trinken, worauf ihn das Programm darauf hinweist, die Flasche doch erst zu öffnen. Die Szene stammt aus dem Spiel „Zork“, das 1980 von der Firma Infocom veröffentlicht wurde. „Zork“ und seine beiden Nachfolger hatten noch keine nennenswerte Handlung, der Spieler durchstreifte ein riesiges Höhlenlabyrinth auf der Suche nach Schätzen.
Schon bald veröffentlichte Infocom aber auch Spiele mit ausgefeilten Storys aus verschiedensten Genres: unter anderem Detektivgeschichten sowie Science- Fiction- und Fantasyabenteuer.Im heutigen Zeitalter von fotorealistischen Grafiken muten Textadventures wie Relikte aus der Computersteinzeit an. Und doch sind sie zeitloser als alle anderen Computerspiele, denn jede noch so gute Grafik gilt schnell als veraltet; Interactive Fiction dagegen lässt die Bilder in der Fantasie des Spielers entstehen. Was die Infocom-Spiele von anderen Textadventures abhob und zu Verkaufsschlagern machte, war die literarische Qualität der Prosa sowie die Flexibilität des so genannten „Parsers“. Der Parser ist der Teil des Programms, der die Eingaben des Spielers interpretiert und umsetzt. Während die meisten anderen Textadventures lediglich Zwei-Wort-Befehle verstanden („open door“), kamen Infocom-Spiele auch mit komplexen Eingaben wie „take the green bottle from the table, then open it and drink water“ zurecht.Technische WeiterentwicklungDer Stern von Textadventures begann Mitte der 1980er Jahre rapide zu sinken. Die Leistungsfähigkeit von Heimcomputern erlaubte es mittlerweile, auch bunte und bewegte Grafiken in Adventures einzubauen. Die Spieler waren fasziniert von den neuen Möglichkeiten, reine Textadventures waren plötzlich kaum noch gefragt. Am erfolgreichsten waren die Spiele der Firma „Sierra“.
Spiele wie „King’s Quest“, „Space Quest“ und „Larry“ und ihre vielen Nachfolger verkauften sich millionenfach. Trotz der neuen, bunten Abenteuerwelten mussten Befehle aber weiterhin, wie in reinen Textadventures, mit Hilfe der Tastatur eingegeben werden. Das änderte sich erst mit den Adventures der Firma „LucasArts“, wie zum Beispiel „Maniac Mansion“ oder der „Monkey Island“-Serie, die auf eine komfortable Maussteuerung ausgelegt waren. Auch die Grafiken und Sounds wurden stetig verbessert, durchgehende Sprachausgabe wurde zum Standard, mehr und mehr konnte man von interaktiven Cartoons statt Büchern sprechen. Mitte der 1990er Jahre erschienen dann auch Spiele mit echten Schauspielern und Filmsequenzen. Das große Manko dieser Spiele war die stark eingeschränkte Interaktivität: Man hangelte sich mit einigen Puzzles von einem Filmchen zum nächsten, die mit meist schlechten Schauspielern und billigen Kulissen nervten. Das merkten recht schnell auch die Spieler, und die so genannten „Interactive Movies“ verschwanden nach kurzer Blütezeit wieder vom Markt.Rückzug ins Nischendasein Doch auch die „klassischen“ Adventures haben es seit einigen Jahren äußerst schwer.
Mit dem Siegeszug der 3D-Shooter schwand das Interesse der Käufer an den eher gemütlichen Denkspielen. Jahrelang erfolgreiche Reihen verkauften sich nicht mehr und wurden eingestellt. Heute kommen nur noch sehr wenige „klassische“ Adventures heraus, meist von kleinen Entwicklerstudios. Äußerst erfolgreich sind dagegen Spiele, die Adventureelemente mit Actionspielen vermischen. Bekanntestes und erfolgreichstes Beispiel ist die „Tomb Raider“-Serie. Lara Croft, die Heldin des Spiels, muss nicht nur rennen, springen und schießen, sondern zwischendurch auch kleine Knobeleien lösen und die richtigen Schalter betätigen. So komplex wie in klassischen Adventures sind die Rätsel aber nie.
