Ana-Nzinga Weiß
Beiträge in merz
Mareike Schemmerling/Ana-Nzinga Weiß: Editorial: Medien | Pädagogik | Rassismus. Gedanken, Beispiele und Impulse einer kritischen Auseinandersetzung.
Der im Netz viral gegangene Mitschnitt der Tötung des Afro-Amerikaners George Floyd am 25. Mai 2020 zog ein neues Ausmaß der BlackLivesMatter Bewegung nach sich. Proteste, die sich mit der Bewegung in den USA solidarisierten oder Rassismus in ihren eigenen Ländern anprangerten, sorgten weltweit für Aufmerksamkeit.
Auch in Deutschland blieben entsprechende Proteste nicht aus. Im internationalen Vergleich tat sich der deutsche Kontext bisher durch eine eher geringe Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus hervor (vgl. Çaglar/Sridharan 2021, S. 61 f.; Salem/Thompson 2016). Obwohl sich Deutschland mit der International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination dazu verpflichtet hatte, jeder Form von Rassismus politisch konfrontativ zu begegnen, stellte der UN-Antirassismusausschuss mehrfach fest, dass Deutschland diesen Ansprüchen nicht gerecht wird (vgl. Çaglar/Sridharan 2021, S. 61). Die öffentliche Aufmerksamkeit, die dem Thema Rassismus im Sommer 2020 zu Teil wurde (vgl. Agar 2020; Haruna-Oelker 2020), ist im deutschen Kontext demnach von ganz besonderer Relevanz.
(Online-)Medien spielen in der (Re)produktion und Repräsentation öffentlicher Diskurse eine wichtige Rolle. In dieser Ausgabe der merz möchten wir dem speziellen Verhältnis von (Online-)Medien und Rassismus auf den Grund gehen. Dabei verstehen wir Rassismus als gesamtgesellschaftliches Phänomen, welches gesellschaftliche Diskurse, Institutionen und Strukturen durchdringt und sich auch in Handlungs- und Denkmustern individueller gesellschaftlicher Akteur*innen wiederfindet. Rassismus ist damit nicht auf interpersonale diskriminierende Handlungen beschränkt, sondern stellt soziale Hierarchien und Klassifizierungssysteme auf. Als in gesellschaftliche Strukturen eingebettete Institutionen können Massenmedien gesellschaftlichen Rassismus ebenso repräsentieren, reproduzieren und produzieren, wie Diskurse in Online-Kommunikationsräumen, wie zum Beispiel in Social-Media-Angeboten. Unser Ziel mit dieser Ausgabe ist es zum einen, aufzuzeigen, wie die (Online-)Medien Rassismus repräsentieren und (re-)produzieren. Zugrunde liegt hier immer das Verständnis, dass Rassismus kein medienspezifisches Phänomen, sondern gesamtgesellschaftlicher Natur ist. Zum wollen wir auch darauf aufmerksam machen, wie die (Online-)Medien für anti-rassistische Aufklärung und zum Empowerment rassifizierter Gruppen genutzt werden können, sowie bestehende Ansätze vorstellen, die sich kritisch mit ungleichen Strukturen und Praktiken in und mit Medien auseinandersetzen. Wir verfolgen damit einen rassismuskritischen, kommunikationswissenschaftlichen und medienpädagogischen Ansatz, der die Beziehung zwischen Medien und Rassismus sowohl in ihrem progressiven Potenzial als auch in ihren kritisch zusehenden regressiven Tendenzen abbilden soll. Der Themenschwerpunkt beginnt mit medienpädagogischen Überlegungen, die anschließend durch einen journalistischen Perspektive ergänzt werden.
Zu Beginn führt Seyran Bostancı in das Verhältnis von Kindheit und Rassismus ein und erklärt, wie Kinder aktiv in der Herstellung von Rassismus als auch davon betroffen sein können. Sie schließt ihre Ausführungen mit handlungsleitenden Empfehlungen für die frühkindliche Bildungsarbeit und betont die Relevanz einer intersektionalen rassismuskritischen Pädagogik.