Thomas Jacob, Hartmut Warkus: The Elder Scrolls lll - Morrowind
Riesige SpielweltMorrowind ist der dritte Teil der Rollenspielreihe „The Elder Scrolls“. Bekannt ist die Serie unter Computerspielern vor allem durch die epischen Ausmaße der Spielwelten. Und auch Morrowind schwelgt in Superlativen. Schon vor der Veröffentlichung im Juni 2002 kursierte eine Faktenliste im Internet, die die Fans ins Schwärmen geraten ließ: Von einer 10 Quadratmeilen großen, frei begehbaren Welt war da die Rede, mit 30 teils riesigen Städten und über 300 Höhlen, bevölkert von über dreitausend Personen mit denen man reden, handeln, aber auch kämpfen kann. Und tatsächlich ist Morrowind das größte und komplexeste PC-Rollenspiel, das man derzeit kaufen kann. Es gab nur zwei Computerspiele mit noch größeren Welten: die beiden Vorgängerprogramme. Daggerfall, der 1996 erschienene zweite Teil der Serie, simulierte ein Land mit der doppelten Fläche von Großbritannien, bevölkert von über 750.000 virtuellen Bewohnern. Das ganze Land zu Fuß von einem Ende zum anderen zu durchqueren hätte zwei Wochen Realzeit gebraucht. Gegen diese Ausmaße erscheint die Insel Vvardenfell, der Schauplatz von Morrowind, fast winzig.Warum dieser scheinbare Rückschritt? Der entscheidende Unterschied: Während die Landschaften, Städte und Bewohner der Vorgänger von einem Zufallsgenerator erzeugt wurden, und darum recht schnell langweilig wurden, ist in Morrowind jedes Detail von Hand erstellt.
Jedes Haus, jeder Tisch in diesem Haus und jedes Geschirr auf diesem Tisch wurden von einem der Spieldesigner platziert – nach deren Angaben insgesamt genau 316.042 Objekte. Haudrauf, Dieb oder Zauberer?Wie in den meisten Rollenspielen üblich, steht am Anfang des Spiels die Erschaffung des eigenen Spielercharakters, in dessen Rolle man während des Spiels schlüpft. Innovativ ist bei Morrowind die Art, wie diese Prozedur in die Story eingebunden ist. An Bord des Sklavenschiffs auf dem Weg zur Insel aufgewacht, erkundigt sich ein Mithäftling als erstes nach dem Namen des Spielers. Nach der Freilassung fragt ein Verwalter nach Herkunft und Beruf. Nun kann man seinen Charakter ganz nach Vorlieben zurechtschneidern: Lieber einen kräftigen, aber dummen Ork, oder lieber den flinken Waldelfen? Und welcher Profession geht der Charakter nach? 21 Berufe, vom Alchemisten bis zum Söldner mit verschiedenen Vor- und Nachteilen stehen zur Wahl. Wem das nicht reicht, der kann auch seine eigene Klasse entwerfen, und die Punkte auf die 27 Fähigkeiten selbst verteilen. Diese Fähigkeiten reichen von der Kampfkunst mit diversen Waffen, über das Aufbrechen von Schlössern bis hin zur Redegewandtheit und Zauberkunst. Je mehr Punkte ein Charakter in einem Wert besitzt, umso erfahrener ist er in diesem Bereich. Ein Magier mit 100 Punkten in der Fähigkeit „Zerstörungszauber“ könnte es mit Gandalf persönlich aufnehmen, während einer mit 5 Punkten gerade mal eine Kerze magisch entzünden kann. Zu guter Letzt kann man noch entscheiden, unter welchem Sternzeichen der Charakter geboren ist, was verschiedene Spezialboni beschert.
Durch dieses flexible System sind nahezu unbegrenzt viele verschiedene Charaktere möglich. Genauer: 480 Milliarden, wie die Entwickler stolz angeben.Where do you want to go today?Ist der Spielercharakter fertig gestellt, wird man durch ein kurzes Tutorial geleitet, das die Feinheiten der Steuerung erklärt. Mit den Pfeiltasten wird die Spielfigur bewegt, mit der Maus schaut man sich um und führt Aktionen aus. Weitere Tasten dienen beispielsweise zum Springen, Zücken der Waffe oder um den Spielstand zu speichern. Die Tastaturbelegung ist vollständig konfigurierbar.Ist diese kleine Einführung erfolgreich überstanden, steht dem Spieler die gesamte Insel zur Erkundung frei. Im Unterschied zu den meisten anderen Rollenspielen, die eine bestimmte Reihenfolge der Vorgehensweise verlangen um voranzukommen, hat man bei Morrowind wirklich uneingeschränkte Freiheit. Man kann tagelang die Wälder und Berge der Insel auf eigene Faust erforschen, böse Monster bekämpfen und Schätze erbeuten. Es gibt unzählige kleine Nebenaufgaben, so genannte Quests, zu erfüllen, die von den Bewohnern Vvardenfells vergeben werden, und deren Lösung mit Geld oder Gegenständen belohnt werden. Der Lohn wird dann wiederum in bessere Ausrüstung investiert. Außerdem steigen die Fähigkeiten, je öfter sie angewendet werden. Wer also häufig Schlösser knackt, wird immer besser darin, wer fleißig zaubert, kann immer mächtigere Sprüche klopfen.
Je stärker der Charakter wird, desto gefährlichere Aufgaben kann er erfüllen, die ihn wiederum noch stärker machen… Dieses ständige Aufbessern der Spielfigur macht einen Hauptanreiz von Rollenspielen aus.Damit all das aber nicht zum reinen Selbstzweck verkommt, haben die Entwickler eine Hintergrundstory eingebaut. Diese wird durch Gespräche mit den Bewohnern nach und nach aufgedeckt, und der Spieler nimmt eine immer wichtigere Rolle darin ein. Unterhaltungen mit Nichtspielercharakteren (NSCs) laufen in einem Textfenster ab, in denen man Stichworte anklickt. Erfährt man wichtige Neuigkeiten oder erhält einen Auftrag, so wird automatisch ein Tagebucheintrag angelegt. Ansonsten wäre es unmöglich, den Überblick zu behalten. Insgesamt soll das Spiel eine Textmenge enthalten, die dem Umfang von sechs „durchschnittlichen“ Romanen entspricht. Dazu tragen auch die zahllosen in der Spielwelt vorhandenen Bücher mit teilweise Dutzenden von Seiten bei, in denen Kultur und Geschichte der Fantasywelt bis ins Detail erörtert werden.Auf Vvardenfell gibt es verschiedene Clans und Gilden, denen sich der Spieler auch anschließen kann, um nach erfüllten Aufträgen in der Hierarchie aufzusteigen. Das wiederum könnte dem verfeindeten Clan gar nicht gefallen, der Spieler kann sich dort nicht mehr blicken lassen… Alles in allem veranschlagen die Entwickler mehrere hundert Stunden Spielzeit, will man wirklich jeden Winkel erforschen und jeden Auftrag erfüllen. Wem das immer noch nicht reicht, der kann die mittlerweile erschienene Zusatz-CD Tribunal installieren, die weitere Gebiete und Aufgaben hinzufügt. Eine zweite Erweiterung ist bereits angekündigt.Nur etwas für schnelle RechnerMorrowind ist nicht nur eines der größten, sondern auch der grafisch aufwändigsten Spiele.
Jede Stadt hat eine eigenständige Architektur, am Ufer branden Wellen, Tag und Nacht wechseln sich ab, Gewitter ziehen über das Land. Solche Detailfülle hat ihren Preis: Morrowind gehört zu den hardwarehungrigsten PC-Spielen auf dem Markt. Ein Prozessor mit 500 MHz und 256 MB RAM sind das absolute Minimum, Spaß macht das Spiel auf einem solchen Rechner aber nicht – es ist unansehnlich und langsam. Die Fachzeitschrift „GameStar“ empfiehlt als Optimum einen 1,6GHz-Prozessor, 512 MB RAM und eine 3D-Grafikkarte der neuesten Generation.Unbegrenzt erweiterbarAuf der CD befindet sich neben dem eigentlichen Spiel auch das “Elder Scrolls Construction