Raphaela Müller und Fabian Wörz geben Einblicke in die Auseinandersetzung mit Rassismus und den Privilegien als weiße Personen. Sie greifen aktuelle Diskurse in der (medien-)pädagogischen Praxis auf. Die kritische Betrachtung eigener Ansätze zu Rassismus sowie Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Transformation werden zudem fokussiert.
Mareike Schemmerling und Lorenz Narku Laing gehen in ihrem Gespräch mit Matondo Castlo zu Rap, Rassismus und Rassismuskritik unter anderem der Frage nach, welche Bedeutung Rap in der Auseinandersetzung mit Rassismus hat. Der Hip-Hop-Dozent gibt Einblicke in die Wirkkraft von Rap in der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen.
Rebecca Wienhold fokussiert die Rolle von Medienpädagogik im Kontext feministischer, rassismuskritscher Mädchenarbeit. Sie führt unter anderem aus, warum eigene Rassismuserfahrungen nicht automatisch zu einer ‚angemessenen‘ rassismuskritischen Kompetenz im Kontext medienpädagogischer Praxisarbeit führen.
Ana-Nzinga Weiß geht auf das Verhältnis zwischen Journalismus und Rassismus in Deutschland ein. Auf Grundlage bisheriger Forschungsarbeiten werden rassistische mediale Repräsentationen aufgezeigt. Im Fokus ihrer Ausführungen steht die Forderung nach mehr Diversität in der journalistischen Produktion.
Passend dazu hinterfragt Iva Krtalic im Gespräch mit ihr das deutsche Mediensystem mit Hinblick auf Diversität und benennt bestehende Herausforderungen. Unter anderem geht die Beauftragte für Integration und interkulturelle Vielfalt des WDR darauf ein, welche Rolle Rassismus in ihrer Arbeit und Definition von Vielfalt und Diversity spielt.
In kompakten Steckbriefen werden die Projekte Firewall – Hass im Netz begegnen (Amadeu Antonio Stiftung), Schule-ohne-Rassismus: Filmprojekt an der Ulrichschule Augsburg(Medienstelle Augsburg des JFF e. V.) und Klappe gegen Rassismus (Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie, Mecklenburg-Vorpommern e. V.) vorgestellt. Sie widmen sich mit unterschiedlichen Blickwinkeln, Herangehensweisen und Zielgruppen dem Thema Rassismus. Die Kurzdarstellungen geben Einblicke in die jeweiligen Vorhaben, greifen Erfahrungen auf, aus denen andere lernen können, und geben konkrete methodische Anregungen.
Ana-Nzinga Weiß: Journalismus – Rassismus – Diversität. Repräsentation von People of Color und Diversität als Perspektive im Journalismus
Thema des Artikels ist das Verhältnis von Rassismus und Journalismus in Deutschland. Auf Grundlage bisheriger Forschungsarbeiten werden im Artikel rassistische mediale Repräsentationen aufgezeigt. Im Fokus der anschließenden Diskussion steht die Forderung nach mehr Diversität in der journalistischen Produktion. Kern der Argumentation sind strukturelle Veränderungen, die Raum für einen egalitären Diskurs zwischen diversen sozialen Perspektiven in der journalistischen Berichterstattung schaffen.
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Interview mit Iva Krtalic vom WDR: Diversität im deutschen Mediensystem
Was bedeutet Diversität in Bezug auf Rassismus? Wie ist das deutsche Mediensystem in Hinblick auf Diversität aufgestellt und wie kann man bestehende Herausforderungen angehen? Im Interview mit Iva Krtalic hat Ana-Nzinga Weiß, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Arbeitsstelle Journalistik der Freien Universität Berlin, diese und weitere Aspekte des Themenfelds Diversität im deutschen Mediensystem besprochen.