Set”. Dabei handelt es sich um das Werkzeug, das auch die Designer verwendet haben, um die Spielwelt zu gestalten. Dieses Beilegen von so genannten „Editoren“ ist in den letzten Jahren mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Spieler schätzen die Möglichkeit, an ihrem Lieblingsspiel herumzubasteln und neue Level zu erstellen; dem Hersteller bringen gelungene Fanmodifikationen kostenlose Publicity. Bekanntestes Beispiel ist Counterstrike, dessen ursprüngliche Version von Fans mit dem Editor des Actionshooters Half Life erstellt wurde.Dem Umfang von Morrowind angemessen bietet das “Construction Set”, entsprechende Einarbeitung vorausgesetzt, nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Die vorhandene Spielwelt kann in jedem Detail modifiziert werden, von der Schwerkraft über die Laufgeschwindigkeit des Spielers bis zur Stärke der Monster. Erfahrene Bastler können neue Gegenstände, Bewohner, ja ganze Städte und Landstriche hinzufügen. Im Internet gibt es unzählige Seiten, auf denen man solche so genannten „Mods“ herunterladen kann. Es gibt ambitionierte Projekte wie den Nachbau von Tolkiens Mittelerde, deren Mitglieder oft aus den verschiedensten Ländern stammen und die über das Internet kommunizieren und zusammenarbeiten.Morrowind - The Elder Scrolls III. Ubi Soft Entertainment Düsseldorf, PC 49,98 Euro; XBOX 59,99 Euro
Thomas Jacob, Hartmut Warkus: Eine Frage des Charakters - Rollenspiele am PC
Die Wurzeln: Pen & PaperRollenspiele existieren bereits länger als Heimcomputer. Schon seit den frühen 70er Jahren gibt es die so genannten Pen & Paper-Rollenspiele, die auch heute noch gespielt werden. Alles was dazu benötigt wird, sind ein Regelwerk, Zettel und Stifte, einige Mitspieler sowie ein paar Würfel. Ein Spieler übernimmt die Rolle des „Meisters“. Er ist der Spielleiter und bereitet den voraussichtlichen Ablauf der Handlung vor. Er denkt sich möglichst interessante Orte, Personen, Ereignisse und Situationen aus. So entstehen, je nach Spielsystem und Geschmack der Gruppe, unterschiedliche, manchmal fast romanartige Abenteuer. Diese müssen die anderen Spieler dann bestehen, indem sie Informationen zusammentragen, Rätsel lösen, Schätze finden und vieles mehr. Die meisten Systeme, wie das populäre „Advanced Dungeons & Dragons“ oder „Das Schwarze Auge“ spielen dabei in Tolkien-inspirierten Fantasywelten mit Schwertern, Drachen und Magie.Das Spiel beginnt mit der „Charaktergeneration“. Jeder Mitspieler erstellt dabei seinen Helden, seinen fiktionalen Charakter, den er durch das Spiel führt.
Das kann ein mürrischer, axtschwingender Zwerg sein, ein cleverer Dieb oder auch ein weiser Elfen-Magier. Die Ausprägung der verschiedenen Eigenschaften (zum Beispiel Stärke und Intelligenz) und Fähigkeiten (wie Bogenschießen, Schlösserknacken oder Spurenlesen) des Charakters werden ausgewürfelt, sein Name, Alter und Aussehen bestimmt. Alle Angaben werden auf einem Blatt Papier, dem Charakterbogen, festgehalten. Erst danach beginnt die eigentliche Handlung, und die Gruppe von Helden stürzt sich ins Abenteuer.Der Meister erzählt dabei die Geschichte fort, beschreibt der Gruppe die fiktive Welt, in der sie sich bewegt und konfrontiert sie mit den unterschiedlichsten – meist gefährlichen – Situationen, auf die sie angemessen reagieren muss. Kommt es beispielsweise zu einem Kampf, wehren sich die starken Charaktere mit ihren Schwertern, der Dieb schießt aus dem Hinterhalt mit dem Bogen und der Magier heilt verwundete Freunde mit Zaubersprüchen. Erfolg und Misserfolg jeder Aktion werden nach einem festgelegten Regelwerk ausgewürfelt. Dabei spielen die am Anfang ausgewürfelten Eigenschaften der Charaktere eine entscheidende Rolle, denn ein geübter Dieb mit hohem Geschicklichkeitswert hat viel höhere Chancen, eine verschlossene Tür zu öffnen, als ein ungeschickter Barbar...
( merz 03/2003, S. 177 - 179 )
Hartmut Warkus,Thomas Jacob: Von LANs und Clans
Sie nennen sich Falco2 vom Entenclan und Rainbow von LE Force. Die beiden jungen Männer sind die Initiatoren eines kürzlich in Leipzig gegründeten Vereins, der zu einer zentralen Anlaufstelle für lokale Computerspieleclans geworden ist. Mittlerweile gehören fast fünfzig Clans zum „LE Clans e.V.“Im Entenclan von Falco2 wird „Quake 3“ gespielt. Seine Mitglieder kommen aus ganz Deutschland, die meisten aus Leipzig und Umgebung. Die LE Force von Rainbow dagegen spielt „Counterstrike“, wie die überwiegende Mehrzahl der im Verein organi-sierten Clans (40 von 49). Einige wenige Clans spielen „Unreal Tournament“ und „Age of Empires“.LAN-PartysDie Teilnahme an LAN-Partys ist das Ziel eines jeden Clans, denn während die einzelnen Clan-Mitglieder auch online von zu Hause aus gegen- und miteinander spielen, können sie auf LAN-Partys im direkten Kontakt miteinander ihrem Hobby und dem Spieltrieb nachgehen. Nach den Ereignissen von Erfurt und der Schuldzuweisung an gewalttätige Computerspiele wurde die Organisation von LAN-Partys zum großen Problem, denn ein Großteil der Sponsoren sprang aus Angst vor Imageverlusten ab.Die Vereinsgründung sollte die Möglichkeit schaffen, sich gemeinsam zu organisieren, um gezielt nach Geldgebern für ein recht teures Freizeitvergnügen zu suchen. Falco2 und Rainbow versichern, dass auch bei ihnen der Schock nach Erfurt tief saß und sie Verständnis für die Unsicherheit von potentiellen Sponsoren haben.
Sie verwahren sich aber gegen das Abstempeln von Computerspielern durch die Medien „nur weil man auf der Festplatte eines Täters ein Spiel gefunden hat, das Counterstrike heißt“. Sie sind davon überzeugt, dass nicht das Spiel sondern die Umge-bung des Täters Schuld an der Tat hat: „Keiner dreht durch, weil er „Quake“ oder „Counterstrike“ spielt“. Die negative Publicity habe den Clans sehr geschadet. LANs seien ohne Sponsoren, nur über die Finanzierung durch Eintrittsgelder, undenkbar. Auch wenn jeder Spieler seinen eigenen Rechner auf die LAN-Party mitbringe, brau-che man selbst für kleinere Veranstaltungen (100 bis 200 Spieler) jede Menge E-quipment (Netzwerkserver, Kabel, Tische, Stühle), von der Raummiete ganz abgesehen. „LE Clans e.V.“ arbeite nach langen Bemühungen mit einer mittelständischen Leipziger Computerfirma zusammen, und bekomme so zumindest die Server und einen Teil der technischen Ausstattung kostenlos zur Verfügung gestellt.Auf der LAN-Party kenne fast jeder jeden, sie seien sehr gut besucht, „denn man trifft dann halt die Leute, die man eigentlich die ganze Zeit zu Hause nur am Rechner hat-te. Es knüpfen sich neue Freundschaften und man kann sich untereinander austau-schen“.
Der Spaß komme vom Spielen. „Mittlerweile sind die „Pong“-Zeiten vorbei, man hat ordentliche Rechner, ordentliche Spiele mit Grafik, die gut aussieht, und das macht dann einfach Spaß“. LAN-Partys seien „halt wie ein sportlicher Wettkampf, man versucht dann eben den anderen ein bisschen zu überbieten, ein bisschen bes-ser zu sein. Da kommt Freude und Spaß auf, wenn man sich dann gegenübersitzt und sich austauschen kann, warum jetzt der eine besser war als der andere“.Zu Hause allein am eigenen Computer spielen die Clanmitglieder in der Regel nicht die Clanspiele. Bei LE Force versucht man sich neuerdings neben „Counterstrike“ („das wird langsam langweilig“) an „Dark Age of Camelot“, zur Abwechslung keinem 3D-Shooter sondern einem Online-Rollenspiel. Hier spielen bis zu 1500 Leute gleich-zeitig auf einem Server, kommunizieren, handeln, kämpfen miteinander. Der Enten-clan dagegem will noch eine Weile an „Quake 3“ festhalten, wobei es für Falco2 im-mer schwieriger sei, „als 56k-Modemnutzer mit einem T-DSL-User online mitzuhal-ten“. Da seien die LAN-Partys schon eher das Salz in der Suppe ...
(den vollständigen Artikel finden Sie in merz 2003/01 S. 32-34)